BGH, 06.11.2013 – XII ZB 650/12

Juni 24, 2018

BGH, 06.11.2013 – XII ZB 650/12

Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 6. November 2013 durch den Vorsitzenden Richter Dose und die Richter Schilling, Dr. Günter, Dr. Nedden-Boeger und Dr. Botur

beschlossen:

Tenor:

Auf die Rechtsbeschwerde des Beteiligten zu 1 wird der Beschluss der 8. Zivilkammer des Landgerichts Oldenburg vom 7. November 2012 aufgehoben.

Das Verfahren wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Landgericht zurückverwiesen.

Beschwerdewert: 3.000 €

Gründe

I.

Der Beteiligte zu 1 wendet sich gegen die Einrichtung einer Betreuung für seine Mutter.

Die Betroffene leidet an einer Demenz vom Typ Alzheimer.

Nach Einholung eines Sachverständigengutachtens und der persönlichen Anhörung der Betroffenen hat das Amtsgericht zunächst den Beteiligten zu 2 zum Kontrollbetreuer bestellt. Nachdem Zweifel an der Wirksamkeit einer zugunsten des Beteiligten zu 1 bestellten Vollmacht aufgekommen waren, hat das Amtsgericht am 16. Februar 2011 den Beteiligten zu 3 zum Verfahrenspfleger bestellt und am selben Tag eine erneute Anhörung der Betroffenen in deren Wohnung durchgeführt, bei der neben weiteren Personen auch ein Amtsarzt anwesend war. Auf Anordnung des Gerichts hat der Amtsarzt die Betroffene noch während des Anhörungstermins untersucht und anschließend ein auf den 17. Februar 2011 datiertes „Amtsärztliches Zeugnis“ zur Betreuungsbedürftigkeit der Betroffenen vorgelegt.

Mit Beschluss vom 18. Februar 2011 hat das Amtsgericht die Kontrollbetreuung aufgehoben, für die Betroffene eine Betreuung mit den Aufgabenkreisen Vermögenssorge, Aufenthaltsbestimmungsrecht, Wohnungsangelegenheiten, Rechts-, Antrags- und Behördenangelegenheiten, Gesundheitsfürsorge und Postangelegenheiten angeordnet und die Beteiligte zu 4 zur Betreuerin bestellt.

Gegen diesen Beschluss haben die Betroffene und der Beteiligte zu 1 Beschwerde eingelegt. Ihre Rechtsmittel sind ohne Erfolg geblieben. Auf die allein vom Beteiligten zu 1 eingelegte Rechtsbeschwerde hat der Senat die Beschwerdeentscheidung aufgehoben und das Verfahren zur erneuten Behandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen (Senatsbeschluss vom 14. März 2012 XII ZB 502/11 FamRZ 2012, 869). Nach Einholung eines Sachverständigengutachtens und Anhörung der Sachverständigen T. sowie des Beteiligten zu 1 hat das Landgericht die Beschwerde des Beteiligten zu 1 zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich dessen Rechtsbeschwerde, mit der er die Aufhebung der Betreuung, hilfsweise seine Bestellung zum Betreuer der Betroffenen, erreichen möchte.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist ohne Zulassung statthaft (§ 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FamFG) und auch im Übrigen zulässig.

Die Beschwerdebefugnis des Beteiligten zu 1, der bereits im ersten Rechtszug an dem Verfahren beteiligt war, ergibt sich aus § 303 Abs. 2 Nr. 1 FamFG.

Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der angegriffenen Entscheidung und zur erneuten Zurückverweisung des Verfahrens an das Landgericht.

  1. Das Landgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung unter anderem ausgeführt, die Betroffene sei krankheitsbedingt nicht in der Lage, die im Beschluss genannten Angelegenheiten selbst zu besorgen. Dies ergebe sich aus dem amtsärztlichen Gutachten vom 17. Februar 2011, dem früheren vom Amtsgericht eingeholten Sachverständigengutachten, der Krankheitsgeschichte der Betroffenen, den aussagekräftig dokumentierten Anhörungen der Betroffenen durch das erstinstanzliche Gericht sowie aus den Ausführungen der Sachverständigen T. Eine Anhörung der Betroffenen im Beschwerdeverfahren sei entbehrlich gewesen, weil die Betroffene nicht Beschwerdeführerin sei, das Amtsgericht die Betroffene mehrfach angehört und die Ergebnisse jeweils detailliert dokumentiert habe und neue Erkenntnisse bei einer Anhörung durch das Beschwerdegericht nicht zu erwarten gewesen seien. Im Übrigen habe das Gericht davon abgesehen, der Betroffenen das schriftliche Gutachten und die Protokolle zuzustellen, da sämtliche Beteiligte sich dahin geäußert haben, dass dies die Betroffene nur verwirren würde.
  2. Diese Ausführungen halten den Verfahrensrügen der Rechtsbeschwerde nicht Stand. Die angefochtene Entscheidung verletzt das Recht der Betroffenen auf rechtliches Gehör. Die angegriffene Entscheidung ist verfahrensfehlerhaft ergangen, weil unter Berücksichtigung der Besonderheiten des vorliegenden Falls das Beschwerdegericht nicht von einer erneuten Anhörung der Betroffenen hätte absehen dürfen.
  3. a) Gemäß § 278 Abs. 1 Satz 1 und 2 FamFG hat das Gericht den Betroffenen vor der (erstmaligen) Bestellung eines Betreuers oder der Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts persönlich anzuhören und sich einen persönlichen Eindruck von ihm zu verschaffen. Die Pflicht zur persönlichen Anhörung des Betroffenen besteht nach § 68 Abs. 3 Satz 1 FamFG grundsätzlich auch im Beschwerdeverfahren (Senatsbeschluss vom 11. August 2010 XII ZB 171/10 FamRZ 2010, 1650 Rn. 5). Allerdings darf das Beschwerdegericht nach § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG von der persönlichen Anhörung absehen, wenn diese bereits im ersten Rechtszug vorgenommen worden ist und von einer erneuten Anhörung keine neuen Erkenntnisse zu erwarten sind. Diese Voraussetzung ist insbesondere dann erfüllt, wenn die erstinstanzliche Anhörung des Betroffenen nur kurze Zeit zurückliegt, sich nach dem Akteninhalt keine neuen entscheidungserheblichen Tatsachen oder rechtliche Gesichtspunkte ergeben, das Beschwerdegericht das in den Akten dokumentierte Ergebnis der erstinstanzlichen Anhörung nicht abweichend werten will und es auf den persönlichen Eindruck des Gerichts von dem Betroffenen nicht ankommt (Senatsbeschlüsse vom 11. April 2012 XII ZB 504/11 FamRZ 2012, 968 Rn. 6; vom 16. März 2011 XII ZB 601/10 FamRZ 2011, 880 Rn. 13 und vom 2. März 2011 XII ZB 346/10 FamRZ 2011, 805 Rn. 13 mwN). Macht das Beschwerdegericht von dieser Möglichkeit Gebrauch, muss es in seiner Entscheidung die Gründe hierfür in nachprüfbarer Weise darlegen (Senatsbeschluss vom 2. März 2011 XII ZB 346/10 FamRZ 2011, 805 Rn. 13).
  4. b) Auf dieser rechtlichen Grundlage hätte das Beschwerdegericht im vorliegenden Fall nicht von einer erneuten Anhörung der Betroffenen absehen dürfen.

Zwar wurde die Betroffene im amtsgerichtlichen Verfahren mehrfach angehört und die Ergebnisse der Anhörungen sind auch umfassend dokumentiert. Die letzte Anhörung durch das Amtsgericht erfolgte jedoch am 17. Februar 2011 und lag somit bis zur Entscheidung des Beschwerdegerichts 19 Monate zurück. Zutreffend weist die Rechtsbeschwerde auch darauf hin, dass das Beschwerdeverfahren seiner Entscheidung weitere Tatsachen zugrunde gelegt hat, zu denen die Betroffene noch nicht persönlich Stellung nehmen konnte. Das Beschwerdegericht hat im zweitinstanzlichen Verfahren ein weiteres Sachverständigengutachten unter anderem zu der Frage eingeholt, ob die Betroffene noch zur Bildung eines freien Willens i.S.v. § 1896 Abs. 1 a BGB in der Lage ist. Diese Voraussetzung für die Einrichtung einer Betreuung gegen den Willen eines Betroffenen hat die Sachverständige im Beschwerdeverfahren erstmals bejaht.

Der Betroffenen hätte daher im Hinblick auf ihren verfassungsrechtlichen Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) die Möglichkeit gegeben werden müssen, sich hierzu zu äußern. Weder die Einholung eines Sachverständigengutachtens noch die Auswertung schriftlicher Äußerungen des Betroffenen entbinden das Gericht davon, sich im Rahmen seiner Amtsermittlungspflicht (§ 26 FamFG) durch eine Anhörung des Betroffenen einen persönlichen Eindruck davon zu verschaffen, ob dieser tatsächlich zur Bildung eines freien Willens nicht in der Lage ist. Das Gericht ist zu einer kritischen Würdigung des Sachverständigengutachtens verpflichtet. Nur auf der Grundlage einer solchen Überprüfung ist das Gericht imstande, sich das gebotene eigene Bild von der Richtigkeit der durch den Sachverständigen gezogenen Schlüsse zu machen (vgl. Senatsbeschluss vom 22. August 2012 XII ZB 141/12 FamRZ 2012, 1796 Rn. 14 ff.; BeckOK FamFG Hahne/Munzig/Günter [Stand: 1. Juli 2013] § 278 Rn. 2).

  1. Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (§ 74 Abs. 7 FamFG).
  2. Die Entscheidung ist daher insgesamt aufzuheben und, weil die Sache in tatsächlicher Hinsicht noch nicht ausreichend aufgeklärt ist, an das Landgericht zurückzuverweisen (§ 74 Abs. 6 Satz 2 FamFG). Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass die Ausführungen des Beschwerdegerichts zur fehlenden Eignung des Beteiligten zu 1, die Betreuung für die Betroffene zu führen, aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden sind.

Dose

Schilling

Günter

Nedden-Boeger

Botur

 

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