BGH, Urteil vom 08. November 1978 – VIII ZR 199/77 Keine Zurückverweisung bei Übergang von Auskunftsbegehren zur Leistungsklage in der Berufungsinstanz

Juli 16, 2019

BGH, Urteil vom 08. November 1978 – VIII ZR 199/77
Keine Zurückverweisung bei Übergang von Auskunftsbegehren zur Leistungsklage in der Berufungsinstanz
1. Ist der Kläger im zweiten Rechtszuge im Wege der Klageerweiterung von dem in erster Instanz ausschließlich geltend gemachten Auskunftsbegehren zur Leistungsklage übergegangen, darf der Rechtsstreit nicht ohne Entscheidung über den Grund des Anspruchs an das Landgericht zurückverwiesen werden.
vorgehend OLG Koblenz, 6. Mai 1977, XX
vorgehend LG Trier, kein Datum verfügbar, XX
Tatbestand
Zwischen den Parteien schwebt ein Rechtsstreit über eine Kaufpreisforderung der Klägerin von 74.695,74 DM. In diesem Prozeß machte die Beklagte Gegenansprüche (Provisionsforderungen) aus einem am 1. Mai 1968 geschlossenen – nach der Behauptung der Klägerin allerdings später gegen eine Abfindung wieder aufgehobenen – Vertrag geltend, durch den die Klägerin die Beklagte als Vertragshändlerin eingesetzt und ihr „Kundenschutz für alle Kunden“ des Raums Ost-Westfalen/Lippe zugesichert hatte; nach Auffassung der Beklagten hat die Klägerin diesen „Kundenschutz“ durch Lieferungen an mehrere Kunden unter Umgehung der Beklagten mißachtet. Im Wege der Widerklage beantragte sie, die Klägerin zu verurteilen, ihr Auskunft zu geben, welche Umsätze sie in der Zeit vom 1. Mai 1968 bis zum Zeitpunkt der Zustellung der Widerklage mit den Firmen M., L., B., T., und Baustoffwerke R. gemacht habe. In der Widerklageschrift vom 30. August 1971 kündigte die Beklagte außerdem an, sie werde „die Zahlungsklage erheben, sobald der Auskunftsanspruch erledigt ist und sie in der Lage sein wird, ihren Zahlungsanspruch zu beziffern“.
Nach Beweiserhebung zur Frage der Vertragsaufhebung wies das LG die Widerklage durch Teilurteil ab. Das der hiergegen gerichteten Berufung und der Widerklage stattgebende Urteil des OLG hob der BGH auf und verwies den Rechtsstreit an die Vorinstanz zurück (Senatsurteil vom 1. Dezember 1976 – VIII ZR 87/75, auf das Bezug genommen wird).
Während des ersten Revisionsverfahrens hat die Beklagte aus dem angefochtenen Berufungsurteil die Zwangsvollstreckung eingeleitet und Auskunftserteilung erreicht. Daraufhin ist das Zwangsvollstreckungsverfahren in der Hauptsache für erledigt erklärt worden.
In der anderweiten Verhandlung vor dem Berufungsgericht hat die Beklagte sodann einen mit 316.487,85 DM nebst Zinsen bezifferten Zahlungsantrag gestellt. Die Klägerin hat der Zulassung dieses Antrags in der Berufungsinstanz widersprochen und die Einrede der Verjährung erhoben. Sie hat beantragt, die Berufung als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise, sie als unbegründet zurückzuweisen.
Das Berufungsgericht hat den Rechtsstreit durch Urteil an das LG zurückverwiesen. Mit der Revision, deren Zurückweisung die Beklagte beantragt, verfolgt die Klägerin ihre Anträge aus der zweiten Instanz weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils.
I. 1. Der neue Berufungsantrag der Beklagten ist – entgegen der Auffassung der Revision – zulässig; insbesondere ist der Zahlungsanspruch in ordnungsgemäßer Form erhoben worden. Letzteres zieht auch die Revision nicht mehr in Zweifel.
a) Das Berufungsgericht hat gemeint, der Rechtsstreit müsse in erster Instanz fortgesetzt werden, und dazu ausgeführt, im Falle einer Stufenklage nach § 254 ZPO bleibe, wenn im ersten Rechtszug nur über die Auskunftsklage entschieden und dagegen Berufung eingelegt werde, der (noch unbestimmte Zahlungsanspruch in der ersten Instanz anhängig. Das gelte im Ergebnis auch dann, wenn der Zahlungsanspruch erstmals im Berufungsverfahren erhoben werde; auch in diesem Falle sei das Berufungsgericht gehindert, sich sachlich mit diesem Anspruch zu befassen. Es bedürfe deshalb keiner Entscheidung, ob die Beklagte ihren Zahlungsanspruch bereits beim LG im Wege einer noch unbestimmten Leistungsklage erhoben oder erst im Laufe des Berufungsverfahrens anhängig gemacht habe.
aa) Diese Auffassung ist nicht frei von Rechtsirrtum. Das Berufungsgericht hätte prüfen müssen, ob dem in der Berufungsinstanz erhobenen bezifferten Zahlungsbegehren nicht entgegenstand, daß es schon und noch im ersten Rechtszuge anhängig war. Nach § 537 ZPO darf nämlich im zweiten Rechtszug über Ansprüche, die im ersten Rechtszug geltend gemacht werden, nur entschieden werden, soweit sie schon Gegenstand des erstinstanzlichen Urteils waren. Für den Fall des Erlasses eines Teilurteils bedeutet dies, daß grundsätzlich keine Zuständigkeit des Rechtsmittelgerichts hinsichtlich des beim unteren Gericht anhängig gebliebenen Teils des Streitgegenstandes besteht, ein auf diesen Teil bezogener Berufungsantrag also als unzulässig verworfen werden muß (vgl – für die Anschlußberufung – BGHZ 30, 213; OLG Celle Niedersächsische Rechtspflege 1970, 281). Von diesem Grundsatz hat die Rechtsprechung lediglich in engen Grenzen Ausnahmen anerkannt und das Rechtsmittelgericht zum Beispiel für befugt gehalten, eine Stufenklage ganz abzuweisen, wenn der allein in die Berufungsinstanz gelangte Auskunftsanspruch sich als unbegründet erweist und mit dessen Verneinung die durch ihn bedingten weiteren Ansprüche ohne weiteres entfallen (RG JW 1926, 2539; RG HRR 1936, 219; BGHZ 30, 213, 215; BGH Beschl vom 3. Juli 1959 I ZR 169/55 = LM ZPO § 537 NR 8 = NJW 1959, 1827; Senatsurteil vom 14. April 1976 – VIII ZR 253/74 = WM 1976, 535, 537; BAG NJW 1969, 678; gegen diesen „Vorgriff“ Schwab NJW 1959, 1824; Bettermann, ZZP 88, 365, 400).
bb) Der von der Beklagten geltend gemachte Zahlungsanspruch ist erstmals in der Berufungsinstanz rechtshängig geworden, denn die beim LG erhobene Widerklage war, was das Berufungsgericht offen gelassen hat, der erkennende Senat jedoch in freier Würdigung der verfahrensrechtlichen Erklärungen der Beklagten feststellen kann, keine Stufenklage, sondern eine reine Auskunftsklage. Der Widerklageantrag aus dem Schriftsatz vom 30. August 1971 richtete sich ausschließlich auf Auskunftserteilung. Daß die Beklagte sich nicht nur die bestimmte Angabe der von ihr aufgrund der verlangten Auskunft beanspruchten Zahlungen, sondern die Erhebung einer Zahlungsklage insgesamt vorbehalten hat, ergibt sich eindeutig aus ihrer Erläuterung, sie werde die Zahlungsklage erheben, sobald der Auskunftsanspruch erledigt und sie in der Lage sei, ihren Zahlungsanspruch zu beziffern. So hat auch das LG das Widerklagebegehren der Beklagten verstanden. Es hat in dem Teilurteil vom 29. Oktober 1973 die Widerklage insgesamt erledigt und dazu festgestellt, “ … daß die Klägerin keine Verpflichtung zur Auskunftserteilung gegenüber der Beklagten mehr hat, (so daß) … das allein hierauf gerichtete Widerklagebegehren der Beklagten als unbegründet abzuweisen (war)“. Die Revision hat danach nicht recht, wenn sie meint, das Urteil des LG sei – abgesehen davon, daß noch nicht über die Klageforderung entschieden wurde – auch ein Teilurteil im Rahmen einer Stufenklage. Über das Widerklagebegehren hat das LG, wie gesagt, insgesamt entschieden. Die Widerklage ist in vollem Umfang Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden.
b) aa) Der Übergang von der Auskunftsklage zur Zahlungsklage in der Berufungsinstanz ist keine unzulässige Klageänderung.
Nach § 268 Nr 2 ZPO aF (ab Inkrafttreten der Vereinfachungsnovelle = § 264 Nr 2 ZPO nF), der gleichermaßen in der Berufungsinstanz anzuwenden ist (§ 523 ZPO), liegt keine Änderung der Klage vor, wenn ohne Änderung des Klagegrundes der Klageantrag in der Hauptsache oder in Bezug auf Nebenforderungen erweitert wird. Das geschieht auch beim Übergang vom Auskunftsbegehren zum Leistungsbegehren (vgl RGZ 40, 7, 9; 144, 71, 74; BGH Urteil vom 22. April 1960 – V ZR 42/59 = LM ZPO § 268 Nr 13; BGHZ 52, 169). Der Anspruch auf Auskunftserteilung und Rechnungslegung hat im allgemeinen nur Hilfsfunktion. Er soll den Leistungsanspruch vorbereiten. Wenn ein Kläger daher auf derselben tatsächlichen und rechtlichen Grundlage von dem einem zum anderen Anspruch übergeht, so strebt er fortan unmittelbar das Ziel an, das er bisher mittelbar zu erreichen versucht hat. Das gilt jedenfalls dann ohne Einschränkung, wenn, wie hier, der Auskunftsanspruch vom Erstrichter unter Verneinung eines Leistungsanspruchs abgewiesen worden ist. Der Streit um eine Auskunftspflicht geht dann in dem Streit um die Verpflichtung zu Zahlung voll auf.
bb) Da die Beklagte in der Berufungsinstanz ihre Widerklage im Rechtssinne lediglich erweitert hat, brauchte sie entgegen der Auffassung der Revision hinsichtlich des von der Klägerin zwischenzeitlich erfüllten Auskunftsanspruchs vor dem Berufungsgericht keine besonderen prozessualen Erklärungen abzugeben. Für eine (teilweise) Klagerücknahme oder Erledigungserklärung war, da die Klägerin ihr ursprüngliches Begehren – jetzt im Gewande einer qualifizierten Mehrforderung – weiter verfolgte, kein Raum.
Damit geht auch die Rüge der Revision ins Leere, das „nicht aufgehobene“ Teilurteil des LG stehe einer Entscheidung jeglichen neuen Anspruchs entgegen. Denn der von der Beklagten zuletzt gestellte Berufungsantrag läßt das Teilurteil nicht unberührt, sondern es zielt, unbeschadet der Tatsache, daß die Beklagte nicht mehr den Urteilsausspruch als solchen angreift, auf dessen Abänderung in Form einer Verurteilung der Klägerin zur Zahlung ab (vgl BGHZ 52, 169, 170).
2. Zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das LG war das Berufungsgericht allerdings nicht befugt.
Eine Zurückverweisung kommt – abgesehen von dem hier nicht gegebenen Fall – daß das Verfahren des ersten Rechtszugs an einem wesentlichen Mangel leidet (§ 539 ZPO) – grundsätzlich nur dann in Betracht, wenn einer der in § 538 ZPO aufgeführten Fälle vorliegt. Bloße Zweckmäßigkeitserwägungen rechtfertigen eine Zurückverweisung über die im Gesetz geregelten Fallgestaltungen hinaus nicht. Ein generelles Recht der Parteien darauf, daß über jeden sachlichen Streitpunkt in zwei Tatsacheninstanzen entschieden wird, ist im Zivilprozeßrecht fremd (BGHZ 50, 25, 27; BGH Urteile vom 5. Juni 1975 – III ZR 47/73 = NJW 1975, 1785, 1786 und vom 19. April 1978 – VIII ZR 39/77 = BGHZ 71, 226, 230 = WM 1978, 614).
b) § 538 Abs 1 Nr 3 ZPO, den das Berufungsgericht hier analog angewandt hat, schreibt eine Zurückverweisung dann vor, wenn im Falle einer nach Grund und Betrag streitigen Klage durch das angefochtene Urteil über den Grund des Anspruchs vorab entschieden (§ 304 ZPO) oder die Klage abgewiesen ist, es sei denn, daß der Streit über den Betrag des Anspruchs zur Entscheidung reif ist. In der Rechtsprechung ist anerkannt, daß diese Vorschrift entsprechende Anwendung findet, wenn das erstinstanzliche Gericht eine Stufenklage ganz abgewiesen hat, das Berufungsgericht hingegen dem Rechnungslegungsanspruch stattgibt (RGZ 169, 127, 128; BGH Urteil vom 9. Oktober 1974 = WM 1974, 1162, 1164; vgl auch BGH Beschl vom 23. März 1970 – VII ZR 137/68 = NJW 1970, 1083; OLG Celle NJW 1961, 786; BAG AP HGB § 87c Nr 3; zustimmend Bettermann aaO 339; Stein/Jonas/Grunsky ZPO, 20. Aufl § 538 Rdn 16). Die Rechtsähnlichkeit ist darin begründet, daß es sich bei dem noch ausstehenden Zahlungsanspruch der Sache nach um ein Betragsverfahren nach Art der §§ 304, 538 Abs 1 Nr 3 ZPO handelt, wenn auch die zur Rechnungslegung verurteilende Entscheidung insoweit als darin der Rechtsgrund des Hauptanspruchs bejaht wird, nicht in Rechtskraft erwächst und auch das Gericht nicht iS von § 318 ZPO bindet (BGH Urteile vom 20. Februar 1969 – VII ZR 101/67 = LM ZPO § 254 Nr 9 und vom 19. Dezember 1969 – V ZR 114/66 = LM ZPO § 254 Nr 10; beide auch JZ 1970, 226 mit kritischer Anmerkung von Grunsky).
Im Urteil vom 9. Oktober 1974 (WM 1974, 1162, 1164) hat der BGH die analoge Anwendung des § 538 Abs 1 Nr 3 ZPO ferner in einem Falle bejaht, in dem der Kläger im ersten Rechtszug lediglich eine Klage auf Rechnungslegung erhoben hatte und erst nach Verurteilung und Berufungseinlegung des Beklagten im Wege der Anschlußberufung auf eine Stufenklage übergegangen war und beantragt hatte, die Berufung zurückzuweisen und die beklagte Partei zur Zahlung des Betrages zu verurteilen, der sich aus der Rechnungslegung ergibt. Der BGH hat es gebilligt, daß das Berufungsgericht den Rechtsstreit nach Bestätigung des Rechnungslegungsanspruchs an das LG zurückverwiesen hat. Das ist im Hinblick darauf geschehen, daß sich die Prozeßlage in der Berufungsinstanz nicht anders darstellte als beim Grundverfahren und Betragsverfahren: Der Rechnungslegungsanspruch war entscheidungsreif, eine – dem Betragsverfahren nach Erlaß eines Grundurteils ähnliche – Entscheidung über den Zahlungsanspruch dagegen noch nicht möglich. Im Hinblick auf die Funktion des Auskunftsanspruchs oder Rechnungslegungsanspruchs, das Zahlungsbegehren vorzubereiten, hat der BGH dem Berufungsgericht darin recht gegeben, daß es den entschiedenen Fall nach dem Übergang vom reinen Rechnungslegungsbegehren zu einer Stufenklage so behandelt hat, als wäre das Zahlungsbegehren bereits im ersten Rechtszuge anhängig gewesen (WM 1974, 1162, 1164; vgl zur Anwendung des § 538 Abs 1 Nr 3 ZPO auf Fälle des Übergangs von der Feststellungsklage zur Leistungsklage in der Berufungsinstanz RG Gruchot Beiträge 50, 1077, 1081; RGZ 77, 396, 399; OLG Düsseldorf MDR 1962, 829; Ordemann, MDR 1963, 891; Stein/Jonas/Grunsky aaO § 538 Rdn 16).
c) Die Frage ist, ob die prozessuale Lage nach dem Übergang vom Auskunftsbegehren zur Leistungsklage im vorliegenden Falle es dem Berufungsgericht erlaubte, ohne jegliche Sachentscheidung den Rechtsstreit an das LG zurückzuverweisen. Die Frage ist zu verneinen.
Durch den Übergang vom Auskunftsbegehren zur Leistungsklage hat die Beklagte das Berufungsgericht zwar der Aufgabe enthoben, über das Auskunftsbegehrungsrecht zu entscheiden, statt dessen erstrebt sie jedoch auf derselben Anspruchsgrundlage, nämlich der nach ihrer Ansicht fortbestehenden Kundenschutzvereinbarung, nun eine Entscheidung über das Zahlungsbegehren. Eine Sachentscheidung über den – gleichgebliebenen – Grund des Zahlungsbegehrens durfte das Berufungsgericht der Beklagten nicht versagen. Ein generelles Recht der Parteien darauf, daß über jeden sachlichen Streitpunkt in zwei Tatsacheninstanzen entschieden wird, ist, wie schon gesagt, dem Zivilprozeßrecht fremd. Eine entsprechende Anwendung des § 538 Abs 1 Nr 3 kommt hier, wie in den bisher entschiedenen Fällen, nicht vor einer Entscheidung des Berufungsgerichts über den Grund des Anspruchs in Betracht (Senatsurteil vom 19. April 1978 = BGHZ 71, 226, 232ff mwNachw). Die Möglichkeit, in der Berufungsinstanz gemäß § 268 NR 2 ZPO aF (= § 264 Nr 2 ZPO nF) durch Klageerweiterung von der Auskunftsklage zur Leistungsklage überzugehen, wäre andernfalls ihres Sinnes beraubt.
II. Das angefochtene Urteil mußte daher aufgehoben und der Rechtsstreit an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden (§ 565 Abs 1 ZPO).

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