AG München, Urt. v. 14.04.2015 – 251 C 17057/14
Schadensersatzpflicht des Rechtsanwaltes bei unterlassener Belehrung über Kostenrisiko im streitigen Erbscheinsverfahren bzgl. der Gutachterkosten
Tatbestand:
Der Kläger macht gegen die Beklagte Schadensersatz aus Anwaltshaftung geltend.
Der Kläger wandte sich im Januar 2008 in einer erbrechtlichen Angelegenheit an die Beklagte. Die Mutter des Klägers, war am 15.09.2007 verstorben. Im Nachlassverfahren vor dem AG Miesbach (Az. VI …/07) erfuhr der Kläger, dass seine Mutter am 13.07.2007 ein notarielles Testament beurkunden ließ, wonach die Schwester des Klägers nach ihrem Tod Alleinerbin sein wird. Nach dem früheren gemeinsamen Testament der Eltern sollten die Kinder zu gleichen Teilen erben.
Am 29.01.2008 suchte der Kläger zusammen mit seiner Ehefrau, die Kanzlei der Beklagten auf, um sich dort erbrechtlich beraten zu lassen, da die Erblasserin seiner Ansicht nach zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung testierunfähig gewesen sei.
Zuvor hatte sich der Kläger bereits mit Schreiben v. 23.11.2007 an das Nachlassgericht gewandt und Bedenken gegen die Wirksamkeit dargestellt und dieses angefochten. Dort ist u.a. ausgeführt: „ […] Anfechtung des Testaments, sofern es nach dem 22.02.2007 datiert ist […]”.
Mit Verfügung v. 15.01.2008 wurde der Kläger vom Nachlassgericht u.a. um Mitteilung gebeten, ob seine Anfechtungserklärung gegen die letztwillige Verfügung der Verstorbenen aufrechterhalten bleibe.
Am 28.01.2008 ist der Nachlassakte ein Vermerk zu entnehmen, wonach der Kläger das o.g. Anschreiben erhalten habe und sich nach rechtlicher Beratung bis Ende Februar äußern werde.
Der Kläger beauftragte die Beklagte am 01.02.2008 mit der Verfahrensvertretung im Nachlassverfahren.
Mit Schriftsatz v. 11.02.2008 machte der Kläger sodann, vertreten durch die Beklagte, weiter Testierunfähigkeit der Erblasserin geltend und regte die Einholung von Krankenunterlagen und eines Sachverständigengutachtens an.
Mit Beschl. v. 12.06.2008 wurde durch das AG Miesbach die Einholung eines schriftliches Sachverständigengutachten angeordnet, das im Ergebnis die Testierunfähigkeit der Erblasserin nicht bestätigte. Für das Gutachten sind Kosten i.H.v. 3.180,87 € angefallen.
Der Kläger hat vorprozessual von der Beklagten u.a. mit Schreiben v. 06.11.2013 sowie mit anwaltlichem Schreiben v. 24.04.2014 erfolglos die Erstattung der ihm mit Beschluss des LG München II v. 25.10.2013 – 8 T4507/13 im Hinblick auf § 5 Abs. 2 KostO auferlegten Gutachterkosten verlangt. Eine Zahlung des Klägers an die Landesjustizkasse ist bislang nicht erfolgt.
Der Kläger behauptet, er habe vom Gesellschafter der Beklagten, Herrn Rechtsanwalt anlässlich des Besprechungstermins am 29.01.2008 die Auskunft erhalten, dass die Behauptung der Testierunfähigkeit im Erbscheinsverfahren durch das Gericht möglicherweise im Wege der Einholung eines Sachverständigengutachtens überprüft werde, die dafür entstehenden Kosten habe jedoch stets der Erbe zu tragen. Wäre er so beraten worden, dass er mit der Auferlegung von Gerichtskosten zu rechnen gehabt hätte, hätte er weder der Beklagten ein Vertretungsmandat erteilt noch vor dem Nachlassgericht Testierunfähigkeit eingewandt.
Die Beklagte behauptet, der sachbearbeitende Rechtsanwalt … habe dem Kläger mitgeteilt, dass das Gericht bei konkreten Anhaltspunkten einer möglichen Testierunfähigkeit von Amts wegen ein Sachverständigengutachten einholen werde. Er habe dem Kläger erläutert, dass im Nachlassverfahren die Gerichtskosten i.d.R. von den Erben als Antragsteller des Erbscheins zu tragen seien, ihm aber mitnichten versichert, dass die Sachverständigenkosten jedenfalls vom Erben zu tragen sind. Im Übrigen habe der Kläger sein Vorgehen im Nachlassverfahren gerade nicht von der Frage der möglichen Gerichtskosten abhängig gemacht. Vielmehr hätte er jeden Versuch unternommen, die Testierunfähigkeit der Mutter darzustellen, da er sich um sein Erbe betrogen gefühlt habe. Hierfür spreche vor allem, dass er sich bereits mit Schreiben v. 23.11.2007 an das Gericht gewandt hatte.
Die Beklagte ist der Ansicht, das LG München II habe im Beschl. v. 25.10.2013 letztlich eine Billigkeitsentscheidung getroffen und eine Kostenübernahme durch den Kläger nach dem Veranlasserprinzip für angemessen gehalten, wobei die Heranziehung des § 5 Abs. 2 KostO schon deswegen falsch gewesen sei, da der Kläger im Nachlassverfahren gar keinen Antrag gestellt, sondern lediglich eine Anregung getätigt habe. […]
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig und begründet.
Dem Kläger steht der geltend gemachte Freistellungsanspruch als Schadensersatz gegen die Beklagte zu.
Der beratende Rechtsanwalt der Beklagten hat seine gegenüber dem Kläger bestehende Vertragspflicht verletzt, indem er nicht mit der gebotenen Sorgfalt auf das Kostentragungsrisiko im Hinblick auf die entstandenen Gutachterkosten hingewiesen hat.
„Der um Rat gebotene Rechtsanwalt ist seinem Auftraggeber zu einer umfassenden und erschöpfenden Belehrung verpflichtet. Der Anwalt muss den ihm vorgetragenen Sachverhalt dahin prüfen, ob er geeignet ist, den vom Auftraggeber erstrebten Erfolg herbeizuführen. Er hat den Auftraggeber vor Nachteilen zu bewahren, soweit solche voraussehbar und vermeidbar sind. Dazu hat der Anwalt seinem Mandanten den sichersten Weg vorzuschlagen, und ihn über mögliche Risiken aufzuklären, damit der Mandant eine sachgerechte Entscheidung treffen kann; Zweifel und Bedenken, zu denen die Sachlage Anlass gibt, muss der Anwalt darlegen und mit seinem Auftraggeber erörtern” (st. Rspr.: u.a. BGH, NJW 1999, 1391 [BGH 11.02.1999 – IX ZR 14/98]; vgl. OLG Düsseldorf v. 06.07.2001 – 24 U 211/00, NJW-RR 2002, 64 m.w.N.).
Unter Berücksichtigung der vorgenannten Grundsätze ist eine Pflichtverletzung bereits darin zu sehen, dass nach eigenem Vortrag des sachbearbeitenden Rechtsanwalts im Rahmen seiner Anhörung im Termin zur mündlichen Verhandlung v. 25.03.2015 eine Erörterung des Kostenaspekts im Beratungsgespräch am 29.01.2008 nicht in ausreichender Art und Weise stattgefunden hat. Er hat insoweit mitgeteilt, dass es bei dem Kostenthema im Wesentlichen um die Anwaltskosten gegangen sei, ansonsten sei es eher ein inhaltliches Gespräch gewesen. Dass dem Kläger das Kostenrisiko, das sich vorliegend durch den Beschluss des LG München II v. 25.10.2013 manifestiert hat, klar vor Augen geführt worden wäre, vgl. OLG Düsseldorf v. 06.07.2001, a.a.O., wurde insoweit gerade nicht beklagtenseits behauptet. Der Hinweis, dass „in der Regel” der Erbe als Antragsteller des Erbscheins die Kosten trage, reicht angesichts der Komplexität der kostenrechtlichen Beurteilung, wie sie in den diversen Entscheidungen im Zusammenhang mit der streitgegenständlichen Kostenauferlegung unzweifelhaft zum Ausdruck kommt, gerade nicht aus. Maßgeblich ist insoweit auch nicht, ob die Entscheidung des LG München II möglicherweise „falsch” gewesen ist, sondern lediglich dass sie im Bereich des vertretbar Möglichen liegt, was unzweifelhaft der Fall ist, wobei es sich bei dieser auch gerade nicht um eine Ermessensentscheidung gehandelt hat. Es reicht insoweit auch nicht, dass der Wortsinn „in der Regel” bereits impliziert, dass eine Abweichung nicht in Frage käme, sondern maßgeblich ist, dass dem Mandanten als Laien das etwaige Risiko verdeutlicht wird, was jedoch nicht der Fall war.
Zur Überzeugung des Gerichts steht vorliegend auch nicht fest, dass der Schaden auch bei pflichtgemäßem Verhalten der Beklagten entstanden wäre. Der Kläger hat hierzu vorgetragen, dass er im Verfahren nicht weiter tätig geworden wäre, wann er um das Kostenrisiko gewusst hätte. Aus der beigezogenen Nachlassakte ergibt sich zwar, dass der Kläger sich bereits mit Schreiben v. 23.11.2007 in das dortige Verfahren eingebracht hat. Der dort getätigte Aktenvermerk v. 28.01.2008, wonach der Kläger das Anschreiben des Gerichts erhalten habe und sich nach rechtlicher Beratung bis Ende Februar äußern werde, stützt jedoch gerade seine Behauptung, wonach er sein Anliegen nicht in jeden Fall, sondern erst nach anwaltlicher Beratung, weiterverfolgt hätte. Ebenso ist der gerichtlichen Verfügung v. 15.01.2008, mit der der Kläger vom Nachlassgericht u.a. um Mitteilung gebeten wurde, ob seine Anfechtungserklärung gegen die letztwillige Verfügung der Verstorbenen aufrechterhalten bleibe, zu entnehmen, dass das Gericht nicht bereits aufgrund des Schreibens des Klägers v. 23.11.2007 jedenfalls ein Sachverständigengutachten eingeholt hätte. Vielmehr ist davon auszugehen, dass das Gericht erst bei konkreten Anhaltspunkten einer möglichen Testierunfähigkeit von Amts wegen ein Sachverständigengutachten eingeholt hätte. In Ansehung des inhaltlich eher vagen klägerischen Schreibens v. 23.11.2007 war dies offenbar noch nicht der Fall, da es andernfalls der Anfrage in der Verf. v. 15.01.2008 nicht bedurft hätte.
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