Bundesgerichtshof Beschl. v. 15.04.2015, Az.: XII ZB 330/14 Nichtberechtigung eines Vorsorgeberechtigten zur Einlege einer Beschwerde gegen einen die Betreuung anordnenden Beschluss

Juni 12, 2018

Bundesgerichtshof
Beschl. v. 15.04.2015, Az.: XII ZB 330/14

Nichtberechtigung eines Vorsorgeberechtigten zur Einlege einer Beschwerde gegen einen die Betreuung anordnenden Beschluss

 

  1. a)

Der Vorsorgebevollmächtigte ist nicht berechtigt, im eigenen Namen gegen einen die Betreuung anordnenden Beschluss Beschwerde einzulegen (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 5. November 2014 – XII ZB 117/14 FamRZ 2015, 249).

  1. b)

Auch eine etwaige verfassungsrechtliche Notwendigkeit einer nach Vollmachtwiderruf fortdauernden Vertretung des Betroffenen durch den Vorsorgebevollmächtigten kann diesem nur die Befugnis geben, eine Beschwerde gegen die Betreuungsanordnung im Namen des Betroffenen einzulegen.

  1. c)

Wird eine vom Vorsorgebevollmächtigten im eigenen Namen eingelegte Beschwerde verworfen, so kann dieser nach Widerruf der Vorsorgevollmacht kein Mandat mehr zur Vertretung des Betroffenen in der Rechtsbeschwerdeinstanz erteilen.

Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 15. April 2015 durch den Vorsitzenden Richter Dose und die Richter Dr. Klinkhammer, Dr. Günter, Dr. Botur und Guhling
beschlossen:

Tenor:

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 6. Zivilkammer des Landgerichts München II vom 28. Mai 2014 wird auf Kosten der weiteren Beteiligten zu 3 und 4 verworfen.

Wert: 5.000 €

Gründe

I.

Das Amtsgericht hat für die 1924 geborene Betroffene im März 2014 eine rechtliche Betreuung angeordnet und die Beteiligten zu 1 und 2 (den Neffen der Betroffenen und dessen Ehefrau) unter anderem mit den Aufgabenkreisen der Geltendmachung von Rechten gegenüber ihren Bevollmächtigten und des Widerrufs von Vollmachten zu Betreuern bestellt. Dagegen haben die Beteiligten zu 3 und 4, die sich zuvor um die Betroffene gekümmert hatten und denen die Betroffene Vorsorgevollmachten erteilt hatte, Beschwerde eingelegt. Die Vorsorgevollmachten sind von den Beteiligten zu 1 und 2 während des Beschwerdeverfahrens widerrufen worden.

Das Landgericht hat die Beschwerde verworfen, weil den Beteiligten zu 3 und 4 die Beschwerdeberechtigung fehle und diese auch im Hinblick auf § 303 Abs. 4 FamFG nicht zulässig sei. Dagegen wendet sich die von den Beteiligten zu 3 und 4 eingelegte Rechtsbeschwerde, mit der sie zur Klarstellung darauf hingewiesen haben, dass sie das Verfahren im Namen der Betroffenen führen. Die Beteiligten zu 1 und 2 haben – wie auch die Betroffene – die Zurückweisung der Rechtsbeschwerde beantragt.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist unzulässig, weil die Verfahrensbevollmächtigten von den Beteiligten zu 3 und 4 nicht im Namen der Betroffenen bevollmächtigt werden konnten.

  1. Die Rechtsbeschwerde ist allein im Namen der Betroffenen eingelegt worden. In der Rechtsbeschwerdeschrift sind zwar die Beteiligten zu 3 und 4 als Rechtsbeschwerdeführer aufgeführt. Zugleich ist darin aber klargestellt worden, dass diese „das Verfahren“ gemäß § 303 Abs. 4 Satz 1 FamFG im Namen der Betroffenen führen. Daher ist allein die Betroffene als Rechtsbeschwerdeführerin anzusehen. Die Verfahrensbevollmächtigten sind dem entsprechenden Hinweis des Senatsvorsitzenden in ihrer hierauf erfolgten Stellungnahme nicht entgegengetreten. Dass sie etwa unmittelbar durch die Betroffene oder durch die Beteiligten zu 1 und 2 als Betreuer im Namen der Betroffenen bevollmächtigt worden seien, haben die Verfahrensbevollmächtigten nicht dargelegt.
  2. Die Beteiligten zu 3 und 4 konnten nach Widerruf der Vorsorgevollmachten durch die Betreuer keine wirksame Verfahrensvollmacht für das Rechtsbeschwerdeverfahren mehr erteilen. Durch den Widerruf sind die den Beteiligten zu 3 und 4 erteilten Vorsorgevollmachten gemäß § 168 Satz 2 BGB erloschen.
  3. a) Die Verfahrensbevollmächtigten machen geltend, den Vorsorgebevollmächtigten müsste es ermöglicht werden, die Betreuerbestellung durch das Beschwerdegericht überprüfen zu lassen. Wenn man die „Beschwerdebefugnis“ des Vorsorgebevollmächtigten aufgrund des vom Betreuer erklärten Vollmachtwiderrufs entfallen lasse, sei die Überprüfung der Betreuerbestellung im Hinblick auf die entgegenstehende Vorsorgevollmacht nicht mehr in effektiver Weise gewährleistet.

Der Senat hat die Frage, wie sich der Widerruf der Vollmacht auf eine Befugnis des Vorsorgebevollmächtigten zur fortdauernden Vertretung im Rechtsmittelverfahren (auch im Hinblick auf das Antragsrecht nach § 62 FamFG) auswirkt, bislang offengelassen (vgl. Senatsbeschluss vom 5. November 2014 – XII ZB 117/14 – FamRZ 2015, 249 Rn. 19 mwN). Sie ist auch im vorliegenden Fall nicht entscheidungserheblich.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gebietet Art. 19 Abs. 4 GG den Rechtsmittelgerichten, ein von der jeweiligen Prozessordnung eröffnetes Rechtsmittel nicht ineffektiv zu machen. Deshalb ist etwa das Rechtsschutzinteresse in Fällen tiefgreifender Grundrechtseingriffe auch dann zu bejahen, wenn sich die direkte Belastung durch den angegriffenen Hoheitsakt erledigt hat, eine Sachentscheidung nach dem typischen Verfahrensablauf aber in der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit nicht zu erlangen war (BVerfG FamRZ 2008, 2260 Rn. 18). Die Erteilung von Vorsorgevollmachten zur Vermeidung einer rechtlichen Betreuung ist Ausdruck des durch Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG garantierten Selbstbestimmungsrechts. Der nach Art. 19 Abs. 4 GG gebotene effektive Rechtsschutz gebietet es daher in einem solchen Fall, ein Rechtsschutzinteresse des Betroffenen für die ihm nach dem Prozessrecht eröffneten Rechtsmittel anzunehmen, um den mit der Betreuung verbundenen Grundrechtseingriff einer Prüfung auf seine Rechtmäßigkeit zuzuführen (BVerfG FamRZ 2008, 2260 Rn. 22).

  1. b) Wie die aufgeführten verfassungsrechtlichen Anforderungen materiellrechtlich und verfahrensrechtlich umzusetzen sind, bedarf im vorliegenden Fall aber keiner Entscheidung. Denn eine verfassungsrechtlich gebotene, ungeachtet des Vollmachtwiderrufs fortdauernd mögliche Vertretung des Betroffenen im Betreuungsverfahren setzt jedenfalls voraus, dass der Vorsorgebevollmächtigte die Beschwerde gegen den die Betreuung anordnenden Beschluss als bevollmächtigter Vertreter, mithin im Namen des Betroffenen einlegt. Ein eigenes Beschwerderecht des Vorsorgebevollmächtigten folgt dagegen weder aus 303 Abs. 4 FamFG noch aus § 59 Abs. 1 FamFG (Senatsbeschluss vom 5. November 2014 – XII ZB 117/14 – FamRZ 2015, 249 Rn. 6 ff., 14 ff.), was im Übrigen auch dann gilt, wenn die Vollmacht nicht widerrufen wurde und nach wie vor wirksam ist.

Im vorliegenden Fall haben die Beteiligten zu 3 und 4 die Beschwerde gegen den die Betreuung anordnenden Beschluss nicht im Namen der Betroffenen, sondern ausschließlich im eigenen Namen eingelegt. Zwar ist das Landgericht ersichtlich der Auffassung, dass die Beschwerde auch im Namen der Betroffenen eingelegt worden sei und hat die Beschwerde insoweit nur deswegen als unzulässig angesehen, weil die Betroffene in ihrer Anhörung vor dem Amtsgericht klar zum Ausdruck gebracht habe, dass sie niemanden von der Familie der Beteiligten zu 3 und 4 als ihren Interessenvertreter wünsche.

Die Auslegung, dass die Beschwerde auch im Namen der Betroffenen eingelegt worden sei, ist indessen nicht gerechtfertigt. Der Senat ist an diese nicht gebunden. Vielmehr ist das Rechtsbeschwerdegericht befugt und verpflichtet, Verfahrenserklärungen selbständig auszulegen (ständige Rechtsprechung, vgl. zuletzt BGH Urteile vom 22. Januar 2015 – VII ZR 353/12 – ZfBR 2015, 257 Rn. 19 und vom 4. Dezember 2014 – VII ZR 4/13 – NJW 2015, 955 Rn. 50, jeweils mwN).

Die Auslegung führt zu dem Ergebnis, dass die Beschwerde allein im Namen der Beteiligten zu 3 und 4 eingelegt worden ist. Aus der Beschwerdeschrift geht hervor, dass die Beschwerde ausdrücklich allein namens und in Vollmacht der Beteiligten zu 3 und 4 eingelegt worden ist. Diese sind im folgenden Text der Beschwerdeschrift von den sie vertretenden Rechtsanwälten dementsprechend auch als „unsere Mandanten“ bezeichnet worden, während die Betroffene als „die Betreute“ gesondert aufgeführt ist. Dass die Beschwerdebegründung neben der Verletzung von Rechten der Beteiligten zu 3 und 4 auch eine Verletzung der Rechte der Betroffenen anführt, kann entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde nicht so verstanden werden, dass die Betroffene dadurch als weitere Beschwerdeführerin benannt werden sollte; vielmehr steht dem die eindeutige Bezeichnung nur der Beteiligten zu 3 und 4 als Beschwerdeführer in der Einleitung der Beschwerdeschrift entgegen.

Ein verfassungsrechtlich zu gewährleistender effektiver Rechtsschutz gebietet daher im vorliegenden Fall keine fortdauernde Vertretungsbefugnis der Vorsorgebevollmächtigten, schon weil die Beteiligten zu 3 und 4 die Beschwerde in unzulässiger Weise im eigenen Namen eingelegt haben (vgl. Senatsbeschluss vom 5. November 2014 – XII ZB 117/14 – FamRZ 2015, 249 Rn. 19).

  1. c) Da die Beschwerde vom Landgericht wegen fehlender eigener Beschwerdeberechtigung der Vorsorgebevollmächtigten im Ergebnis zu Recht als unzulässig verworfen worden ist, konnten die Beteiligten zu 3 und 4 die Betroffene nach Widerruf der Vorsorgevollmachten auch im Rechtsbeschwerdeverfahren nicht mehr vertreten und somit auch nicht in ihrem Namen eine Verfahrensvollmacht erteilen. Die Frage, wie bei sich widersprechenden Verfahrensanträgen des Vorsorgebevollmächtigten und des Betreuers bzw. des Betroffenen zu verfahren ist und welchem Antrag der Vorrang zukommt, bedarf demnach keiner Erörterung.

 

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