OLG Frankfurt am Main, 08.09.2015 – 11 U 124/12

März 28, 2019

OLG Frankfurt am Main, 08.09.2015 – 11 U 124/12
Leitsatz:

1.

Die Entscheidung des EuGH vom 23.10.2014 in den Rechtssachen C 359/11 und C-400/11 steht einem aus § 4 Abs. 1, 2 AVBGasV abgeleiteten Preisanpassungsrecht eines Gasversorgungsunternehmens gegenüber einem Tarifkunden, der kein Haushaltskunde i.S.d. § 3 Nr. 22 EnWG 2005, Art. 2 Nr. 25 der Richtlinie 2003/55/EG ist, nicht entgegen.
2.

Auch bei einer vollständigen Liberalisierung des Gasmarktes unterliegen die von einem Gasversorgungsunternehmen im Rahmen seines Preisanpassungsrechts vorgenommenen Preiserhöhungen der Billigkeitskontrolle nach § 315 BGB. Dabei reicht es zum Nachweis der Billigkeit nicht aus, dass die (angepassten) Preise dem Marktpreis entsprechen, sondern es kommt auf das konkrete Vertragsverhältnis an.

Tenor:

1.

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts Gießen vom 19.11.2012 teilweise abgeändert und zur Klarstellung wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1082,95 € nebst 5 % Zinsen hieraus seit dem 14.07.2010 zu zahlen.

Von den Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens hat die Klägerin 10 %, die Beklagte 90 % zu tragen.
2.

Von den Kosten des Berufungsverfahrens hat die Klägerin 21 %, die Beklagte79 % zu tragen.
3.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Beide Parteien können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweils andere Teil vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
4.

Für die Klägerin wird die Revision zugelassen.

Gründe

I. Die Parteien streiten um die Wirksamkeit von Gaspreiserhöhungen.

Die Klägerin belieferte die Beklagte für den Betrieb ihrer Apotheke jedenfalls seit dem Jahr 2000 mit Gas. Dabei erhöhte sie mehrfach einseitig die Gaspreise. Hiergegen hat die Beklagte erstmalig mit Schreiben vom 12.10.2004 Widerspruch erhoben. Die Beklagte zahlte in der Folgezeit die auf Erhöhungen entfallenden Anteile des Gaspreiseentgeltes nicht. Mit der Klage begehrt die Klägerin Bezahlung der nach ihrer Auffassung aus den Jahresabrechnungen vom 12.09.2006, 11.09.2008 und 14.09.2009 für die Jahre 2006-2008 noch ausstehenden Beträge in Höhe von insgesamt 1.369,67 €.

Eine erstinstanzlich erhobene Widerklage auf Feststellung der Unwirksamkeit einer klägerseits am 28.5.2010 ausgesprochenen Kündigung des Gaslieferungsvertrages und auf Rückzahlung vermeintlicher Überzahlungen für die Jahre 2000 – 2005 hat die Beklagte noch in erster Instanz wieder zurück genommen.

Wegen des Sachverhaltes im Einzelnen, insbesondere der konkreten Preisänderungen, sowie der erstinstanzlich gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des landgerichtlichen Urteils verwiesen.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen mit der Begründung, die Klägerin habe die Billigkeit der Gaspreiserhöhungen nach § 315 BGB weder dargelegt noch bewiesen. Sie habe die vom Gericht mit Beschluss vom 1.3.2012 gesetzten Auflagen, u.a. die Vorlage ihrer Bezugsverträge zur Darlegung der Entwicklung ihrer Bezugspreise, nicht erfüllt. Das Interesse des Versorgers an der Wahrung seiner Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse überwiege im Rahmen der vorzunehmenden Abwägung vorliegend nicht die Interessen des Abnehmers an seinen Rechten aus dem ursprünglichen Vertrag in Verbindung mit dem Grundsatz „pacta sunt servanda“. Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass alleiniger Aktionär der Klägerin die Stadt O1 sei, so dass die Klägerin bereits nicht grundrechtsfähig sei. Die von der Klägerin vorgelegten Privatgutachten der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft A GmbH stellten weder ein taugliches Beweismittel noch einen hinreichend substantiierten Vortrag dar. Die Gutachten seien nicht nachvollziehbar. Ein Zeugenbeweis sei nicht zu erheben, weil es bereits an substantiiertem Vortrag zu den Anlässen der Gaspreiserhöhung fehle.

Auch könne eine Billigkeitsprüfung nicht ohne Prüfung durch einen unabhängigen Sachverständigen vorgenommen werden; die Einholung eines Gutachtens habe die Klägerin durch die Weigerung der Vorauszahlung vereitelt.

Nicht zutreffend sei auch die Auffassung der Klägerin, dass eine Billigkeitskontrolle gem. § 315 Abs. 3 BGB nur bei Monopolen eingreife.

Mit der Berufung macht die Klägerin geltend, der Billigkeitsnachweis sei durch die vorgelegten Wirtschaftsprüfertestate belegt. Daraus ergebe sich, dass die Klägerin lediglich gestiegene eigene Bezugskosten weiter gegeben habe. Für die inhaltliche Richtigkeit der in den Testaten enthaltenen Feststellungen habe sie Zeugenbeweis angeboten. Dies sei nach der Rechtsprechung des BGH zunächst ausreichend. Sie sei daher nicht verpflichtet gewesen, dem zu Unrecht erlassenen Auflagen- und Beweisbeschluss des Landgerichts nachzukommen. Auf die Grundrechtsfähigkeit der Klägerin komme es nicht an. Das Gebot der Abwägung und des Ausgleichs zwischen effektivem Rechtsschutz und Geheimnisschutz bestehe unabhängig davon, ob das rechtliche Interesse der Klägerin am Schutz ihrer Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse verfassungsrechtlich abgesichert sei.

Insgesamt habe sie für die Jahre 2004 bis 2007 die Kosten in der Gassparte ausreichend dargelegt. Soweit die Testate für das Landgericht nicht nachvollziehbar gewesen seien, hätte dies von der Klägerin weiter erläutert werden können. Sie rügt insoweit auch die Verletzung des rechtlichen Gehörs, weil sie mangels entsprechenden Hinweises seitens des Landgerichts davon habe ausgehen dürfen, dass ihr Vortrag ausreichend sei.

Ab dem Jahr 2007 habe die Beklagte die Möglichkeit gehabt, einen Anbieter frei zu wählen. Die Klägerin sei daher zur Rechtfertigung der Tariferhöhungen ab 2008 nicht verpflichtet, zur Entwicklung ihrer Kosten vorzutragen. Ihre Tarife entsprächen vielmehr bereits dann der Billigkeit, wenn sie mit den Tarifen konkurrierender Anbieter vergleichbar seien; tatsächlich lägen ihre Preise deutlich unter dem bundesweiten sowie hessischen Durchschnittspreis.

Auf Hinweis des Senats hat die Klägerin im Laufe des Berufungsverfahrens zu der Kostenentwicklung in der Gassparte in den Jahren 2004 bis 2007 weiter vorgetragen; insoweit wird insbesondere auf die Schriftsätze vom 14.1.2015, 3.3.2014, 22.5.2014 und 26.1.2015 Bezug genommen.

Die Klägerin beantragt,

unter Abänderung des am 19.11.2012 verkündeten Urteils des Landgerichts Gießen (Az. 5 O 56/12) die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 1.369,67 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil unter Wiederholung und Vertiefung des erstinstanzlichen Vorbringens.

Sie meint, die Klägerin sei überhaupt nicht zu Erhöhungen ihres Tarifs berechtigt gewesen.

Ein Preisänderungsrecht nach Maßgabe des § 315 BGB habe schon deshalb nicht bestanden, weil die Parteien einen individuell ausgehandelten Sondervertrag abgeschlossen hätten. Die Voraussetzungen, unter denen nach den Entscheidungen des BGH vom 14.3.2012 eine ergänzende Vertragsauslegung in Betracht komme, lägen hier nicht vor.

Auch für den Fall, dass kein Sonderkundenvertrag anzunehmen sei, verstoße ein Preisänderungsrecht jedenfalls gegen das Transparenzgebot der Richtlinie 2003/55/EG. Dies ergebe sich aus den Entscheidungen des EuGH vom 31.10.2014, C-359/11 und C-400/11.

Im Übrigen habe die Klägerin die Billigkeit ihrer Tariferhöhungen nicht hinreichend dargelegt. Die dargestellte Entwicklung der Gasbezugskosten sei nicht nachvollziehbar. Der Nachweis, dass etwaige Erhöhungen der Gasbezugskosten nicht durch Kostensenkungen in anderen Bereichen der Gassparte aufgefangen werden konnten, sei nicht erbracht worden und könne auch nicht erbracht werden, weil die Klägerin vor 2011 keine Spartenabschlüsse erstellt habe.

Die Klägerin könne sich hinsichtlich der Tariferhöhungen für die Jahre 2008-2009 nicht auf einen Wegfall ihrer Monopolstellung berufen. Zum einen sei in dieser Zeit der Gasmarkt faktisch noch kaum liberalisiert gewesen, so dass die Beklagte nicht ohne weiteres zu einem anderen Anbieter habe wechseln können. Zum anderen finde § 315 BGB unabhängig von einer Monopolstellung unmittelbar Anwendung, wenn einer Partei ein einseitiges Preisbestimmungsrecht eingeräumt sei.

Der Senat hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen B und C. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 14.07.2015, Bl. 968 ff d.A., Bezug genommen.

II.

Die Berufung ist zulässig, insbesondere fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie hat in der Sache teilweise Erfolg. Die Beklagte ist verpflichtet, die bis zum 31.12.2007 von der Klägerin verlangten Entgelte zu zahlen. Die im Jahre 2008 vorgenommenen Preiserhöhungen muss die Beklagte hingegen nicht gegen sich gelten lassen, da die Klägerin deren Billigkeit nicht nachgewiesen hat.

1)

Die Beklagte wurde von der Klägerin aufgrund ihrer allgemeinen Tarife i.S.d. § 10 EnWG 1998 mit Gas beliefert. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist zwischen den Parteien kein Sonderkundenverhältnis begründet worden.

a) Die Beklagte hat zwar in ihrer Klageerwiderung den Abschluss eines Sondervertrages behauptet (Bl. 336 d.A.), vermochte jedoch weder einen entsprechenden Vertrag vorzulegen, noch substantiiert zu den Umständen seines Zustandekommens vorzutragen. Das Telefax der Klägerin vom 13.12.1999, in dem sie einen Tarif „Power Pack“ empfiehlt (Anlage B1 Bl. 390 d.A.) bezieht sich erkennbar lediglich auf die Lieferung von Strom, da nur hierfür Preise genannt sind und sich die angegebene Zählernummer auf den Stromzähler bezieht. Damit verbleibt als Anknüpfungspunkt für einen Vertragsschluss neben der faktischen Entnahme von Gas durch die Beklagte lediglich das „Begrüßungsschreiben“ der Klägerin vom 6.1.2000, in dem die aktuellen Strom- und Gastarife genannt werden. Wörtlich heißt es dort: „Wir liefern Ihnen Ihre Energie nach den Bedingungen des Power-Pack-Vertrags und den Allgemeinen Versorgungsbedingungen für Strom, Gas, Wasser und Fernwärme (AVB EltV, GasV, WasserV, FernwärmeV)“ (Bl. 392 d.A.).

b) Ob hiernach ein Tarifkundenvertrag (§ 10 Abs. 1 EnWG 1998, § 1 Abs. 1 AVBGasV, § 36 EnWG 2005) oder ein Normsonderkundenvertrag vorlag, richtet sich danach, ob das Versorgungsunternehmen – aus der Sicht eines durchschnittlichen Abnehmers – die Versorgung zu öffentlich bekannt gemachten Bedingungen und Preisen im Rahmen einer Versorgungspflicht nach den genannten Vorschriften angeboten hat oder ob das Angebot unabhängig davon im Rahmen der allgemeinen Vertragsfreiheit erfolgte (BGH NJW 2009, 2662, 2663 [BGH 15.07.2009 – VIII ZR 225/07]; NJW 2011, 50, 51 [BGH 14.07.2010 – VIII ZR 246/08]; NJW 2011, 1342, 1343 [BGH 09.02.2011 – VIII ZR 295/09]; Senat, Urteil vom 13.10.09, 11 U 28/09 (Kart)). Im vorliegenden Fall wird zwar in den Preismitteilungen der Klägerin bis einschließlich Oktober 2006 differenziert zwischen dem „Allgemeinen Tarif (für Haushalt und Gewerbekunden)“ und „Gasheizung (für ununterbrochene Lieferung)“ (so die Preisblätter zum 1.10.2004, 1.1.2005, 1.10.2005, 1.1.2006 und 1.10.2006, Bl. 37 ff d.A.). Allerdings ist die Bezeichnung allein nicht maßgeblich (Urteil des Senats vom 13.10.09, 11 U 28/09 (Kart)). Die Differenzierung zwischen den beiden Tarifgruppen erfolgt hier hinsichtlich des Zwecks des Verbrauchs: Sobald der Gasbezug zum Betrieb einer Gasheizung dient, soll ein anderer Tarif gelten als bei Abnahme zu sonstigen Zwecken. Dies ändert jedoch nichts daran, dass die Grundversorgungspflicht von Energieversorgungsunternehmen gem. § 10 EnWG 1998 auch die Versorgung zu Heizzwecken umfasst, so dass auch insoweit allgemeine Tarife anzubieten sind. Dem Energieversorgungsunternehmen steht es auch im Rahmen der Grundversorgung frei, verschiedene Tarife anzubieten (BGH NJW 2011, 2736 [BGH 11.05.2011 – VIII ZR 42/10] – Rdnr. 32). Dafür, dass die Klägerin tatsächlich auch der Beklagten beide Tarifarten (die ihrerseits nochmals entsprechend der jeweiligen Abnahmemenge weiter aufgegliedert sind) in Erfüllung ihrer Grundversorgungspflicht anbieten wollte, spricht, dass in dem Schreiben vom 6.1.2000 ausdrücklich darauf hingewiesen wird, dass die Lieferung – mit Ausnahme des nur für den Strombezug anwendbaren „Power-Pack-Vertrages“ – „nach den Allgemeinen Versorgungsbedingungen für … Gas ….“ erfolge. Auch die vorzitierten Preisblätter enthalten jeweils den Hinweis „Die veröffentlichten Tarife / Sonderpreise sind ein wesentlicher Bestandteil der …AVBGasV“. Damit war auch aus der Sicht eines durchschnittlichen Verbrauchers erkennbar, dass die Lieferung in Erfüllung der gesetzlichen Versorgungspflicht auf der Grundlage der AVBGasV zu den öffentlich bekannt gemachten Bedingungen erfolgen sollte.

c) Allein der Umstand, dass die Klägerin in einem Schreiben vom 16.4.2004 (Bl. 354c) selbst die Auffassung vertreten hat, es handele sich um einen individuell ausgehandelten Vertrag, weshalb § 315 BGB keine Anwendung finde, führt noch nicht konstitutiv zu einem Vertragsabschluss. Die Klägerin ist auch nicht nachträglich dazu übergegangen, die Beklagte zu Sondertarifen zu versorgen ( so etwa die Konstellation in der Entscheidung des BGH NJW 2011, 1342, 1343 [BGH 09.02.2011 – VIII ZR 295/09]) – im Gegenteil wird aus den späteren Preisblättern der Klägerin noch deutlicher, dass es sich auch bei den ursprünglich noch als „Sonderpreise“ bezeichneten Tarifen für Heizung ebenfalls um allgemeine Tarife handelt (vgl. Bl. 463 für 2001, Bl. 469 ff für 2004 ff und Bl. 479 ab 1.10.2009). Auch aus den ursprünglichen Preisen geht aber bereits klar hervor, dass die sog. „Sonderpreise“ jedem Abnehmer von Gas für Heizungszwecke angeboten werden – die Klägerin weist etwa in ihrem Preisblatt für 2001 (BL. 463 d.A.) ausdrücklich darauf hin, dass jeder Kunde automatisch nach dem für seinen Verbrauch günstigsten Tarif abgerechnet wird.

d) Die Beklagte ist daher als Tarifkundin anzusehen, auch wenn sie keine Haushaltskundin i.S.d. § 36 EnWG 2005 ist. Denn solche sind nach § 3 Nr. 22 EnWG 2005 nur „Letztverbraucher, die Energie überwiegend für den Eigenverbrauch, oder für den einen Jahresverbrauch von 10.000 kwh nicht übersteigenden Eigenverbrauch für berufliche, landwirtschaftliche oder gewerbliche Zwecke kaufen“. Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt, da die Beklagte unstreitig einen Verbrauch von mehr als 10.000 kWh für gewerbliche Zwecke hatte.

Nach der Übergangsregelung des § 116 EnWG 2005 ist damit auf das vorliegende Versorgungsverhältnis § 10 EnWG 1998 sowie die AVBGasV weiter anzuwenden, so dass der Annahme eines Grundversorgungsverhältnisses nicht entgegensteht, dass nach § 36 EnWG 2005 eine Grundversorgungspflicht nur noch im Verhältnis zu Haushaltkunden begründet ist (vgl. dazu De Wyl in: Schneider/Theobald, Recht der Energiewirtschaft, 4. Aufl., § 14 Rdnr. 19 ff).

2)

Damit stand dem klagenden Versorgungsunternehmen nach ständiger Rechtsprechung des BGH ein aus § 4 Abs. 1, 2 AVBGasV abgeleitetes Recht zu Preisanpassungen zu, die einer Billigkeitskontrolle nach § 315 BGB unterliegen.

a) Zwar hat der EuGH mit Urteil vom 23.10.2014 in den Rechtssachen C 359/11 und C-400/11 entschieden, dass Art. 3 Abs. 3 i.V.m. Anh. A der Richtlinie 2003/55/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.06.2003 über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt einer nationalen Regelung entgegensteht, welche bei unter die allgemeine Versorgungspflicht fallenden Verbraucherverträgen über Gaslieferungen die Möglichkeit einer Tarifänderung vorsieht, ohne zu gewährleisten, dass die Verbraucher rechtzeitig vor Inkrafttreten dieser Änderung über deren Anlass, Voraussetzungen und Umfang informiert werden (ZNER 2014,574).

Die in diesen Entscheidungen entwickelten Grundsätze sind jedoch entgegen der Auffassung der Beklagten auf das vorliegende Vertragsverhältnis nicht anwendbar, weil kein Verbrauchervertrag vorliegt. Für eine entsprechende Anwendung auf Konstellationen wie die vorliegende besteht keine Veranlassung.

Der Umstand, dass auch die Beklagte als selbstständige Apothekerin unter die Definition des „Kunden“ im Sinne der Richtlinie 2004/55/EG fällt (Art. 1 Ziff. 24) besagt noch nichts darüber, dass sie auch zu den „kleinen und benachteiligten Kunden“ gehört, deren Schutz die Richtlinie nach ihrem Erwägungsgrund 2 bezweckt. Erwägungsgrund 26 a.E. der Richtlinie stellt ausdrücklich fest, dass die von den Mitgliedstaaten zum Schutz der Endkunden ergriffenen Maßnahmen für nichtgewerbliche Kunden und kleine und mittlere Unternehmen unterschiedlich ausfallen können. Auch der EuGH stellt in der zitierten Entscheidung darauf ab, dass der Richtlinie „Belange des Verbraucherschutzes“ zu Grunde liegen (Rn. 40); dabei geht es vor allem um „Haushaltskunden“ (Rn. 48). Haushaltskunden sind nach Art. 2 Nr. 25 der Richtlinie Kunden, die Erdgas für den Eigenverbrauch im Haushalt kaufen.

Der deutsche Gesetzgeber ist über diese Definition sogar noch hinausgegangen, indem er auch Kleingewerbetreibende mit einem Jahresverbrauch von bis zu 10.000 kWh noch unter den Begriff des Haushaltskunden zieht (§ 3 Nr. 22 EnWG 2005).

Die Beklagte, die im Jahr mehr als 10.000 kWh Gas für gewerbliche Zwecke verbraucht, ist somit weder nach deutschem noch nach Gemeinschaftsrecht Verbraucherin und/oder Haushaltskundin; der mit ihr abgeschlossene Vertrag unterfällt daher auch nicht dem Transparenzgebot der Richtlinie 2003/55/EG.

b) Damit verbleibt es dabei, dass die Klägerin grundsätzlich nach der AVBGasV zu einer einseitigen Preisanpassung berechtigt war, deren Billigkeit der gerichtlichen Überprüfung nach § 315 BGB unterliegt.

Nach der Rechtsprechung des BGH (grundlegend Urteil vom 19.11.2008, VIII ZR 138/07, NJW 2009, 502) unterliegt dabei lediglich die jeweils angegriffene Preiserhöhung der Billigkeitskontrolle; der zuvor wirksam vereinbarte Preissockel vor der Erhöhung ist als Ausgangspunkt zugrunde zu legen, weil hierin das Äquivalenzverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung zum Ausdruck kommt, mit dem sich der Abnehmer einverstanden erklärt hatte.

3)

Die – ausweislich zur Klageschrift Bl. 27 ff und zum Schriftsatz vom 11.5.2011 Bl. 467 ff ordnungsgemäß bekannt gemachten – Preisanpassungen der Jahre 2004-2007 halten einer gerichtlichen Billigkeitskontrolle stand.

Entscheidend hierfür ist, dass durch die Preisanpassung das vertragliche Äquivalenzverhältnis gewahrt wird, das heißt, der Lieferant darf sie nicht vornehmen, um einen zusätzlichen Gewinn zu erzielen; sie widerspricht aber nicht schon deshalb billigem Ermessen, weil sie dazu dient, eine Minderung des Gewinns zu vermeiden (BGH NJW 2009, 502 [BGH 19.11.2008 – VIII ZR 138/07] – Rdnr 25). Das Versorgungsunternehmen kann daher eigene Bezugskostensteigerungen an die Endabnehmer weitergeben, wenn es diese nicht durch zurückgehende andere Kosten auffangen kann, wobei ein Ausgleich nur innerhalb des Gasbereiches stattzufinden hat (BGH aaO Rdnr. 39, 40)

Nach den vorgelegten Unterlagen und dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Senats fest, dass die Klägerin bei ihren gegenständlichen Preisanpassungen in den Jahren 2004-2007 lediglich eigene Bezugskostensteigerungen weitergegeben hat, die nicht durch Kostenrückgang in anderen Bereichen der Gassparte ausgeglichen werden konnten.

a) Die Klägerin hat durch die Vorlage der Gutachten der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft A GmbH vom 31.3.2006, betreffend den Zeitraum 1.1.2004 – 31.12.2005 (Anlage K 19), vom 15.10.2007, betreffend den Zeitraum 1.10.2005 – 31.12.2006 (Anlage K 20), vom 10.2.2010, betreffend den Zeitraum 1.10.2006 – 31.12.2007 (Anlage K 36), nebst den jeweiligen Erläuterungen in den Anlagen K 34, K 35 und K 36 sowie den weiteren Erläuterungen in den Schriftsätzen vom 14.1.2014, Bl. 832 ff d.A. und vom 22.5.2014, Bl. 873 ff d.A, sowie in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat vom 3.2.2015 die konkreten Steigerungen ihrer Bezugspreise, die hieraus resultierenden Auswirkungen – unter Berücksichtigung der Mengengewichtung – auf ihre eigene Erlössituation, sowie die Auswirkungen der von ihr vorgenommenen Preiserhöhungen schlüssig und nachvollziehbar dargelegt.

Entgegen der Auffassung des Landgerichts war dabei für eine schlüssige Darlegung nicht erforderlich, dass sie ihre Bezugskostenverträge vorlegt; insoweit war vielmehr ein berechtigtes Interesse an der Geheimhaltung ihrer Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse anzuerkennen (BGH NJW 2009, 502, 506 [BGH 19.11.2008 – VIII ZR 138/07]; NJW 2009, 2894, 2895 [BGH 08.07.2009 – VIII ZR 314/07]).

aa) In den Anlagen K 34, K 35 und K 36 zu den jeweiligen Wirtschaftsprüfungsgutachten sind für die einzelnen Zeiträume die jeweiligen Verkaufs- und Bezugsmengen und die jeweiligen Verkaufs- und Bezugspreise dargestellt. Die tatsächlichen Bezugskosten (Bezugsmengen x Bezugskosten) und die tatsächlichen Erlöse (Verkaufsmengen x Verkaufspreise) werden den fiktiven Bezugskosten (tatsächliche Bezugsmengen x ursprünglicher Bezugspreis am Anfang des Betrachtungszeitraums) und den fiktiven Erlösen (tatsächliche Verkaufsmenge x ursprünglicher Verkaufspreis am Anfang des Betrachtungszeitraums) gegenübergestellt.

Für den Zeitraum 1.1.2004 – 31.12.2005 ergibt sich aus der Anlage K 34, dass die Klägerin aufgrund der Bezugspreiserhöhungen um 6.473.658,31 Euro mehr gezahlt hat, als sie bei dem Preisstand 1.1.2004 für die von ihr bezogene Menge hätte zahlen müssen, und dass sie aufgrund ihrer eigenen Preiserhöhungen um 5.988.979,68 Euro mehr eingenommen hat, als sie beim Preisstand 1.1.2004 für die von ihr verkauften Mengen eingenommen hätte. Daraus lässt sich ersehen, dass sie die Preissteigerungen letztendlich nicht in vollem Umfang weitergegeben hat, sondern ein Defizit von 484.678,63 Euro hatte.

Für den Zeitraum 1.10.2005 – 31.12.2005 ergibt sich ein entsprechendes Defizit der Klägerin von 503.529,56 Euro (Anl. 1/1 zur Anlage K 35).

Im Zeitraum 1.10.2006-31.12.2007 hat die Klägerin im Hinblick auf gesunkene Betriebskosten ihre Preise gesenkt, wobei ausweislich der Anlage K 36 die Minderlöse durch Senkung der Verkaufspreise im Ergebnis noch um 37.680,52 Euro höher waren als die Minderausgaben durch Senkung der Bezugskosten.

bb) Die von der Beklagten gerügten Unklarheiten und vermeintlichen Unstimmigkeiten in den Anlagen K 34, K 35 und K 36 hat die Beklagte in ihren zweitinstanzlichen Schriftsätzen sowie in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hinreichend aufgeklärt.

(1) So sei die Differenz zwischen verkaufter und bezogener Gasmenge, die für das Jahr 2005 immerhin rund 5,8 Mio kWh beträgt, auf Verluste durch Undichtigkeiten, Ab- und Ausblasevorgänge im Verteilernetz, Temperatur- und Druckschwankungen, ungenaue Messeinrichtungen und rechnerische Verbrauchsabgrenzung zurückzuführen. Im Übrigen würde ein sich auf 5,8 Mio kWh ergebender (zusätzlicher) Verkaufserlös von rund 100.000 Euro, wie die Beklagte selbst in ihrem Schriftsatz vom 28.3.2014 errechnet, angesichts einer Unterdeckung von rund 500.000 Euro nicht ins Gewicht fallen.

(2) Die Angabe eines Leistungspreises von rund 67 Ct/kWh auf S. 7 der Anlage K 34 hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 3.2.2015 erläutert. Dieser Wert spielt im Übrigen für die weitere Berechnung keine Rolle; dort werden vielmehr die darunter angegebenen „LP Kommunalgas“ verwendet.

(3) Die abweichenden Zahlen in Anlage K 34 und Anlage K 35 für den Zeitraum Oktober – Dezember 2005 hat die Klägerin schlüssig damit erklärt, dass die Zahlen im Gutachten für das Jahr 2004/2005 insoweit nur auf Prognosen beruhen, während das Gutachten für 2005/2006 die tatsächlichen Zahlen enthalte.

(4) Der Auffassung der Beklagten, es müsse jedes Quartal gesondert betrachtet werden, da auch gegen jede quartalsweise Erhöhung Widerspruch eingelegt worden sei, folgt der Senat nicht. Wie die Klägerin bereits mit Schriftsatz vom 30.4.2012 (dort Bl. 634 ff d.A.) überzeugend dargelegt hat, kann sie schon aus organisatorischen Gründen, insbesondere unter Berücksichtigung der Anforderungen des § 5 Abs. 2 GasGVV nicht jede – oft relativ kurzfristig feststehende – Veränderung ihres eigenen Bezugspreises unmittelbar an ihre Endkunden weitergeben. Als maßgebliche Einheit für den Zeitrahmen, innerhalb dessen Bezugskosten und Erlöse miteinander zu vergleichen sind, erscheint das Abrechnungsjahr sachgerecht. Dass es hierdurch zu einer geringen Phasenverschiebung kommen kann, wenn etwa die Bezugspreise im ersten Quartal gleich geblieben und dafür im dritten Quartal stark gestiegen sind, belastet allenfalls die Kunden, deren Vertrag in diesem Zeitraum begonnen oder geendet hat. Dies vermag jedoch die grundsätzliche Billigkeit entsprechender Preiserhöhungen nicht zu beeinträchtigen.

cc) Der im Laufe des Berufungsverfahrens zu bb) gehaltene Vortrag der Klägerin ist entgegen der Auffassung der Beklagten nicht verspätet.

Der Berücksichtigungsfähigkeit steht insbesondere nicht § 531 Abs. 2 ZPO entgegen. Die Klägerin hat in der zweiten Instanz lediglich ihren bereits in erster Instanz gehaltenen und durch Vorlage der Anlagen K 19, 20, 34, 35, 36 erläuterten Vortrag näher präzisiert. Zur Vorlage der mit Auflagen- und Beweisbeschluss des Landgerichts vom 28.3.2012 angeforderten Unterlagen war sie nicht verpflichtet, weil dieser Anforderung berechtigte Geheimhaltungsinteressen der Klägerin entgegenstanden (vgl. BGH NJW 2009, 502, 506 [BGH 19.11.2008 – VIII ZR 138/07]; NJW 2009, 2894, 2895 [BGH 08.07.2009 – VIII ZR 314/07]).

dd) Da die inhaltliche Richtigkeit des klägerischen Vortrags nach den Erläuterungen im Laufe des Berufungsverfahrens seitens des Beklagten nicht mehr bestritten wurde, war, worauf der Senat mit Verfügung vom 20.11.2014 hingewiesen hat, die Erhebung des von der Klägerin insoweit angebotenen Zeugenbeweises entbehrlich.

b) Die Klägerin hat auch zur Überzeugung des Senats nachgewiesen, dass die jeweiligen Erhöhungen der Bezugspreise nicht durch Kostensenkungen in anderen Kostenblöcken der Gassparte aufgefangen wurden.

aa) Nachdem die Klägerin erstinstanzlich lediglich pauschal zu den Gesamtkosten der Gassparte in den Jahren 2004-2007 vorgetragen hatte (Schriftsatz vom 30.4.2012, dort Bl. 642 ff d.A.), hat sie diesen Vortrag zuletzt mit Schriftsatz vom 26.1.2015 (Bl. 891 ff d.A.) durch Auflistung der auf die einzelnen Kostenblöcke entfallenden Beträge weiter konkretisiert; auf die entsprechende Aufstellung wird verwiesen. Sie hat im Übrigen auch erläutert, dass die in den Gesamtspartenkosten enthaltenen Gasbezugskosten deshalb nicht identisch sind mit den in den Anlagen K 34 und K35 angegebenen Gasbezugskosten, weil bei letzteren nur die Bezugskosten für die Koch- und Heizgaskunden enthalten seien, nicht hingegen die Bezugskosten für die Sondervertragskunden.

Aus dieser Aufstellung ergibt sich, dass auch die sonstigen Kosten der Gassparte von 2004 bis 2006 stetig gestiegen sind und lediglich im Jahr 2007 (in dem die Klägerin ihre Verkaufspreise gesenkt hat) ein Rückgang zu verzeichnen war.

bb) Auch dieser Vortrag ist nicht verspätet.

Das Landgericht hatte das Vorbringen der Klägerin zu den sonstigen Kosten ausweislich des Beschlusses vom 1.3.2012 offensichtlich für ausreichend gehalten, so dass diesbezügliches neues Vorbringen in der Berufungsinstanz jedenfalls nach § 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO grundsätzlich zulässig war.

Dass die Klägerin bereits mit Beschluss des Senats vom 1.10.2013 (Bl. 820 d.A.) zur näheren Darlegung der sonstigen Kosten der Gassparte aufgefordert worden war, die daraufhin mit Schriftsatz vom 14.1.2014 gegebenen Erläuterungen aber noch nicht ausreichend waren, führt nicht dazu, dass der zuletzt gehalten Vortrag im Schriftsatz vom 26.1.2015 nach § 296 ZPO präkludiert wäre. Bloße inhaltliche Mängel oder Unklarheiten eines innerhalb einer gesetzten Frist gehaltenen Vortrages, wie hier, rechtfertigen noch keine Präklusion nach § 296 Abs. 1 ZPO (vgl. Huber in: Musilak/Voit, ZPO, 12. Aufl. Rdnr 12). Es kommt insoweit lediglich ein Verstoß gegen die allgemeine Prozessförderungspflicht des § 282 Abs. 1 ZPO in Betracht. Ein solcher Verstoß würde allerdings nach § 296 Abs. 2 ZPO nur dann eine Präklusion rechtfertigen, wenn er auf grober Nachlässigkeit beruht. Dies kann hier nicht angenommen werden.

cc) Die Richtigkeit der klägerischen Angaben zu den sonstigen Kosten der Gassparte der Klägerin wurde durch die Aussagen der Zeugen C und B zur Überzeugung des Senats nachgewiesen.

Der Zeuge B, der nach seinen Angaben von 200…-201… Leiter der X-Abteilung der Klägerin war, hat bestätigt, dass es – entgegen der Behauptung der Beklagten – in diesem Zeitraum eine Aufteilung nach den einzelnen Sparten gab, insbesondere auch für die Sparte Gas. Eine solche Spartenaufteilung habe es bei der Klägerin bereits bei seinem Eintritt im Jahre 1993 gegeben; die Notwendigkeit einer solchen Aufteilung, die unter der Bezeichnung „Erfolgsübersicht“ geführt worden sei, ergebe sich aus dem hessischen Eigenbetriebsgesetz. In den Erfolgsübersichten sei die Kostensituation der Gassparte unterteilt nach „Kosten“ und „Leistung“ intern erfasst worden; in der Gewinn- und Verlustrechnung sei sie nicht prüferisch aufgeführt.

Diese Aussage ist in sich schlüssig und nachvollziehbar. Aus dem Umstand, dass die Kostensituation der Gassparte lediglich intern erfasst wurde, hingegen nicht in der Gewinn- und Verlustrechnung als Aufwand und Ertrag ausgewiesen war, erklärt sich auch, weshalb die frühere Leiterin des Bereichs X1 bei der Klägerin, die Zeugin D, der Beklagten nach deren Behauptung mitgeteilt haben soll, vor 2011 sei keine Abrechnung nach Sparten erfolgt – was hinsichtlich der mit dem Jahresabschluss veröffentlichten Zahlen zutreffend ist. Ob die Klägerin bereits seit 2004 verpflichtet gewesen wäre, die entsprechenden Spartenkosten auch in ihrer Gewinn- und Verlustrechnung gesondert auszuweisen, wie die Beklagte mit Schriftsatz vom 27.8.2015 geltend macht, ist für den vorliegenden Rechtsstreit ohne Bedeutung. Entscheidend ist, dass zumindest intern die Kosten der einzelnen Sparten getrennt erfasst wurden und damit entsprechend zugeordnet werden konnten. Die Beklagte hat nach Vernehmung des Zeugen B ihren Antrag auf gegenbeweisliche Vernehmung der Zeugin D zurück genommen. Damit ist davon auszugehen, dass der Klägerin anhand der internen Erfolgsübersichten eine Zuordnung von Kosten zu der Sparte Gas, wie sie aus dem Schriftsatz vom 26.1.2015 hervorgeht, ohne weiteres möglich war.

Die Zeugin C, die bei der Klägerin als Abteilungsleiterin X1 beschäftigt ist, hat die Richtigkeit der im Schriftsatz vom 26.1.2015 insoweit angegebenen Beträge bestätigt, wobei sie klargestellt hat, dass sie zwar erst seit 2013 bei der Klägerin tätig sei, sich aber vor ihrer Vernehmung durch Einsicht in die entsprechenden Unterlagen kundig gemacht habe. Gegen die Glaubwürdigkeit der Zeugin bestehen keine Bedenken.

Soweit die Beklagte erstmals mit Schriftsatz vom 27.8.2015 die Richtigkeit der Positionen „andere betriebliche Aufwendungen“ in den klägerseits mitgeteilten Spartenkosten in Frage stellt, kann dieses Vorbringen nach § 296a ZPO nicht mehr berücksichtigt werden, da der Schriftsatz nach Schluss der mündlichen Verhandlung eingegangen ist. Nachdem die Beklagte mit Schriftsatz vom 3.3.20015 pauschal die von der Klägerin im Schriftsatz vom 26.1.2015 aufgeschlüsselten Kosten der Gassparte bestritten hatte, hat der Senat über die Richtigkeit dieser Angaben Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugin C. Die Beklagte, der im Termin Gelegenheit gegeben worden war, zum Ergebnis der Beweisaufnahme Stellung zu nehmen, hatte bis dahin weder ihre Einwände substantiiert noch Zweifel an der Richtigkeit der Aussage der Zeugin C geäußert. Gründe, die mündliche Verhandlung wiederzueröffnen, liegen nicht vor.

4)

Die Billigkeit der in den Jahren 2008-2009 vorgenommenen Preiserhöhungen hat die Klägerin hingegen nicht nachgewiesen.

a) Selbst wenn man zugunsten der Klägerin unterstellt, dass der Gasmarkt bereits ab 2008 vollständig liberalisiert war (was nicht zuletzt im Hinblick auf den beklagtenseits zitierten Bericht der Monopolkommission von Juli 2009, BTDrucks 16/14060 S. 51, zweifelhaft erscheint), würde dies nichts daran ändern, dass einseitige Preiserhöhungen des Versorgers einer Billigkeitskontrolle unterliegen. Soweit der BGH in den Entscheidungen vom 28.03.2007 (NJW 2007, 1672 [BGH 28.03.2007 – VIII ZR 144/06]), vom 13.06.2007 (NJW 2007, 2540 [BGH 13.06.2007 – VIII ZR 36/06]) und vom 19.11.2008 (NJW 2009, 502 [BGH 19.11.2008 – VIII ZR 138/07]) auf eine Monopolsituation des Versorgungsunternehmens abgestellt hat, bezieht sich dies ausdrücklich lediglich auf die Frage einer Kontrolle der bei Abschluss des Versorgungsvertrages geltenden Ausgangspreise. Vorliegend geht es jedoch um die Billigkeit von späteren einseitigen Preisänderungen im Rahmen eines bereits bestehenden Vertragsverhältnisses. Das Versorgungsunternehmen macht insoweit von einem einseitigen Leistungsbestimmungsrecht Gebrauch, das ihm durch § 4 AVBGasV eingeräumt worden ist. Die Ausübung eines solchen Preisbestimmungsrechtes unterliegt kraft Gesetzes nach § 315 Abs. 1,3 BGB einer Billigkeitskontrolle unabhängig von einer Monopolstellung des den Preis bestimmenden Vertragspartners.

b) Die Preiserhöhungen des Jahres 2008 können auch nicht bereits deshalb als billig angesehen werden, weil die neu festgesetzten Preise dem Marktpreis entsprächen.

Die Klägerin hat durch die Vorlage der E-Gaspreisspiegel für die Jahre 2008-2010 (Anlagen K 37-K39) sowie durch ihren ergänzenden Vortrag im Schriftsatz vom 14.1.2014 (dort S. 20 ff, Bl. 851 ff d.A.) dargelegt und unter Sachverständigen- und Zeugenbeweis gestellt, dass ihre Preise deutlich sowohl unter dem bundesdeutschen wie unter dem hessischen Durchschnittspreis lagen, ferner dass die in den Gaspreisspiegeln der E angegebenen Preise aller teilnehmenden Erdgaslieferanten miteinander vergleichbar seien, weil die Preise um die Konzessionsabgabe, das Netznutzungsentgelt und die Erdgassteuer bereinigt seien und deshalb ausschließlich die Komponenten Bezugskosten, Vertriebskosten und Vertriebsmarge enthielten. Ob dies in Verbindung mit dem Umstand, dass im Netzgebiet der Klägerin 2008 fünf unterschiedliche Gaslieferanten tätig waren, deren Zahl in der Folgezeit stetig zunahm, den Schluss zulässt, dass es sich bei den Preisen der Klägerin ab 2008 um Wettbewerbspreise handelte, kann jedoch offen bleiben, weil auch hierdurch nicht ohne weiteres die Billigkeit ihrer Preiserhöhungen resultieren würde.

Denn der Maßstab der Billigkeit i.S. des § 315 BGB bezieht sich auf die Interessenlage der Parteien unter Berücksichtigung des Vertragszwecks und der Bedeutung der Leistung (BGH Beschluss vom 18.10.2011, KZR 18/10 Stornierungsentgelt – juris Rdnr. 17). Es kommt dabei auf den konkreten Vertrag an. Anders als bei der Prüfung eines Preishöhenmissbrauchs nach § 19 Abs. 2 Nr. 2 GWB geht es bei der Prüfung einer Preisanpassung nach § 315 BGB nicht primär darum, ob ein marktbeherrschendes Unternehmen unter Ausnutzung seiner Marktmacht überhöhte Preise verlangt – wofür nach § 19 Abs. 2 Nr. 2 2.HS GWB Vergleichspreise als Maßstab herangezogen werden können. Maßgeblich ist vielmehr, ob die konkrete Preiserhöhung der Billigkeit entspricht. Dies kann nicht ohne Bezug auf den Ausgangspreis festgestellt werden. Wenn etwa Wettbewerber der Klägerin dieselbe Leistung zum doppelten Preis anbieten würden, könnte dies nach Auffassung des Senats nicht dazu führen, dass allein deshalb die Klägerin im Rahmen eines bestehenden Vertragsverhältnisses ihre Preise ohne jeden Kostenbezug ebenfalls verdoppeln dürfte. Dies widerspräche dem Interesse des Vertragspartners, das einmal vereinbarte Äquivalenzverhältnis für die Dauer des Vertrages beizubehalten und könnte deshalb nicht als billig i.S.d. § 315 BGB angesehen werden.

Da die Klägerin nichts dazu vorgetragen hat, inwieweit die Preiserhöhungen im Jahre 2008 durch entsprechende Kostensteigerungen veranlasst wurden, kann die Billigkeit dieser Erhöhungen nicht festgestellt werden.

c) Ob es im Einzelfall wegen widersprüchlichen Verhaltens (venire contra factum proprium) rechtsmissbräuchlich sein könnte, wenn der Vertragspartner die Unbilligkeit einer Preiserhöhung rügt und dadurch das Versorgungsunternehmen zu einer weitgehenden Offenlegung seiner Kalkulation zwingt, obwohl er ohne jeden Nachteil statt dessen kurzfristig zu einem anderen günstigeren Anbieter wechseln könnte (so etwa AG Lindau, Urteil vom 7.4.2014, 1 C 314/13; LG Frankenthal, Urteil vom 10.9.2009, 2 HKO 90/09; LG München II, Urteil vom 24.5.2007, 8 S 6848/06 – zitiert nach juris) kann vorliegend offen bleiben, weil die Voraussetzungen eines Rechtsmissbrauchs jedenfalls im vorliegenden Fall nicht erfüllt wären.

Widersprüchliches Verhalten eines Vertragspartners ist nicht bereits per se missbräuchlich, sondern erst dann, wenn für den anderen Teil ein Vertrauenstatbestand geschaffen worden ist oder wenn andere besondere Umstände die Rechtsausübung als treuwidrig erscheinen lassen (BGH NJW-RR 2013, 757 [BGH 15.11.2012 – IX ZR 103/11]). Dies ist hier nicht ersichtlich. Im Hinblick darauf, dass nach dem Bericht der Monopolkommission von Juli 2009, BTDrucks 16/14060 S. 51, zu dieser Zeit noch kein funktionierender Wettbewerb auf dem Markt für die Belieferung von Gaskleinkunden festgestellt werden konnte und auch nach den klägerseits zitierten Monitoringberichten der Bundesnetzagentur (Bl. 912 ff d.A.) die Wechselquote im Gas-Einzelhandelsbereich (Haushalts- und Gewerbekunden) von 2008 bis 2010 nur von 4,35 % auf knapp 11 % stieg, lag die Wechselmöglichkeit für die Beklagte jedenfalls auch nach dem Klägervorbringen nicht derart auf der Hand, dass ein Festhalten am Vertrag bei gleichzeitiger Rüge der Unbilligkeit der Preiserhöhung als treuwidrig angesehen werden könnte.

5)

a) Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass die Klägerin ihren Abrechnungen für den streitgegenständlichen Zeitraum (nur) die Preisänderungen zugrunde legen darf, die sie bis zum 31.12.2007 vorgenommen hat. Da sie die Billigkeit der ab dem 1.1.2008 erfolgten Preiserhöhungen nicht nachgewiesen hat, hat es für den Zeitraum ab dem 1.1.2008 bei dem zuletzt wirksam geänderten Preis, d.h. der Preissenkung vom 1.4.2007 auf 5,25 ct/kWh brutto zu verbleiben. Ab dem 1.10.2009 gilt der klägerseits auf 4,89 ct/kWh gesenkte Preis.

b) Nach den klägerseits mit Anlage K5 vorgetragenen Berechnungen (Bl. 33 f. d.A.), deren Richtigkeit beklagtenseits nicht in Frage gestellt wurde, sind bei Zugrundelegung der klägerischen Tariferhöhungen folgende Forderungen der Klägerin offen, die mit der Klage geltend gemacht werden:

– aus der Jahresabrechnung vom 12.9.2006 eine Forderung von 281,14 Euro

– aus der Jahresabrechnung vom 13.9.2007 ein Guthaben von 11,63 Euro,

– aus der Jahresabrechnung vom 11.9.2008 eine Forderung von 103,75 Euro,

– aus der Jahresabrechnung vom 14.9.2009 eine Forderung von 436,07 Euro sowie

– für die Folgezeit Abschlagsrechnungen in Höhe von 560,34 Euro.

Da die Abrechnungen vom 12.9.2006 und vom 13.9.2007 (betreffend den Zeitraum bis zum 30.8.200) nur Tariferhöhungen berücksichtigen, die der Billigkeitskontrolle stand halten und somit wirksam sind, ist der entsprechende Saldo (281,14 Euro ./. 11,63 Euro = 269,51 Euro) von der Beklagten zu bezahlen.

Die Abrechnung vom 11.9.2008 (Bl. 26 ff d.A.) ist hingegen um 38,91 Euro zu senken. Denn wie oben a) dargelegt, kann auch für den Zeitraum vom 1.1.2008 bis zum 29.8.2008 nur der bis zum 31.12.2008 gültige Tarif von 0,0441 Euro pro kWh netto (entsprechend 5,25 ct/kWh brutto) zugrunde gelegt werden. Demnach ergibt sich für diesen Zeitraum ein Netto-Arbeitspreis von lediglich 360,52 Euro anstelle von 393,22 Euro. Die Bruttodifferenz beträgt 38,91 Euro, so dass aus dieser Abrechnung eine Restforderung von 154,84 Euro verbleibt.

Die Abrechnung vom 14.9.2009 (Bl. 30 ff d.A.) ist um 337,81 Euro überhöht. Hier kann für die gesamte Abrechnungsperiode vom 30.8.2008 bis zum 31.8.2009 nur ein Arbeitspreis von 0,0441 Euro netto zugrunde gelegt werden, so dass der Netto-Arbeitspreis insgesamt lediglich 769,06 Euro beträgt, also 283,87 Euro weniger als von der Klägerin abgerechnet. Die diesbezügliche Forderung der Klägerin ist daher um 337,81 Euro brutto auf 98,26 Euro zu kürzen.

Gegen den Ansatz von monatlichen Abschlagszahlungen von 90 Euro für den Folgezeitraum bestehen keine Bedenken. Es ist nicht ersichtlich, dass die Beklagte bei der Berechnung dieser Abschläge einen überhöhten Arbeitspreis zugrunde gelegt hat, nachdem Abschlagszahlungen in dieser Höhe bereits seit September 2006 gefordert worden waren, also aufgrund von Jahresabrechnungen, denen zum einen ein wirksam bestimmter Arbeitspreis zugrunde lag und bei denen zum anderen auch die Abrechnungssumme deutlich niedriger war als in der letzten Rechnung vom 14.9.2009. Die Beklagte hat auch gegen die Angemessenheit dieser Abschlagszahlungen keine Einwände erhoben. Danach hat die Klägerin Anspruch auf weitere 560,34 Euro.

Hieraus ergibt sich eine Gesamtforderung von 1.082,95 Euro.

c) Der Zinsanspruch beruht auf §§ 286 Abs. 1, 288 Abs. 1 BGB. Die Forderung ist erst mit Zustellung der Klagebegründung (14.07.2010) rechtshängig geworden, weil der durch Mahnverfahren eingeleitete Rechtsstreit nicht unmittelbar nach Widerspruchseinlegung (16.01.2009) an das Prozessgericht abgegeben wurde (§ 696 Abs. 2 ZPO).

6)

a) Die Kosten des Rechtsstreits waren gem. § 92 Abs. 1 ZPO entsprechend dem Maß des jeweiligen Obsiegens und Unterliegens zu verteilen.

Hinsichtlich der Kosten der erstinstanzlichen Verfahrens waren dabei noch die Kosten der Widerklage zu berücksichtigen, die nach § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO anteilig von der Beklagten zu tragen sind.

b) Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

c) Gegen diese Entscheidung war zugunsten der Klägerin die Revision zuzulassen, weil die hier entscheidungserhebliche Frage, ob ein Energieversorgungsunternehmen den Nachweis der Billigkeit von Gaspreiserhöhungen auch auf der Basis eines Vergleichs mit den Gaspreisen anderer Versorgungsunternehmen führen kann, von grundsätzlicher Bedeutung erscheint. Der BGH hat diese Frage in seinen bisherigen Entscheidungen ausdrücklich offen gelassen (vgl. BGH NJW 2009, 502 [BGH 19.11.2008 – VIII ZR 138/07] Rdnr. 48ff; 2009, 2894 Rdnr. 24 ff).

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