BGH, Urteil vom 05. Mai 1977 – II ZR 213/75 Bindungswirkung eines fehlerhaften Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses und Einwand der unzulässigen Rechtsausübung

April 4, 2019

BGH, Urteil vom 05. Mai 1977 – II ZR 213/75
Bindungswirkung eines fehlerhaften Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses und Einwand der unzulässigen Rechtsausübung
1. Auch dann, wenn einem Pfändungs- und Überweisungsbeschluß kein zur Zwangsvollstreckung geeigneter Titel zugrunde gelegen hat, muß er bis zur Aufhebung durch die zuständige Stelle als rechtsgestaltender hoheitlicher Akt vom Prozeßgericht beachtet werden.
2. Wird im Zusammenwirken mit dem Gesellschafter einer aufgelösten BGB-Gesellschaft versucht, mit Hilfe eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses unter Umgehung der gesellschaftsrechtlichen Auseinandersetzung einen den Gesellschaftern gemeinschaftlich zustehenden Vermögensgegenstand zu erlangen, so ist dies rechtsmißbräuchlich mit der Folge, daß gegenüber der Geltendmachung der Rechte aus dem Pfändungs- und Überweisungsbeschluß der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung erhoben werden kann.
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des 18. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 5. Juni 1975 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Beklagte und W W (Vater des Klägers) vereinbarten am 16. Oktober 1972, zur Durchführung einer Ausstellung zusammenzuarbeiten. In dem Vertrag war unter anderem vorgesehen, daß sämtliche Geschäfte der Ausstellung über ein Konto bei der Dresdner Bank in Siegburg abgewickelt werden sollten und Schecks sowie Überweisungen der Unterschrift beider „Firmeninhaber“ bedürften. Das Konto, über das die Partner nur gemeinsam verfügen konnten, wurde absprachegemäß eingerichtet. Schon vor Beginn der Ausstellung kam es zu Schwierigkeiten zwischen den Vertragsparteien, die auch durch eine Zusatzvereinbarung vom 6. März 1973 nicht nachhaltig behoben wurden.
Der Kläger erwirkte aus abgetretenem Recht seines Vaters am 17. Oktober 1973 einen Zahlungsbefehl über 66.747,42 DM nebst Zinsen, der am 29. Oktober 1973 für vollstreckbar erklärt wurde. Er richtet sich gegen „Fa. S Ausstellungsgesellschaft vertreten durch den Geschäftsführer der S-Ausstellungsgesellschaft Herrn W W“. Der Kläger behauptet, seinem Vater hätten gegen die Gesellschaft Forderungen in Höhe des genannten Betrags zugestanden. Aufgrund des Vollstreckungsbefehls erlangte der Kläger einen Beschluß, durch den der Anspruch der „Fa. S Ausstellungsgesellschaft“ aus dem bei der Dresdner Bank eingerichteten Konto gepfändet und ihm zur Einziehung überwiesen wurde. Die Bank hinterlegte den Gegenwert des Kontos, der unstreitig mindestens 25.000 DM betragen hat, zugunsten beider Parteien beim Amtsgericht Siegburg.
Der Kläger verlangt, daß der Beklagte in die Auszahlung des hinterlegten Betrags an ihn (Kläger) einwilligt. Der Beklagte bestreitet, daß dem Vater des Klägers die im Mahnverfahren gegen die Gesellschaft – die zudem keine oHG sei – geltend gemachte Forderung zugestanden habe. Er (Beklagter) habe dagegen zugunsten der Gesellschaft Waren im Wert von 23.000 DM geliefert und 1.812,80 DM an das Fernmeldeamt gezahlt. Vorsorglich hat er mit den sich daraus ergebenden Ansprüchen aufgerechnet. Der Vater des Klägers habe ihn hintergangen und ihm Schaden zugefügt, der an die 100.000 DM heranreiche. Außerdem habe er mit dem Kläger kollusiv zusammengewirkt, um diesem einen Vollstreckungstitel zu verschaffen.
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben, das Berufungsgericht hat sie abgewiesen. Mit der Revision, deren Zurückweisung der Beklagte beantragt, verfolgt der Kläger seinen Antrag weiter, den Beklagten zur Einwilligung in die Freigabe des hinterlegten Betrags zu verurteilen.
Entscheidungsgründe
I.
1. Das Berufungsgericht geht zutreffend davon aus, daß dem Pfändungs- und Überweisungsbeschluß kein zur Zwangsvollstreckung in das Bankguthaben geeigneter Titel zugrunde gelegen hat. Hierzu wäre nach § 750 ZPO ein gegen den Vater des Klägers und den Beklagten gerichteter Titel erforderlich gewesen. Denn das für sie eingerichtete Gemeinschaftskonto stand ihnen beiden zu. Ob sie daran als Gesellschafter einer BGB-Gesellschaft gesamthänderisch berechtigt waren, kann dahingestellt bleiben. Auch in diesem Fall hätte es eines Titels gegen beide Gesellschafter bedurft (§ 736 ZPO).
2. Solange der gleichwohl erlassene Pfändungs- und Überweisungsbeschluß nicht durch die dafür zuständige Stelle aufgehoben worden ist (etwa im Verfahren nach § 766 ZPO), muß er jedoch als rechtsgestaltender hoheitlicher Akt vom Prozeßgericht beachtet werden (vgl. BGHZ 30, 173, 175 und SenUrt. v. 16. 2. 76 – II ZR 171/74, BGHZ 66, 79, 81). Dies würde nur dann nicht gelten, wenn der Beschluß auf einem so schwerwiegenden Mangel beruhte, daß er als schlechthin unwirksam angesehen werden müßte. Ein derartiger Mangel besteht aber nicht schon darin, daß das Vollstreckungsgericht unter Verletzung von § 750 ZPO den vorhandenen Titel als geeignet angesehen hat, das Kontoguthaben zu pfänden und zu überweisen (vgl. Stein/Jonas/Münzberg, ZPO, 19. Aufl., § 750 I 2).
3. Der Beschluß ist allerdings gegen die „Fa. S Ausstellungsgesellschaft – vertreten durch den Geschäftsführer der S-Ausstellungsgesellschaft Herrn W W“ als Schuldner gerichtet. In der Fassung des Abänderungsbeschlusses vom 5. November 1973 hat er die Forderung „aus dem Girokonto Nr. 2844 357 lautend auf F L (Beklagter) und W W (Vater des Klägers) w/SIWO 73 in Höhe des Gläubigeranspruchs“ zum Gegenstand. Diese mangelnde Übereinstimmung stellt jedoch bei verständiger Auslegung die Identität der gepfändeten und überwiesenen Forderung nicht in Frage (vgl. BGH, Urt. v. 21. 12. 66 – VIII ZR 195/64, LM BGB § 705 Nr. 17 unter 4 a; RGZ 160, 37, 40 f). Wegen der korrekten Angabe der Kontonummer und der zutreffenden namentlichen Bezeichnung der beiden Kontoinhaber war der Pfändungs- und Überweisungsbeschluß, obwohl er die Kontoinhaber bei der Vollstreckungsschuldnerbezeichnung unter ihrer „Firma“ aufführte, auch für die Dresdner Bank – als der Drittschuldnerin und maßgeblichen Adressatin des Beschlusses – mit hinreichender Deutlichkeit dahin zu verstehen, daß die gegen sie bestehende Guthabenforderung des Beklagten und des Vaters des Klägers zugunsten des Klägers gepfändet und diesem überwiesen werden sollte.
II.
Da der Beschluß wirksam ist, hat der Kläger das ausschließliche Recht zur Einziehung der Forderung erlangt, und der Beklagte ist durch die Hinterlegung ungerechtfertigt bereichert. Er kann sich jedoch gegenüber dem Bereicherungsanspruch darauf berufen, daß die Geltendmachung der Rechte aus dem Pfändungs- und Überweisungsbeschluß mit Treu und Glauben nicht vereinbar sei.
1. In der Berufungsbegründung hat er vorgetragen, daß der Kläger den Vollstreckungstitel in kollusivem Zusammenwirken mit seinem Vater erlangt habe (S. 9 f). Der Kläger habe sich die Forderung von seinem Vater nur abtreten lassen, um einen Titel gegen die SIWO erhalten zu können. Ohne Abtretung wäre dies nicht möglich gewesen, weil der Vater des Klägers nicht gegen sich selbst hätte klagen können. Würde der Abtretung ein ordnungsgemäßes Geschäft zugrunde liegen, müßte der Kläger im einzelnen dartun, warum eine Abtretung in dieser Größenordnung an ihn erfolgt sei.
2. Hiermit hat der Beklagte Umstände dargetan, welche die Ausnutzung der durch den Pfändungs- und Überweisungsbeschluß erlangten Rechtsposition des Klägers als mißbräuchlich erscheinen lassen (vgl. zum Einwand der unzulässigen Rechtsausübung gegenüber einem Zuschlagsbeschluß BGHZ 53, 47, 50). Der Kläger hat diesen Vortrag nicht substantiiert bestritten, so daß er nach § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden anzusehen ist.
a) Es fehlt jede nicht auf das persönliche Verhältnis zwischen dem Kläger und seinem Vater zurückzuführende Erklärung dafür, warum dieser ihm überhaupt die Forderung abgetreten und dann den Widerspruch gegen den Zahlungsbefehl wie auch den Einspruch gegen den Vollstreckungsbefehl unterlassen hat, ohne sich hierüber mit dem Beklagten als seinem Mitgesellschafter zu verständigen. Insbesondere hat der Kläger in seiner Berufungserwiderung (S. 3) nicht einmal den Versuch unternommen, im Hinblick auf den substantiierten Vortrag des Beklagten etwa eine ihm (Kläger) gegen seinen Vater zustehende Forderung als Grundlage für die Abtretung aufzuzeigen.
b) Ebensowenig hat er schlüssig dargetan, daß er durch die Abtretung einen Anspruch erworben hat; dem Mahnverfahren fehlte es somit an einer materiellrechtlichen Grundlage. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hat der Vater des Klägers diesem mit der Erklärung vom 1. Oktober 1973 sogenannte „Leistungsforderungen“ abgetreten, also Forderungen, die im einzelnen aus Leistungen und Lieferungen zugunsten der Gesellschaft entstanden sein sollen. Nach der Auflösung der Gesellschaft hätten ihm jedoch solche Forderungen nicht mehr zugestanden. Diese Würdigung läßt keinen Rechtsfehler erkennen. Nach dem Vertrag vom 16. Oktober 1972 sollte „in S gemeinsam vom 5. bis 15. April 1973 eine Ausstellung“ durchgeführt werden. Da Grundlagen für eine weitere Zusammenarbeit zwischen den Vertragsparteien aus dem Prozeßstoff nicht ersichtlich sind, ist davon auszugehen, daß das Gesellschaftsverhältnis mit dem Ablauf dieser Veranstaltung seinen Zweck erreicht hatte und nur noch abzuwickeln war. In diesem Stadium konnten die Gesellschafter aber ihre Ansprüche – soweit sie überhaupt bestanden haben – nur noch als unselbständige Rechnungsposten in die Auseinandersetzungsrechnung einsetzen und nicht mehr selbständig geltend machen (BGHZ 37, 299, 304 und die weiteren Senatsurteile v. 24. 5. 71 – II ZR 184/68, WM 1971, 931 sowie v. 3. 5. 76 – II ZR 92/75, WM 1976, 789 unter I). Anders ist es nur, wenn bereits mit Sicherheit feststeht, daß der eine Gesellschafter jedenfalls einen bestimmten Betrag verlangen kann. Einen solchen Schluß lassen aber die in diesen Prozeß eingeführten Zahlenangaben nicht zu. Sie erlauben auch nicht eine wenigstens vorläufige Auseinandersetzungsrechnung, zumal es an einer Darstellung der aus dem Betrieb der Ausstellung erzielten Einnahmen ganz fehlt (vgl. SenUrt. v. 3. 5. 76 aaO unter II 2 a). Was die Abrechnung ergeben wird, ist mithin völlig offen. Die Revision kann sich demgegenüber auch nicht darauf berufen, daß der Beklagte einen Teilanspruch von 20.000 DM anerkannt habe. Er hat auf S. 13 der Berufungsbegründung vorgetragen, daß „der größte Posten der Hauptforderung, nämlich die Rechnung über die Zurverfügungstellung eines Zeltes nebst Zubehör allenfalls in Höhe eines Betrages begründet gewesen (sei), der vielleicht in einer Größenordnung von 20.000 DM liegt“. Diese Stellungnahme kann für den Ansatz im Rahmen der Endabrechnung zwischen den Gesellschaftern von Belang sein, ändert aber nichts daran, daß es auch hier um einen unselbständigen Rechnungsposten und nicht um eine Forderung des Vaters des Klägers geht.
Diese gesamten Umstände können nur so gewürdigt werden, daß der Kläger in Zusammenwirken mit seinem Vater darauf abgezielt hat, unter Umgehung der Auseinandersetzung zwischen den Gesellschaftern an ein diesen gemeinsam zustehendes Vermögensstück zu gelangen. Ein derartiges Vorgehen ist rechtsmißbräuchlich, und der Beklagte braucht es gegen sich nicht gelten zu lassen. Er ist daher so zu behandeln, als wenn der Kläger kein Recht auf Einziehung des Bankguthabens erlangt hat. Darauf, ob sich der Kläger einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung des Beklagten schuldig gemacht hat (§ 826 BGB), kommt es demgegenüber nicht mehr an.
Stimpel
Dr. Schulze
Fleck
Dr. Bauer
Dr. Skibbe

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