OLG Hamm, Beschluss vom 02.11.2010 – I-6 U 131/10

März 4, 2021

OLG Hamm, Beschluss vom 02.11.2010 – I-6 U 131/10

Zu den Rechtsmitteln i.S.v. § 839a Abs. 2, 839 Abs. 3 BGB gehören nicht nur die gegen die gerichtliche Entscheidung statthaften Rechtsbehelfe, sondern auch alle in der jeweiligen Instanz gegebenen Behelfe, die sich unmittelbar gegen ein für fehlerhaft gehaltenes Gutachten selbst richten und die bestimmt und geeignet sind, eine auf dieses Gutachten gestützte instanzbeendende Entscheidung zu verhindern. Hierzu zählt auch ein Antrag auf mündliche Anhörung des Sachverständigen vor Gericht nach § 411 Abs. 4 ZPO.
Tenor

1.)

Der Senat beabsichtigt, die Berufung der Klägerin gegen das am 07.07.2010 verkündete Urteil der 5. Zivilkammer des Landgerichts Essen durch Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.

2.)

Die Klägerin erhält Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 26.11.2010.
Gründe

Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung und eine Entscheidung des Berufungsgerichts nach mündlicher Verhandlung zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung ist nicht erforderlich. Die Berufung hat aus den nachfolgend dargelegten Umständen keine Aussicht auf Erfolg.

I.

1.

Die Klägerin macht gegen die Beklagten Ansprüche wegen falscher Begutachtung als gerichtlich bestellte Sachverständige geltend.

Die Klägerin hatte in einem Vorprozess Schadensersatzansprüche gegen eine Krankenhaus-GmbH sowie gegen behandelnde Ärzte wegen einer angeblichen Fehlbehandlung erhoben (LG Bielefeld 4 O 32/06). In diesem Prozess war der Beklagte zu 1) vom Gericht zum Sachverständigen bestellt worden. Bei der Erstattung des Gutachtens bediente er sich der Unterstützung des Beklagten zu 2). Befangenheitsgesuche gegen die Beklagten wurden im Vorprozess zurückgewiesen. In ihrem Gutachten kamen sie zu dem Ergebnis, dass die erste Operation indiziert gewesen und fachgerecht durchgeführt worden sei. Auch die zweite Operation sei indiziert gewesen. Das Landgericht hat die Klage im Vorprozess abgewiesen. Wegen der Einzelheiten wird auf das Urteil des LG Bielefeld vom 20.02.2007 (Bl. 165 BA) verwiesen. Die dagegen gerichtete Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht Hamm mit Beschluss gem. § 522 Abs. 2 ZPO am 03.09.2007 zurückgewiesen. Wegen der Einzelheiten wird auf Bl. 223 BA verwiesen.

Nunmehr verlangt die Klägerin von den Beklagten Schadensersatz aus § 839a BGB wegen grob fahrlässiger Falschbegutachtung. Das Landgericht hat die Klage nach Einholung eines urologischen Gutachtens des Sachverständigen Professor Dr. T abgewiesen. Von der ursprünglich beabsichtigten Einholung eines gynäkologischen Gutachtens hat es abgesehen. Wegen der Einzelheiten wird auf das angefochtene Urteil verwiesen.

Mit der Berufung verfolgt die Klägerin ihr erstinstanzliches Begehren weiter, hilfsweise beantragt sie die Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung an das Landgericht. Sie behauptet, eine Beweisaufnahme habe in vorliegendem Verfahren nicht stattgefunden. Im Übrigen führt sie noch einmal die schon erstinstanzlich vorgebrachten Argumente aus, aus denen sie eine grob fahrlässige Falschbegutachtung durch die Beklagten im Vorprozess herleiten will. Wegen der Einzelheiten wird auf die Berufungsbegründung verwiesen.

II.

Nach Ansicht des Senats hat das Landgericht die Klage zu Recht abgewiesen. Auf der Grundlage des nach § 529 Abs. 1 ZPO maßgeblichen Sachverhalts ist ein Schadensersatzanspruch der Klägerin gegen die Beklagten weder aus § 839a BGB noch aus sonstigen Rechtsgründen erkennbar. Neue Feststellungen sind nicht geboten. Konkrete Anhaltspunkte an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen sind weder dargetan noch ersichtlich.

1.

Ein Anspruch der Klägerin gegen die Beklagten aus § 839a BGB besteht nicht. Die Anspruchsvoraussetzung einer vorsätzlichen oder grob fahrlässigen falschen Gutachtenerstattung, auf der das Urteil beruht, liegt nicht vor.

Soweit bemängelt wird, dass der Beklagte zu 1) in seinem Gutachten von einer ordnungsgemäßen Aufklärung der Klägerin, welche diese verstanden habe, ausgeht, beruht das Urteil nicht hierauf. Das Landgericht hat sich durch die Vernehmung von Zeugen von einer ordnungsgemäßen Aufklärung der Klägerin überzeugt (Urteil LG Bielefeld vom 20.02.2007 S. 11, Bl. 175 BA).

Soweit bemängelt wird, der Beklagte zu 1) habe zu der Frage, „ob auch ein Eingriff unter Erhalt eines Ovarestes möglich gewesen wäre“ keine Stellung genommen, so ist anzumerken, dass der Beweisbeschluss des Landgerichts Bielefeld vom 05.05.2006 (Bl. 27 ff. BA) danach gar nicht ausdrücklich fragt. Im Übrigen hat der Sachverständige auch darauf hingewiesen (S. 29 des Gutachtens), dass hinsichtlich der Entfernung des Ovars die genaue Indikationsstellung durch einen gynäkologischen Gutachter beurteilt werden solle. Damit hat er nicht gegen seine Pflichten verstoßen, sondern gerade seine Verpflichtungen aus § 407a Abs. 1 ZPO erfüllt. Der Sachverständige hat danach zu prüfen, ob der Auftrag in sei Fachgebiet fällt, ob er ohne Hinzuziehung eines weiteren Sachverständigen erledigt werden kann und das Gericht ggf. entsprechend zu unterrichten.

Hinsichtlich der Alternative der Einsetzung eines TVT-Bandes hat der Beklagte zu 1) in seinem Gutachten ausgeführt, dass dies wegen der zusätzlichen Blasensenkung nicht geeignet gewesen sei, die Beschwerden der Klägerin zu beheben. Das ist von dem Sachverständigen im vorliegenden Verfahren, Prof. Dr. T, bestätigt worden (Bl. 184). Gleichfalls verweist er darauf, dass das Alternativverfahren nicht als weniger schwerwiegend bezeichnet werden könne.

Wie der Sachverständige im vorliegenden Verfahren ebenfalls überzeugend festgestellt hat, war die Erstoperation medizinisch indiziert, so dass dem Beklagten zu 1) auch diesbezüglich keine Vorwürfe gemacht werden können.

Ob die weitgehende Übertragung von Handlungen im Rahmen der Begutachtung auf den Beklagten zu 2) gegen § 407a Abs. 2 ZPO verstößt, kann dahinstehen, da diese jedenfalls nicht dazu geführt hat, dass das Gutachten grob fahrlässig falsch wäre, so dass die Voraussetzungen des § 839a BGB dadurch nicht erfüllt werden.

2.

Hinsichtlich des Beklagten zu 2) fehlt es darüber hinaus auch an der Anspruchsvoraussetzung seiner Eigenschaft als „vom Gericht ernannter Sachverständiger“.

Der Senat teilt die Ansicht des Landgerichts, dass gegen den Beklagten zu 2) schon deswegen kein Anspruch aus § 839a BGB bestehen kann, weil er im Vorprozess vor dem Landgericht Bielefeld kein „vom Gericht ernannter Sachverständiger“ war. Nach dem Beweisbeschluss vom 05.05.2006 war allein der Beklagte zu 1) zum Sachverständigen bestimmt worden. Eine Erweiterung des Kreises der bestellten Sachverständigen hat später nicht stattgefunden. Der Beklagte zu 2) ist vom Beklagten zu 1) – ob zulässigerweise oder nicht, kann dahinstehen – zur Unterstützung bei der Gutachtenerstattung herangezogen, nicht aber vom Gericht. In der bloßen Verwendung des von beiden Beklagten gezeichneten Gutachtens seitens des Landgerichts kann keine konkludente Bestellung des Beklagten zu 2) zum Sachverständigen gesehen werden. Dies folgt schon daraus, dass die Bestellung vor der Gutachtenerstattung erfolgen muss, nicht danach, da ansonsten z.B. die Regelungen der §§ 407, 407a ZPO leerliefen.

3.

Schließlich ist auch eine Ersatzpflicht der Beklagten nach §§ 839a Abs. 2, 839 Abs. 3 BGB ausgeschlossen.

Die Klägerin hat es unterlassen, einen etwaigen Schaden durch Rechtsmittel im Sinne dieser Vorschriften abzuwenden. Zu den Rechtsmitteln gehören nicht nur die gegen die gerichtliche Entscheidung statthaften Rechtsbehelfe, sondern auch alle in der jeweiligen Instanz gegebenen Behelfe, die sich unmittelbar gegen das fehlerhafte Gutachten selbst richten und die bestimmt und geeignet sind, eine auf das Gutachten gestützte instanzbeendende Entscheidung zu verhindern. Hierzu zählt auch ein Antrag auf mündliche Anhörung des Sachverständigen vor Gericht nach § 411 Abs. 4 ZPO. Das Gericht ist auf Antrag einer Partei unabhängig von § 411Abs. 3 ZPO gem. §§ 402, 397 Abs. 1 ZPO zur Vorladung des Sachverständigen verpflichtet. Die mündliche Befragung und Erläuterung wäre ein taugliches Mittel gewesen, entweder die Mängel des Gutachtens in befriedigender Weise zu beheben oder diese Mängel so deutlich hervortreten zu lassen, dass dem Gericht die Überzeugung von der Unbrauchbarkeit des Gutachtens vermittelt wurde (vgl. BGH DS 2007, 306 f.; BGH NJW-RR 2006, 1454; MünchKomm-BGB- Wagner 5. Aufl. Rdn. 31). Das ist hier nicht geschehen, worauf sich auch die Beklagten im vorliegenden Verfahren zu Recht berufen haben. Das schriftliche Gutachten der Beklagten aus dem Verfahren LG Bielefeld 4 O 32/06 ist dem damaligen Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 25.09.2006 zugegangen (Bl. 100 d. BA). Innerhalb der vom Gericht verlängerten Stellungnahmefrist nahm die jetzige und damalige Klägerin zu dem Gutachten Stellung. Darin wird kritisiert, dass die Beklagten von einer hinreichenden Aufklärung der Klägerin ausgegangen seien, dass das alternative TVT-Verfahren nicht nur weniger invasiv anmute, sondern weniger invasiv sei und die von den Beklagten angeführte Gefahr wegen des „blinden“ Vorgehens, nicht rechtfertige, einfach von diesem Verfahren abzurücken. Die zweite Operation sei nicht indiziert gewesen, so dass es unerheblich sei, ob das Bauchdeckenhämatom als Folge auch bei ihrer ordnungsgemäßen Durchführung aufgetreten wäre. Beweis wurde jeweils angetreten durch Einholung eines „Obergutachtens“ bzw. hinsichtlich der Aufklärungsfrage durch Vernehmung einer Zeugin. Weder aus diesem Schriftsatz noch sonst bis zum Erlass des erstinstanzlichen Urteils ist ein Antrag nach § 411 Abs. 4 ZPO erkennbar. Der Beweisantritt durch Einholung eines „Obergutachtens“ ersetzt dies nicht. Ein weiteres Gutachten kann nach § 412 ZPO eingeholt werden, wenn das Gericht das Gutachten für ungenügend erachtet oder wenn ein Sachverständiger nach Erstattung des Gutachtens mit Erfolg abgelehnt ist. Letzteres lag nicht vor. Das Gericht des Vorprozesses hat das Gutachten nicht für ungenügend erachtet, was sich eben an der Nichteinholung eines weiteren Gutachtens zeigt. Um dem Gericht ggf. den Eindruck des (behaupteten) Ungenügens des eingeholten Gutachtens zu vermitteln, wäre ein Antrag nach § 411 Abs. 4 ZPO der angemessene Weg gewesen, der aber hier gerade nicht beschritten wurde.

III.

Die Einräumung einer befristeten Gelegenheit zur Stellungnahme unter Fristsetzung beruht auf § 522 Abs. 2 S. 2 ZPO.

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