OLG Frankfurt am Main, 25.03.2015 – 7 U 24/14

April 8, 2019

OLG Frankfurt am Main, 25.03.2015 – 7 U 24/14
Leitsatz

Der Stichentscheid (§ 3a ARB 2010) darf nicht nur Fehler des erstinstanzlichen Urteils aufzeigen, sondern muss auch darlegen, dass ohne diese Fehler die Klage Erfolg hätte.
Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Einzelrichters der 7. Zivilkammer des Landgerichts Hanau vom 6.2.2014 abgeändert.

Unter Zurückweisung der Anschlussberufung des Klägers wird die Klage abgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen mit Ausnahme der Kosten des Streithelfers, der seine Kosten selbst zu tragen hat.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung der Beklagten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 115% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor Beginn ihrer Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 115% des jeweils vollstreckten Betrags leistet.
Gründe
1

I.

Die Beklagte ist als Schadensabwicklungsgesellschaft von der X AG, bei der der Kläger eine Rechtsschutzversicherung mit Geltung der ARB-RU 2005-A (Bl. 84 ff., Anlage B1) unterhält, mit der Abwicklung von Rechtsschutzfällen beauftragt. Der Kläger, dem für die vorgerichtliche Auseinandersetzung und die erste Instanz nach Vorlage eines zunächst nicht anerkannten Stichentscheids von der Beklagten letztlich dennoch Deckung gewährt wurde, begehrt mit seiner Klage Deckungsschutz für die Berufung gegen das klagabweisende Urteil des Landgerichts Hanau vom 14.6.2013 in dem Rechtsstreit des Klägers gegen B (LG Hanau …; OLG Frankfurt …) sowie vorgerichtliche Kosten für die Geltendmachung des Deckungsanspruchs.
2

In dem Rechtsstreit vor dem Landgericht Hanau bzw. in dem Berufungsverfahren verfolgt der Kläger Ansprüche aus einem Unfall, den er bei der Mitarbeit an einem Bauvorhaben erlitten hat. Der Kläger war als Angestellter der Fa. C GmbH damit beschäftigt, auf dem Dach einer Scheune des dortigen Beklagten eine Photovoltaikanlage zu installieren; der beklagte Eigentümer hatte damit die Fa. D GmbH beauftragt, die ihrerseits die Fa. C beauftragt hatte. Vereinbarungsgemäß hatte der beklagte Eigentümer das Gerüst beschafft und aufgestellt. In der überwiegend aus Welleternitplatten bestehenden Dachhaut befanden sich als Lichtdurchlass Kunststoffwellplatten. Auf einen dieser Lichtdurchlässe trat der Kläger bei der Montage, brach durch und stürzte ca. 6,50 m in die Tiefe. Eine Sicherung gegen einen Absturz beim Durchbrechen der Dachfläche oder mit Holzböden (gemeint wohl: „-bohlen“ oder „-dielen“) auf dem Dach gesicherte Laufwege waren nicht vorhanden. Der Kläger erlitt schwere Verletzungen, deretwegen er Schmerzensgeld und Vermögensschäden geltend macht. Er hält den beklagten Eigentümer für die unzulängliche Sicherung der Baustelle für verantwortlich. Das Landgericht hat mit dem klagabweisenden Urteil ausgeführt, dass im Verhältnis des Auftraggebers zum Unternehmer in erster Linie der Unternehmer für die Sicherheit der Baustelle verantwortlich sei und sich die Unfallverhütungsvorschriften nur an ihn wendeten. Da der beklagte Eigentümer ein aus seiner Sicht zuverlässiges Fachunternehmen beauftragt habe, habe er keine eigenen Pflichten verletzt. Die Unterlassung, einen Baustellenkoordinator zu bestellen, sei dem beklagten Eigentümer nicht vorzuwerfen. Eine eigene Verkehrssicherungspflicht aufgrund Kenntnis oder Erkennbarkeit der Unzuverlässigkeit des beauftragten Unternehmens sei nicht entstanden. Aus der Vereinbarung, ein Sicherungsgerüst zu stellen, ergebe sich nicht, dass der beklagte Eigentümer auch für eine Absturzsicherung durch Fangnetze im Gebäudeinneren habe sorgen müssen.
3

Die Beklagte versagte dem Kläger mit Schreiben vom 5.7.2013 die nachgesuchte Deckung wegen fehlender Erfolgsaussicht. Sie verteidigte das landgerichtliche Urteil als zutreffend, weil sich die Gefahrverhütungsvorschriften nur an den Unternehmer wendeten und der beklagte Eigentümer mit der Zusage, ein Gerüst zu stellen, nicht die komplette Sicherung der auf dem Dach Tätigen übernommen habe. Der beklagte Eigentümer habe auch ausreichend dargelegt, ein zuverlässiges Unternehmen beauftragt zu haben. Die Beauftragung eines spezialisierten Unternehmens reiche aus, eine ausdrückliche Übertragung der Verkehrssicherungspflicht müsse nicht erfolgen.
4

Hiergegen richtet sich die im Auftrag des Klägers erstellte Stellungnahme des auf Seiten des Klägers beigetretenen Streithelfers, eines Rechtsanwalts, vom 15.7.2013. Sie führt zur Erfolgsaussicht der Berufung aus, dass es zwar richtig sei, dass die Unfallverhütungsvorschriften sich ausnahmslos an den Unternehmer wendeten. Mit Hinweis auf MünchKomm-Wagner, § 823 BGB, Rdn. 232 ff. wird dann aber dargelegt, dass sie Bedeutung für die Verkehrssicherungspflicht entfalteten, so dass derjenige, der in seinem Verantwortungsbereich eine Gefahrenquelle schaffe, die notwendigen Vorkehrungen zu treffen habe, die nach den Sicherheitserwartungen des jeweiligen Verkehrs geeignet seien, Gefahren von Dritten abzuwenden, die bei bestimmungsgemäßer oder nicht ganz fernliegender bestimmungswidriger Benutzung drohten. Primärer Pflichtenträger für die Verkehrssicherungspflicht, so wird mit Hinweis auf Rechtsprechungsnachweise ausgeführt, sei der Bauherr, weil Baustellen als große Gefahrenquellen anzusehen seien. Die Verkehrssicherungspflicht treffe zuvörderst den beauftragten Unternehmer, jedoch bleibe die grundsätzliche Verkehrssicherungspflicht des Bauherrn bestehen, selbst wenn er einen zuverlässigen Unternehmer beauftragt habe (es folgen Rspr.-und Lit.-Hinweise), jedoch könne sich die Verkehrssicherungspflicht auf eine Kontroll- und Überwachungspflicht reduzieren, vor allem, wenn sich der Bauherr nicht sicher sein könne, dass der Unternehmer den Anforderungen genüge, wobei er nicht die Augen verschließen dürfe (auch hier folgen Nachweise der Rspr.). Die Stellungnahme fährt dann fort, dass sich der Streithelfer bemüht habe, den Stand von Rechtsprechung und Literatur aufzuarbeiten, während sich das landgerichtliche Urteil nur einen Kernsatz aus BGHZ 68,169, 175 herausgenommen habe. Dabei habe das Landgericht nicht ausreichend gewürdigt, dass der beklagte Eigentümer auch Unternehmer sein könne, weil er das Gerüst gestellt habe. Die Argumentation des Landgerichts, dass der Unfall nicht durch das Gerüst entstanden sei und der beklagte Eigentümer mit der Bereitschaft, ein Sicherungsgerüst zu stellen, nicht auch die Stellung von Fangnetzen übernommen habe, sei angreifbar, weil die Rechtslage nicht erschöpfend gewürdigt werde. Der beklagte Eigentümer habe durch die Errichtung des Gerüsts eine eigene für Dritte und auch für den Kläger bestehende Gefahr geschaffen, nämlich die, über das Gerüst auf das Dach klettern zu können. Mit dem Gerüstaufbau hätten die Sicherungspflichten nicht geendet, weil der beklagte Eigentümer die aufeinander folgenden Arbeiten – Gerüstaufbau und Montage der Solaranlage – koordiniert habe und damit Aufgaben eines faktischen Bauleiters übernommen habe. Der beklagte Eigentümer sei auch vom Fach gewesen. Er habe zudem um den Zustand des Dachs gewusst, denn der Kläger sei nicht durch eine bei den Arbeiten geöffnete Stelle gestürzt, der Sturz sei durch den baulichen Zustand des Dachs bedingt, so dass sich zusätzlich eine Gefahr wegen gefahrbringender Mängel am Bauwerk selbst verwirklicht habe. § 836 BGB habe das Landgericht nicht in Erwägung gezogen. Der beklagte Eigentümer habe auch die Pflicht gehabt, sich nach Beginn der Arbeiten darüber zu vergewissern, dass auf dem Dach gefahrlos gearbeitet werden könne. Der Beklagte habe sich um die Baustelle gekümmert, was sich aus dem Eigenaufbau des Gerüsts ergebe, und es habe für ihn auf der Hand liegen müssen, dass das Dach mit den Lichtdurchlässen nicht unbedingt gefahrlos mit schwerem Arbeitsmaterial habe betreten werden können. Bei dem beklagten Eigentümer liege, was das Landgericht nicht berücksichtigt habe, eigene bauhandwerkliche Sachkunde vor; er habe sich darüber vergewissern müssen, dass die Auftragnehmerin das Dach absichere oder dies nachhole.
5

Die Beklagte hat die Stellungnahme nicht als verbindlichen Stichentscheid anerkannt und an ihrer Deckungsablehnung festgehalten.
6

Der Kläger hat die Ansicht vertreten, dass die Stellungnahme des Streithelfers die an einen Stichentscheid zu stellenden Anforderungen erfülle, und dass sie auch nicht offenbar von der wirklichen Sach- und Rechtslage abweiche. Ergänzend verweist er auf die Berufungsbegründung zu dem Rechtsstreit Oberlandesgericht Frankfurt, Az. … . Die Vertretbarkeit des in dem Stichentscheid eingenommenen Standpunkts zeige sich auch daran, dass der von dem beklagten Eigentümer beauftragte Werkunternehmer, die Fa. D, die dem Rechtsstreit beigetreten sei, die Ansicht des Klägers teile, dass der beklagte Eigentümer als Bauherr nach den getroffenen Vereinbarungen ein Sicherungsgerüst habe stellen müssen. Gegen eine offenbare Unrichtigkeit spreche auch, dass der 17. Zivilsenat eine mündliche Verhandlung der Berufung für erforderlich gehalten, die Verfahrensakten erster Instanz und die Ermittlungsakten beigezogen und den Sachverhalt nochmals sehr sorgfältig geprüft habe.
7

Der Streithelfer des Klägers hat im Wesentlichen den Inhalt seiner Stellungnahme wiederholt (Bl. 135 ff.).
8

Die Beklagte hat gemeint, die Stellungnahme erfülle nicht die an einen Stichentscheid zu stellenden Anforderungen und weiche offenbar von der wirklichen Sach- und Rechtslage ab, weil sie sich nicht mit gegen eine Erfolgsaussicht sprechenden Gründen befasse, insbesondere nicht darauf eingehe, ob die Überlassung des Gerüsts nicht zu einer Verlagerung der Verantwortlichkeit auf den Unternehmer geführt habe und der beklagte Eigentümer wegen der Vereinbarung mit dem beauftragten Unternehmer nur für das Gerüst, aber nicht für weitere Sicherungsmaßnahmen (Fallnetz; Sicherungsseil) verpflichtet gewesen sei. Bei Berücksichtigung dieser Möglichkeiten habe auch auf die Kausalität zwischen Pflichtverletzung und Schaden und auf das Verschulden (sc. des beklagten Eigentümers) eingegangen werden müssen, was aber nicht geschehen sei. Es sei abwegig, dem beklagten Eigentümer hier die Verantwortlichkeit für die Einhaltung der Unfallverhütungsvorschriften zuzuschreiben. Er sei auch nicht in bauleitender Funktion oder als Werkunternehmer tätig gewesen, sondern habe lediglich den Auftrag erteilt und das Gerüst gestellt.
9

Das Landgericht hat mit dem angefochtenen Urteil, auf dessen Tatbestand wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes und wegen des Wortlauts der in erster Instanz zuletzt gestellten Anträge Bezug genommen wird, der Klage bis auf die geltend gemachten vorgerichtlichen Kosten stattgegeben und dargelegt, dass die Stellungnahme vom 5.7.2013 ein Stichentscheid sei und auch nicht offenbar von der wirklichen Sach- und Rechtslage abweiche. Die Abweisung der vorgerichtlichen Kosten hat das Landgericht mit fehlendem Verzug begründet.
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Hiergegen richten sich die Berufung der Beklagten und die Anschlussberufung des Klägers.
11

Zur Begründung ihrer Berufung trägt die Beklagte vor, dass die Stellungnahme des Streithelfers kein Stichentscheid sei, weil er den formalen Anforderungen, die daran in der Rechtsprechung gestellt würden, nicht genüge. Insbesondere gehe die Stellungnahme nicht auf die Gründe ein, die gegen eine Erfolgsaussicht der beabsichtigten Berufung sprächen. Darauf könne entgegen der Ansicht des Landgerichts auch bei einem Stichentscheid, der die Aussichten einer Berufung beurteile, nicht verzichtet werden. Die Stellungnahme habe darauf eingehen müssen, dass in erster Linie der beauftragte Unternehmer verkehrssicherungspflichtig sei, dass die Vereinbarung, ein Gerüst zu stellen, nicht zur Übernahme der Verkehrssicherungspflicht für die gesamte Baustelle führe und auch nicht dazu, dass der beklagte Eigentümer als beteiligter Unternehmer anzusehen sei. Ferner habe dargelegt werden müssen, dass den beklagten Eigentümer auch kein Verschulden treffe, weil er den Zustand des Dachs, der nicht offensichtlich schlecht gewesen sei, nicht gekannt und die Fa. D die Unfallverhütungsvorschriften habe einhalten müssen. Es sei auch nicht darauf eingegangen worden, dass die Kunststoffwellplatten für eine Begehung nicht geeignet seien. Es fehlten auch Erwägungen, dass eine etwaige Pflichtverletzung möglicherweise gar nicht kausal für den Schaden sei.
12

Da keine die Erfolgsaussicht in Frage stellenden Punkte erörtert worden seien, habe auch das Prozessrisiko nicht dargestellt werden können. Dies sei aber entgegen der Ansicht des Landgerichts auch erforderlich, wenn ein klagabweisendes Urteil schon vorliege. Die Stellungnahme sei aber auch nicht bindend, weil sie offenbar erheblich von der wirklichen Sach- und Rechtslage abweiche, insbesondere weil ein wesentlicher Umstand außer Acht gelassen worden sei. Der Kläger könne nicht erklären, weshalb ein Fehler bei der Aufstellung des Gerüsts kausal dafür sein solle, dass der Kläger durch das Dach gebrochen sei. Es sei abwegig und offenbar unrichtig, aus der Vereinbarung, ein Gerüst zu stellen, die Übernahme der gesamten Baustellensicherung zu folgern. Der beklagte Eigentümer habe auch nicht wissen können, dass der Kläger auf einen Lichtdurchlass treten werde. Die Annahme des Landgerichts, dass sich die Nichtanwendbarkeit des § 836 BGB nicht aufdränge, treffe nicht zu, denn das Dach sei nicht fehlerhaft errichtet, sondern der Kläger habe eine dafür nicht vorgesehene Kunststoffplatte betreten. Offenbar unrichtig sei es auch, den beklagten Eigentümer als Unternehmer anzusehen.
13

Hinsichtlich der Anschlussberufung ist die Beklagte der Ansicht, dass vorgerichtliche Kosten nicht zu erstatten seien, weil nicht dargelegt sei, dass nach Eintritt des Verzugs noch Kosten entstanden seien, die nicht bereits vorher entstanden gewesen seien.
14

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Landgerichts Hanau vom 6.2.2014, Az. 7 O 906/13 aufzuheben und die Klage abzuweisen sowie die Anschlussberufung des Klägers zurückzuweisen.
15

Der Kläger beantragt,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen und unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Hanau vom 6.2.2014, Az. 7 O 906/13 der Klage in vollem Umfang stattzugeben.
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Der Kläger und der Streithelfer verteidigen das angefochtene Urteil, soweit der Klage stattgegeben wurde, unter Wiederholung und Vertiefung des erstinstanzlichen Vorbringens und weisen noch darauf hin, dass das die Berufung zurückweisende Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt vom 25.6.2014, Az. …, die mit der Berufung vorgetragenen Gründe eingehend und sorgfältig geprüft habe und der 17. Zivilsenat die Berufung nicht nach § 522 ZPO zurückgewiesen, sondern eine mündliche Verhandlung für erforderlich gehalten und die Akten des erstinstanzlichen Verfahrens und die Ermittlungsakten beigezogen habe; auch daraus ergebe sich, dass der Stichentscheid als bindend anzusehen sei. Auch müsse berücksichtigt werden, dass das erstinstanzliche Urteil die Annahme einer gesamtschuldnerischen Haftung als nicht abwegig bezeichnet habe und dass es auch angenommen habe, dass die in dem Stichentscheid erwogene Haftung nach § 836 BGB in Betracht zu ziehen sei. Mit diesen Gesichtspunkten habe sich dann auch der 17. Zivilsenat im Berufungsurteil eingehend auseinandergesetzt. Auch der erstinstanzlich tätige Richter sei aber als besonders qualifizierter Rechtskundiger anzusehen. § 836 BGB habe als einschlägig erwogen werden können, weil der Kläger durch einen altersbedingt brüchigen transparenten Lichtdurchlass im Dach gestürzt sei, was eine „Ablösung“ im Sinne des § 836 BGB darstelle, da hierfür genüge, dass ein Brett oder Blech beim Betreten durchbreche.
17

Der Stichentscheid weiche nicht offensichtlich und erheblich von der wahren Rechtslage ab; der Streithelfer habe sich darauf beschränken können, auf die Argumente einzugehen, die zwischen dem Versicherer und dem Versicherungsnehmer im Streit gewesen seien und auf die der Versicherer seine Ablehnung gestützt habe. § 836 BGB sei vom Erstgericht nicht in Erwägung gezogen worden, darauf gehe aber der Stichentscheid ausführlich ein; selbst wenn man die Voraussetzungen des § 836 BGB verneinen wolle, könne man mit rechtlich beachtlichen Argumenten daran denken und die Voraussetzungen prüfen; dies stelle keinesfalls eine offenbare Abweichung von der wirklichen Rechtslage dar, da es nicht darauf ankomme, ob der Stichentscheid falsch sei, sondern ob dies offenbar und erheblich der Fall sei. Allein der Hinweis auf eine durchaus denkbare, vom Erstgericht aber übersehene Anspruchsgrundlage zeige, dass der Stichentscheid nicht offenbar und erheblich von der Rechtslage abweiche. Wenn der Streithelfer, der als Fachanwalt für Versicherungsrecht besonders qualifiziert sei, von mehreren Ansichten eine der herrschenden Meinung nicht entsprechende, aber nicht abwegige vertrete, liege darin keine offenbare Abweichung von der wirklichen Sach- und Rechtslage.
18

Zur Begründung der Anschlussberufung weist der Kläger darauf hin, dass die Beklagte vor Erhebung der Deckungsklage und vor Einreichung der Berufung sowie im Nachgang nach Einlegung der Berufung und nach Erhalt des Stichentscheids außergerichtlich in Verzug gesetzt und zur Deckungszusage aufgefordert worden sei.
19

Wegen der weiteren Einzelheiten des Berufungsvorbringens wird auf die im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
20

II.

Die Berufung der Beklagten ist begründet. Entgegen dem angefochtenen Urteil genügt die Stellungnahme des Streithelfers den Anforderungen an einen Stichentscheid nach § 18 Abs. 2 AERB nicht und ist für die Beklagte nicht bindend.
21

Nach höchstrichterlicher und obergerichtlicher Rechtsprechung und einhelliger Meinung im Schrifttum muss der Rechtsanwalt, der mit der als Stichentscheid bezeichneten Stellungnahme beauftragt wird, die Erfolgsaussichten der beabsichtigten Interessenwahrnehmung nach dem in einem Prozesskostenhilfeverfahren geltenden Maßstab darlegen und dabei die Grundlagen seiner gutachterlichen Entscheidung und den Weg, auf dem er zu ihr gelangt ist, angeben. Deshalb ist grundsätzlich der entscheidungserhebliche Streitstoff darzustellen, sind mögliche Beweisantritte bei bestrittenem Vorbringen darzulegen, die Rechtsfragen unter Berücksichtigung von Rechtsprechung und Lehre herauszuarbeiten und zum Prozessrisiko Stellung zu nehmen, d.h. die Stellungnahme muss sich auch mit Argumenten befassen, die gegen die Erfolgsaussicht angeführt werden können. Form und Umfang der Stellungnahme und der Berücksichtigung der Bedenken des Rechtsschutzversicherers hängen vom Einzelfall ab, insbesondere von der Komplexität des Streitstoffs, vom Stand der vorangegangenen Korrespondenz mit dem Versicherer und von dem Stadium der Interessenwahrnehmung, so dass auch eine Klageschrift oder eine Berufungsbegründung den Anforderungen genügen können, insbesondere wenn der Versicherer seine Ablehnung auf bestimmte Punkte beschränkt oder sich zur Begründung auf ein als zutreffend bezeichnetes erstinstanzliches Urteil bezieht. Der Inhalt einer Stellungnahme ist primär maßgebend dafür, ob sie den Anforderungen an eine begründete Bejahung hinreichender Erfolgsaussicht genügt, so dass auch zeitnahe Ergänzungen zulässig und beachtlich sind. Eine solchermaßen begründete Stellungnahme bindet den Versicherer, wenn sie nicht offenbar erheblich von der wirklichen Sach- und Rechtslage abweicht. Das ist der Fall, wenn die Sach- und Rechtslage gröblich verkannt wird und sich dies einem Sachkundigen ggf. nach Prüfung auch deutlich aufdrängt. Dies ist ex ante, nicht ex post zu beurteilen, so dass etwa bei der Beurteilung der Erfolgsaussicht einer Beweiserhebung es unerheblich ist, welches Ergebnis die tatsächlich durchgeführte Beweisaufnahme später erbracht hat. Erfolgsaussicht besteht wie im Prozesskostenhilfeverfahren auch, wenn eine schwierige, nicht abschließend geklärte Rechtsfrage zu beurteilen ist (BGH VersR 1990, 414 [BGH 17.01.1990 – IV ZR 214/88]; 1994, 1061; OLG Köln VersR 1983, 1025 bezüglich des Inhalts; VersR 1987, 1030 [OLG Köln 08.01.1987 – 5 U 132/86]; OLG Frankfurt, VersR 1998, 357; OLG Düsseldorf, VersR 2006, 649 [OLG Düsseldorf 13.09.2005 – I-4 U 164/04]; Plote, Rechtsschutzversicherung, 2. Aufl., Rdn. 444 f.; MünchKomm-Richter, § 128 VVG, Rdn. 26 f.; Römer/Langheid-Rixecker, VVG, 4. Aufl., § 128 Rdn. 4; Looschelders/Paffenholz-Herdter, ARB, § 3a Rdn. 42 f., 47; van Bühren-Plote, ARB, 3. Aufl., § 3a Rdn. 57 ff.; Harbauer/Bauer, Rechtsschutzversicherung, 8. Aufl., § 18 ARB 2000 Rdn. 23; Prölss/Armbrüster, 28. Aufl., § 18 ARB 2008/II, Rdn. 35 ff., 40 ff.).
22

Nach diesen Maßstäben konnte die Stellungnahme sich zwar darauf konzentrieren, die Unrichtigkeit des landgerichtlichen Urteils aufzuzeigen, weil die Beklagte sich bei der Ablehnung, für das Berufungsverfahren Deckung zu gewähren, im Wesentlichen auf das landgerichtliche Urteil bezogen hat. Jedoch musste auch dargelegt werden, dass bei Vermeidung der in der Stellungnahme angenommenen Unrichtigkeiten eine Abänderung des Urteils zu Gunsten des Klägers erfolgen müsste. Das wird in dem Stichentscheid nicht deutlich dargestellt, so dass die Stellungnahme, wie von der Beklagten auch gerügt wird, keine vollständige Darstellung der Erfolgsaussichten und des Prozessrisikos enthält. Sie weicht auch offensichtlich erheblich von der wirklichen Sach- und Rechtslage ab.
23

Soweit im Stichentscheid beanstandet wird, dass § 836 BGB nicht berücksichtigt sei, geht dieser Einwand an der Sach- und Rechtslage vorbei. Dabei kommt es nicht darauf an, ob das Einbrechen der Kunststoffwellplatte als Ablösung eines Teils des Gebäudes verstanden werden kann. Entscheidend ist, dass nicht einmal in der Berufungsbegründung des Haftungsprozesses dieser Gesichtspunkt angesprochen wurde und die Ausführung der Lichtdurchlässe mit Kunststoffwellplatten keine fehlerhafte Errichtung des Gebäudes darstellt; das hatte der Kläger im Haftungsprozess auch gar nicht behauptet. Ebenso wenig war vorgetragen, dass die Kunststoffwellplatten bzw. das Dach mangelhaft unterhalten seien. Es ist aber nicht Aufgabe des den Stichentscheid abfassenden Rechtsanwalts, den Sachverhalt zu verändern. Selbst wenn aber in tatsächlicher Hinsicht ein Wartungsmangel hätte behauptet werden können, hätte der Stichentscheid dazu Stellung nehmen müssen, weshalb dieser in der ersten Instanz des Haftungsprozesses nicht angesprochene Gesichtspunkt nunmehr mit Aussicht auf Erfolg im Berufungsverfahren neu vorgetragen werden konnte. Soweit nunmehr im Schriftsatz vom 18.3.2015 behauptet wird, die Anführung dieser Anspruchsgrundlage sei vertretbar, weil sich das Landgericht und das Oberlandesgericht im Haftungsprozess auch damit befasst habe, trifft das nicht zu. Die Gerichte sind auf diesen Aspekt nicht eingegangen; bei dem gegenteiligen Vortrag des Klägers dürfte es sich um ein Versehen handeln.
24

Offensichtlich an der Sach- und Rechtslage geht es auch vorbei, wenn angenommen wird, der beklagte Eigentümer habe durch die Errichtung des Gerüsts erst eine Zugangsmöglichkeit zum Dach geschaffen und habe deshalb dafür sorgen müssen, dass sich die Arbeiter dort gefahrlos bewegen könnten. Der beklagte Eigentümer hat durch die Aufstellung des Gerüsts nicht einen allgemeinen Verkehr auf seinem Dach eröffnet, sondern nur den Arbeitern des Werkunternehmers Zugang verschaffen wollen. Es liegt auf der Hand, dass Arbeiten auf dem Dach niemals gefahrlos möglich sind und es deshalb bei einem Bauvorhaben nicht darauf ankommt, wer den Zugang zum Dach ermöglicht, sondern darauf, dass entsprechend sachkundige Personen die Gefahren, die ihnen bei der Arbeit auf dem Dach drohen, richtig einschätzen und sich sichern. Dies darf ein Auftraggeber aber einem als sachkundig anzunehmenden Dachdeckerunternehmen überlassen. Der Umstand, dass einzelne Teile der Dachhaut – hier die Lichtdurchlässe – nicht so tragfähig sind wie andere, gehört gerade zum Fachwissen eines Fachunternehmens. Der beklagte Eigentümer musste daher keine zusätzlichen Warnungen aussprechen oder darauf achten, dass Sicherungen erfolgten. Die Ausführungen in dem Stichentscheid gelangen, wie es auch der Rechtsprechung (BGHZ 68, 169 ff.) entspricht, zu dem Ergebnis, dass den Bauherrn nur ausnahmsweise neben dem Unternehmer noch eigene Verkehrssicherungspflichten treffen, insbesondere wenn er Sorgfaltswidrigkeiten bemerkt oder bemerken müsste, vor denen er nicht die Augen verschließen darf. Der Stichentscheid vermochte aber nicht aufzuzeigen, dass der beklagte Eigentümer derartige Beobachtungen machte oder nicht übersehen durfte. Die vermeintliche Unzulänglichkeit des Gerüsts als solche konnte jedenfalls nicht begründen, dass der beklagte Eigentümer auch beobachten musste, ob die Arbeiter sich auf dem Dach mit ausreichenden Sicherungen bewegten. Die Ausführungen des Stichentscheids stellen daher auch in diesem Punkt keine Herausarbeitung der maßgeblichen Rechtsfrage und keine Darstellung der Erfolgsaussichten der beabsichtigten Rechtsverfolgung dar, weil nicht ersichtlich, dass bei Vermeidung der dem landgerichtlichen Urteil vorgeworfenen, unzureichenden Würdigung der Rechtslage ein anderes Ergebnis gerechtfertigt wäre.
25

Dass der beklagte Eigentümer für die gesamte Sicherung der Baustelle gesamtschuldnerisch mit dem Unternehmer haften sollte, was in dem angefochtenen Urteil für möglich gehalten wird, weicht ebenfalls erheblich von der wirklichen Rechtslage ab, weil wegen des selbst in dem Stichentscheid akzeptierten Grundsatzes eines nur ausnahmsweisen Nebeneinanders der Verkehrssicherungspflicht von Bauherr und Unternehmer verdeutlicht werden müsste, welche Umstände hier diese Ausnahme begründen sollen. Diese werden im Stichentscheid und in dem angefochtenen Urteil erwogen, weil der beklagte Eigentümer es übernommen habe, das Gerüst zu stellen. Insofern würde es einleuchten, dass der beklagte Eigentümer neben dem Unternehmer für die Zuverlässigkeit des Gerüsts haftet. Dass von der Übernahme dieses Teilbereichs auf eine Mithaftung wegen unvollständiger anderer Sicherungsmaßnahmen geschlossen werden kann, leuchtet dagegen nicht ein und wird auch nicht begründet. Dass dies von Rechtskundigen, nämlich dem Verfasser des Stichentscheids und dem erstinstanzlichen Richter, als nicht abwegig bezeichnet wird, ändert nichts daran, dass eine im Ergebnis unzutreffende und von keinem Argument gestützte Rechtsauffassung, die sich nach Prüfung anderen Rechtskundigen als offenbar unrichtig darstellt, von der Sach- und Rechtslage offenbar erheblich abweicht. Denn bei diesem Urteil kann es nicht darauf ankommen, ob die fragliche Ansicht von anderen Rechtskundigen für vertretbar gehalten wird. Dann wäre ein Stichentscheid, da er stets von einem Rechtskundigen verfasst wird, immer bindend und eine sachliche Überprüfung eines in erster Instanz bestätigten Stichentscheids obsolet. Entscheidend muss vielmehr sein, ob für die fragliche Meinung überhaupt Gründe angeführt werden und diese Gründe wenigstens ein gewisses Gewicht haben. Das ist bei der hier als vertretbar angesehenen gesamtschuldnerischen Haftung aber nicht der Fall. Der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt, dass die von dem Kläger betonte Sachkunde des Streithelfers als Fachanwalt für Versicherungsrecht hier ohne Bedeutung ist, weil der in dem Stichentscheid zu beurteilende Sachverhalt keine versicherungsrechtlichen Fragen aufgeworfen hat. Vor allem aber ist, wie die Beklagte mehrfach deutlich betont hat, der Kläger nicht über den Rand des Dachs und auch nicht in das nach innen offene Gebäude gestürzt, sondern durch das Dach durchgebrochen. Mit der Errichtung eines das Gebäude umschließenden Sicherungsgerüsts steht dies offensichtlich nicht in Zusammenhang. Auf diesen, der Erfolgsaussicht deutlich entgegenstehenden Gesichtspunkt der fehlenden Kausalität geht der Stichentscheid überhaupt nicht ein.
26

Es rechtfertigt auch keine andere Beurteilung, dass der 17. Zivilsenat über die Berufung des Klägers mündlich verhandelt hat, weil das Absehen von dem Verfahren gemäß § 522 Abs. 2 ZPO, einer bloßen Sollvorschrift, nicht zum Ausdruck bringt, dass die mit der Berufung vorgetragenen Gründe als vertretbar oder gar aussichtsreich beurteilt werden. Dass die Akten der Vorinstanz und Beiakten angefordert werden und das Urteil sorgfältig begründet wird, entspricht der prozessrechtlich in jedem Fall gebotenen Vorgehensweise. Auch daraus können keine Schlüsse hinsichtlich des Gewichts der geltend gemachten Berufungsgründe gezogen werden.
27

Soweit schließlich in dem Stichentscheid dem beklagten Eigentümer die Funktion eines Bauleiters zugeschrieben wird, weil er den Ablauf koordiniert habe, so drängt sich einem Sachkundigen gleichfalls auf, dass diese Beurteilung gröblich die wirkliche Rechtslage verfehlt. Der beklagte Eigentümer war Auftraggeber; es handelte sich lediglich um ein Gewerk, nämlich die Anbringung der Solarplatten. Dass die Ausführung dieser Arbeiten erst nach Errichtung eines Gerüsts beginnen kann, liegt auf der Hand. Ebenso offensichtlich ist aber auch, dass danach ein Abstimmungsbedarf zwischen mehreren Bauunternehmern nicht mehr bestand, so dass für eine Bauleitung kein Bedarf bestand und der beklagte Eigentümer deshalb auch nicht als faktischer Bauleiter bezeichnet werden kann. Schließlich dürfte es auch einem Sachkundigen fernliegen, allein daraus, dass der Auftraggeber selbst in bauhandwerklichen Dingen sachkundig ist, auf eine gesteigerte Verkehrssicherungspflicht zu schließen. Denn ebenso wie jedermann muss auch für einen Fachkundigen gelten, dass er als Auftraggeber grundsätzlich darauf vertrauen kann, dass ein Fachunternehmen für die bei der Bauausführung nötigen Sicherungsmaßnahmen sorgt.
28

Da ein Anspruch auf Deckung nicht besteht, kann auch kein Anspruch auf Erstattung der Kosten der Rechtsverfolgung bestehen, so dass die Anschlussberufung unbegründet ist.
29

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91, 97 ZPO.
30

Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 798 Nr. 10, 711 ZPO.
31

Zur Zulassung der Revision bestand kein Anlass.

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