OLG Hamm, Beschluss vom 17.12.2019 – 15 W 488/17

Oktober 20, 2020

OLG Hamm, Beschluss vom 17.12.2019 – 15 W 488/17

Tenor

Die Beschwerde wird mit der klarstellenden Maßgabe zurückgewiesen, dass ohne Entscheidung über den Antrag das Amtsgericht Steinfurt für unzuständig erklärt wird.

Die Beteiligte zu 1) hat den Beteiligten zu 2), 4) und 5) die im Beschwerdeverfahren entstandenen außergerichtlichen Kosten zu erstatten. Im Übrigen findet eine Erstattung außergerichtlicher Kosten nicht statt.

Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren wird auf bis zu 140.000 € festgesetzt.
Gründe

Die zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.

Das von der Beteiligten zu 1) beantragte europäische Nachlasszeugnis kann nicht erteilt werden, da das deutsche Nachlassgericht hierfür international nicht zuständig ist.

Die internationale Zuständigkeit in Erbsachen für Erbfälle mit Auslandsbezug ab dem 17.

August 2015 ergibt sich nunmehr grundsätzlich aus Art. 4 ff EuErbVO i. V. m. § 97 FamFG (vgl. Zöller/Geimer, ZPO, 33. Aufl., Rn. 45 zu Vorbem. zu §§ 97 -110). Die EuErbVO ist ein europäischer Rechtsakt, der Vorrang vor den Vorschriften des FamFG (§ 97 FamFG) hat. Nach Art. 4 EuErbVO ist hinsichtlich der Gerichtszuständigkeit nicht zwischen streitiger und freiwilliger Gerichtsbarkeit zu unterscheiden und an den letzten gewöhnlichen Aufenthalt des Erblassers anzuknüpfen.

Dieser könnte im vorliegenden grenzüberschreitenden Fall entweder in Spanien oder in Deutschland gelegen haben. Der letzte gewöhnliche Aufenthalt ist in diesem Zusammenhang entsprechend dem Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zur Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung unter Betrachtung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der persönlichen und familiären Eingliederung des Erblassers in den (Aufenthalts-)Mitgliedstaat zu bestimmen (KG ZEV 2016, 514f). Darüber hinaus sind für eine Auslegung die Erwägungsgründe 23 und 24 der EuErbVO heran zu ziehen (OLG Hamm, 10. Zivilsenat, ZEV 2018, 343f; OLG Hamburg RPfleger 2017, 153f). Maßgebend bei der Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts ist danach der „Mittelpunkt des Lebensinteresses des Erblassers”. Dies erfordert eine Gesamtbeurteilung der Lebensumstände des Erblassers in den Jahren vor seinem Tod und im Zeitpunkt seines Todes unter Berücksichtigung aller relevanten Tatsachen, insbesondere der Dauer und der Regelmäßigkeit des Aufenthalts des Erblassers im Zweitstaat. Die Willensrichtung des Erblassers muss im Rahmen dieser Gesamtbetrachtung zwar Berücksichtigung finden (OLG Hamm a.a.O.), sie ist jedoch nicht geeignet, den gewöhnlichen Aufenthalt entgegen der objektiven Gestaltung der Lebensverhältnisse zu begründen. Andernfalls würde unzulässigerweise der Umstand umgangen, dass die EuErbVO eine Gerichtsstandbestimmung durch den Erblasser nicht zulässt.

In Anwendung dieser Grundsätze würdigt der Senat den vorliegenden Sachverhalt dahingehend, dass der Erblasser seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Spanien hatte. Dabei verkennt der Senat im Ausgangspunkt nicht, dass der Erblasser kaum in die spanische Gesellschaft integriert war und zwar wohl auch, weil er der spanischen Sprache nicht mächtig war. Ersteres gilt jedoch entsprechend für die deutsche Gesellschaft. Während seiner Aufenthalte in Deutschland hat er nämlich nach dem Inhalt der mündlichen Verhandlung außerhalb seiner Familie, des Umfelds seines Sohnes und seiner Religion ebenfalls keine nennenswerten sozialen Kontakte gepflegt. Insgesamt ergibt sich für den Senat aus den Erörterungen in der mündlichen Verhandlung das Bild eines Menschen, der wenig Wert auf soziale Kontakte legte und sein Leben nach seinen Vorstellungen gestalten wollte. Hinzu kommt, dass der Erblasser familiäre Kontakte in Form von Besuchen auch in Spanien pflegte, wenn auch weit geringerem Umfang, und er auch in Spanien regelmäßig an religiösen Versammlungen teilnahm, aus denen sich, wie die Beteiligte zu 1) angegeben hat, auch gesellige Kontakte ergaben.

Für eine engere Bindung an Deutschland spricht vordergründig noch, dass der Erblasser jedenfalls zuletzt Bankenkonten nur noch bei in Deutschland ansässigen Geldinstituten unterhielt. Andererseits war jedoch, legt man die Angaben der Beteiligten zu 1) zugrunde, ein ganz wesentlicher Vermögensgegenstand, nämlich der hälftige Anteil an der Immobilie, in Spanien belegen.

Vor diesem ambivalenten Hintergrund kommt nach Auffassung des Senats der tatsächlichen Aufenthaltsdauer entscheidendes Gewicht zu. Hier erschließt sich aus den Kreditkartenübersichten, dass sich der Erblasser in den letzten Jahren vor seinem Ableben ganz überwiegend in Spanien aufgehalten hat. In den Jahren 2012 und 2013 lassen sich nur etwa 4,5 Wochen ausmachen, in welchen er sich in Deutschland aufgehalten hat. In 2014 hat er sich bis Anfang November lediglich für zwei Wochen in Deutschland aufgehalten. Im November und Dezember 2014 sowie Januar 2015 war er hingegen in Deutschland, wobei in diese Zeit die Diagnose und erste operative Behandlung seiner Tumorerkrankung fielen. Im Rest des Jahres 2015 wurden mehrmonatige Aufenthalte in Spanien durch einen etwa einmonatigen, einen anderthalbmonatigen und einen etwa zweimonatigen Aufenthalt in Deutschland unterbrochen, die allerdings jeweils mit stationären Behandlungen korrespondieren. In 2016 wechselten sich längere Aufenthalte in Deutschland, die jedenfalls teilweise mit stationären Behandlungen einhergingen, mit solchen in Spanien ab, bevor sich der Erblasser im Oktober 2016 nach Spanien zurückbringen ließ, wo er am 00.04.2017 verstarb.

Bei dieser Sachlage ist es für den Senat nicht zweifelhaft, dass der Erblasser, mag er vielleicht auch auf eine letzte Therapiechance gehofft haben, sich entschieden hatte, den Rest seines Lebens in Spanien zu verbringen. Hiermit korrespondiert der Inhalt des Ambulanzbriefes der Uniklinik Münster vom 16.08.2016. Nach diesem wollte der Erblasser, nach Aufklärung über seine Situation klären, ob „an seinem Wohnort in Spanien“ eine Palliativbehandlung möglich sei. Weiter korrespondiert mit dieser Sichtweise die Gestaltung der Wohnverhältnisse in Spanien einerseits und Deutschland andererseits. Letztere waren als eher provisorisch anzusehen: Dem Erblasser stand zusammen mit der Beteiligten zu 1) in der Souterrain-Wohnung des Beteiligten zu 3) ein Schlafzimmer mit Nasszelle zur Verfügung; zudem konnte er Räume in der Wohnung des Beteiligten zu 3) mitbenutzen. Demgegenüber stand dem Erblasser und der Beteiligten zu 1) in Spanien ein Haus von 150 qm mit sechs Zimmern zur Verfügung stand.

Angesichts dieser objektiven Sachlage kommt der Willensrichtung des Erblassers keine entscheidende Bedeutung mehr zu. Es mag zutreffen, dass sich der Erblasser in Bezug auf Spanien als Tourist betrachtete und – aus welchen Gründen auch immer – den Residentenstatus in Spanien vermeiden wollte. Angesichts der Zeiten seines Aufenthalts in Spanien bestand sein Leben dann aber überwiegend aus „Urlaub“, was angesichts seines Ruhestandes auch nicht verwundert.

Entgegen der Auffassung der Beteiligten zu 1) ergibt sich die internationale Zuständigkeit des deutschen Nachlassgerichts auch nicht aus Art. 7 EuErbVO, da dessen Voraussetzungen nach lit. a), b) oder c) nicht vorliegen.

Die Entscheidung betreffend die Erstattung außergerichtlicher Kosten beruht auf § 84 FamFG i.V.m. § 35 Abs.1 IntErbRVG. Führt die auf Erteilung des Nachlasszeugnisses gerichtete Beschwerde lediglich dazu, dass das Beschwerdegericht den Tenor der nachlassgerichtlichen Entscheidung mit Rücksicht auf Art. 15 EuErbVO neu fasst, so liegt gleichwohl eine erfolglose Beschwerde im Sinne des § 84 FamFG vor (OLG Hamburg a.a.O.). Hinsichtlich der Beteiligten zu 2), 4) und 5) sieht der Senat keine hinreichenden Gründe um von der gesetzlichen Regel abzuweichen. Hinsichtlich des Beteiligten zu 3) ist dies anders. Dieser hat im Beschwerdeverfahren zunächst auf Seiten der Beteiligten zu 1) gestanden. Eine anwaltliche Vertretung hat er erst im Rahmen der Verhandlungen über eine einvernehmliche Regelung in Anspruch genommen, also zu einem Zeitpunkt als der Senat die für ihn maßgebenden tatsächlichen Feststellungen schon getroffen hatte. Bezogen auf den Gegenstand des Beschwerdeverfahrens hat der Beteiligte zu 3) damit unnötige Kosten verursacht.

Die Festsetzung des Gegenstandswertes beruht auf den §§ 61 Abs.1, 40 Abs.1 GNotKG.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde (§ 44 IntErbRVG, § 70 Abs.2 FamFG) liegen nicht vor.

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