Hinreichende Klarheit des Berufungsbegehrens

November 4, 2020

BGH, Beschluss vom 13. November 1991 – VIII ZB 33/91

Hinreichende Klarheit des Berufungsbegehrens bei nicht förmlich gestelltem Berufungsantrag

Die gegen ein klagabweisendes Urteil gerichtete Berufung ist trotz Fehlens eines förmlichen Antrags in der Berufungsbegründung nicht nach ZPO § 519 Abs 3 Nr 1 unzulässig, wenn der Inhalt der in der Begründungsfrist eingegangenen Schriftsätze eindeutig ergibt, daß der Berufungskläger seinen erstinstanzlichen Klageanspruch in vollem Umfang weiterverfolgen will, und lediglich unklar bleibt, ob er auch noch eine Klagerweiterung beabsichtigt.

Gründe

1. Die Beklagte kaufte bei der Klägerin eine Einbauküche und bezahlte darauf insgesamt 24.602 DM. Die Klägerin hat behauptet, als Kaufpreis seien 41.585,31 DM vereinbart worden, und die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung des Differenzbetrages von 16.983,31 DM nebst Zinsen beantragt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Hiergegen hat die Klägerin form- und fristgerecht Berufung eingelegt und das Rechtsmittel mit einem innerhalb der verlängerten Berufungsbegründungsfrist eingegangenen Schriftsatz vom 6. Juni 1991 begründet. Dieser Schriftsatz enthält, ebenso wie die Berufungsschrift, keinen förmlichen Antrag. Das Berufungsgericht hat die Berufung durch Beschluß als unzulässig verworfen. Hiergegen richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte und auch sonst zulässige sofortige Beschwerde der Klägerin, die auch in der Sache Erfolg hat.

2. Nach § 519 Abs. 3 Nr. 1 ZPO muß die Berufungsbegründung die Erklärung enthalten, inwieweit das Urteil angefochten wird und welche Abänderungen des Urteils beantragt werden (Berufungsanträge). Die Vorschrift erfordert nicht notwendig einen förmlichen Antrag, es reicht vielmehr aus, wenn die innerhalb der Begründungsfrist eingereichten Schriftsätze des Berufungsklägers ihrem gesamten Inhalt nach eindeutig ergeben, in welchem Umfang und mit welchem Ziel das Urteil angefochten werden soll (einhellige Auffassung, z.B. BGH, Urteile vom 29. Januar 1987 – IX ZR 36/86 = NJW 1987, 1335, 1336 und vom 6. Mai 1987 – IVb ZR 52/86 = NJW 1987, 3264, 3265 m.w.Nachw.). Dies verkennt auch das Berufungsgericht nicht, es meint aber, das Berufungsbegehren lasse sich dem innerhalb der Begründungsfrist eingegangenen Schriftsatz vom 6. Juni 1991 nicht eindeutig entnehmen. Darin behaupte die Klägerin, als Kaufpreis seien 36.736,77 DM zuzüglich der Mehrwertsteuer, also insgesamt 41.879,92 DM, vereinbart worden. Dieser Betrag liege über dem erstinstanzlich vorgetragenen Kaufpreis (41.585,31 DM). Deshalb sei unklar, ob die Klägerin im Berufungsrechtszug auf der Grundlage des jetzt behaupteten höheren Kaufpreises und der unstreitigen Zahlung der Beklagten von 24.602 DM deren Verurteilung zur Zahlung von 17.277,92 DM begehren oder an ihrem erstinstanzlichen Zahlungsantrag von 16.983,31 DM festhalten wolle.

Hiergegen wendet sich die sofortige Beschwerde mit Recht.

Das Landgericht hatte sein klagabweisendes Urteil mit der Erwägung begründet, die Klägerin habe den Beweis nicht geführt, daß die Parteien einen Kaufpreis in der von ihr behaupteten Höhe oder auch nur in Höhe eines die unstreitige Zahlung der Beklagten übersteigenden Betrages vereinbart hätten. Im Schriftsatz vom 6. Juni 1991 hat die Klägerin die Beweiswürdigung des Landgerichts bekämpft und in diesem Zusammenhang unter Beweisantritt eine Kaufpreisvereinbarung über einen Betrag behauptet, der noch über der erstinstanzlich genannten Summe lag. Darin kommt zweifelsfrei zum Ausdruck, daß sie auch im Berufungsrechtszug jedenfalls ihr erstinstanzliches Klagebegehren (Zahlung von 16.983,31 DM) weiterverfolgen wollte. Offen bleibt nach dem Berufungsvorbringen – wie auch das Berufungsgericht nicht verkennt – lediglich, ob sie in der Berufungsinstanz darüber hinaus noch einen Betrag von 294,61 DM als Konsequenz aus dem jetzt behaupteten höheren Kaufpreis von 41.879,92 DM und der nach wie vor unstreitigen Zahlung der Beklagten von 24.602 DM fordern werde. Die vom Oberlandesgericht für entscheidend gehaltene Unklarheit des Berufungsziels besteht somit nur hinsichtlich eines Anspruchs, mit dem das erstinstanzliche Gericht noch gar nicht befaßt war. Eine solche Klagerweiterung im Berufungsverfahren ist keine Anfechtung des erstinstanzlichen Urteils. Für sie gilt deshalb weder die Frist des § 519 Abs. 2 ZPO noch muß ihr Umfang durch die Berufungsanträge (§ 519 Abs. 3 Nr. 1 ZPO) konkretisiert werden, sie ist vielmehr unter den allgemeinen Voraussetzungen (§§ 523, 263, 264 Nr. 2 ZPO) bis zum Schluß der Berufungsverhandlung möglich (BGH, Urteil vom 24. Februar 1988 – IVb ZR 45/87 = LM ZPO § 519 Nr. 93 = NJW-RR 1988, 1465 f; Beschluß vom 1. April 1987 – IVb ZB 86/86 = BGHR ZPO § 519 Abs. 3 Nr. 1 „Anfechtungsumfang“ Nr. 1). Die Unklarheit über eine etwaige Klagerweiterung im Berufungsverfahren ändert nichts daran, daß die Klägerin nach dem Inhalt ihres Schriftsatzes vom 6. Juni 1991 ihren Kaufpreisanspruch jedenfalls in dem Umfang weiterverfolgen will, in dem das Landgericht darüber entschieden hat, und deshalb das erstinstanzliche Urteil in vollem Umfang anfechten will. Damit ist die durch die Förmlichkeiten des § 519 Abs. 2 und 3 ZPO bezweckte Klarheit über das Berufungsziel in vollem Umfang geschaffen (BGH, Beschluß vom 24. Februar 1988 aaO).

3. Der angefochtene Beschluß war somit aufzuheben und der Rechtsstreit zur anderweiten Entscheidung, die vom endgültigen Ausgang der Sache abhängt, an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

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