BUNDESARBEITSGERICHT Urteil vom 22.3.2018, 6 AZR 29/17 Job-Ticket – Fahrwegpfleger in Einsatzwechseltätigkeit

Mai 16, 2018

BUNDESARBEITSGERICHT Urteil vom 22.3.2018, 6 AZR 29/17
Job-Ticket – Fahrwegpfleger in Einsatzwechseltätigkeit

Leitsätze

Eine anderweitige Regelung iSd. § 7 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 1 Alt. 2 KonzernJob-TicketTV kann auch eine (Gesamt-)Betriebsvereinbarung sein.

Tenor

1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 28. November 2016 – 16 Sa 261/16 – aufgehoben.

2. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 2. Februar 2016 – 24 Ca 6458/15 – abgeändert.

Die Klage wird abgewiesen.

3. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten über die Erteilung eines sog. Job-Tickets.
2
Die Beklagte, ein Tochterunternehmen der DB Netz AG, übernimmt im gesamten Bundesgebiet die Grün- und Landschaftspflege an den Gleisanlagen sowie die Sicherung von Gleisarbeiten. Ihre Niederlassung Mitte mit Sitz in F ist eine von sieben Regionalniederlassungen und verfügt über vier Servicebereiche. Der Servicebereich F erstreckt sich vom Großraum F bis in den Raum G. Diesem ist der Kläger organisatorisch zugeordnet, der als Fahrwegpfleger in Einsatzwechseltätigkeit mit Landschaftspflegearbeiten an ständig wechselnden Einsatzstellen entlang der Eisenbahnstrecken eingesetzt wird. Dabei fährt der Kläger, ohne dass dies auf einer Anweisung der Beklagten beruht, morgens von seinem Wohnort zum Depot der Beklagten in der Kstraße, F und zieht sich dort um. Im Anschluss fährt er, bei freier Platzkapazität, in dem zum Materialtransport bestimmten Dienstfahrzeug zum jeweiligen Einsatzort mit.
3
Auf das Arbeitsverhältnis ist der zum 1. April 2013 in Kraft getretene Tarifvertrag zum Job-Ticket für die Arbeitnehmer verschiedener Unternehmen des DB Konzerns (KonzernJob-TicketTV) vom 6. Dezember 2012 anzuwenden. Dieser enthält auszugsweise folgende Bestimmungen:
„§ 2
DB Job-Ticket
Der Arbeitnehmer erhält auf schriftlichen Antrag ein DB Job-Ticket für die Fahrt zwischen Wohnort und Arbeitsstätte auf den Schienenstrecken der Verkehrsunternehmen, die zum DB Konzern gehören …
§ 7
Gültigkeit und Dauer
(3)
Sind bereits oder werden zukünftig in einem Firmentarifvertrag bzw. unternehmensbezogenen Verbandstarifvertrag Regelungen zu ‚Job-Tickets‘ oder diesen entsprechende Regelungen vereinbart oder bestehen anderweitige Regelungen zu einer Kostenerstattung/-abgeltung oder -bezuschussung für Fahrten zwischen Wohnort und Arbeitsstätte, haben diese Ansprüche Vorrang; insoweit hat der Arbeitnehmer keinen Anspruch nach dem KonzernJob-TicketTV. Mit Wegfall der in Satz 1 genannten anderweitigen Regelungen bestehen die Ansprüche aus diesem Tarifvertrag.“
4
Bereits am 7. Juni 2012 hatte sich die Beklagte mit dem bei ihr bestehenden Gesamtbetriebsrat auf eine zum 1. September 2012 in Kraft getretene Gesamtbetriebsvereinbarung Verfahrensweise bei Einsatzwechseltätigkeit und Fahrtkostenzuschuss (im Folgenden GBV) geeinigt. Diese enthält auszugsweise folgende Bestimmungen:
„§ 2 Fahrtkostenerstattung
1)
Grundsätzlich gilt, dass es in die Obliegenheiten des Arbeitnehmers fällt, von seinem Wohnort an seinen Arbeitsort zu gelangen. …
2)
Erfolgt die Nutzung des privaten Pkw für Fahrten zwischen Wohnort und wechselndem Einsatzort/Einsatzstelle, wird davon ausgegangen, das 51 km Gesamtwegstrecke (Hin- und Rückfahrt) zu den privaten Obliegenheiten des Arbeitnehmers gehört.
Als Ausgleich für weitere Entfernungen zu ständig wechselnden Einsatzorten/Einsatzstellen werden folgende Ausgleichszahlungen – jeweils für Gesamtwegestrecke (HR) gewährt:
Mit dieser Staffelung wird der besonderen Belastung für ständig wechselnde und weit vom Wohnort entfernte Einsatzorte verstärkt Rechnung getragen. …
5)
Erforderlich werdende Fahrten zu ständig wechselnden Einsatzorten/Einsatzstellen mit dem öffentlichen Nahverkehr werden nach ausdrücklichem Auftrag durch den Arbeitgeber auf Basis der 2. Klasse (Bahn) abzüglich 6,- EUR je Fahrt erstattet. …“
5
Die Beklagte lehnte den Formularantrag des Klägers auf Erteilung eines Job-Tickets gemäß § 2 KonzernJob-TicketTV für die Fahrten zwischen seinem Wohnort und dem Depot der Beklagten in der Kstraße, F ab. Mit der vorliegenden Klage verfolgt der Kläger diesen Anspruch weiter.
6
Er meint, der Begriff der „Arbeitsstätte“ im KonzernJob-TicketTV sei fachspezifisch unter Rückgriff auf das Einkommenssteuergesetz auszulegen. Das Depot der Beklagten in der Kstraße, F stelle für ihn die „erste Tätigkeitsstätte“ und damit seine Arbeitsstätte iSd. § 2 KonzernJob-TicketTV dar. Folge man dem nicht, sei von einer planwidrigen Regelungslücke dieser Tarifnorm auszugehen, die mit dem gleichen Ergebnis zu schließen sei. Der Kläger meint zudem, die GBV schließe seinen Anspruch auf Erteilung eines Job-Tickets für die Fahrten zwischen Wohnort und dem Depot in der Kstraße, F nicht aus. Diese normiere lediglich die Fahrtkostenerstattung für Fahrten zwischen Wohnort und Einsatzort. Auch bestünden Ansprüche nach dem KonzernJob-TicketTV insoweit, als sie über Ansprüche aus der GBV hinausgingen.
7
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, ihm ein DB Job-Ticket gemäß § 2 KonzernJob-TicketTV für die Fahrt zwischen seinem Wohnort und dem Servicebereich der Beklagten, Kstraße 12, F zu erteilen.
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Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Sie meint, aus der steuerrechtlichen Begriffsbestimmung ergebe sich gerade, dass im Falle des Klägers keine erste Tätigkeitsstätte und damit keine Arbeitsstätte iSd. § 2 KonzernJob-TicketTV bestehe. Jedenfalls stelle die GBV eine vorrangige, die Anwendung des KonzernJob-TicketTV ausschließende Regelung dar.
9
Das Landesarbeitsgericht hat die gegen die stattgebende Entscheidung des Arbeitsgerichts gerichtete Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit ihrer Revision begehrt diese weiterhin Klageabweisung.

Entscheidungsgründe

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Die Revision ist begründet, weil die Klage unbegründet ist. Die Beklagte ist nicht verpflichtet, dem Kläger das begehrte DB Job-Ticket zu erteilen.
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I. Entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts hat der Kläger, jedenfalls solange mit der GBV eine anderweitige Regelung iSd. § 7 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 1 Alt. 2 KonzernJob-TicketTV besteht, keinen Anspruch aus § 2 KonzernJob-TicketTV (§ 7 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 KonzernJob-TicketTV). Dies ergibt eine Auslegung des Tarifvertrags.
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1. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts folgt die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrags den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Danach ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Über den reinen Wortlaut hinaus ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und der damit von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnorm mitzuberücksichtigen, sofern und soweit er in den tariflichen Regelungen und ihrem systematischen Zusammenhang Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist stets auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und nur so Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden können (BAG 20. September 2017 – 6 AZR 143/16 – Rn. 33 mwN).
13
2. Danach stellt die GBV eine den Anspruch aus § 2 KonzernJob-TicketTV für die Dauer ihres Bestehens verdrängende anderweitige Regelung dar.
14
a) Nach § 7 Abs. 3 Satz 1 KonzernJob-TicketTV hat der Arbeitnehmer insoweit keinen Anspruch nach diesem Tarifvertrag, als bereits in einem Firmentarifvertrag bzw. unternehmensbezogenen Verbandstarifvertrag Regelungen zu „Job-Tickets“ oder diesen entsprechende Regelungen vereinbart sind oder zukünftig vereinbart werden (Halbs. 1 Alt. 1) oder anderweitige Regelungen zu einer Kostenerstattung/-abgeltung oder -bezuschussung für Fahrten zwischen Wohnort und Arbeitsstätte bestehen (Halbs. 1 Alt. 2). Diese Ansprüche haben Vorrang. Erst mit Wegfall der in Satz 1 genannten anderweitigen Regelungen bestehen die Ansprüche aus dem KonzernJob-TicketTV (§ 7 Abs. 3 Satz 2 KonzernJob-TicketTV).
15
b) Eine anderweitige Regelung im Sinne der zweiten Alternative kann auch eine (Gesamt-)Betriebsvereinbarung sein. Dies folgt zum einen aus dem Tarifwortlaut. Von dem weitgefassten Begriff der „Regelung“ sind sowohl individualvertragliche, als auch kollektivvertragliche Vereinbarungen erfasst. Es wird zum anderen durch den systematischen Zusammenhang mit der ersten Alternative des ersten Halbsatzes des Satzes 1 belegt. Während die Tarifvertragsparteien dort ausdrücklich nur Firmentarifverträgen bzw. unternehmensbezogenen Verbandstarifverträgen Vorrang einräumen, enthält die zweite Alternative den umfassenderen Begriff der „anderweitigen Regelung“. Dies entspricht zudem Sinn und Zweck der Tarifnorm. Mit § 7 Abs. 3 KonzernJob-TicketTV wollten die Tarifvertragsparteien den Vorrang speziellerer, sachnäherer Regelungen sicherstellen. Dem liegt die Annahme zugrunde, dass diese die spezifischen Gegebenheiten des jeweiligen Betriebs oder Unternehmens besser abbilden können und zu sachgerechteren Lösungen führen. Dies kann auch durch eine (Gesamt-)Betriebsvereinbarung geschehen.
16
c) § 7 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 1 Alt. 2 KonzernJob-TicketTV räumt, anders als die erste Alternative, ausweislich dessen Wortlauts nicht nur anderweitigen Regelungen zu Job-Tickets Vorrang ein. Ausreichend ist eine Regelung zu den Kosten für Fahrten zwischen Wohnort und Arbeitsstätte.
17
d) Die Auslegung ergibt darüber hinaus, dass entgegen der Annahme des Klägers § 2 KonzernJob-TicketTV während des Bestehens einer anderweitigen Regelung nicht ergänzend anzuwenden ist, sondern für die Dauer deren Geltung vollständig hinter diese zurücktritt. Erst wenn eine solche anderweitige Regelung wegfällt und nicht (mehr) besteht, können sich Ansprüche aus dem KonzernJob-TicketTV ergeben (§ 7 Abs. 3 Satz 2 KonzernJob-TicketTV). Dies gilt somit auch für den Fall, dass die Ansprüche aus der anderweitigen Regelung hinter denen aus dem KonzernJob-TicketTV zurückbleiben.
18
e) Hiernach schließt die GBV mögliche Ansprüche des Klägers nach § 2 KonzernJob-TicketTV aus.
19
aa) Bei der GBV handelt es sich um eine zwischen der Beklagten und dem bei ihr bestehenden Gesamtbetriebsrat abgeschlossene Gesamtbetriebsvereinbarung und damit um eine anderweitige Regelung iSd. § 7 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 1 Alt. 2 KonzernJob-TicketTV. Ausweislich ihrer Bezeichnung sowie des Inhalts von § 2 GBV regelt sie ua. Ansprüche auf Erstattung der Kosten für die Nutzung eines privaten Pkw für Fahrten zwischen Wohnort und wechselndem Einsatzort/Einsatzstelle bzw. für hierbei erforderlich werdende Fahrten mit dem öffentlichen Nahverkehr. Sie ergänzt die Regelung zum Ersatz von Übernachtungskosten bei einem Einsatz an ständig wechselnden Einsatzstellen in § 3 Abs. 2 des Entgelttarifvertrags für die Arbeitnehmer der DB Fahrwegdienste GmbH idF des 9. Tarifvertrags zur Änderung der Tarifverträge für die Arbeitnehmer der DB Fahrwegdienste GmbH vom 22. Mai 2012. Die GBV enthält somit Regelungen zu einer Kostenerstattung für Fahrten zwischen Wohnort und Arbeitsstätte iSd. § 7 Abs. 3 Satz 1 KonzernJob-TicketTV. Ob diese für den Kläger günstiger sind oder ob sich möglicherweise aus dem KonzernJob-TicketTV weiter gehende Ansprüche des Klägers ergäben, braucht nicht entschieden zu werden. § 7 Abs. 3 KonzernJob-TicketTV ordnet den Vorrang der GBV unabhängig davon an, ob diese für den Kläger günstiger ist oder nicht.
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bb) Anhaltspunkte für eine Unwirksamkeit der GBV sind nicht ersichtlich und von keiner der Parteien vorgebracht. Insbesondere verstößt sie nicht gegen die Regelungssperre des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG. § 7 Abs. 3 KonzernJob-TicketTV ordnet selbst den Vorrang anderweitiger Regelungen zu einer Kostenerstattung für Fahrten zwischen Wohnort und Arbeitsstätte an. Er lässt den Abschluss ergänzender Betriebsvereinbarungen damit ausdrücklich zu (§ 77 Abs. 3 Satz 2 BetrVG).
21
II. Aufgrund des Vorstehenden braucht der Senat nicht zu entscheiden, wie der Begriff der Arbeitsstätte iSd. § 2 KonzernJob-TicketTV auszulegen ist und ob das Depot der Beklagten in der Kstraße, F für den Kläger dessen Arbeitsstätte iSd. genannten Tarifnorm darstellt.
22
III. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen (§ 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
    Fischermeier
    Krumbiegel
    Heinkel
    Wollensak
    Kohout

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