BGH, Urteil vom 28. November 1995 – XI ZR 37/95 Abweichende Bewertung der erstinstanzlichen Zeugenaussage durch das Berufungsgericht ohne erneute Vernehmung, hier: zum Scheincharakter eines Darlehensvertrags

April 14, 2019

BGH, Urteil vom 28. November 1995 – XI ZR 37/95
Abweichende Bewertung der erstinstanzlichen Zeugenaussage durch das Berufungsgericht ohne erneute Vernehmung, hier: zum Scheincharakter eines Darlehensvertrags
Hat das erstinstanzliche Gericht aufgrund von Zeugenaussagen über den Verlauf der Vertragsverhandlungen festgestellt, eine schriftliche Vertragserklärung sei im Einverständnis des Vertragspartners nur zum Schein abgegeben worden, so darf das Berufungsgericht nicht ohne erneute Zeugenvernehmung zu dem Ergebnis kommen, die Erklärung sei ernstlich gewollt worden, die begleitenden Umstände und Äußerungen, von denen das erstinstanzliche Gericht ausgegangen war, seien anders zu bewerten.

Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 11. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 11. Januar 1995 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin ist eine Kreditbank. Einer ihrer Kunden, der Zeuge M., war Eigentümer eines Gewerbegrundstücks und zugleich Inhaber des daran bestellten Erbbaurechts. Für die Klägerin war im Grundbuch eine nachrangige Grundschuld über 1.000.000 DM eingetragen, die 1987 noch eine Forderung von 149.580 DM sicherte. Aus einer erstrangigen Grundschuld über 2.000.000 DM betrieb damals die B. Landesbank (B.) die Zwangsverwaltung und -versteigerung des Erbbaurechts und vollstreckte außerdem in das Eigentum. Um zu verhindern, daß die B. das Erbbaurecht in der Versteigerung erwarb, schlug M. der Klägerin eine Ablösung der erstrangigen Grundschuld vor und bat sie um einen Kredit dafür. Die Klägerin lehnte eine Kreditbewilligung an M. wegen dessen sonstiger Verschuldung ab. M. und sein Rechtsanwalt, der Zeuge Dr. Ba., baten daraufhin den – seit seiner Jugend mit Dr. Ba. bekannten – Beklagten, bei der Ablösung mitzuwirken. Der Beklagte ist Diplom-Kaufmann und Angehöriger eines Steuerberatungsbüros. Am 4. November 1987 fand bei der Klägerin eine Besprechung statt, an der M., Dr. Ba., der Beklagte und der damalige Vorstand der Klägerin S. teilnahmen. Der Beklagte unterschrieb am 4. November 1987 einen Vertrag, in dem die Klägerin ihm die nachrangige Grundschuld für 50.000 DM verkaufte, und am 9. November 1987 einen Darlehensvertrag mit der Klägerin über 2.250.000 DM, für die – neben einmaligen Kosten und Gebühren von insgesamt 95.200 DM – Zinsen von 13% jährlich zu zahlen waren. Die weiteren Ergebnisse der Besprechung vom 4. November 1987 faßte Dr. Ba. in einem an die Klägerin gerichteten Bestätigungsschreiben vom 9. November 1987 zusammen. Danach behielt die Klägerin von der Darlehenssumme 50.000 DM als Kaufpreis für die nachrangige Grundschuld ein; 2.200.000 DM zahlte sie vereinbarungsgemäß an Dr. Ba. als Treuhänder aus. Dieses Geld wurde im wesentlichen zur Ablösung der Grundschuld der B. verwendet; einen Restbetrag von 170.000 DM erhielt M. als „Provision für Finanzierungsvermittlung“. Ihm gegenüber berechnete und quittierte der Beklagte als „Honorar für meine Tätigkeit als Treuhänder“ 5.000 DM zuzüglich 14% Umsatzsteuer. Die – in dem Schreiben vom 9. November 1987 bestätigten – weiteren Vereinbarungen sahen vor, daß die erstrangige Grundschuld nach der Ablösung von Dr. Ba. treuhänderisch gehalten, außerhalb des Grundbuchs an die Klägerin abgetreten werden und der Besicherung des gewährten Darlehens dienen sollte. Das Zwangsversteigerungsverfahren sollte aufgehoben, die Zwangsverwaltung dagegen weitergeführt werden; die Erlöse daraus sollten an den Treuhänder Dr. Ba. fließen und so die Bedienung des von der Klägerin gewährten Kredits gewährleisten. Für den Fall, daß sich die Ablösung nicht realisieren ließe, sahen die am 4. November 1987 getroffenen Vereinbarungen vor, daß Dr. Ba. die ihm treuhänderisch überlassenen Finanzierungsmittel an die Klägerin zurückgeben sollte.
Nach der Ablösungszahlung stellte sich heraus, daß die B. die Grundschuldzinsen bereits vorher an eine Tochtergesellschaft abgetreten hatte und daß deshalb die Einnahmen aus der Zwangsverwaltung nicht der Klägerin zufließen konnten. Nach längerem Streit über die Wirksamkeit der Abtretung übernahm die B. schließlich wieder die Grundschuld, und zwar gegen Zahlung von insgesamt 2.175.000 DM. Das Geld wurde der Klägerin zugeleitet und von ihr mit dem Darlehen verrechnet. Die Klägerin verlangt vom Beklagten als Darlehensnehmer die Zahlung eines Restbetrags von 558.993,23 DM nebst Zinsen.
Das Landgericht hat die Klage nach Vernehmung der Zeugen M. und Dr. Ba. abgewiesen; der Bankkaufmann S. hat das Zeugnis gemäß § 384 Nr. 2 ZPO mit Rücksicht auf ein damals gegen ihn anhängiges Strafverfahren verweigert. Die Berufung der Klägerin ist vom Oberlandesgericht ohne eigene Beweisaufnahme zurückgewiesen worden. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihren Klageanspruch weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I.
Das Berufungsgericht hat zur Begründung der Klageabweisung ausgeführt:
Zwar bestünden Bedenken gegen die Annahme des Landgerichts, der Darlehensvertrag sei als Scheingeschäft gemäß § 117 Abs. 1 BGB schlechthin nichtig. Auch nach der eigenen Darstellung des Beklagten habe zumindest ein Teil der vereinbarten Maßnahmen, insbesondere auch die Auszahlung der Darlehenssumme, ernsthaft verwirklicht werden sollen. Als Darlehensnehmer komme, da unstreitig Dr. Ba. nur Treuhänder gewesen sei und die Klägerin eine Kreditbewilligung an M. ausdrücklich abgelehnt habe, nur der Beklagte in Betracht. Auch wenn dieser ohne eigenes wirtschaftliches Interesse nur M. habe behilflich sein wollen, könne er als Strohmann im eigenen Namen, aber für Rechnung von M. gehandelt haben. Selbst wenn der Vertreter der Klägerin erklärt habe, der Beklagte werde aus dem Darlehen nicht in Anspruch genommen werden, sprächen überwiegende Gründe – insbesondere die Einlassung S.’s im Ermittlungsverfahren – für die Auslegung, daß es sich dabei nicht um einen vertraglichen Haftungsausschluß, sondern nur um die tatsächliche Einschätzung des weiteren Verlaufs gehandelt habe, weil alle Beteiligten angenommen hätten, die Mieteinnahmen würden die an die Klägerin zu entrichtenden Darlehensraten abdecken und eine persönliche Inanspruchnahme des Beklagten überflüssig machen.
Die Klägerin könne den Beklagten aus dem Darlehen nicht in Anspruch nehmen, weil ihr Vertreter S. beim Beklagten das Vertrauen geschaffen bzw. bestärkt habe, seine persönliche Haftung komme nicht in Betracht. Daraus hätten sich Aufklärungs- und Warnpflichten der Klägerin ergeben. Zwar könne ihr nicht vorgeworfen werden, daß sie von der Abtretung der Grundschuldzinsen nichts gewußt habe. Da sie sich aber der Mithilfe des Beklagten bedient habe, um für das außerordentlich hoch verzinsliche Darlehen ein erstrangiges Grundpfandrecht als Sicherheit zu erlangen, sei sie verpflichtet gewesen, den Beklagten darauf hinzuweisen, daß Risiken nicht auszuschließen seien; fraglos hätte der Beklagte darauf gehört.
II.
Mit dieser Begründung läßt sich die Klageabweisung nicht rechtfertigen.
1. Verfahrensrechtlich rügt die Revision eine Verletzung der §§ 139, 278, 286 ZPO; sie macht geltend, das Berufungsgericht habe ohne hinreichenden Tatsachenvortrag der Parteien eine vorvertragliche Aufklärungs- und Warnpflichtverletzung der Bank bejaht und der Klägerin nicht genügend Gelegenheit gegeben, die Pflichtverletzung und deren Kausalität zu bestreiten und sich zum Beweis auf den Zeugen S. zu berufen, dem in der Berufungsinstanz kein Zeugnisverweigerungsrecht nach § 384 Nr. 2 ZPO mehr zugestanden habe.
Ob diese Verfahrensrügen begründet sind, braucht der Senat nicht zu entscheiden. Das Berufungsurteil kann jedenfalls aus materiellen Gründen keinen Bestand haben:
2. Geht man – wie das Berufungsgericht – davon aus, es habe sich bei dem von den Parteien unterschriebenen Darlehensvertrag nicht nur um ein Scheingeschäft gehandelt, der Beklagte habe sich vielmehr ernsthaft zur Rückzahlung und Verzinsung der Darlehenssumme von 2.250.000 DM verpflichten wollen, so war die Klägerin nicht gehalten, ihn über Risiken dieses Geschäfts aufzuklären und vor dem Vertragsschluß zu warnen. Eine solche Verpflichtung besteht für eine kreditgebende Bank nach der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats nur in eng umgrenzten Ausnahmefällen (vgl. Senatsurteil vom 31. März 1992 – XI ZR 70/91 = WM 1992, 901; weitere Nachweise bei: Nobbe, Neue höchstrichterliche Rechtsprechung zum Bankrecht 6. Aufl. Rdn. 59 f.). Auch wenn man berücksichtigt, daß der Beklagte das Darlehen nicht aufnahm, um – wie die Mehrheit der Kreditnehmer in den bisher entschiedenen Fällen – durch die Beteiligung an Bauherren- oder Erwerbermodellen Steuern zu sparen, sondern aus Gefälligkeit gegenüber anderen, so ist eine Aufklärungs- und Warnpflicht der Klägerin hier doch schon aus folgenden Gründen zu verneinen:
a) Unstreitig wäre es zur persönlichen Inanspruchnahme des Beklagten nicht gekommen, wenn die Klägerin sich – wie geplant – aus den Einnahmen der Zwangsverwaltung hätte befriedigen können. Das scheiterte allein daran, daß die B. vor der Ablösung ihrer Grundschuld den Zinsanspruch bereits an eine Tochterfirma abgetreten hatte. Das Risiko, das sich verwirklicht hat, war unstreitig der Klägerin selbst nicht bekannt. Auch das Berufungsgericht lehnt es ausdrücklich ab, der Klägerin daraus einen Vorwurf zu machen.
b) Das Berufungsgericht meint lediglich, die Klägerin sei verpflichtet gewesen, dem Beklagten den allgemeinen Hinweis zu geben, Risiken seien nicht auszuschließen. Eine solche Verpflichtung bestand nicht. Die Klägerin konnte davon ausgehen, daß der Beklagte als Diplom-Kaufmann und Angehöriger eines Steuerberatungsbüros eines so allgemeinen Hinweises nicht bedurfte. Auf jeden Fall kann das Unterlassen eines solchen Hinweises nicht zu einer Haftung der Klägerin für sämtliche denkbaren Risiken führen, gleichgültig, ob sie ihr selbst bekannt waren oder nicht.
III.
Zu einer abschließenden Entscheidung ist der Senat nicht in der Lage. Die Sache mußte vielmehr aufgrund der Gegenrügen des Revisionsbeklagten (zur Zulässigkeit vgl. BGHZ 37, 79, 83; BGH, Urteil vom 14. Juli 1953 – IV ZR 54/53 = LM § 1750 BGB Nr. 2, Leitsatz zu b; BFH NJW 1971, 168) zur weiteren Aufklärung an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden.
Mit Erfolg wendet sich der Beklagte dagegen, daß das Berufungsgericht angenommen hat, es könne die Voraussetzungen des § 117 BGB, die das Landgericht aufgrund seiner Beweisaufnahme bejaht hatte, ohne erneute Zeugenvernehmung, schon aufgrund der eigenen Darstellung des Beklagten verneinen.
1. Die Anwendung des § 117 BGB scheitert nicht bereits daran, daß der schriftliche Darlehensvertrag von zwei Vertretern der Klägerin unterzeichnet wurde, während die mündliche Simulationsabrede nach dem eigenen Vortrag des Beklagten nur mit S. allein getroffen worden sein soll. Bei Gesamtvertretung einer Vertragspartei genügt es für das Einverständnis im Sinne des § 117 Abs. 1 BGB, wenn lediglich ein Vertreter wußte, daß der Vertragspartner seine Erklärung nur zum Schein abgeben wollte (RGZ 134, 33, 37; zust. Palandt/Heinrichs 54. Aufl. § 117 BGB Rdn. 3; OLG Celle NJW 1965, 400 betrifft keinen Fall der Gesamtvertretung, sondern eine Mehrheit von Erklärungsgegnern).
2. Der Beklagte rügt mit Recht, das Berufungsgericht habe es nicht als unstreitig ansehen dürfen, daß nach dem gemeinsamen Plan der an der Unterredung vom 4. November 1987 Beteiligten mit der Auszahlung der 2.250.000 DM eine Darlehensverbindlichkeit begründet werden sollte. Der Beklagte hat das stets bestritten und geltend gemacht, der damals von ihm unterschriebene Darlehensvertrag sei ein Scheingeschäft gewesen. Ernsthaft gewollt war nach seiner Darstellung lediglich folgendes: Der Beklagte sollte – im eigenen Namen, aber nicht im eigenen Interesse, sondern aus Gefälligkeit gegenüber den übrigen Beteiligten der Unterredung am 4. November 1987 – die erstrangige Grundschuld der B. ablösen; das dafür benötigte Geld wollte die Klägerin an den Treuhänder Dr. Ba. auszahlen; nach der Ablösung sollte die Grundschuld an die Klägerin abgetreten werden; ihr sollten auch alle in der Zwangsverwaltung erzielten Mieteinnahmen über den Treuhänder Dr. Ba. zufließen, damit sie auf diese Weise eine Verzinsung des für die Ablösung eingesetzten Geldes in der im Darlehensvertrag vorgesehenen, weit über dem Marktniveau liegenden Höhe erhielt; falls die Ablösung sich nicht realisieren ließ, sollte Dr. Ba. der Klägerin die ihm treuhänderisch überlassenen Finanzierungsmittel zurückgeben. Nicht ernsthaft gewollt waren dagegen ein Darlehensanspruch der Klägerin gegen den Beklagten und die Abrede, die Abtretung der Grundschuld an die Klägerin solle nur der Sicherung dieses Anspruchs dienen.
3. Für den Scheincharakter der Darlehensvereinbarungen sprechen nach Auffassung des Beklagten die Erklärungen S.’s, ihm – dem Beklagten – könne nichts passieren, er werde aus dem Kredit nicht in Anspruch genommen werden. Dem Berufungsgericht ist zuzugeben, daß derartige Äußerungen nicht eindeutig sind. Sie können Ausdruck des Einverständnisses damit sein, daß der Beklagte sich mit seiner Unterschrift unter dem Darlehensvertrag nicht ernsthaft persönlich zur Darlehensrückzahlung und -verzinsung verpflichten wollte; das liegt nach der Interessenlage durchaus nicht fern. Dem Wortlaut nach ist es aber auch nicht ausgeschlossen, daß die Äußerungen S.’s nur als seine – sich nachträglich als falsch erweisende – Einschätzung der tatsächlich zu erwartenden Vertragsabwicklung zu verstehen waren.
Die Entscheidung darüber, welche Auslegung dem damaligen Parteiwillen entspricht, ist überwiegend Tatfrage und insoweit der Nachprüfung in der Revisionsinstanz grundsätzlich entzogen (BGH, Urteil vom 22. Oktober 1981 – III ZR 149/80 = WM 1981, 1332, 1333; st.Rspr.). Hat jedoch das erstinstanzliche Gericht über die streitigen Äußerungen und die Umstände, unter denen sie gefallen sind, Zeugen vernommen und ist es aufgrund einer Würdigung der Aussagen zu dem Ergebnis gekommen, eine persönliche Haftung des Beklagten sei von den Parteien nicht ernsthaft gewollt worden, so kann das Berufungsgericht diese Auslegung nicht verwerfen und zum gegenteiligen Ergebnis kommen, ohne vorher die Zeugen gemäß § 398 Abs. 1 ZPO selbst erneut vernommen zu haben (vgl. Senatsurteil vom 29. Januar 1991 – XI ZR 76/90 = WM 1991, 963, 964; BGH, Urteil vom 30. September 1992 – VIII ZR 196/91 = WM 1992, 2104, 2107).
Dem Berufungsgericht wird daher durch die Zurückverweisung Gelegenheit gegeben, die Zeugen M. und Dr. Ba. erneut zu vernehmen. Falls eine Partei auch eine Vernehmung des Zeugen S. beantragt, muß das Berufungsgericht prüfen, ob diesem noch das Zeugnisverweigerungsrecht nach § 384 Nr. 2 ZPO zusteht, auf das er sich vor dem Landgericht berufen hatte.

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