Brandenburgisches OLG, Beschluss vom 21.09.2020 – 1 W 25/20

März 10, 2021

Brandenburgisches OLG, Beschluss vom 21.09.2020 – 1 W 25/20

Tenor

1. Die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Amtsgerichts Bad Liebenwerda vom 14. Juli 2020, Az. 71 VI 218/16 (2), wird zurückgewiesen.

2. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Gründe

I.

Der Antragsteller beantragte bei dem Amtsgericht Bad Liebenwerda am 3. August 2016 erstmals einen Erbschein nach seinem Vater, dem Erblasser F… H… W… W…, der ihn als alleinigen gesetzlichen Erben ausweist. Seinen Antrag nahm er am 20. September 2016 zurück, nachdem ein Testament des Erblassers bekannt geworden war.

Unter dem 5. Juni 2018 beantragte der Antragsteller, vertreten durch den Rechtsanwalt und Notar H…-W… T…, erneut einen Erbschein nach dem Erblasser, der ihn als Alleinerbe ausweist.

Die zuständige Nachlassrichterin wies den Antragsteller mit Verfügung vom 26. November 2018 darauf hin, dass die Zurückweisung des Erbscheinantrags beabsichtigt sei. Zur Begründung führte sie aus, das Gericht halte an der bereits am 31. Juli 2018 mitgeteilten Ansicht fest, wonach es sich bei dem Testament des Erblassers um ein Negativtestament handele, mit dem der Erblasser den Antragsteller ausdrücklich von der Erbfolge ausgeschlossen habe. Eine Erteilung des beantragten Erbscheins komme daher nicht in Betracht.

Der Antragsteller, vertreten durch den Rechtsanwalt und zwischenzeitlich bestellten Notariatsverwalter S… T…, bat unter Darstellung seiner Rechtsauffassung mit Schriftsatz vom 27. November 2018 um antragsgemäße Entscheidung. Der Schriftsatz wurde der zuständigen Nachlassrichterin am 28. November 2018 vorgelegt.

Nachdem der Antragsteller mit Schriftsatz vom 26. Februar 2019 um Entscheidung über den Antrag gebeten hatte, bat er unter dem 13. Mai 2019 erneut um Bescheidung des Antrags. Zudem teilte der Verfahrensbevollmächtigte mit, dass sein Amt als Notariatsverwalter am 29. Juli 2019 auslaufe und bat im Interesse an einer zügigen Notariatsabwicklung um zeitnahe Bescheidung.

Mit Schriftsatz vom 2. Januar 2020 bat der Rechtsanwalt und Notar a.D. H…-W… T… für den Antragsteller erneut um ein Tätigwerden des Gerichts im Nachlassverfahren.

Der Antragsteller hat unter dem 9. Juni 2020 ein Ablehnungsgesuch gegen die zuständige Richterin ausgebracht. Zudem hat er Verzögerungsrüge erhoben.

Die abgelehnte Richterin hat sich zum Ablehnungsgesuch am 12. Juni 2020 dienstlich geäußert.

Durch Beschluss vom 14. Juli 2020, der dem Antragsteller am 22. Juli 2020 zugestellt worden ist, hat das Amtsgericht das Ablehnungsgesuch zurückgewiesen. Dagegen hat der Antragsteller am 23. Juli 2020, eingegangen am 24. Juli 2020, sofortige Beschwerde eingelegt. Mit Beschluss vom 29. Juli 2020 hat das Amtsgericht dem Rechtsmittel nicht abgeholfen und die Sache dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.

Der Antragsteller hat seine sofortige Beschwerde mit Schriftsatz vom 18. August 2020, dem Beschwerdegericht nachgesandt am 27. August 2020 begründet.

II.

Die sofortige Beschwerde ist nach § 6 FamFG, §§ 46 Abs. 2, 567 ff. ZPO zulässig, nachdem sie insbesondere innerhalb der in § 569 Abs. 1 Satz 1, 2 ZPO bestimmten Frist eingelegt worden ist.

Das Rechtsmittel hat in der Sache allerdings keinen Erfolg.

Das Amtsgericht hat das Ablehnungsgesuch zu Recht als unbegründet zurückgewiesen und der dagegen gerichteten sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen.

Nach § 42 Abs. 1, 2 ZPO, der gemäß § 6 Abs. 1 FamFG entsprechende Anwendung findet, kann ein Richter wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Dafür ist erforderlich, aber auch ausreichend, das Vorliegen eines Sachverhalts, der vom Standpunkt des Ablehnenden aus bei vernünftiger Betrachtung und Würdigung aller Umstände berechtigten Anlass zu Zweifeln an der Unvoreingenommenheit des Richters gibt (BVerfGE 82, 30, 38; 90, 138, 139; BGH NJW 2014, 1227, 1228; 1995, 1677, 1678; Zöller/Vollkommer, ZPO, 33. Auflage, § 42, Rn. 9). Dazu zählen Verstöße gegen das prozessuale Gleichbehandlungsgebot, eine negative Einstellung gegenüber einer Partei unter Bevorzugung der anderen Partei, unsachliche Äußerungen oder die willkürliche Benachteiligung oder Behinderung einer Partei in der Ausübung ihrer Rechte (Zöller/Vollkommer, a. a. O., § 42, Rn. 20 ff., m. w. N.). Ebenso können persönliche oder geschäftliche Beziehungen des Richters zu Prozessbeteiligten oder zur Streitsache Zweifel an seiner Unparteilichkeit begründen (BGH NJW-RR 2011, 648; Zöller/Vollkommer, a. a. O., § 42, Rn. 12 ff.; Münch-Komm./Stackmann, ZPO, 5. Aufl., § 42, Rn. 8 ff.), wobei als Prozessbeteiligte nicht nur die Parteien des Rechtsstreits, sondern auch deren Vertreter sowie Zeugen und Sachverständige anzusehen sind (MünchKomm./Stackmann, a. a. O., § 42, Rn. 8). Erforderlich ist stets, dass das Verhalten des Richters geeignet ist, den Eindruck einer unsachlichen, auf Voreingenommenheit beruhenden Einstellung gegenüber der Partei oder der streitbefangenen Sache zu erwecken (BGH NJW-RR 1986, 738 f.). Keine tauglichen Ablehnungsgründe sind vorläufige Meinungsäußerungen und Einschätzungen des Richters im Rahmen der materiellen Prozessleitung, bloße Verfahrensverstöße oder fehlerhafte Entscheidungen, soweit die Grenze zur Willkür nicht überschritten ist (Zöller/Vollkommer, a. a. O., § 42, Rn. 26 ff., m. w. N.). Nach § 44 Abs. 2 ZPO hat die Partei die von ihr vorgebrachten Ablehnungsgründe glaubhaft zu machen, wobei sie selbst zur Versicherung an Eides statt nicht zugelassen werden darf.

Die schlichte Untätigkeit eines Richters über einen längeren Zeitraum begründet in der Regel die Besorgnis der Befangenheit nicht. Anderes kann gelten, wenn die verfahrensleitenden Handlungen oder Unterlassungen des mit der Sache befassten Richters unter Berücksichtigung aller Umstände objektiv als schlechthin unvertretbar erscheinen und subjektiv aus der Sicht des Ablehnenden deshalb den Anschein einer auf Voreingenommenheit beruhenden Benachteiligung erwecken können, weil sein besonderes Bedürfnis an einer zeitnahen Entscheidung wiederholt zum Ausdruck gebracht worden oder offensichtlich ist (OLG Düsseldorf Beschluss vom 3.3.1998 – 11 W 9/98, BeckRS 1998, 10239 Rn. 7).

Bei der Frage, ob eine willkürliche bzw. ungebührliche Verfahrensverzögerung vorliegt, die Zweifel an der Unvoreingenommenheit des Richters zu begründen vermag, kommt es nicht allein auf die Dauer der Verzögerung sondern auch darauf an, ob im konkreten Einzelfall eine verständige Partei aufgrund der Nichtbearbeitung des Antrags die Befürchtung haben konnte, der Richter stehe der Sache nicht unvoreingenommen gegenüber bzw. darauf, ob über die Untätigkeit des Richters hinaus Anhaltspunkte für eine Besorgnis der Befangenheit gegeben waren (vgl. Senat, Beschluss vom 26.6.2012 – 1 W 18/12, BeckRS 2012, 14878).

Eine Partei, die den nachvollziehbaren Anschein gewinnen kann, der Richter nehme ihr Anliegen zwar zur Kenntnis, veranlasse aber nichts, hat Grund zur Ablehnung des Richters, wenn die von ihm mitgeteilten Gründe für die vollkommene Untätigkeit ganz und gar unhaltbar sind oder wenn er nicht einmal Gründe nennt und daraus auf eine geradezu rechtsfeindliche oder wenigstens rechtsschutzfeindliche Gesinnung des Richters gegenüber einer Partei geschlossen werden kann (vgl. 13. Senat, Beschluss vom 30.3.2015 – 13 WF 68/15, BeckRS 2015, 11814).

Nach diesen Grundsätzen ist eine fehlende Unparteilichkeit der Richterin am Amtsgericht Gehre nicht zu besorgen.

Zwar ist vorliegend nicht zu verkennen, dass – wie das Ausgangsgericht im angegriffenen Beschluss zutreffend festgestellt hat – eine deutliche Verzögerung in der Verfahrensbearbeitung vorliegt, die nicht mehr hinnehmbar ist. Auch ist unzweifelhaft zu konstatieren, dass mehrere Bitten des Antragstellers auf Entscheidung über den gestellten Erbscheinsantrag im Zeitraum 26. Februar 2019 bis 9. Juni 2020 durch die zuständige Richterin nicht beantwortet wurden und sie auch nicht zu einer Entscheidung in der Sache veranlasst haben. Mangels hinzutretender Umstände begründet dies allerdings noch keine hinreichenden Zweifel an der Unparteilichkeit der Richterin.

In der Gesamtschau aller vorliegenden Umstände kann nicht auf eine Voreingenommenheit der Richterin gegenüber dem Antragsteller geschlossen werden. In ihrer dienstlichen Äußerung hat die Richterin zum Ausdruck gebracht, dass sie die Sache vor sich hergeschoben habe in dem Ansinnen, sich zu einem späteren Zeitpunkt die nötige Zeit für die Bearbeitung des Verfahrens zu nehmen. Im Übrigen kann der Richterin mangels weiterer Anhaltspunkte eine rechtsfeindliche oder wenigstens rechtsschutzfeindliche Gesinnung gegenüber dem Antragsteller nicht unterstellt werden.

Ob dies bei einer im weiteren Verfahrensverlauf andauernden Verfahrensverzögerung gegebenenfalls anders zu beurteilen wäre, bedarf derzeit keiner Entscheidung.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

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