OLG Frankfurt am Main, 17.06.2016 – 21 W 91/15

März 22, 2019

OLG Frankfurt am Main, 17.06.2016 – 21 W 91/15
Tenor:

Das Verfahren wird bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union über die in dem Verfahren C – 566/15 vom Kammergericht Berlin in dem Beschluss vom 16.10.2015 (Az. 14 W 89/15) vorgelegte Frage wegen Vorgreiflichkeit gemäß § 99 Abs. 1 AktG i.V.m. § 21 FamFG ausgesetzt.
Gründe

I.

Die Beteiligten streiten im Rahmen eines Verfahrens nach §§ 98, 99 AktG darüber, ob der Aufsichtsrat der Antragsgegnerin richtig zusammengesetzt ist. Dabei begehrt der Antragsteller die Feststellung, dass der Aufsichtsrat nach den §§ 95 ff. AktG, hilfsweise nach § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 MitbestG zusammenzusetzen ist. Beide Feststellungsanträge beruhen auf der Auffassung, die Vorschriften über die Wahl der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat verstießen gegen Unionsrecht, hier vor allem gegen das Diskriminierungsverbot gemäß Art. 18 AEUV sowie gegen die Arbeitnehmerfreizügigkeit gemäß Art. 45 AEUV, weil sie das aktive und passive Wahlrecht nur den deutschen Belegschaften zugestehen, nicht aber auch den ausländischen Belegschaften. Aufgrund ihrer Unionsrechtswidrigkeit könnten die geltenden Mitbestimmungsregeln nicht mehr angewandt werden. Hilfsweise müssten die im Ausland beschäftigten Arbeitnehmer der Antragsgegnerin bei der Schwellenwertberechnung nach § 1 Abs. 1 Nr. 2, § 5 Abs. 1, Abs. 3 MitbestG mitberücksichtigt werden.

Mit Beschluss vom 16.10.2015 (Az. 14 W 89/15) hat das Kammergericht Berlin in einem vergleichbaren Fall dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) gemäß Art 267 AEUV folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Ist es mit Art. 18 AEUV (Diskriminierungsverbot) und Art. 45 AEUV (Freizügigkeit der Arbeitnehmer) vereinbar, dass ein Mitgliedstaat das aktive und passive Wahlrecht für die Vertreter der Arbeitnehmer in das Aufsichtsorgan eines Unternehmens nur solchen Arbeitnehmern einräumt, die in Betrieben des Unternehmens oder in Konzernunternehmen im Inland beschäftigt sind?

Die Antragsgegnerin hat mit Schriftsatz vom 08.12.2015 (Bl. 330 d.A.) die Aussetzung des Verfahrens nach § 21 FamFG beantragt. Der Antragsteller hält an seinem Begehren fest, die Sache dem EuGH in einem eigenen Vorabentscheidungsverfahren vorzulegen, da von dem Vorlagebeschluss des Kammergerichts nicht alle für das hiesige Verfahren relevanten Fragen erfasst seien (Bl. 314 ff. d.A.).

II.

Das Verfahren war nach § 99 Abs. 1 AktG i.V.m. § 21 FamFG analog wegen Vorgreiflichkeit der vom Kammergericht in seinem Vorlagebeschluss an den EuGH gestellten Frage auszusetzen.

1. Eine Aussetzung entsprechend § 21 FamFG ist zulässig.

Nach § 21 Abs. 1 FamFG kann das Gericht ein Verfahren aus wichtigem Grund aussetzen, insbesondere wenn die Entscheidung ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt.

Zwar ist grundsätzlich anerkannt, dass ein solcher wichtiger Grund nicht besteht, wenn das Gericht eine bevorstehende höchstrichterliche Grundsatzentscheidung des Bundesgerichtshofes oder die Entscheidung eines anderen Gerichts über die gleiche Rechtsfrage in einem gleichgelagerten Verfahren abwarten möchte (BGH NJW 2005, 1947 [BGH 30.03.2005 – X ZB 26/04]; Keidel/Sternal, FamFG 18. Auflage 2014, § 21 RZ. 16). Etwas anderes gilt aber, wenn die Entscheidung eines Rechtsstreits von der Beantwortung einer Rechtsfrage abhängt, die das Gericht dem Gerichtshof der Europäischen Union zur Vorabentscheidung nach Art. 267 AEUV vorlegen müsste und die bereits Gegenstand eines anderen Vorabentscheidungsersuchens im Rahmen eines anderen Verfahrens ist (BAG v. 20.05.2010, Az. AZR 481/09 (A), zitiert nach Rz. 7; OLG Düsseldorf v. 02.12.1992, Az. 18 W 58/92, zitiert nach ; Keidel/Sternal, a.a.O. Rz. 65). So hatte der Bundesgerichtshof mit seinem Beschluss vom 24.01.2012 (Az VIII ZR 158/11, zitiert nach ) das dort anhängige Verfahren analog § 148 ZPO bis zur Entscheidung des EuGH über ein Vorabentscheidungsersuchen im Rahmen eines anderen Verfahrens ausgesetzt und hierzu ausgeführt, dass eine Vorlage an den Gerichtshof auch im nämlichen Verfahren nicht zu einer schnelleren Beantwortung der maßgeblichen Rechtsfrage führen würde (BGH a.a.O Rz. 8). Im Gegenteil, die Funktion des Gerichtshofs im Vorabentscheidungsverfahren würde beeinträchtigt, wenn die gleiche Rechtsfrage mehrfach vorgelegt würde. Da der Gerichtshof kein Rechtsmittelgericht für sämtliche mitgliedschaftliche Verfahren darstelle, genüge es, wenn dort über eine klärungsbedürftige Rechtsfrage lediglich in einem Verfahren verhandelt und entschieden werde (BGH a.a.O. Rz. 9). Zwar war es in diesem Verfahren der erkennende Senat des Bundesgerichtshofs selbst, der in dem anderen Verfahren das Vorabentscheidungsersuchen gestellt hatte. In seinem Beschluss vom 30. 3. 2005 (Az. X ZB 26/04, zitiert nach Rz. 15), in dem der BGH letztlich nicht darüber entschied, ob das Oberlandesgericht sein Verfahren wegen einer Vorabentscheidungsvorlage des BGH an den EuGH aussetzen durfte, stand er jedoch einer möglichen Aussetzungsentscheidung positiv gegenüber. Aus seiner Sicht sprach für eine Aussetzung, dass die Gemeinschaftsgerichte und die nationalen Gerichte zu loyaler Zusammenarbeit verpflichtet sind (EuGH, Slg. 2000, I-11369 = GRUR Int 2001,333 Rdnr. 58 = NJW 2001, 1265 – Masterfoods/HB Ice Cream) und die Erfüllung der Aufgabe des EuGH, nicht als Rechtsmittelgericht in mitgliedstaatlichen Verfahren tätig zu werden, sondern verbindlich über die Auslegung des Gemeinschaftsrechts zu entscheiden, durch eine Vielzahl von gleichgelagerten, nichts zu einer Verbreiterung der Entscheidungsgrundlagen beitragenden Vorabentscheidungsersuchen eher beeinträchtigt denn gefördert werden könnte (BGH a.a.O. Rz. 15).

2. Die Entscheidung des hiesigen Verfahrens hängt maßgeblich von der Beantwortung der vom Kammergericht an den EuGH gerichteten Frage ab, so dass letztere vorgreiflich ist.

Ob die Beschränkung des aktiven und passiven Wahlrechts auf im Inland tätige Arbeitnehmer einer Aktiengesellschaft gegen Unionsrecht verstößt, ist im Rahmen des hiesigen Statusverfahrens zu klären. Der Senat hält insoweit eine Unionsrechtswidrigkeit nicht für offenkundig ausgeschlossen.

3. Eine inhaltlich über den Beschluss des Kammergerichts vom 16.10.2015 hinausgehende Vorlage zur Vorabentscheidung ist nicht veranlasst.

Soweit der Antragsteller vorträgt, die Vorlage des Kammergerichts sei nicht präjudiziell, weil sie nicht alle für das hiesige Verfahren relevanten Fragen erfasse (Bl. 314 ff. d.A.), ist dem Antragsteller nicht zu folgen. Im Hinblick auf die Berücksichtigung der im Ausland beschäftigten Arbeitnehmer bei der Ermittlung des Schwellenwertes nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 MitbestG kommt aus Sicht des Senates ein Verstoß gegen Unionsrecht allenfalls dann in Betracht, wenn den ausländischen Arbeitnehmern auch ein passives Wahlrecht zustünde. Ohne ein passives Wahlrecht begegnet die nach den bestehenden Regeln praktizierte Zählweise keinen unionsrechtlichen Bedenken. Eine von der Frage des Wahlrechts unabhängige Vorlage an den EuGH ist daher nicht erforderlich.

Der Senat kann dem Antragsteller auch nicht folgen, soweit er darüber hinaus eine Vorlage an den EuGH anstrebt, weil das Kammergericht den EuGH nicht gefragt habe, welche Konsequenzen aus der Unionsrechtswidrigkeit der territorialen Beschränkung der deutschen Mitbestimmung zu ziehen seien. Richtig ist zwar, dass derzeit noch nicht absehbar ist, wie im Falle einer vom EuGH festgestellten Unionsrechtswidrigkeit des deutschen Mitbestimmungsrechts dessen unionsrechtskonforme Ausgestaltung aussehen könnte und welche Rechtsfolgen ausgelöst werden. Dies zu entscheiden ist aber nicht Aufgabe des EuGH, sondern vielmehr der hierfür berufenen nationalstaatlichen Institutionen.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde nach § 70 Abs. 2 FamFG liegen nicht vor. Die Entscheidung ist entsprechend rechtskräftig.

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