BGH, Urteil vom 27. Februar 1980 – IV ZR 125/78

September 26, 2020

BGH, Urteil vom 27. Februar 1980 – IV ZR 125/78

Verjährung von Unterhaltsansprüchen nichtehelicher Kinder

Tatbestand

Mit ihrer am 5. März 1975 erhobenen Klage hat die am 21. Februar 1967 nichtehelich geborene Klägerin den Beklagten auf Feststellung der Vaterschaft und Unterhaltszahlung ab ihrer Geburt in Anspruch genommen. Das Amtsgericht hat die Vaterschaft des Beklagten festgestellt und ihn bis zum 30. Juni 1970 zur Zahlung einer bezifferten Rente sowie für die Zeit vom 1. Januar 1974 bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres zur Zahlung des Regelunterhalts verurteilt. Für die Zeit vom 1. Juli 1970 bis 31. Dezember 1973 hat es den Anspruch auf Regelunterhalt zwar für begründet erklärt, die insoweit fällig gewordenen Beträge dem Beklagten jedoch erlassen. Das Berufungsgericht hat das Verfahren über den Unterhaltsanspruch für die Zeit bis zum 30. Juni 1970 abgetrennt. Auf die Berufung der Klägerin hat es den Beklagten vom 1. Januar 1971 an zur Zahlung des Regelunterhalts verurteilt. Hinsichtlich des Anspruchs für die Zeit vom 1. Juli bis 31. Dezember 1970 hat es die Klage wegen Verjährung abgewiesen. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit der (zugelassenen) Revision, mit der sie die Verurteilung des Beklagten zur Zahlung des Regelunterhalts auch für diesen Zeitraum erstrebt.

Entscheidungsgründe

Die Revision hat Erfolg.

Das Oberlandesgericht hat die Verjährungseinrede des Beklagten gegen den Anspruch auf Zahlung des Regelunterhalts für die Zeit vom 1. Juli bis 31. Dezember 1970 für gerechtfertigt erachtet und eine Hemmung der Verjährung nach § 204 Satz 2 BGB verneint, weil die Vorschrift auf Ansprüche zwischen dem nichtehelichen Kind und seinem Vater nicht anwendbar sei. Dem kann nicht gefolgt werden.

Daß § 204 BGB auf Ansprüche nichtehelicher Kinder nicht angewendet werden könne, folgert das Berufungsgericht aus dem Zweck der Vorschrift, der insoweit darauf gerichtet sei, den Frieden der engeren Familie von Beeinträchtigungen fernzuhalten, die durch etwaige, zum Zwecke der Unterbrechung drohender Verjährung notwendige Rechtsstreitigkeiten verursacht würden. Derartige enge familiäre Beziehungen, auf die das Wort „Eltern“ in § 204 BGB hinweise, seien aber zwischen dem nichtehelichen Kinde und seinem Vater nicht gegeben. Mit Rücksicht darauf seien auch die Unterhaltsansprüche der nichtehelichen Kinder in §§ 1615a ff BGB abweichend von denen der ehelichen Kinder geregelt.

Diesen Standpunkt vermag der Senat nicht zu teilen. Er wird auch, jedenfalls in dieser Ausschließlichkeit, sonst nirgends vertreten. Das vom Berufungsgericht insoweit angeführte Landgericht Essen hat die Unanwendbarkeit der Vorschrift ausdrücklich auf die Unterhaltsansprüche nichtehelicher Kinder aus der Zeit vor dem 1. Juli 1970 beschränkt und diese Ansicht mit dem rein schuldrechtlichen Charakter der nach dem früheren Recht entstandenen Unterhaltsansprüche begründet. Hinsichtlich der Ansprüche aus der Zeit nach dem Inkrafttreten des Gesetzes über die rechtliche Stellung der nichtehelichen Kinder (NEhelG) hat es die Anwendbarkeit des § 204 dagegen bejaht (vgl FamRZ 1972, 387). Ebensowenig läßt sich die Kommentierung von Erman/Hefermehl (BGB 6. Aufl Bd I § 204 RdNr 3) als Beleg für die Auffassung des Berufungsgerichts heranziehen. Daß dort die Frage der Anwendung der Vorschrift auf Ansprüche nichtehelicher Kinder nicht erörtert wird, rechtfertigt nicht den Schluß, daß damit eine derartige Anwendung für ausgeschlossen erachtet werde.

Es trifft zu, daß § 204 BGB darauf angelegt und geeignet ist, den Familienfrieden und die Beziehungen zwischen Eltern und Kindern vor Beeinträchtigungen zu bewahren, die von allein zur Verjährungsunterbrechung geführten Rechtsstreitigkeiten ausgehen könnten. Das Gesetz stellt jedoch nicht darauf ab, ob die Verhältnisse der Beteiligten im Einzelfall von entsprechenden Zusammengehörigkeitsgefühlen und persönlichen Bindungen geprägt sind und durch die gerichtliche Geltendmachung der Ansprüche tatsächlich gestört würden. Vielmehr gelangt die Vorschrift auch zur Anwendung, wenn die Beziehungen zwischen den Beteiligten zerrüttet und bereits zum Gegenstand gerichtlicher Auseinandersetzungen geworden sind, wie es gerade in Fällen, in denen es um die Realisierung längere Zeit nicht erfüllter Unterhaltsansprüche bedürftiger Personen gegenüber ihren Ehegatten oder Eltern geht, häufig vorkommt. Schon aus diesem Grunde bestehen Bedenken, bei der Ausgangsfrage entscheidend auf die Intensität der Beziehungen abzustellen und deswegen die Unterhaltsansprüche nichtehelicher Kinder von vornherein von der Anwendung des § 204 Satz 2 BGB auszuschließen.

Das NEhelG hat das rechtliche Vater-Kind-Verhältnis, das vor dem 1. Juli 1970 nur die Beziehungen ehelicher Kinder zu ihrem Vater erfaßte, durch die Aufhebung des § 1589 Abs 2 BGB aF auf die Beziehungen nichtehelicher Kinder zu ihrem Vater erstreckt. Zugleich hat es – etwa durch die Gewährung der Möglichkeit eines persönlichen Verkehrs zwischen Vater und Kind (§ 1711 BGB), der Anhörung des Vaters vor Entscheidungen über die Sorge für die Person oder das Vermögen des Kindes (§ 1712, vgl auch § 1747 Abs 2 BGB) oder auch die Erleichterung der Möglichkeit der Ehelicherklärung (§§ 1723, 1727 BGB) – Regelungen geschaffen, die diese Beziehungen zwischen Vater und Kind in persönlicher Hinsicht zu stärken und zu fördern bestimmt sind. Der darin zum Ausdruck kommenden Intention liefe es zuwider, wenn diesem Vater-Kind-Verhältnis der Schutz des § 204 Satz 2 BGB vorenthalten und die etwa entstandenen persönlichen Bindungen der Gefahr ausgesetzt würden, durch gerichtliche Maßnahmen zur Unterbrechung der Verjährung beeinträchtigt zu werden.

Was insbesondere die Frage der Verjährung von Unterhaltsansprüchen betrifft, so kommt hinzu, daß der Vater eines nichtehelichen Kindes in gleicher Weise wie ein ehelicher Vater als sittlich verpflichtet angesehen werden muß, seinem minderjährigen Kinde ohne besondere Aufforderung und gerichtliche Maßnahmen den Unterhalt zu leisten. Vor allem von dieser Erwägung hat sich der Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages bei seinem in Übereinstimmung mit dem Bundesrat gemachten Vorschlag leiten lassen, die in Art 1 Nr 2 des Regierungsentwurfs zum NEhelG vorgesehene Regelung zu streichen, wonach die Ansprüche zwischen nichtehelichen Kindern und ihren Vätern von der Verjährungshemmung des § 204 BGB ausgenommen sein sollten (vgl BT-Drucks V/2370 S 2 sowie schriftlicher Bericht des Rechtsausschusses BT-Drucks V/4179 S 2 f und zu Drucks V/4179 S 2). Daß diese Regelung des Entwurfs nicht Gesetz geworden ist, zeigt, daß sich der Vorschlag des Rechtsausschusses, § 204 BGB auf nichteheliche Kinder auszudehnen und deren Väter im Hinblick auf die Verletzung ihrer Unterhaltsverpflichtung nicht günstiger zu stellen als die ehelichen, durchgesetzt hat. Damit lassen sich, entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts, auch aus der Tatsache, daß das NEhelG das Eltern-Kind-Verhältnis auf die Beziehungen nichtehelicher Kinder zu ihrem Vater erstreckt, aber die Regelung des § 204 BGB unverändert gelassen hat, Schlüsse auf die Intention des Gesetzes ziehen, die fragliche Vorschrift auf die Ansprüche nichtehelicher Kinder ausgedehnt zu sehen.

Daß die Nichtanwendung des § 204 BGB, wie der Beklagte in seiner Revisionserwiderung ausführt, zum Ausgleich der dem nichtehelichen Vater durch § 1615d BGB zugefügten Benachteiligung geboten sei, trifft nicht zu. Die Einschränkung, die der Grundsatz des § 1613 BGB im Falle des Unterhalts nichtehelicher Kinder durch § 1615d BGB erfährt, steht allein in Zusammenhang mit der Regelung des § 1600a Satz 2 BGB, wonach einerseits vor Anerkennung oder rechtskräftiger Feststellung der Vaterschaft weder Verzug noch Rechtshängigkeit des Unterhaltsanspruchs herbeigeführt werden können, andererseits aber dieses Hindernis für die Geltendmachung des Anspruchs gegen den Vater mit dem Eintritt der genannten Ereignisse rückwirkend entfällt (vgl MünchKomm/Köhler, RdNr 1; Odersky, NEhelG 4. Aufl Anm I, jeweils zu § 1615d). Von dieser Einschränkung abgesehen gilt § 1613 BGB für den Unterhalt ehelicher wie nichtehelicher Kinder gleichermaßen (vgl MünchKomm, aaO; Odersky, aaO § 1613 Anm I 3).

Damit erscheint es gerechtfertigt, § 204 Satz 2 BGB in Übereinstimmung mit der übrigen Rechtsprechung und dem Schrifttum auch auf das Verhältnis des nichtehelichen Kindes zu seinem Vater anzuwenden und die Verjährung der zwischen ihnen bestehenden Ansprüche während der Minderjährigkeit des Kindes als gehemmt anzusehen (vgl Gernhuber, Familienrecht, 3. Aufl § 59 V 1, S 930; MünchKomm/v Feldmann, § 204 RdNr 7; MünchKomm/Köhler, § 1615d RdNr, 3; Niclas, ZBlJugR 1970, 226f; Odersky, aaO § 1589 Anm III 1; Palandt/Heinrichs, BGB 39. Aufl § 204 Anm 2; Palandt/Diederichsen, aaO § 1615d Anm 2; RGRK/Johannsen, 12. Aufl § 204 RdNr 5; Staudinger/Dilcher, BGB 12. Aufl § 204 RdNr 6, jeweils mwN der umfangreichen amtsgerichtlichen und landgerichtlichen Rechtsprechung).

Unter diesen Umständen ist davon auszugehen, daß die Verjährung der bis 31. Dezember 1970 fällig gewordenen Unterhaltsansprüche der minderjährigen Klägerin gehemmt war und bis zur Klageerhebung nicht eingetreten ist.Ob sich eben diese auf § 204 BGB beruhende Rechtsfolge darüber hinaus auch aus § 202 Abs 1 BGB ergeben würde, weil das in § 1600a Satz 2 BGB verankerte Hindernis für die Geltendmachung des Unterhaltsanspruchs dem Unterhaltsschuldner – wie es vertreten wird – bis zur Feststellung der Vaterschaft durch Anerkennung oder – wie hier – durch gerichtliche Entscheidung ein Leistungsverweigerungsrecht gewähre und damit als Verjährungshemmung nach § 202 Satz 1 BGB wirke (vgl MünchKomm/Köhler, aaO; Odersky, aaO § 1600a Anm VI 5 und § 1615b Anm II 5), braucht danach nicht geprüft zu werden.

Der Beklagte hat in seiner Revisionserwiderung geltend gemacht, das Berufungsurteil erweise sich im Ergebnis jedenfalls deshalb als zutreffend, weil die Klägerin hinsichtlich der geltend gemachten Ansprüche nicht sachbefugt sei. Sie seien vielmehr auf ihre Mutter übergegangen, in deren Haushalt sie lebe und von der sie unterhalten werde. Soweit das Berufungsgericht diese Tatsachen, die sich aus der Gerichtsakte ergäben, unberücksichtigt gelassen habe, rüge er die Verletzung des § 286 ZPO. Das Vorbringen vermag die Aufhebung des Berufungsurteils sowie die Entscheidung des Senats in der Sache nicht zu hindern.

Zwar ist dem Revisionsbeklagten, dem mangels Beschwer Revisionsrügen nach § 554 Abs 3 Nr 3b ZPO verwehrt sind, die Möglichkeit gegeben, Feststellungen des Berufungsgerichts, die seinem Vortrag in den Tatsacheninstanzen zuwiderlaufen, für den Fall zu bemängeln, daß das Revisionsgericht die Entscheidung des Berufungsgerichts mit der von diesem gegebenen Begründung für unrichtig hält (BGH MDR 1976, 138; BGH LM ZPO § 561 Nr 12); im vorliegenden Fall hat der Beklagte jedoch in den voraufgegangenen Rechtszügen zu keinem Zeitpunkt vorgetragen, daß die Unterhaltsansprüche durch Unterhaltsgewährung von seiten der Mutter auf diese übergegangen seien (§ 1615b BGB). Ein dahingehender Vortrag war auch nicht Gegenstand des Vorbringens der Klägerin. Selbst wenn diesem Vorbringen zu entnehmen sein sollte, daß die Klägerin in der fraglichen Zeit im Haushalt der Mutter gelebt hat, so ergaben sich daraus jedoch noch nicht die tatsächlichen Voraussetzungen für einen Übergang des Unterhaltsanspruchs nach § 1615b BGB. Vielmehr war es auch während der Aufnahme der Klägerin in den Haushalt ihrer Mutter möglich, wenn nicht gar naheliegend, daß dem Kind von seiten der Sozialhilfe Unterhalt geleistet wurde. Eine derartige Unterhaltsgewährung hatte jedoch nur im Falle ausdrücklicher, nicht stets zulässiger Überleitung den Übergang der Unterhaltsforderung zur Folge (§§ 90, 91 BSHG). Damit ergibt sich, daß die Revisionserwiderung neuen Tatsachenvortrag enthält, mit dem der Beklagte im Revisionsrechtszug nicht gehört werden kann.

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