OLG Frankfurt am Main, 29.09.2016 – 26 W 2/16

März 21, 2019

OLG Frankfurt am Main, 29.09.2016 – 26 W 2/16
Orientierungssatz:

Für die Bemessung des dem Sachverständigen zuzuerkennenden Stundensatzes kann nicht auf § 9 Abs. 2 JVEG – unmittelbar oder analog – abgestellt werden. Das Honorar für die Leistung eines Sachverständigen im Insolvenzverfahren, der nicht auch zugleich vorläufiger Insolvenzverwalter ist (sog. „isolierter“ Sachverständiger), bestimmt sich im Umkehrschluss zu § 9 Abs. 2 JVEG ausschließlich nach § 9 Abs. 1 JVEG.
Tenor:

Die weitere Beschwerde der Beschwerdeführerin gegen den Beschluss des Landgerichts Frankfurt am Main – Beschwerdekammer – vom 16.12.2015 (Az.: 2-09 T 554/15) wird zurückgewiesen.

Das Beschwerdeverfahren ist gerichtsgebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet.
Gründe

I.

Durch Schreiben vom 13.10.2014 stellte das Finanzamt A wegen bestehender Steuerrückstände den Antrag, über das Vermögen der späteren Insolvenzschuldnerin das Insolvenzverfahren zu eröffnen.

Mit Beschluss des Insolvenzgerichts Frankfurt am Main vom ….2015 (Az.: …, Bl. 47 f. d.A.) wurde die weitere Beschwerdeführerin mit der Erstellung eines schriftlichen Gutachtens zur Frage der drohenden Zahlungsunfähigkeit bzw. möglichen Überschuldung der Insolvenzschuldnerin beauftragt. Das unter dem 02.06.2015 vorgelegte Gutachten (Bl. 78 ff. d.A.) schloss mit der Empfehlung ab, das Insolvenzverfahren zu eröffnen. Hierauf wurde durch Beschluss des Amtsgerichts Frankfurt am Main vom ….2015 (Bl. 110 d.A.) das Insolvenzverfahren eröffnet und die Beschwerdeführerin zur Insolvenzverwalterin bestellt.

Mit Schriftsatz vom 02.06.2015 (Bl. 106 f. d.A.) beantragte die Sachverständige gemäß § 4 JVEG die gerichtliche Festsetzung ihrer Vergütung auf insgesamt € 2.335,26 brutto, wobei sie ihrer Berechnung einen Stundensatz von € 105,00 zu Grunde legte.

Diesem Antrag trat die Bezirksrevisorin bei dem Amtsgericht Frankfurt am Main unter Verweis auf eine Entscheidung des hiesigen Senats vom 25.02.2015 (Az.: 26 W 52/14) entgegen und machte geltend, dass wegen vergleichbarer Fallgestaltung die Beschwerdeführerin als zunächst isoliert tätige Sachverständige im Insolvenzantragsverfahren nur einen Stundensatz von € 95,00 beanspruchen könne.

Durch Beschluss des Amtsgerichts Frankfurt am Main vom 21.09.2015 (Bl. 178 ff. d.A.) wurde der Beschwerdeführerin ein Stundensatz von € 105,00 zugebilligt und die zu beanspruchende Gesamtvergütung antragsgemäß auf € 2.335,26 festgesetzt. Gegen diesen Beschluss legte die Bezirksrevisorin bei dem Amtsgericht Frankfurt am Main als Vertreterin der Staatskasse unter dem 09.10.2015 Beschwerde ein, der seitens des Amtsgerichts nicht abgeholfen wurde (Bl. 202 d.A.).

Durch Beschwerdeentscheidung des Landgerichts Frankfurt am Main vom 16.12.2015 wurde der Beschluss des Amtsgerichts Frankfurt am Main vom 21.09.2015 abgeändert und die Vergütung der Sachverständigen unter Zugrundelegung eines Stundensatzes von € 95,00 auf insgesamt € 2.116,41 festgesetzt (Bl. 209 ff. d.A.); zugleich wurde die weitere Beschwerde zum Oberlandesgericht zugelassen.

Gegen den ihr am 18.12.2015 zugestellten Beschluss hat die Beschwerdeführerin mit Schriftsatz vom 05.01.2016 weitere Beschwerde eingelegt, der das Landgericht nicht abgeholfen hat (Bl. 235, 236 d.A.).

Die Beschwerdeführerin rügt, dass die Annahme eines Stundensatzes von lediglich € 95,00 gegen § 9 JVEG verstoße. Denn auch wenn der Gesetzgeber bei der Novellierung des JVEG auf eine eindeutige Zuordnung der Leistung des gerichtlich bestellten Sachverständigen im Insolvenzeröffnungsverfahren verzichtet habe, werde gleichwohl in der Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 17/11471, S. 260) klargestellt, dass bei der Bemessung der Vergütung „regelmäßig“ ein Sachgebiet maßgebend sein solle, welches in der Sachgebietsliste unter Nr. 6 aufgeführt ist. Der Gesetzgeber habe damit zum Ausdruck gebracht, dass eine Zuordnung anhand der unter Nummer 6 aufgeführten Sachgebiete möglich und im Regelfall anzunehmen sei. Eine Unternehmensbewertung im Sinne der Sachgebietsbezeichnung Nr. 6.1 liege aber auch dann vor, wenn das Gutachten allein die Frage des Insolvenzgrundes und der ausreichenden Masse zur Eröffnung des Verfahrens – auch bei eingestelltem Geschäftsbetrieb – behandele, zumal entsprechende Prüfungen zur Werthaltigkeit und zur Durchsetzbarkeit speziell insolvenzrechtlicher Ansprüche über die reine Unternehmensbewertung hinausgingen. Es sei daher nicht nachvollziehbar, wenn in dem Senatsbeschluss vom 25.02.2015 (Az.: 26 W 42/15) eine Anlehnung an die Honorargruppe 7 vorgenommen werde, die allein die Sachgebietsbezeichnung Medizintechnik betreffe.

Ergänzend verweist die Beschwerdeführerin unter Bezugnahme auf eine Entscheidung des OLG Karlsruhe vom 16.09.2015 (Az.: 15 W 57/15) auf die künftige Sachbehandlung im Bezirk des Amtsgerichts Mannheim, wonach künftig der isoliert tätige Sachverständige im Insolvenzeröffnungsverfahren ohne weitere Begründung einen Stundensatz von € 115,00 geltend machen könne, unabhängig davon, ob ein laufender oder eingestellter Geschäftsbetrieb zu begutachten ist.

II.

Die nicht fristgebundene weitere Beschwerde der gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1, § 4 Abs. 3 JVEG anspruchs- und beschwerdeberechtigten Sachverständigen gegen den Beschluss des Landgerichts Frankfurt am Main vom 16.12.2015 ist statthaft, nachdem die Beschwerdekammer des Landgerichts die weitere Beschwerde in dem angefochtenen Beschluss zugelassen hat (§ 4 Abs. 5 S. 1 JVEG). An diese Entscheidung ist das Oberlandesgericht gebunden (§ 4 Abs. 5 S. 4 i.V.m. § 4 Abs. 4 S. 4 JVEG).

Die weitere Beschwerde hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.

Für die Bemessung des der Sachverständigen zuzuerkennenden Stundensatzes kann nicht auf § 9 Abs. 2 JVEG – unmittelbar oder analog – abgestellt werden. Insoweit besteht allgemein Einigkeit darüber, dass sich das Honorar für die Leistung eines Sachverständigen im Insolvenzverfahren, der nicht auch zugleich vorläufiger Insolvenzverwalter ist (sog. „isolierter“ Sachverständiger) im Umkehrschluss zu § 9 Abs. 2 JVEG ausschließlich nach § 9 Abs. 1 JVEG bestimmt (Binz, JVEG 3. Auflage 2014, Rdnr. 20 zu § 9 JVEG; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 16.09.2015, Az.: 15 W 57/15; LG Frankenthal, Beschluss vom 09.06.2016, Az.: 1 T 91/15; AG Darmstadt, NZI 2014, 164 f.; AG Göttingen, Beschluss vom 25.07.2016, Az.: 71 IN 21/16; AG Saarbrücken, Beschluss vom 03.05.2016, Az.: 61 IN 8/16, jeweils zitiert nach BeckRS).

Der Gesetzgeber hat hiernach im Rahmen der Neufassung der Vorschrift durch das 2. Gesetz zur Modernisierung des Kostenrechts vom 01.08.2013 nicht nur darauf verzichtet, einen betragsmäßig festgelegten Stundensatz für die Vergütung des isoliert bestellten Sachverständigen zu bestimmen, sondern auch davon abgesehen, dessen Tätigkeit ausdrücklich einer bestimmten Honorargruppe zuzuordnen, obgleich ihm die Problematik des isolierten Sachverständigen im Eröffnungsverfahren bewusst war (vgl. LG Frankenthal, a.a.O.). Soweit nach der Gesetzesbegründung bei der Bemessung der Vergütung eines isoliert tätigen Sachverständigen gleichwohl „zukünftig regelmäßig“ ein Sachgebiet maßgebend sein „wird“, das in der neuen Sachgebietsliste unter Nummer 6 aufgeführt ist (BT-Drucks. 17/11471, S. 260), lässt dies gerade offen, welche Wertung im Einzelfall vorzunehmen ist. Hat es der Gesetzgeber – bewusst – unterlassen, eine eindeutige Zuordnung zu einer bestimmten Honorargruppe ausdrücklich zu regeln, lässt die ohnehin nur unscharf formulierte Gesetzesbegründung nach Ansicht des Senats nicht die Schlussfolgerung zu, es sei unabhängig von den konkreten Umständen des Einzelfalls jeweils eine konstante Vergütung festzusetzen oder etwa ein durchschnittlicher Mittelwert aus den Honorargruppen zu bilden, die dem Sachgebiet zu Ziffer 6 zugeordnet sind. Auch wenn der Senat anerkennt, dass die Zubilligung eines einheitlichen Stundensatzes dem Bedürfnis nach einer praktischen und unkomplizierten Handhabung entsprechen würde, ließe dies außer Acht, dass eine vom Einzelfall unabhängige Zuordnung von insolvenzrechtlichen Gutachten zur Vorbereitung der Eröffnungsentscheidung durch den Gesetzgeber gerade unterblieben ist (vgl. hierzu AG Saarbrücken, a.a.O.).

Der Senat hält vor diesem Hintergrund im Weiteren daran fest, dass sich die Leistung des Sachverständigen im Insolvenzeröffnungsverfahren nicht ohne weiteres in den zu Ziff. 6 der in der Anlage 1 zu § 9 Abs. 1 JVEG benannten Sachgebietsbezeichnungen (6.1 Unternehmensbewertung, Betriebsunterbrechungs- und -verlagerungsschäden; 6.2. Kapitalanlagen und private Finanzplanung sowie 6.3. Besteuerung) widerspiegelt (vgl. Senatsentscheidung vom 25.02.2015, Az.: 26 W 52/14 mit den dortigen weiteren Nachweisen). Denn der Schwerpunkt der (isoliert) gutachterlich zu beantwortenden Fragestellung liegt in aller Regel in der Beurteilung der Frage, ob eine die Kosten des Insolvenzverfahrens deckende Masse vorhanden ist, wohingegen es bei einer Unternehmensbewertung im klassischen Sinn um eine Ermittlung des Werts von ganzen Unternehmen oder Unternehmensanteilen unter Anwendung der dafür entwickelten gängigen Bewertungsverfahren geht. Damit deckt die gutachterliche Tätigkeit des Sachverständigen im Insolvenzeröffnungsverfahren allenfalls Teilbereiche des Sachgebiets „Unternehmensbewertung“ ab und rechtfertigt eine Zuordnung zu diesem Sachgebiet jedenfalls dann nicht, wenn so auch hier – der Geschäftsbetrieb bei Einleitung des Insolvenzantragsverfahrens bereits seit einiger Zeit vollständig eingestellt ist und keine Betriebseinrichtungen oder Vorräte mehr vorhanden sind (vgl. ebenso AG Saarbrücken, a.a.O.; LG Frankenthal, a.a.O.).

Für die danach hilfsweise und an der Entscheidung über die Heranziehung zu orientierende Bewertung der Tätigkeit eines isoliert beauftragten Sachverständigen im Insolvenzeröffnungsverfahren gibt es allerdings keine „allgemein für diese Leistungen außergerichtlich oder außerbehördlich vereinbarten Stundensätze“, um die Höhe dieser Regelvergütung objektiv zu bestimmen. Da diese Art der Tätigkeit ausschließlich durch die Gerichte in Auftrag gegeben wird und somit außergerichtliche und außerbehördliche vereinbarte Stundensätze nicht existieren, lässt sich ein „freier Marktwert“ als Vergleichsmaßstab nicht bestimmen (Senatsbeschluss vom 25.02.2015, a.a.O., mit den dortigen Nachweisen; ebenso LG Frankenthal, a.a.O.; OLG Karlsruhe, a.a.O.; AG Saarbrücken, Beschluss vom 03.05.2016, Az.: 61 IN 8/16).

Die danach vom Landgericht mit Rücksicht auf den Inhalt des der Sachverständigen am 06.01.2015 erteilten Gutachtenauftrages im angefochtenen Beschluss getroffene Billigkeitsentscheidung (§ 9 Abs. 1 S. 3 JVEG) ist nicht zu beanstanden. Sie berücksichtigt, dass der Geschäftsbetrieb der Schuldnerin zum Zeitpunkt der Gutachtenerstattung bereits seit einiger Zeit eingestellt war und keine Betriebseinrichtungen oder Vorräte gesichtet und bewertet werden mussten. Anhaltspunkte für eine komplexe Unternehmensbewertung lassen sich auch der Beschwerdebegründung nicht entnehmen. Der Verweis darauf, wonach das von der Beschwerdeführerin verwandte „übliche Schema“ der zu treffenden Feststellungen sowohl bei noch laufendem wie auch bei bereits eingestelltem Geschäftsbetrieb gleich sei, mag zwar zutreffen, widerlegt aber nicht den für die getroffene Billigkeitsentscheidung maßgebenden Gesichtspunkt, wonach die Beantwortung der sich im insolvenzrechtlichen Eröffnungsverfahren stellenden Fragen im Zusammenhang mit einem Kleinstbetrieb typischerweise geringere Qualifikationsanforderungen verlangt als sie für Gutachten zur Unternehmensbewertung erforderlich sind (vgl. nochmals LG Frankenthal, a.a.O.; AG Saarbrücken, a.a.O.).

Schließlich kann dem Landgericht auch nicht mit Erfolg vorgeworfen werden, eine fehlerhafte Zuordnung zum Sachgebiet Medizintechnik der Anlage 1 zu § 9 Abs. 1 JVEG vorgenommen zu haben. Die Beschwerdeführerin verkennt, dass die Höhe des Stundensatzes von € 95,00 nicht auf einer Zuordnung zum Sachgebiet „Medizintechnik“ beruht, sondern Ergebnis einer nach § 9 Abs. 1 S. 3 JVEG getroffenen Billigkeitsentscheidung ist, durch die der Sachverständigen einerseits ein höheres Honorar zugebilligt wird, als dem als vorläufigen Insolvenzverwalter tätigen Gutachter, jedoch zugleich in angemessener Weise Umfang und Schwierigkeit der tatsächlich durch den Gutachtenauftrag abgeforderten Tätigkeit berücksichtigt wird.

Die angefochtene Entscheidung des Landgerichts beruht nach alledem nicht auf einer Verletzung des Rechts (§ 4 Abs. 5 S. 2 JVEG) und veranlasst keine abändernde Entscheidung.

Der Kostenausspruch folgt aus § 4 Abs. 8 JVEG.

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