BUNDESARBEITSGERICHT Beschluss vom 14.5.2018, 9 AS 2/18 Rechtswegbestimmung – Mindestanforderungen an eine ordnungsgemäße Begründung des Verweisungsbeschlusses – Durchbrechung der gesetzlichen Bindungswirkung

Juli 11, 2018

BUNDESARBEITSGERICHT Beschluss vom 14.5.2018, 9 AS 2/18
Rechtswegbestimmung – Mindestanforderungen an eine ordnungsgemäße Begründung des Verweisungsbeschlusses – Durchbrechung der gesetzlichen Bindungswirkung

Tenor

Das Sozialgericht Regensburg ist zuständig.

Gründe

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I. Die Parteien streiten über die Verpflichtung der Beklagten, die Klägerin für einen bereits verstrichenen Zeitraum von der Sozialversicherung abzumelden, sowie über Ansprüche der Klägerin auf Zahlung der von der Beklagten als Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung abgeführten Leistungen.
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Die Klägerin war bei der Beklagten in den Monaten Dezember 2016 bis Februar 2017 beschäftigt. Die Beklagte zahlte an sie für die Monate Dezember 2016 und Januar 2017 jeweils eine Vergütung von knapp unter 900,00 Euro brutto. Dabei nahm sie das Bestehen eines sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses an und führte Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung ab.
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Mit ihrer am 28. August 2017 beim Sozialgericht Regensburg erhobenen Klage hat die Klägerin geltend gemacht, ihr Arbeitsverhältnis habe insgesamt nicht der Sozialversicherungspflicht unterlegen, sodass sie einen Anspruch auf vollständige Auszahlung ihrer Vergütung habe.
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Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, die Anzeige zur Sozialversicherungspflicht gegenüber der Einzugsstelle zurückzuziehen und ihren Lohn in voller Höhe an sie auszuzahlen.
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Nach Anhörung der Parteien hat das Sozialgericht Regensburg mit Beschluss vom 25. Januar 2018 (- S 10 R 8056/17 -) den Rechtsweg zu den Sozialgerichten für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das Arbeitsgericht Regensburg verwiesen. Der Beschluss ist rechtskräftig.
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Das Arbeitsgericht Regensburg hat nach Anhörung der Parteien durch Beschluss vom 5. April 2018 eine Übernahme des Rechtsstreits abgelehnt und diesen dem Bundesarbeitsgericht zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Verweisungsbeschluss sei objektiv willkürlich und daher nicht bindend.
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II. Das Bundesarbeitsgericht hat im Streitfall das zuständige Gericht zu bestimmen.
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1. Gemäß § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG, § 48 Abs. 1 ArbGG sind rechtskräftige Verweisungsbeschlüsse für das Gericht, an das der Rechtsstreit verwiesen worden ist, grundsätzlich bindend. In entsprechender Anwendung von § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO hat die Bestimmung des zuständigen Gerichts zu erfolgen, wenn dies zur Wahrung einer funktionierenden Rechtspflege und der Rechtssicherheit notwendig ist. Dies ist der Fall, wenn es innerhalb eines Verfahrens zu Zweifeln über die Bindungswirkung eines rechtskräftigen Verweisungsbeschlusses kommt und keines der infrage kommenden Gerichte bereit ist, die Sache zu bearbeiten, oder die Verfahrensweise eines Gerichts die Annahme rechtfertigt, der Rechtsstreit werde von diesem nicht prozessordnungsgemäß betrieben, obwohl er gemäß § 17b Abs. 1 GVG vor ihm anhängig ist. Zuständig für die Zuständigkeitsbestimmung ist derjenige oberste Gerichtshof des Bundes, der zuerst angegangen wird (BAG 10. Oktober 2017 – 9 AS 5/17 – Rn. 5 mwN).
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2. Mit Beschluss vom 25. Januar 2018 hat das Sozialgericht Regensburg den Rechtsweg zu den Sozialgerichten für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das Arbeitsgericht Regensburg verwiesen. Dieses hat die Übernahme des Rechtsstreits mit Beschluss vom 5. April 2018 abgelehnt und den Rechtsstreit dem Bundesarbeitsgericht zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt.
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III. Zuständiges Gericht ist das Sozialgericht Regensburg. Die Verweisung des Rechtsstreits durch das Sozialgericht an das Arbeitsgericht Regensburg ist für dieses nicht bindend (vgl. allgemein zum Entfall der Bindungswirkung BAG 10. Oktober 2017 – 9 AS 5/17 – Rn. 9). Der Verweisungsbeschluss ist wegen einer krassen Rechtsverletzung offensichtlich unhaltbar. Die Verweisung des Rechtsstreits an das Arbeitsgericht Regensburg führte zu einer nicht mehr hinnehmbaren Verletzung des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, dem zufolge niemand seinem gesetzlichen Richter entzogen werden darf.
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1. Das Sozialgericht Regensburg hat zwingendes Verfahrensrecht verletzt, weil es den Verweisungsbeschluss entgegen § 17a Abs. 4 Satz 2 GVG nicht mit einer Begründung versehen hat. Die Gründe des Beschlusses beschränken sich auf den pauschalen Hinweis, es handele sich um die Klage einer Arbeitnehmerin gegen ihre frühere Arbeitgeberin aus dem Arbeitsverhältnis. Damit erfüllt das Sozialgericht Regensburg nicht im Ansatz die Mindestanforderungen an eine ordnungsgemäße Begründung. Hierzu muss mindestens die herangezogene Rechtsnorm bezeichnet und angegeben werden, aus welchen tatsächlichen und rechtlichen Gründen ein Tatbestandsmerkmal der genannten Norm vorliegt bzw. nicht vorliegt (vgl. BSG 18. Juli 2012 – B 12 SF 5/12 S – Rn. 7; 8. Februar 2007 – B 9b SO 5/05 R – Rn. 13). Auch wenn die fehlende Begründung des Beschlusses nicht zur Nichtigkeit dieser Entscheidung führt, liegt doch bereits in dieser groben Missachtung der nicht zur Disposition des einzelnen Richters stehenden Begründungspflicht nach § 17a Abs. 4 Satz 2 GVG regelmäßig eine krasse Rechtsverletzung, welche die Durchbrechung der gesetzlichen Bindungswirkung ausnahmsweise rechtfertigt. Die Beschlussgründe geben Aufschluss über die tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen, auf denen der Verweisungsbeschluss beruht. Sie sind damit notwendiger Ausgangspunkt für die Beantwortung der Frage, ob sich das verweisende Gericht bei seiner Entscheidung von sachfremden Erwägungen hat leiten lassen. Etwas anderes kann nur ausnahmsweise dann gelten, wenn dem Akteninhalt mit ausreichender Sicherheit und für die Beteiligten erkennbar entnommen werden kann, dass die Verweisung nicht auf sachfremden Erwägungen beruht (BAG 16. Juni 2015 – 10 AS 2/15 – Rn. 6 mwN).
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2. Danach ist der Verweisungsbeschluss des Sozialgerichts Regensburg offensichtlich unhaltbar. Aus der Angabe, bei der Klage handele es sich um eine solche einer Arbeitnehmerin gegen ihre frühere Arbeitgeberin aus dem Arbeitsverhältnis, erschließt sich die Zulässigkeit des Rechtswegs zu den Gerichten für Arbeitssachen nicht einmal im Ansatz. Auch aus dem Akteninhalt ergeben sich keine hinreichenden Erkenntnisse darüber, dass die Verweisung nicht auf sachfremden Erwägungen beruht. Der Akteninhalt gibt keinerlei Aufschluss darüber, ob das Sozialgericht Regensburg überhaupt erwogen hat, ob zwischen den Parteien eine bürgerlich-rechtliche Streitigkeit iSv. § 2 Abs. 1 Nr. 3 ArbGG besteht oder es sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit iSv. § 51 Abs. 1 SGG handelt, und welche sachlichen und rechtlichen Beweggründe das Sozialgericht zu seiner Beschlussfassung veranlasst haben.
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IV. Das für die weitere Sachbehandlung zuständige Gericht ist das Sozialgericht Regensburg. Seine Zuständigkeit ergibt sich aus § 51 SGG. Zwischen den Parteien besteht keine bürgerlich-rechtliche Streitigkeit iSv. § 2 Abs. 1 Nr. 3 ArbGG.
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1. Gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a ArbGG sind die Gerichte für Arbeitssachen ausschließlich zuständig für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern aus dem Arbeitsverhältnis. Ob es sich um eine bürgerlich-rechtliche oder eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit handelt, bestimmt sich nach der Natur des Rechtsverhältnisses, aus dem der Klageanspruch hergeleitet wird (GmS-OGB 10. April 1986 – GmS-OGB 1/85 – zu III 1 der Gründe, BGHZ 97, 312; BAG 19. August 2008 – 5 AZB 75/08 – Rn. 6). Maßgeblich ist, ob der zur Klagebegründung vorgetragene Sachverhalt für die aus ihm hergeleitete Rechtsfolge von Rechtssätzen des bürgerlichen Rechts oder des öffentlichen Rechts geprägt wird (BAG 5. Oktober 2005 – 5 AZB 27/05 – zu B I der Gründe mwN, BAGE 116, 131).
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2. Mit ihrer Klage möchte die Klägerin in erster Linie die Berechtigung des Abzugs von Sozialversicherungsbeiträgen überprüfen lassen. Dies ergibt sich eindeutig aus der Begründung ihrer Klage vom 28. August 2017 und ihrem ergänzenden Schriftsatz vom 19. September 2017. Darin reklamiert sie die Sozialversicherungsfreiheit für ihr Arbeitsverhältnis und moniert die Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen. Ob das Arbeitsverhältnis der Parteien der Sozialversicherungspflicht unterlag, kann allein unter Heranziehung öffentlich-rechtlicher Vorschriften beantwortet werden. Während die Beschäftigung iSv. § 7 SGB IV regelmäßig zur Versicherungspflicht in der Sozialversicherung führt, sind Personen, die einer nur geringfügigen Beschäftigung iSv. § 8 Abs. 1 SGB IV nachgehen, in der Kranken-, Renten-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung gewöhnlich versicherungsfrei (§ 7 SGB V, § 5 Abs. 2 Satz 1 SGB VI, § 27 Abs. 2 Satz 1 SGB III). Diese öffentlich-rechtlichen Bestimmungen geben dem Streit über die Sozialversicherungspflicht der Klägerin das Gepräge. Die Gerichte für Arbeitssachen sind indes nicht befugt, die Berechtigung der Abzüge für Sozialversicherungsbeiträge zu überprüfen (vgl. ausf. BAG 30. April 2008 – 5 AZR 725/07 – Rn. 18 ff., BAGE 126, 325). Legt der Arbeitgeber nachvollziehbar dar, dass er bestimmte Abzüge für Sozialversicherungsbeiträge einbehalten und abgeführt hat, kann der Arbeitnehmer die nach seiner Auffassung unberechtigt einbehaltenen und abgeführten Beträge nicht erfolgreich mit einer Vergütungsklage geltend machen. Er ist vielmehr auf die sozialrechtlichen Rechtsbehelfe beschränkt, es sei denn, für den Arbeitgeber wäre aufgrund der für ihn zum Zeitpunkt des Abzugs bekannten Umstände eindeutig erkennbar gewesen, dass eine Verpflichtung zum Abzug nicht bestand. Andernfalls tritt die Erfüllungswirkung ein (vgl. BAG 21. Dezember 2016 – 5 AZR 266/16 – Rn. 20, BAGE 157, 336; 30. April 2008 – 5 AZR 725/07 – Rn. 21, aaO). Vorliegend steht zwischen den Parteien gerade nicht im Streit, ob die Beklagte Sozialversicherungsbeiträge abgeführt hat, sondern die allein nach öffentlich-rechtlichen Vorschriften zu beurteilende Frage, ob sie hierzu verpflichtet war.
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3. Auch das (Nicht-)Bestehen einer Meldepflicht zur Sozialversicherung ergibt sich aus Rechtsnormen des öffentlichen Rechts. Der Arbeitgeber hat nach § 28a SGB IV iVm. der gemäß § 28c SGB IV erlassenen Datenerfassungs- und -übermittlungsverordnung (DEÜV) für jeden kraft Gesetzes in der Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung oder nach dem Recht der Arbeitsförderung versicherten Beschäftigten (§§ 5 ff. SGB V, §§ 1 ff. SGB VI, §§ 20 ff. SGB XI und §§ 24 ff. SGB III) der Einzugsstelle Meldung zu erstatten. Er hat der Einzugsstelle ua. Beginn und Ende der versicherungspflichtigen Beschäftigung (§ 28a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 SGB IV) sowie die Unterbrechung der Entgeltzahlung (§ 28a Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 SGB IV) mitzuteilen. Der Inhalt der Meldungen bestimmt sich im Wesentlichen nach § 28a Abs. 3 SGB IV. Die DEÜV regelt maßgeblich das formelle Meldeverfahren, wie Fristen, Änderung, Berichtigung und Stornierung der Meldung und konkretisiert den Inhalt der Meldungen. Die Versicherungsträger können die Meldepflichten, soweit diese privaten Personen oder Institutionen obliegen und im Streit stehen, durch Verwaltungsakt feststellen und nach dem Verwaltungsvollstreckungsgesetz des Bundes oder des jeweiligen Landes vollstrecken (BAG 5. Oktober 2005 – 5 AZB 27/05 – Rn. 15, BAGE 116, 131). Der Annahme einer öffentlich-rechtlichen Verpflichtung der Beklagten steht nicht entgegen, dass die sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften eine auf § 242 BGB beruhende Nebenpflicht des Arbeitgebers begründen können (BAG 5. Oktober 2005 – 5 AZB 27/05 – Rn. 17, aaO).
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