BGH, Beschluss vom 23.09.2020 – IV ZB 18/20

April 18, 2021

BGH, Beschluss vom 23.09.2020 – IV ZB 18/20

Tenor

Die Rechtsbeschwerde des Klägers zu 3 gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Rostock – 3. Zivilsenat – vom 28. Februar 2020 wird auf seine Kosten als unzulässig verworfen.

Beschwerdewert: 4.973,77 €
Gründe

I. Der Kläger zu 3 (i.F.: Kläger) erstrebt die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Berufungsbegründung.

Er hat gegen das klageabweisende Urteil des Landgerichts fristgerecht Berufung eingelegt. Eine Berufungsbegründung ist innerhalb der am 11. Juni 2019 abgelaufenen Berufungsbegründungsfrist nicht eingegangen. Mit Schriftsatz vom 2. Juli 2019, eingegangen am selben Tag, hat der Kläger beantragt, ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsbegründungfrist zu gewähren; am 11.

Juli 2019 ist die Berufungsbegründung beim Oberlandesgericht eingegangen.

Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags hat der Kläger vorgetragen, seine Prozessbevollmächtigte habe am 10. Mai 2019, als eine Kanzleimitarbeiterin die vorbereitete Berufungsschrift in ihr Büro gebracht habe, die Fristennotierung überprüft und festgestellt, dass in der Akte die Berufungsbegründungsfrist nicht korrekt notiert gewesen sei. Sie habe daher die Mitarbeiterin aufgefordert, dies sofort und vor allen anderen Arbeiten an ihrem eigenen Arbeitsplatz im Nachbarzimmer nachzuholen. Diese Anweisung habe die Mitarbeiterin aber nicht ausgeführt. Die Prozessbevollmächtigte habe am 12. Juni 2019 die Handakte gezogen und festgestellt, dass die Fristennotierung entgegen ihrer Weisung unterblieben und die Berufungsbegründungsfrist am Vortag abgelaufen sei.

Mit Schriftsatz vom 27. September 2019 hat der Kläger weiter vorgetragen, in der Kanzlei seiner Prozessbevollmächtigten bestehe eine allgemeine Anweisung, bei Notierung einer Rechtsmittelbegründungsfrist im Fristenkalender zusätzlich noch eine Vorfrist von mindestens einer Woche zu notieren. Eine Vorfrist könne aber nur dann richtig in den Kalender eingetragen werden, wenn auch die Berufungsbegründungsfrist notiert sei.

Das Oberlandesgericht hat den Antrag auf Wiedereinsetzung in die Berufungsbegründungsfrist zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, zur ordnungsgemäßen Organisation einer Anwaltskanzlei gehöre die allgemeine Anordnung, dass bei Rechtsmittelbegründungen außer dem Datum des Fristablaufs noch eine Vorfrist notiert werden müsse, die regelmäßig eine Woche zu betragen habe. Werde eine allgemeine Organisationsanweisung durch eine konkrete Anweisung im Einzelfall ersetzt, müsse diese die gleichen Anforderungen erfüllen. Eine solche Anweisung habe der Kläger nicht vorgetragen und glaubhaft gemacht. Soweit er geltend mache, dass eine solche Vorfrist ebenfalls von der Büroangestellten nicht eingetragen worden wäre, vermöge der Senat nicht auszuschließen, dass eine konkrete Einzelanweisung, die die Eintragung zweier voneinander abweichender Fristen zum Gegenstand habe, bei dieser weniger in Vergessenheit geraten wäre. Soweit der Kläger weit nach Ablauf der Wiedereinsetzungsfrist vorgetragen habe, es habe eine allgemeine Anweisung in der Kanzlei gegeben, auch für die Berufungsbegründungsfrist eine Vorfrist zu notieren, sei dies für das Wiedereinsetzungsgesuch unbeachtlich. Die Darstellung der Büroorganisation in der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten gehöre nicht zu den Umständen, die auf einen Hinweis weiter zu erläutern wären, da es eines solchen Hinweises nicht bedürfe.

Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Klägers.

II. Die Rechtsbeschwerde ist zwar nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthaft. Sie ist aber nicht zulässig, da es an den Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO fehlt. Weder verletzt die Ablehnung der Wiedereinsetzung den Anspruch des Klägers auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) noch hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung.

1. Rechtsfehlerfrei ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht erfolgen kann, weil der Kläger innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist nicht vorgetragen und glaubhaft gemacht hat, dass seine Prozessbevollmächtigten kein Verschulden an der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist, das ihm nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen wäre, trifft.

a) Nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung gehört zur ordnungsgemäßen Organisation einer Anwaltskanzlei die allgemeine Anordnung, bei Prozesshandlungen, deren Vornahme ihrer Art nach mehr als nur einen geringen Aufwand an Zeit und Mühe erfordert, wie dies regelmäßig bei Rechtsmittelbegründungen der Fall ist, außer dem Datum des Fristablaufs noch eine grundsätzlich etwa einwöchige Vorfrist zu notieren (vgl. BGH, Beschlüsse vom 20. November 2018 – XI ZB 31/17, juris Rn. 9; vom 25. September 2003 – V ZB 17/03, FamRZ 2004, 100 unter 1 a [juris Rn. 6]). Die Vorfrist dient dazu sicherzustellen, dass auch für den Fall von Unregelmäßigkeiten und Zwischenfällen noch eine ausreichende Überprüfungs- und Bearbeitungszeit bis zum Ablauf der zu wahrenden Frist verbleibt. Die Eintragung einer Vorfrist bietet eine zusätzliche Fristensicherung. Sie kann die Fristwahrung in der Regel selbst dann gewährleisten, wenn die Eintragung einer Rechtsmittelbegründungsfrist versehentlich unterblieben ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom 20. November 2018 aaO; vom 4. September 2018 – VIII ZB 70/17, NJW-RR 2018, 1325 Rn. 15; jeweils m.w.N.).

b) Danach ist das Berufungsgericht zutreffend der Ansicht gewesen, dass hier ein Organisationsverschulden der Prozessbevollmächtigten des Klägers nicht ausgeschlossen ist. Der Kläger hat innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist nicht vorgetragen, dass die Mitarbeiterin seiner Prozessbevollmächtigten angewiesen war, neben der Berufungsbegründungsfrist auch eine Vorfrist zu notieren.

Rechtsfehlerfrei ist das Berufungsgericht auch davon ausgegangen, dass das schuldhafte Unterlassen einer entsprechenden Anweisung für die Fristversäumung mitursächlich geworden sein kann. Dabei ist als normaler Ablauf der Dinge zugrunde zu legen, dass eine Anweisung zur Eintragung einer Vorfrist von der Kanzleimitarbeiterin ausgeführt worden wäre. Das gilt unabhängig davon, ob auch die Berufungsbegründungsfrist im konkreten Fall eingetragen wurde, denn die Eintragung einer Vorfrist dient gerade in den Fällen, in denen wie hier die Eintragung der Rechtsmittelbegründungsfrist versäumt wurde, der Gewährleistung der Fristwahrung. Die Akte wäre dann der Prozessbevollmächtigten noch rechtzeitig vorgelegt worden, um die Berufungsbegründung fristgerecht einzureichen.

2. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist geklärt, dass der Prozessbevollmächtigte, soweit er Aufgaben der Fristennotierung oder -kontrolle in zulässigem Umfang delegiert, alle zur Fristwahrung erforderlichen Maßnahmen entweder durch allgemeine Vorkehrungen der Büroorganisation oder durch konkrete Einzelanweisungen an seine Mitarbeiter zu gewährleisten hat. Sind die allgemeinen organisatorischen Vorkehrungen oder Anweisungen für eine Fristwahrung unzureichend, scheidet ein der Partei zuzurechnendes Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten nur aus, wenn er seiner bislang zuverlässigen Kanzleikraft eine konkrete Einzelweisung erteilt hat, die bei Befolgung die Fristwahrung gewährleistet hätte (BGH, Beschluss vom 11. März 2020 – XII ZB 446/19, FamRZ 2020, 938 Rn. 13). Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde gilt für die Eintragung einer Vorfrist zur Rechtsmittelbegründungsfrist nichts Anderes. Der Prozessbevollmächtigte hat erst dann ausreichende Vorkehrungen zur Fristwahrung getroffen, wenn er seinen Mitarbeitern durch eine allgemein bestehende Anweisung, eine konkrete Einzelanweisung oder auch eine Verbindung beider Maßnahmen die Notierung einer Vorfrist aufgetragen hat (vgl. BGH, Beschluss vom 4. September 2018 – VIII ZB 70/17, NJW-RR 2018, 1325 Rn. 23 für die Eintragung einer „Wiedervorlagefrist“, die den Zweck einer Vorfrist erfüllt, vgl. aaO Rn. 18).

3. Es verletzt den Kläger auch nicht in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör und effektiven Rechtsschutz, dass das Berufungsgericht seinen erst nach Ablauf der Wiedereinsetzungsfrist erfolgten Vortrag zur Erteilung einer allgemeinen Weisung für die Vorfristeintragung nicht berücksichtigt hat. Nur erkennbar unklare oder ergänzungsbedürftige Angaben, deren Aufklärung nach § 139 ZPO geboten ist, dürfen auch nach Fristablauf erläutert oder vervollständigt werden (vgl. BGH, Beschluss vom 21. März 2019 – V ZB 97/18, NJW-RR 2019, 827 Rn. 15 m.w.N.). Die Anforderungen, die die Rechtsprechung an eine wirksame Organisation des Fristenwesens stellt, sind jedoch bekannt und müssen einem Anwalt auch ohne richterliche Hinweise geläufig sein. Tragen die zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags gemachten Angaben diesen Anforderungen nicht Rechnung, deutet das nicht auf Unklarheiten oder Lücken des Vortrags hin, die aufzuklären oder zu füllen wären, sondern erlaubt den Schluss darauf, dass entsprechende organisatorische Maßnahmen gefehlt haben (Senatsbeschluss vom 22. Mai 2019 – IV ZB 33/18, juris Rn. 11; BGH, Beschluss vom 12. Juni 2018 – II ZB 23/17, NJW 2018, 2895 Rn. 16). Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde gilt dies nach dem oben Gesagten auch für die Notwendigkeit, die erforderliche Eintragung einer Vorfrist entweder durch allgemeine organisatorische Anweisungen oder durch eine konkrete Einzelanweisung zu gewährleisten und dies im Wiedereinsetzungsgesuch entsprechend vorzutragen.

Mayen Prof. Dr. Karczewski Lehmann Dr. Brockmöller Dr. Bußmann

Vorinstanzen:

LG Stralsund, Entscheidung vom 08.04.2019 – 6 O 216/18 –

OLG Rostock, Entscheidung vom 28.02.2020 – 3 U 41/19 –

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