Bundesgerichtshof
Beschl. v. 18.12.2014, Az.: IX ZB 50/13
Befugnis zur Erhebung einer sofortigen Beschwerde gegen die Ablehnung der Anordnung einer Nachtragsverteilung
Die Befugnis zur Erhebung einer sofortigen Beschwerde gegen die Ablehnung der Anordnung einer Nachtragsverteilung hat nur der antragstellende Insolvenzverwalter oder -gläubiger, nicht derjenige, der nur angeregt hat, das Insolvenzgericht möge von Amts wegen tätig werden.
Entsteht nach Beendigung des Insolvenzverfahrens ein Anspruch des Schuldners auf die Todesfallleistung aus einer Risikolebensversicherung, der davor aufschiebend bedingt begründet war, kommt die Anordnung einer Nachtragsverteilung in Betracht.
am 18. Dezember 2014 beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Schuldnerin wird der Beschluss der 4. Zivilkammer des Landgerichts Siegen vom 10. Juni 2013 insoweit aufgehoben, als der sofortigen Beschwerde des weiteren Beteiligten zu 1 stattgegeben worden ist.
Die sofortige Beschwerde des weiteren Beteiligten zu 1 gegen den Beschluss des Amtsgerichts Siegen vom 12. September 2012 wird als unzulässig verworfen.
Die weitergehende Rechtsbeschwerde und die Anschlussrechtsbeschwerde werden zurückgewiesen.
Die Kosten der Beschwerdeverfahren werden wie folgt verteilt: Von den Gerichtskosten und den außergerichtlichen Kosten der
Schuldnerin tragen diese und der weitere Beteiligte zu 1 je 1/2. Die außergerichtlichen Kosten des weiteren Beteiligten zu 1 trägt dieser selbst, die außergerichtlichen Kosten der weiteren Beteiligten zu 2 trägt die Schuldnerin.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 116.009,33 € festgesetzt.
A.
Mit Beschluss vom 11. November 2010 wurde ein am 25. November 2009 eröffnetes Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin aufgehoben. Während der anschließenden Wohlverhaltensphase verstarb am 17. Juli 2012 der Ehemann der Schuldnerin. Dadurch entstand ein Anspruch der Schuldnerin auf die Todesfallleistung in Höhe von 115.040,67 € (225.000 DM) aus einer schon vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens von ihr abgeschlossenen Risikolebensversicherung. Der Ehemann der Klägerin war auch versicherte Person einer ebenfalls von der Schuldnerin abgeschlossenen Berufsunfähigkeitszusatzversicherung, gerichtet unter anderem auf Befreiung der auf Risikolebens- und Berufsunfähigkeitszusatzversicherung zu entrichtenden Beiträge. Hier war der Versicherungsfall bereits zum 1. Januar 2010 eingetreten.
Wegen des Anspruchs auf die Todesfallleistung aus der Risikolebensversicherung hat der weitere Beteiligte zu 1 als Treuhänder die Anordnung der Nachtragsverteilung angeregt. Die weitere Beteiligte zu 2, eine Gläubigerin, hat einen entsprechenden Antrag gestellt. Der Rechtspfleger des Insolvenzgerichts hat der Anregung nicht entsprochen und den Antrag zurückgewiesen. Auf die sofortigen Beschwerden der weiteren Beteiligten hat das Beschwerdegericht die Nachtragsverteilung angeordnet. Von einer Kostengrundentscheidung hat es dabei abgesehen. Mit ihrer vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde begehrt die Schuldnerin die Wiederherstellung der insolvenzgerichtlichen Entscheidung. Mit seiner Anschlussrechtsbeschwerde erstrebt der weitere Beteiligte zu 1 eine Kostengrundentscheidung zu seinen Gunsten.
B.
Die statthafte (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO) und auch im Übrigen zulässige (§ 575 ZPO) Rechtsbeschwerde ist teilweise begründet. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung, soweit das Beschwerdegericht der sofortigen Beschwerde des weiteren Beteiligten zu 1 stattgegeben hat. Die zulässige (§ 574 Abs. 4 Satz 1 und 2 ZPO) Anschlussrechtsbeschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.
I.
Das Beschwerdegericht hat ausgeführt: Auch die sofortige Beschwerde des weiteren Beteiligten zu 1 sei zulässig. Dessen Anregung sei als Antrag auf Anordnung der Nachtragsverteilung auszulegen und damit auch die Beschwerdebefugnis des Beteiligten zu 1 zu bejahen. Beide sofortigen Beschwerden seien begründet. Es liege ein Fall der Nachtragsverteilung gemäß § 203 Abs. 1 Nr. 3 InsO vor. Der Anspruch auf die Todesfallleistung sei ein nachträglich ermittelter Gegenstand der Masse. Hierzu gehörten auch solche Gegenstände, die der Verwalter zunächst nicht für verwertbar gehalten und deshalb nicht zur Masse gezogen habe. Eine Kostenentscheidung sei nicht veranlasst, weil Gerichtsgebühren nur bei Verwerfung oder Zurückweisung der Beschwerde erhoben würden.II.5 Dies hält rechtlicher Prüfung nur zum Teil stand.
- Die sofortige Beschwerde des weiteren Beteiligten zu 1 ist unzulässig.
Die Zulässigkeit der sofortigen Beschwerde ist im Rechtsbeschwerdeverfahren von Amts wegen zu prüfen, weil es anderenfalls an einem gültigen und rechtswirksamen Verfahren vor dem Rechtsbeschwerdegericht fehlt (BGH, Beschluss vom 23. Oktober 2003 – IX ZB 369/02, NZI 2004, 166; vom 6. Mai 2004 – IX ZB 104/04, NZI 2004, 447). War die sofortige Beschwerde unzulässig, hat das Beschwerdegericht diese jedoch sachlich beschieden, und sei es durch Zurückweisung, ist diese Entscheidung auf eine zulässige Rechtsbeschwerde hin aufzuheben und die sofortige Beschwerde als unzulässig zu verwerfen (BGH, Beschluss vom 21. Dezember 2006 – IX ZB 81/06, WM 2007, 810 Rn. 6).
- a) Nach 203 Abs. 1 InsO ordnet das Insolvenzgericht eine Nachtragsverteilung auf Antrag des Insolvenzverwalters, eines Insolvenzgläubigers oder von Amts wegen an. Für den Insolvenzverwalter oder -gläubiger, der eine Nachtragsverteilung erreichen will, eröffnet dies zwei Möglichkeiten: Er kann einen förmlichen Antrag stellen oder anregen, das Insolvenzgericht möge von Amts wegen tätig werden (vgl. MünchKomm-InsO/Hintzen, 3. Aufl., § 203 Rn. 7; Jaeger/Meller-Hannich, InsO, § 203Rn. 11). Erfolgt etwa die nachträgliche Ermittlung von Massegegenständen durch den Verwalter, so liegt in der nicht mit einem ausdrücklichen Antrag verbundenen Mitteilung dieser Erkenntnis an das Insolvenzgericht regelmäßig die Anregung, von Amts wegen tätig zu werden (vgl. Jaeger/Meller-Hannich, aaO). Hält das Insolvenzgericht auf eine Anregung hin die Anordnung einer Nachtragsverteilung nicht für geboten, muss es keine förmliche Entscheidung treffen. Durch Beschluss abzulehnen ist lediglich der durch den Insolvenzverwalter oder -gläubiger gestellte Antrag auf Anordnung der Nachtragsverteilung. Der Beschluss ist dem Antragsteller zuzustellen (§ 204 Abs. 1 Satz 1 InsO). Nur dieser ist beschwerdebefugt (§ 204 Abs. 1 Satz 2 InsO).
- b) Der weitere Beteiligte zu 1 hat die Anordnung der Nachtragsverteilung nicht beantragt, sondern mit Schriftsatz vom 20. Juli 2012 ausdrücklich nur angeregt. Mit Recht hat deshalb das Insolvenzgericht in seinem Beschluss vom 12. September 2012 zwischen der Anregung des Beteiligten zu 1 und den von der weiteren Beteiligten zu 2 gestellten Anträgen unterschieden. An dem unmissverständlichen Wortlaut der Erklärung des Beteiligten zu 1 hätte auch das Beschwerdegericht festhalten und dessen sofortige Beschwerde als unzulässig verwerfen müssen.
- aa) Allerdings sind auch Erklärungen der Beteiligten in einem Insolvenzverfahren der Auslegung zugänglich. Entscheidend ist der objektive, dem Erklärungsempfänger vernünftigerweise erkennbare Sinn. Bestehen insoweit Zweifel, ist davon auszugehen, dass der Erklärende das anstrebt, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und seiner recht verstandenen Interessenlage entspricht (BGH, Beschluss vom 22. Mai 1995 – II ZB 2/95, NJW-RR 1995, 1183 f; Urteil vom 24. November 1999 – XII ZR 94/98, NJW-RR 2000, 1446). Nicht zulässig ist es, einer eindeutigen Erklärung nachträglich einen Sinn zu geben, der dem Interesse des Erklärenden am besten dient. Auch die schutzwürdigen Belange anderer Beteiligter sind zu berücksichtigen (BGH, Urteil vom 11. Juli 2003 – V ZR 233/01, MDR 2003, 1434; BAG, NJW 2010, 956 Rn. 12 [BAG 22.12.2009 – 3 AZN 753/09]; Zöller/Greger, ZPO, 30. Aufl., Vor § 128 Rn. 25).
- bb) Dagegen verstößt die vom Beschwerdegericht vorgenommene, nicht näher begründete Auslegung der keinen Zweifeln begegnenden Erklärung des Beteiligten zu 1. Dieser hat es nachträglich einen anderen Sinn gegeben und damit eine Sachentscheidung auch über die sofortige Beschwerde des Beteiligten zu 1 ermöglicht. Dabei hat es die schutzwürdigen Belange der Schuldnerin nicht hinreichend berücksichtigt. Diese durfte darauf vertrauen, dass die Beschwerde auf Kosten des Beteiligten zu 1 verworfen wird.
- Auf die zulässige sofortige Beschwerde der weiteren Beteiligten zu 2 hat das Beschwerdegericht die Nachtragsverteilung mit Recht angeordnet. Rechtsgrundlage ist § 203 Abs. 1 Nr. 3 InsO. Nach dieser Vorschrift ist eine Nachtragsverteilung anzuordnen, wenn nach dem Schlusstermin Gegenstände der Masse ermittelt werden. Dies gilt auch für das Verbraucherinsolvenzverfahren (BGH, Beschluss vom 2. Dezember 2010 – IX ZB 184/09, WM 2011, 79 Rn. 5; vom 22. Mai 2014 – IX ZB 72/12, WM 2014, 1141 Rn. 9).
- a) Bei dem während der Wohlverhaltensphase entstandenen Anspruch auf die Todesfallleistung aus der von der Schuldnerin abgeschlossenen Risikolebensversicherung handelt es sich um einen Gegenstand der (früheren) Insolvenzmasse.
- aa) Aufschiebend bedingt durch den Eintritt des versicherten Todesfalls (vgl. BGH, Urteil vom 28. April 2010 – IV ZR 73/08, VersR 2010, 895 Rn. 35, 39) war der Anspruch schon begründet, bevor das Insolvenzverfahren aufgehoben wurde. Der Schuldnerin stand daher noch während des Insolvenzverfahrens ein Anwartschaftsrecht zu, das zur Masse gehörte (BGH, Beschluss vom 9. Oktober 2014 – IX ZA 20/14, WM 2014, 2235 Rn. 7 mwN; vgl. auch MünchKommBGB/Westermann, 6. Aufl., § 161 Rn. 2 ff; Palandt/Ellenberger, BGB, 74. Aufl., Einf v § 158 Rn. 9). Dass der Eintritt des Versicherungsfalls ungewiss war und die aufschiebende Bedingung durch den Ablauf der Versicherung auch hätte ausfallen können, entspricht gerade dem Wesen der Bedingung und vermag das Anwartschaftsrecht deshalb entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde nicht in Frage zu stellen. Mit der Entstehung des Anwartschaftsrechts war der nach insolvenzrechtlichen Grundsätzen maßgebliche Rechtsgrund für den Anspruch gelegt (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Januar 2006 – IX ZB 239/04, ZIP 2006, 340 Rn. 15; für den Steuererstattungsanspruch; Jaeger/Henckel, InsO, § 3540, 90; MünchKomm-InsO/Peters, 3. Aufl., § 35 Rn. 68).
Tritt die aufschiebende Bedingung für die Entstehung des Anspruchs auf die Todesfallleistung aus einer Risikolebensversicherung erst nach Beendigung des Insolvenzverfahrens ein, ist allerdings grundsätzlich zu berücksichtigen, dass die Leistung in voller Höhe nur erlöst werden kann, wenn die Anwartschaft durch Fortentrichtung der geschuldeten Beiträge auch nach Verfahrensbeendigung aufrechterhalten worden ist. Zur Nachtragsverteilung kann nur gelangen, was ohne weitere Beitragszahlungen, also im Falle einer gedachten Beitragsfreistellung der Versicherung im Zeitpunkt der (vorläufigen) Beendigung des Insolvenzbeschlags, gezahlt worden wäre. Liegt ein Fall vor, in dem die Beitragsfreistellung an einer versicherungsvertraglich erforderlichen, mindestens verbleibenden Versicherungssumme gescheitert wäre, steht der später entstehende Anspruch dem Schuldner zu, abzüglich eines bedingungsgemäß etwaig geschuldeten Rückkaufswerts. Im Streitfall stellt sich diese Frage indes nicht, weil aufgrund der bereits zum 1. Januar 2010 eingetretenen Berufsunfähigkeit des Ehemanns der Schuldnerin deren Verpflichtung zur Beitragszahlung entfallen war.
- bb) Der Anspruch unterliegt auch (vollständig) der Zwangsvollstreckung (36 InsO). Zwar sind Ansprüche aus einer nur auf den Todesfall abgeschlossenen Lebensversicherung, auch wenn die Versicherungssumme 3.579 € übersteigt, nach § 850b Abs. 1 Nr. 4 ZPO insoweit unpfändbar, als sie sich auf der Grundlage einer diesen Betrag nicht übersteigenden Versicherungssumme ergeben (BGH, Beschluss vom 12. Dezember 2007 – VII ZB 47/07, NJW-RR 2008, 412). Die Vorschrift findet jedoch nur Anwendung, wenn die Versicherung auf den Todesfall des Schuldners als Versicherungsnehmer abgeschlossen ist (BGH, Beschluss vom 19. März 2009 – IX ZA 2/09, ZInsO 2009, 915 Rn. 5).
- b) Schließlich gilt der Anspruch auf die Todesfallleistung auch als nach dem Schlusstermin ermittelt. Dem steht nicht entgegen, dass der aufschiebend bedingte Anspruch dem Treuhänder während des Insolvenzverfahrens bereits bekannt war. Unter die weit auszulegende Bestimmung des 203 Abs. 1 Nr. 3 InsO fallen auch Forderungen, die dem Verwalter bekannt waren, die aber von ihm noch nicht verwertet werden konnten (BGH, Beschluss vom 9. Oktober 2014, aaO Rn. 8 mwN).
- Die Anschlussrechtsbeschwerde ist unbegründet. Zu Unrecht hat allerdings das Beschwerdegericht von einer Kostengrundentscheidung abgesehen. Gemäß § 308 Abs. 2 ZPO ist von Amts wegen über die Verpflichtung zu entscheiden, wer die Prozesskosten zu tragen hat. Dies gilt auch im hier vorliegenden Verfahren der sofortigen Beschwerde (vgl. Hk-ZPO/Kayser/Koch, 5. Aufl., § 572 Rn. 17; Musielak/Ball, ZPO, 11. Aufl., § 572 Rn. 23 f). Gerichtsgebührenfreiheit macht die Entscheidung entgegen der Ansicht des Beschwerdegerichts nicht entbehrlich (MünchKomm-ZPO/Musielak, 4. Aufl., § 308 Rn. 23; Prütting/Gehrlein/Thole, ZPO, 6. Aufl., § 308 Rn. 10; Zöller/Vollkommer, ZPO, 30. Aufl., § 308 Rn. 8). Ein Recht auf die mit der Anschlussrechtsbeschwerde begehrte Kostengrundentscheidung zu seinen Gunsten hat der weitere Beteiligte zu 1 indes nicht, weil seine sofortige Beschwerde unzulässig war (dazu oben unter 1.).