OLG Frankfurt am Main, 28.01.2015 – 11 SV 133/14 Ist im Falle eines Kompetenzkonfliktes nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO ein Verweisungsbeschluss ausnahmsweise nicht nach § 281 Abs. 2 S. 4 ZPO bindend und ist keines der bislang beteiligten Gerichte für die Entscheidung des Rechtsstreits zuständig, so kann das Bestimmungsgericht auch ein drittes, bislang noch nicht mit dem Rechtsstreit befasstes Gericht bestimmen. Dies gilt allerdings nur dann, wenn die Klägerseite einen entsprechenden Verweisungsantrag gestellt hat.

April 11, 2019

OLG Frankfurt am Main, 28.01.2015 – 11 SV 133/14
Ist im Falle eines Kompetenzkonfliktes nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO ein Verweisungsbeschluss ausnahmsweise nicht nach § 281 Abs. 2 S. 4 ZPO bindend und ist keines der bislang beteiligten Gerichte für die Entscheidung des Rechtsstreits zuständig, so kann das Bestimmungsgericht auch ein drittes, bislang noch nicht mit dem Rechtsstreit befasstes Gericht bestimmen. Dies gilt allerdings nur dann, wenn die Klägerseite einen entsprechenden Verweisungsantrag gestellt hat.
Tenor:

Der Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts Frankfurt am Main vom 19.10.2014 wird aufgehoben.
Gründe
1

I.

Die Klägerin begehrt von der – nunmehr – beklagten Fluggesellschaft eine Ausgleichszahlung wegen verspäteter Beförderung. Sie hatte einen Flug vom Flughafen Baden-Baden in 77836 Rheinmünster nach Antalya für den ….10.2012 gebucht. Dieser Flug hatte bei Ankunft mehr als fünf Stunden Verspätung.
2

Die Klägerin hatte zunächst im Rahmen des Mahnbescheids die in O1 ansässige Gesellschaft X GmbH (i.F.: X GmbH) als Beklagte in Anspruch genommen und für den Fall des Widerspruchs das Amtsgericht Frankfurt am Main als Prozessgericht benannt. An dieses Gericht wurde der Rechtsstreit nach Widerspruch der Beklagten abgegeben. Im Laufe des Rechtsstreits beantragte die Klägerin eine Änderung des Passivrubrums auf die nunmehrige Beklagte, da der von ihr für den maßgeblichen Flug angegebene IATA-Code „Z“ nicht der zunächst in Anspruch genommenen X GmbH zugeordnet werden konnte.
3

Das Amtsgericht Frankfurt am Main wies mit Beschluss vom 07.04.2014 eine Rubrumsberichtigung zurück, da kein Fall einer offensichtlichen Unrichtigkeit vorliege. Die Klägerin nahm daraufhin die hiesige, in der Türkei ansässige Beklagte in Anspruch. Das Amtsgericht Frankfurt wies daraufhin mit Verfügung vom 26.05.2014 auf Bedenken hinsichtlich seiner örtlichen Zuständigkeit hin. Die Klägerin beantragte entsprechend mit Schriftsatz vom 02.06.2014 die Verweisung des Rechtsstreits an das Amtsgericht Baden-Baden. Diesen Schriftsatz leitete das Amtsgericht Frankfurt am Main dem Beklagtenvertreter unter Angabe des früheren Rubrums mit der Möglichkeit zur Stellungnahme binnen einer Woche zu.
4

Mit Beschluss vom 25.06.2014 hat sich das Amtsgericht Frankfurt am Main für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Amtsgericht Baden-Baden verwiesen. Mit Schriftsatz vom 03.07.2014 erklärte die Beklagte, sich rügelos vor dem Amtsgericht Frankfurt am Main einlassen zu wollen.
5

Mit Beschluss vom 15.08.2014 hat das Amtsgericht Baden-Baden den Rechtsstreit an das Amtsgericht Frankfurt am Main zurückverwiesen. Zur Begründung führte es aus, dass das rechtliche Gehör der Beklagten verletzt sei, da allein die zunächst in Anspruch genommene X GmbH angehört worden sei. Das Amtsgericht Frankfurt am Main hat sich daraufhin nach Anhörung der hiesigen Beklagten erneut mit Beschluss vom 19.10.2014 für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Amtsgericht Baden-Baden verwiesen.
6

Dieses hat unter Rücksendung der Akten an das Amtsgericht Frankfurt am Main eine Vorlage nach § 36 ZPO angeregt und im Rahmen eines Vermerks festgehalten, dass das Amtsgericht Bühl für den Flughafen Baden-Baden zuständig sein dürfte. Das Amtsgerichts Frankfurt am Main hat daraufhin den Rechtsstreit zur Bestimmung des zuständigen Gerichts dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main vorgelegt.
7

Nachdem der Senat darauf hingewiesen hatte, dass der Verweisungsbeschluss nicht bindend und im Ergebnis das Amtsgericht Bühl örtlich zuständig sein dürfte (156), hat die Klägerin der Beklagten vorgeschlagen, eine Gerichtsstandsvereinbarung zu schließen. Ein Verweisungsantrag wurde nicht gestellt. Die Beklagte hat sich nicht geäußert.
8

II.

Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main ist zur Entscheidung des Zuständigkeitsstreites berufen, da das zuerst angerufene Amtsgericht Frankfurt am Main zum Bezirk des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main gehört (§ 36 Abs. 2 ZPO).
9

Die Voraussetzungen für eine Zuständigkeitsbestimmung im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO liegen derzeit nicht vor. Im Hinblick auf die fehlende Bindungswirkung ist der Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts Frankfurt am Main zwar klarstellend aufzuheben (unter 1.). Der Bestimmung des örtlich zuständigen Amtsgerichts Bühl steht vorliegend jedoch entgegen, dass es am Bestimmungsverfahren nicht beteiligt ist und die Klägerin keinen Verweisungsantrag gestellt hat (unter 2.).
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1.

Der Verweisungsbeschluss ist nicht gemäß § 281 Abs. 2 S. 4 ZPO für das Amtsgericht Baden-Baden bindend, da er sich als willkürlich erweist. Er ist klarstellend aufzuheben.
11

a.

Zwar kommt Verweisungsbeschlüssen Bindungswirkung auch dann zu, wenn sie möglicherweise fehlerhaft sind. Sie sind grundsätzlich im Interesse der Prozessökonomie sowie zur Vermeidung von Zuständigkeitsstreitigkeiten und dadurch bewirkter Verzögerungen und Verteuerungen in der Gewährung effektiven Rechtsschutzes unanfechtbar und nach § 281 Abs. 2 S. 4 ZPO für das Gericht, an das verwiesen wird, bindend. Dies entzieht auch einen sachlich zu Unrecht erlassenen Verweisungsbeschluss grundsätzlich jeder Nachprüfung (BGH NJW 1988, 1794; NJW 2006, 847; NJW-RR 2008, 1309 [BGH 27.05.2008 – X ARZ 45/08]). Einem Verweisungsbeschluss kann daher die gesetzlich vorgesehene bindende Wirkung nur dann abgesprochen werden, wenn er schlechterdings nicht als im Rahmen des § 281 ZPO ergangen anzusehen ist, etwa weil er auf einer Verletzung rechtlichen Gehörs beruht, nicht durch den gesetzlichen Richter erlassen wurde oder jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt und deshalb als willkürlich betrachtet werden muss (BGH NJW-RR 2008, 1309 [BGH 27.05.2008 – X ARZ 45/08]). Hierfür genügt es jedoch nicht, dass der Verweisungsbeschluss inhaltlich unrichtig oder fehlerhaft ist. Willkür liegt nur vor, wenn dem Verweisungsbeschluss jede rechtliche Grundlage fehlt und er bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist (BGH NJW 2003, 3201 [BGH 10.06.2003 – X ARZ 92/03]).
12

b.

Diese Voraussetzungen liegen im Ergebnis hier vor. Der Verweisungsbeschluss beruht erkennbar auf einer unrichtigen Tatsachenerfassung. Die Akte liefert keine tatsächlichen Anknüpfungspunkte für eine örtliche Zuständigkeit des Amtsgerichts Baden-Baden. Der Abflugflughafen Baden-Baden/Karlsruhe befindet sich in 77836 Rheinmünster. Dieses liegt im Zuständigkeitsbezirk des Amtsgerichts Bühl. Ein besonderer Gerichtsstand des Erfüllungsortes ist mithin auch allein in diesem Gerichtsbezirk begründbar.
13

2.

Das Amtsgericht Bühl kann vorliegend indes derzeit nicht als zuständiges Gericht bestimmt werden. Gemäß § 36 Nr. 6 ZPO wird das zuständige Gericht bestimmt, wenn verschiedene Gerichte, von denen eines für den Rechtsstreit zuständig ist, sich für unzuständig erklärt haben. Vorliegend ist keines der beiden am negativen Kompetenzkonflikt beteiligten Gerichte jedoch für den Rechtsstreit tatsächlich zuständig. Einziger im Inland befindlicher Gerichtsstand ist vielmehr der des Erfüllungsortes gemäß § 29 ZPO am Abflugflughafen. Dieser liegt – wie ausgeführt – im Gerichtsbezirk des Amtsgerichts Bühl.
14

Das Amtsgericht Bühl kann vorliegend als drittes am Kompetenzkonflikt nicht beteiligtes Gericht auch nicht als zuständiges Gericht bestimmt werden. § 36 Nr. 6 ZPO sieht explizit vor, dass eines der am Kompetenzkonflikt beteiligten Gerichte zuständig sein muss und insoweit zu bestimmen ist. Soweit in der Rechtsprechung aus Gründen der Prozessökonomie eine Ausnahme von diesem Grundsatz angenommen wird, wenn es sich bei dem dritten Gericht um ein ausschließlich zuständiges Gericht handelt und der erforderliche Verweisungsantrag gestellt wurde (vgl. BGH NJW 1978, 1163, 1164 [BGH 15.03.1978 – IV ARZ 17/78]), liegen diese Voraussetzungen hier nicht vor. Zwar kommt dem Amtsgericht Bühl mangels anderweitigen inländischen Gerichtsstands der Beklagten die Wirkung eines ausschließlichen Gerichtsstand zu. Die Klägerin hat jedoch trotz Hinweises des Senats auf die Zuständigkeit des Amtsgerichts Bühl keinen Verweisungsantrag gestellt. Dieser kann auch nicht konkludent in ihren Schriftsatz vom 13.01.2015 hineingelesen werden. Der Schriftsatz befasst sich allein mit der – weiterhin bestehenden – Möglichkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung. Vor diesem Hintergrund erscheint eine Rückgabe des Rechtsstreits an das Amtsgericht Frankfurt am Main auch nicht als bloße Förmelei. Die Beklagte könnte nunmehr auf die Rüge der Unzuständigkeit ausdrücklich verzichten (BGH Beschluss vom 19.3.2013, X ARZ 622/12) oder aber eine Gerichtsstandsvereinbarung schließen; andernfalls bestünde nach entsprechendem Antrag der Klägerin die Möglichkeit der Verweisung an das Amtsgericht Bühl.

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