Festsetzungsfrist bei der Erbschaftsteuer – Vorzeitiger Wegfall eines Nießbrauchsrechts

September 23, 2020

FG Bremen, Urteil vom 22. Juni 2020 – 2 K 73/20 (1)

Festsetzungsfrist bei der Erbschaftsteuer – Vorzeitiger Wegfall eines Nießbrauchsrechts

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Streitig ist, ob einer auf § 14 Abs. 2 Satz 3 des Bewertungsgesetzes (BewG) gestützten Änderung eines bestandskräftigen Erbschaftsteuerbescheids durch den angefochtenen Erbschaftsteuerbescheid vom 5. Februar 2020 Festsetzungs- und/oder Zahlungsverjährung entgegensteht.

Am … 2015 verstarb Frau … – nachfolgend abgekürzt: A. – im Alter von … Jahren.

In ihrem Testament vom 20. Oktober 2014 hatte A. die Klägerin zur Alleinerbin bestimmt. Des Weiteren hatte sie angeordnet, dass ihr am … 1938 geborener Sohn, Herr … – nachfolgend abgekürzt: B. –, ein lebenslanges unentgeltliches Nießbrauchsrecht an dem bebauten Grundstück …, erhält (Nießbrauchsvermächtnis).

Das Amtsgericht … -Nachlassgericht- übersandte dem Beklagten mit Schreiben vom 27. November 2015 eine beglaubigte Abschrift des Eröffnungsprotokolls und des Testaments.

Mit Schreiben vom 3. März 2016 forderte der Beklagte die Klägerin unter Hinweis auf § 149 Abgabenordnung (AO) i. V. m. § 31 des Erbschaftsteuergesetzes (ErbStG) auf, eine Erbschaftsteuererklärung einzureichen.

Mit Schreiben der Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 21. April 2016, das am darauffolgenden Tag bei der Beklagten einging wurde dem Beklagten die am 19. April 2016 von der Klägerin unterschriebene Erbschaftsteuererklärung übersandt, auf deren Inhalt wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird.

Unter dem 4. August 2016 erließ der Beklagte einen Erbschaftsteuerbescheid für die Klägerin, der eine – von der Klägerin in der Folgezeit erfüllte – Zahllast i. H. v. 152.130,00 € auswies. Darin berücksichtigte der Beklagte das Nießbrauchsvermächtnis zugunsten von B. als steuermindernde Last mit einem Betrag i. H. v. 257.763,44 €. Der Bescheid erging gemäß § 165 Abs. 1 AO vorläufig hinsichtlich des Abzugs des Nießbrauchsrechts, weil die Abzugsfähigkeit dieser Belastung wegen der vom Lagefinanzamt im Feststellungsbescheid noch mitzuteilenden nachrichtlichen Angaben noch nicht abschließend geprüft werden konnte. Außerdem erging der Bescheid hinsichtlich der Steuerbefreiung nach § 13c ErbStG teilweise vorläufig gemäß § 165 Abs. 1 AO, weil die gesamte Wohn- und Nutzfläche des Gebäudes und die Wohnfläche der zu Wohnzwecken vermieteten Teile noch nicht abschließend ermittelt werden konnte. Darüber hinaus wurde in dem Bescheid erläutert, dass eine Mitteilung des zuständigen Lagefinanzamts über die Feststellung des Bedarfswerts noch nicht vorliege und der gemeine Wert des Grundstücks entsprechend den Angaben in der Steuererklärung geschätzt worden sei, damit die Steuerfestsetzung zeitnah erfolgen könne (§ 155 Abs. 2 AO i. V. m. § 162 Abs. 5 AO), und dass die Steuerfestsetzung von Amts wegen geändert werde (§ 175 AO), ohne dass es insoweit eines Einspruchs bedürfe, sobald die Mitteilung des Lagefinanzamts vorliege.

Am … 2016 verstarb B.

Aus der Mitteilung vom 14. Oktober 2019 über die gesonderte Feststellung des Grundbesitzwerts auf den … 2015 für die als Mietwohngrundstück eingestufte wirtschaftliche Einheit …, ergab sich ein Grundbesitzwert i. H. v. 789.930 € und eine gesamte Wohn- und Nutzfläche des Gebäudes von 445 qm.

Unter dem 18. November 2019 erließ der Beklagte einen den Bescheid vom 4. August 2016 gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO ändernden und gemäß § 165 Abs. 2 AO endgültigen Bescheid über Erbschaftsteuer gegenüber der Klägerin, dem er den mitgeteilten Grundbesitzwert i. H. v. 789.930 € zugrunde legte. Die mit diesem Bescheid festgesetzte Erbschaftsteuer i. H. v. 191.760,00 € führte zu einer weiteren Zahllast von 39.630,00 €.

Die Klägerin zahlte den angeforderten Betrag i. H. v. 39.630,00 € innerhalb der ihr gesetzten Frist unter Vorbehalt und legte mit Schreiben vom 6. Dezember 2019, das per Telefax vorab am selben Tag beim Beklagten einging, Einspruch gegen den Erbschaftsteuerbescheid vom 18. November 2019 ein. Zur Begründung trug sie vor, dass das Nießbrauchsvermächtnis lediglich mit einem Betrag i. H. v. 257.763,44 € und damit im Verhältnis zum Grundbesitzwert in zu geringer Höhe berücksichtigt worden sei.

Der Beklagte half dem Einspruch gegen den geänderten Erbschaftsteuerbescheid vom 18. November 2019 durch Erlass eines diesen Bescheid nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO ändernden, auf den 6. Januar 2020 datierten Erbschaftsteuerbescheids ab. Aufgrund der Berücksichtigung des Nießbrauchsvermächtnisses mit einem Betrag i. H. v. 313.253,96 € ergab sich eine festgesetzte Erbschaftsteuer i. H. v. nur noch 176.040,00 € und dementsprechend eine im Vergleich zur Zahllast aus dem vorangegangenen Bescheid vom 18. November 2019 um 15.720,00 € verringerte Zahllast. Der Betrag i. H. v. 15.720,00 € wurde in der Folgezeit an die Klägerin zurückgezahlt.

Mit nach § 14 BewG geändertem Bescheid vom 5. Februar 2020 setzte der Beklagte eine im Vergleich zum vorangegangenen Erbschaftsteuerbescheid vom 6. Januar 2020 um 78.960,00 € höhere Erbschaftsteuer von 255.000,00 € fest. Die Erhöhung beruhte auf der Berücksichtigung des Kapitalwerts des Nießbrauchsvermächtnisses aufgrund des Todes von B. im … 2016 lediglich mit einem Betrag i. H. v. 34.442,64 €. Wegen der Einzelheiten der Berechnung des Kapitalwerts des Nießbrauchsvermächtnisses nach dem Tod von B. im … 2016 wird auf Seite 5 des Bescheids vom 5. Februar 2020 Bezug genommen.

Gegen den Erbschaftsteuerbescheid vom 5. Februar 2020 legte die Klägerin mit Schreiben vom 19. Februar 2020, das am selben Tag beim Beklagten einging, Einspruch ein und beantragte dessen Aufhebung. Die Klägerin vertrat unter Hinweis auf §§ 169, 170 AO die Ansicht, dass eine Berichtigung nach § 14 BewG durch den angefochtenen Bescheid nicht mehr möglich gewesen sei, da die einjährige Festsetzungsfrist, die mit dem Erbfall begonnen habe, bei dessen Erlass bereits abgelaufen gewesen sei. Der Eintritt der Verjährung habe rechtsvernichtende Wirkung und führe gemäß § 47 AO zum Erlöschen der Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis. Jedenfalls sei das Steuerschuldverhältnis durch den Ausgleich der Steuerforderung aus dem Erbschaftsteuerbescheid vom 6. Januar 2020 i. H. v. 176.040,00 € erloschen. Von dem hierdurch eingetretenen Erlöschen des einheitlichen Steuerschuldverhältnisses sei auch der Beklagte ausgegangen, wie sich aus der Rückzahlung des überzahlten Betrags i. H. v. 15.720,00 € an sie, die Klägerin, ergebe.

Mit Einspruchsentscheidung vom 27. April 2020 wies der Beklagte den Einspruch der Klägerin als unbegründet zurück:

Nach § 169 Abs. 2 AO betrage die Festsetzungsfrist ein Jahr für Verbrauchsteuern und Verbrauchsteuervergütungen. Verbrauchsteuern seien Steuern, die auf ein verbrauchsfähiges Gut erhoben würden (§ 3 AO). Beispiele für Verbrauchsteuern seien Biersteuer, Energiesteuer (früher: Mineralölsteuer), Stromsteuer, Tabaksteuer. Für alle anderen Steuern und Steuervergütungen – auch für die Erbschaftsteuer – betrage die Festsetzungsfrist vier Jahre. Die vierjährige Frist für die Festsetzung der Erbschaftsteuer ende im Streitfall nicht vor Ablauf des Jahres 2020. Die Steuerfestsetzung sowie ihre Aufhebung oder Änderung seien zumindest bis zu diesem Zeitpunkt zulässig.

Der Anspruch des Steuergläubigers aus dem Steuerschuldverhältnis aufgrund des angefochtenen Erbschaftsteuerbescheids sei nicht nach § 47 AO erloschen.

Nach § 37 AO sei der Steueranspruch ein Anspruch des Steuergläubigers gegen den Steuerschuldner auf eine Geldleistung. Der Anspruch ergebe sich nicht aus der festgesetzten Steuer, sondern aus dem fällig gestellten Betrag. Dies erfolge über eine Abrechnung, die einen selbständigen Verwaltungsakt nach § 118 AO darstelle. Nach § 47 AO könne ein auf diese Weise geltend gemachter Anspruch durch Zahlung erlöschen. Werde dieser Betrag nicht gezahlt, könne unter Umständen ein Erlöschen durch Verjährung eintreten.

Im Streitfall habe die Klägerin Zahlungen geleistet. Insoweit sei der Anspruch erloschen.

Die Zahlungsverjährung richte sich nach den §§ 228 bis 232 AO. Sie betreffe Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis und betrage grundsätzlich fünf Jahre. Nach § 229 Abs. 1 AO beginne die Verjährung mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Anspruch erstmals fällig geworden sei. § 220 AO regele, dass sich die Fälligkeit von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis nach den Vorschriften der Steuergesetze richte. Fehle es an einer besonderen gesetzlichen Regelung über die Fälligkeit, so werde der Anspruch mit seiner Entstehung fällig, es sei denn, dass in einem nach § 254 AO erforderlichen Leistungsgebot eine Zahlungsfrist eingeräumt worden sei.

Mit dem angefochtenen Änderungsbescheid sei ein weiterer Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis in Höhe des Unterschiedsbetrags zu dem ursprünglich geforderten Betrag geltend gemacht worden. Im Streitfall sei das Leistungsgebot mit der Abrechnungsmitteilung zur Erbschaftsteuer vom 5. Februar 2020 ergangen. Der darin abgerechnete Betrag sei am 10. März 2020 fällig geworden. Für diesen weiteren Anspruch seien die oben angeführten Vorschriften separat anzuwenden. In Höhe dieses Betrags beginne die Zahlungsverjährung mit Ablauf des Kalenderjahres 2020.

Der geänderte Erbschaftsteuerbescheid vom 5. Februar 2020 sei zu Recht ergangen. Das Erlöschen eines Anspruchs betreffe nicht die festgesetzte Steuer und habe daher keine Auswirkung auf das Ergehen eines Steuerbescheids. Einwendungen gegen die Erhebung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis könnten nur durch Einspruch gegen die Abrechnung erfolgen, nicht durch Einspruch gegen die Steuerfestsetzung. Wie jedoch bereits dargelegt, werde auch der Anspruch des Fiskus auf Zahlung der Erbschaftsteuer zu Recht geltend gemacht.

Gegen die Einspruchsentscheidung vom 27. April 2020 hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 18. Mai 2020, der am darauffolgenden Tag beim Finanzgericht eingegangen ist, Klage erhoben. Zur Begründung trägt sie Folgendes vor:

Der angefochtene Erbschaftsteuerbescheid vom 5. Februar 2020, der für sie eine Zahllast i. H. v. 78.960,00 € begründet habe, hätte aus tatsächlichen und rechtlichen Gründen nicht ergehen dürfen.

Mit Erlass des antragsgemäß geänderten Erbschaftsteuerbescheids vom 6. Januar 2020 und der Rückzahlung der bereits gezahlten Erbschaftsteuer i. H. v. 15.720,00 € an sie, die Klägerin, sei der Vorgang abgeschlossen gewesen.

Der Beklagte hätte den angefochtenen Erbschaftsteuerbescheid vom 5. Februar 2020 erlassen dürfen, wenn der Vermächtnisnehmer B. Anfang 2020 verstorben wäre. Er sei jedoch bereits am … 2016 verstorben. Das Datum seines Todes sei dem Beklagten bekannt gewesen, da bei ihm auch das Erbschaftsteuerverfahren nach dem Tod von B. anhängig sei. Das Vorbringen des Beklagten, der Tod des Vermächtnisnehmers B. sei Anlass für den Erlass des angefochtenen Bescheids gewesen, treffe daher nicht zu.

Der angefochtene Bescheid habe auch nicht als Berichtigungsbescheid erlassen werden dürfen. Die Berichtigung eines bestandskräftigen Steuerbescheids – hier des bestandskräftigen Bescheids vom 6. Januar 2020 – sei nur möglich bei Vorliegen von Schreibfehlern, Rechenfehlern und ähnlichen offenbaren Unrichtigkeiten. Die Berichtigung sei hingegen nicht möglich, wenn dem Sachbearbeiter des Finanzamtes ein Tatsachen- oder Rechtsirrtum unterlaufen sei oder er den Sachverhalt mangelhaft aufgeklärt habe (BFH, Urteil vom 10. Dezember 2019 IX R 23/18, BFH/NV 2020, 394, juris Rz 19).

Die Festsetzungsfrist betrage im Streitfall vier Jahre. Sie sei bei Erlass des angefochtenen Erbschaftsteuerbescheids vom 5. Februar 2020 bereits abgelaufen gewesen. Gehe man vom Todestag der Erblasserin am … 2015 aus, habe die Festsetzungsfrist für die Steuerfestsetzung sowie ihre Änderung am 1. Januar 2016 begonnen und am 31. Dezember 2019 geendet habe. Nach § 170 Abs. 2 AO sei hier allerdings auf die Einreichung der Erbschaftsteuererklärung vom 19. April 2016 auszugehen. Danach habe die Festsetzungsfrist am 1. Januar 2017 begonnen und spätestens mit Ablauf des 3. Kalenderjahres, das auf das Kalenderjahr folge, in dem die Steuer entstanden sei, mithin am 31. Dezember 2019 geendet.

Außerdem sei durch den Ausgleich der Steuerforderung aus dem Erbschaftsteuerbescheid vom 6. Januar 2020 i. H. v. 176.040,00 € das mit ihr, der Klägerin, bestehende

Steuerschuldverhältnis erloschen (§ 47 AO, § 362 des Bürgerlichen Gesetzbuchs -BGB-). Die Annahme des überwiesenen Betrags als Erfüllung seitens des Beklagten sei nicht notwendig, um die schuldtilgende Wirkung auszulösen. Hier gehe der Beklagte ausdrücklich von der Erlöschenswirkung aus, indem er nach Erlass des Erbschaftsteuerbescheids vom 6. Januar 2020 einen überzahlten Betrag von 15.720,00 € an sie, die Klägerin, zurücküberwiesen habe. Sei die Steuerschuld erloschen, könne sie nachträglich nicht mehr berichtigt werden (Esskandari in Gürsching/Stenger, Bewertungsrecht, § 14 BewG Rz 53, Stand: 01.06.2016). Diese Rechtsfolge regele § 47 AO ausdrücklich.

Soweit der Beklagte mit seiner Unterscheidung zwischen bisherigem und weiterem Anspruch von einem zweigeteilten Steuerschuldverhältnis ausgehe, könne ihm nicht gefolgt werden. Wenn ein Teil durch den Erbschaftsteuerbescheid vom 6. Januar 2020 abgerechnet und durch Zahlung erloschen sein solle und ein weiterer Teil in Höhe des „ursprünglich geforderten“ Betrags unverjährt fortbestanden habe, stelle sich die Frage, welches der ursprünglich geforderte und fällig gestellte Betrag sei und mit welchem Inhalt er Gegenstand des Steuerschuldverhältnisses geworden sei. Die Ausführungen des Beklagten entsprächen nicht der Gesetzeslage. § 47 AO kenne kein geteiltes, sondern nur ein einheitliches Steuerschuldverhältnis, das nur solange bestehe, wie ein Anspruch bestehe. Das entspreche auch § 241 Abs. 1 BGB, der bestimme, das von dem Schuldner eine Leistung gefordert werden könne. Der Anspruch auf Erbschaftsteuer sei mit dem Erbschaftsteuerbescheid vom 6. Januar 2020 auf 176.040,00 € festgesetzt worden. Dies sei der Anspruch des Beklagten, der das Steuerschuldverhältnis nach § 37 AO bestimme. Auf diesen Anspruch habe die Klägerin 152.130,00 € und 39.630,00 €, also insgesamt 191.760,00 € gezahlt. Entsprechend der eigenen Steuerfestsetzung habe der Beklagte den überzahlten Betrag von 15.720,00 € an die Klägerin zurücküberwiesen. Damit sei die geschuldete Steuerschuld – auch aus der Sicht des Beklagten – bewirkt und das Steuerschuldverhältnis folglich erloschen. Der angefochtene Erbschaftsteuerbescheid vom 5. Februar 2020 sei daher aufzuheben.

Die Klägerin beantragt,
den Erbschaftsteuerbescheid vom 5. Februar 2020 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 27. April 2020 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Er verweist auf die Ausführungen in der Einspruchsentscheidung.

Dem Finanzgericht haben die für die Klägerin geführten Erbschaftsteuerakten des Beklagten (1 Band) vorgelegen. Der Inhalt dieser Akten ist, ebenso wie der Inhalt der Gerichtsakten (1 Band), Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen, soweit in diesem Urteil auf sie verwiesen wird. Insoweit wird auf den Akteninhalt ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage, über die die Berichterstatterin aufgrund des mit Schriftsatz der Klägerin vom 11. Juni 2020 und mit Schriftsatz des Beklagten vom 2. Juni 2020 erteilten Einverständnisses gemäß § 79a Abs. 3 und 4 der Finanzgerichtsordnung (FGO) allein und gemäß § 90 Abs. 2 FGO ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist unbegründet.

Der angefochtene Erbschaftsteuerbescheid vom 5. Februar 2020 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 27. April 2020 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO).

I. Der Beklagte hat mit dem angefochtenen Bescheid zu Recht eine Erbschaftsteuer i. H. v. 255.000,00 € festgesetzt. Anhaltspunkte dafür, dass dem Beklagten bei der Berechnung des steuerpflichtigen Erwerbs der Klägerin Fehler unterlaufen sind, ergeben sich weder aus den Akten noch aus dem Vortrag der Klägerin.

Zutreffend hat der Beklagte bei der Ermittlung der Bereicherung der mit dem Nießbrauchsvermächtnis zugunsten von B. belasteten Klägerin den Kapitalwert des Nießbrauchsrechts nach § 14 Abs. 2 Nr. 7 BewG abgezogen.

Nach § 14 Abs. 1 Satz 1 BewG ist der Kapitalwert von lebenslänglichen Nutzungen und Leistungen mit dem Vielfachen des Jahreswerts anzusetzen. Die Vervielfältiger sind nach der Sterbetafel des Statistischen Bundesamtes zu ermitteln (§ 14 Abs. 1 Satz 2 BewG). Hat eine nach § 14 Abs. 1 BewG bewertete Nutzung oder Leistung bei einem Alter von mehr als 75 Jahren bis zu 80 Jahren nicht mehr als 4 Jahre bestanden und beruht der Wegfall auf dem Tod des Berechtigten, ist nach § 14 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 BewG die Festsetzung der nicht laufend veranlagten Steuern auf Antrag nach der wirklichen Dauer der Nutzung oder Leistung zu berichtigen. Ist eine Last weggefallen, so bedarf die Berichtigung keines Antrags (§ 14 Abs. 2 Satz 3 BewG).

Die Voraussetzungen für die mit dem angefochtenen Erbschaftsteuerbescheid vorgenommene Berichtigung der zuletzt mit Bescheid vom 6. Januar 2020 erfolgten Festsetzung der Erbschaftsteuer für den Erwerb der Klägerin als Erbin von A. im Jahr 2015 liegen vor. Denn die in dem Bescheid vom 6. Januar 2020 bereicherungsmindernd berücksichtigte Last in Gestalt des lebenslangen Nießbrauchs zugunsten von B., der zu den lebenslänglichen Nutzungen i. S. des § 14 Abs. 1 Satz 1 BewG zählt und nach dieser Vorschrift bewertet worden war, ist mit dem Tod von B. bereits im Jahr 2016 weggefallen. Der lebenslange Nießbrauch zugunsten von B. bestand im Streitfall lediglich 9 Monate und 22 Tage. Denn der im Zeitpunkt des Todes der Erblasserin A. am … 2015 bereits 77 Jahre alte B. ist am … verstorben. Nach § 14 Abs. 2 Sätze 1 und 3 BewG ist die Last in Gestalt des lebenslangen Nießbrauchs zugunsten von B. lediglich für die tatsächliche Dauer von 9 Monaten und 22 Tagen zu berücksichtigen. Dies ergibt nach den im Einzelnen auf Seite 5 des angefochtenen Bescheids vom 5. Februar 2020 dargelegten Berechnungen einen Abzugsbetrag i. H. v. 34.442,64 €.

II. Entgegen der Rechtsauffassung der Klägerin war der mit dem Erlass des angefochtenen Erbschaftsteuerbescheids vom 5. Februar 2020 geltend gemachte Steueranspruch nicht wegen Eintritts der Festsetzungsverjährung erloschen.

1. Nach § 47 AO erlöschen Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis unter anderem durch Festsetzungsverjährung nach §§ 169 bis 171 AO. Eine Steuerfestsetzung sowie ihre Aufhebung und Änderung sind nicht mehr zulässig, wenn die Festsetzungsfrist abgelaufen ist (§ 169 Abs. 1 Satz 1 AO). Die Festsetzungsfrist beträgt für die Erbschaftsteuer regelmäßig vier Jahre (§ 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO). Sie beginnt grundsätzlich mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist (§ 170 Abs. 1 1. Alt. AO). Bei Erwerben von Todes wegen entsteht die Erbschaftsteuer mit dem Tod des Erblassers (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG). Im Streitfall verstarb die Erblasserin A. am … 2015, so dass die Erbschaftsteuer für den Erwerb der Klägerin an diesem Tag entstanden ist.

Abweichend von § 170 Abs. 1 AO beginnt gemäß § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO die Festsetzungsfrist dann, wenn eine Steuererklärung oder eine Steueranmeldung einzureichen oder eine Anzeige zu erstatten ist, mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Erklärung, die Anmeldung oder die Anzeige eingereicht bzw. erstattet wird, spätestens jedoch mit Ablauf des dritten Kalenderjahres, das auf das Kalenderjahr folgt, in dem die Steuer entstanden ist (sog. Anlaufhemmung der Festsetzungsfrist). Ist eine gemäß § 30 Abs. 1 oder 2 ErbStG bestehende Anzeigepflicht erfüllt worden und fordert das Finanzamt daraufhin gemäß § 31 Abs. 1 ErbStG die Abgabe einer Erbschaftsteuererklärung, endet die Anlaufhemmung erst mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuererklärung eingereicht wird, spätestens jedoch mit Ablauf des dritten Kalenderjahres nach dem Jahr der Steuerentstehung (BFH, Urteil vom 27. August 2008 II R 36/06, BFHE 222, 83, BStBl II 2009, 232, juris Rz 9).

Im Streitfall erfuhr der Beklagte aufgrund des Schreibens des Amtsgerichts … -Nachlassgericht- vom 27. November 2015 von dem der Erbschaftsteuer unterliegenden Erwerb der Klägerin. Mit Schreiben vom 3. März 2016 forderte der Beklagte die Klägerin unter Hinweis auf § 149 AO i. V. m. § 31 ErbStG auf, eine Erbschaftsteuererklärung einzureichen. Diese ging am 22. April 2016 beim Beklagten ein. Damit endete der Dreijahreszeitraum der Anlaufhemmung des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO, für dessen Beginn der Tod von A. im Jahr 2015 maßgeblich ist, bereits im Jahr 2016 mit der Einreichung der Erbschaftsteuererklärung durch die Klägerin.

Aufgrund des Eingangs der Erbschaftsteuererklärung im Jahr 2016 hat die für die Erbschaftsteuer geltende vierjährige Festsetzungsfrist des § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO (siehe dazu z. B. BFH, Urteil vom 16. Oktober 1996 II R 43/96, BFHE 181, 351, BStBl II 1997, 73, juris Rz 16) mit Ablauf des Jahres 2016 zu laufen begonnen und wird mit Ablauf des Jahres 2020 enden. Dem angegriffenen Erbschaftsteuerbescheid vom 5. Februar 2020 steht demgemäß Festsetzungsverjährung nicht entgegen. Das hiervon abweichende Ergebnis der Berechnung der Klägerin, nach der die Festsetzungsfrist bereits am 31. Dezember 2019 geendet haben soll, beruht auf der unterbliebenen Differenzierung zwischen der Anlaufhemmung der Festsetzungsfrist nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO und dem Ablauf der Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO. Da eine solche Differenzierung aber nach den vorgenannten gesetzlichen Regelungen erforderlich ist, kann das Ergebnis der Berechnung der Klägerin der Entscheidung des Rechtsstreits nicht zugrunde gelegt werden.

2. Dem angefochtenen Erbschaftsteuerbescheid vom 5. Februar 2020 steht auch nicht entgegen, dass der darin erstmals berücksichtigte vorzeitige Wegfall der Nießbrauchslast durch den Tod von B. am … 2016 bereits in dem bestandskräftigen Erbschaftsteuerbescheid vom 6. Januar 2020 hätte berücksichtigt werden können. Denn diese Möglichkeit stellt nicht die gemäß § 14 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 i. V. m. Satz 3 BewG bestehende Pflicht des Finanzamts in Frage, dem vorzeitigen Wegfall der Nießbrauchslast durch Erlass eines auf diese spezielle Änderungsnorm gestützten Bescheids Rechnung zu tragen. Die den vorzeitigen Wegfall der Nießbrauchslast nicht berücksichtigende Erbschaftsteuerfestsetzung in dem bestandskräftigen Bescheid vom 6. Januar 2020 war materiell fehlerhaft. Deren Berichtigung stand nicht im Ermessen des Finanzamts. Mit dem Erlass des angefochtenen Bescheids vom 5. Februar 2020 kam der Beklagte seiner Verpflichtung gemäß § 14 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 i. V. m. Satz 3 BewG nach, die den vorzeitigen Wegfall der Nießbrauchslast nicht berücksichtigende Erbschaftsteuerfestsetzung in dem bestandskräftigen Bescheid vom 6. Januar 2020 zu berichtigen. Dieser Verpflichtung hätte der Beklagte nur dann nicht mehr nachkommen dürfen, wenn bei Erlass des angefochtenen Erbschaftsteuerbescheids vom 5. Februar 2020 die Festsetzungsfrist bereits abgelaufen gewesen wäre. Dies war jedoch – wie vorstehend zu Ziffer 1. gezeigt – gerade nicht der Fall.

3. Da der auf die spezielle Änderungsnorm des § 14 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 i. V. m. Satz 3 BewG gestützte angefochtene Erbschaftsteuerbescheid vom 5. Februar 2020 innerhalb der vierjährigen Festsetzungsfrist des § 169 Abs. 2 Nr. 2 AO ergangen ist, stellt sich nicht die von der Klägerin mit ihrem Hinweis auf das BFH-Urteil vom 10. Dezember 2019 IX R 23/18, BFH/NV 2020, 394 (juris Rz 19) aufgeworfene Frage, ob der angefochtene Bescheid als Berichtigungsbescheid nach § 129 AO hätte ergehen können, weil es sich bei dem Übersehen des vorzeitigen Wegfalls der Nießbrauchslast bei Erlass des bestandskräftigen Erbschaftsteuerbescheids vom 6. Januar 2020 um ein bloß mechanisches Versehen gehandelt haben könnte. Diese Frage würde sich nur stellen, wenn bei Erlass des angefochtenen Erbschaftsteuerbescheids vom 5. Februar 2020 die vierjährige Festsetzungsfrist des § 169 Abs. 2 Nr. 2 AO bereits abgelaufen gewesen und deswegen lediglich eine Berichtigung nach § 129 AO in Betracht gekommen wäre.

III. Die Ansprüche des Beklagten aus dem angefochtenen Erbschaftsteuerbescheid vom 5. Februar 2020 sind auch nicht durch Zahlungsverjährung erloschen. Denn die fünfjährige Zahlungsverjährungsfrist des § 228 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1. AO war im Jahr 2020 noch nicht abgelaufen.

1. Nach § 47 AO erlöschen Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis auch durch Zahlungsverjährung nach §§ 228 bis 232 AO. Zahlungsverjährung ist das Erlöschen von fälligen Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis durch Ablauf der Verjährungsfrist. Die Zahlungsverjährung unterscheidet sich von der Festsetzungsverjährung unter anderem dadurch, dass sie die fälligen Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis betrifft. Die Zahlungsverjährung folgt der Festsetzungsverjährung in dem Sinne, dass sie Ansprüche erfasst, die der Festsetzungsverjährung entgangen sind und darum – wie im Streitfall – festgesetzt werden konnten. Nur soweit die Ansprüche kraft Gesetzes nicht festgesetzt werden müssen, unterliegen sie allein der Zahlungsverjährung (Loose in: Tipke/Kruse, AO/FGO, 160. Lieferung 04.2020, § 218 AO Rz 17 m. w. N.).

Die Zahlungsverjährungsfrist beträgt grundsätzlich fünf Jahre (§ 228 Satz 2 AO). Gemäß § 229 Abs. 1 Satz 1 AO beginnt die Verjährung mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Anspruch erstmals fällig geworden ist. Da Zahlungsansprüche des Finanzamts gegen den Steuerschuldner auch während eines Rechtsstreits über die Steuerfestsetzung verjähren und damit erlöschen können, sofern das Finanzamt in dieser Zeit keine taugliche Unterbrechungshandlung vornimmt, ist der Eintritt der Zahlungsverjährung in jeder Lage des Verfahrens zu prüfen (BFH, Urteil vom 7. November 2018 X R 34/16, BFH/NV 2019, 686, juris Rz 43 m. w. N.).

2. Die mit dem angefochtenen Erbschaftsteuerbescheid vom 5. Februar 2020 festgesetzte Erbschaftsteuer i. H. v. 255.000,00 € ist weder in Höhe des streitigen Teilbetrags von 78.960,00 € noch in Höhe des unstreitigen, bereits gezahlten Differenzbetrags durch Zahlungsverjährung nach §§ 229 ff. AO erloschen.

Nach § 229 Abs. 1 Satz 1 beginnt die Zahlungsverjährung mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Anspruch erstmals fällig geworden ist. Sie beginnt jedoch nicht vor Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Festsetzung eines Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis, ihre Aufhebung, Änderung oder Berichtigung nach § 129 AO wirksam geworden ist, aus der sich der Anspruch ergibt (§ 229 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 AO).

Anspruch i. S. des § 229 Abs. 1 Satz 1 AO ist der Zahlungsanspruch, der als ein Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis nach § 218 Abs. 1 Satz 1 AO seine Grundlage in einem Steuer(festsetzungs)bescheid hat. Der im Steuerfestsetzungsverfahren ausgewiesene Steueranspruch unterliegt erst ab dem Zeitpunkt seiner Festsetzung der Zahlungsverjährung.

Im Streitfall kann dahinstehen, ob – wie die Klägerin meint – für den Beginn der Zahlungsverjährung des in dem angefochtenen Erbschaftsteuerbescheid vom 5. Februar 2020 ausgewiesenen Steueranspruchs i. H. v. insgesamt 255.000,00 € hinsichtlich des streitigen Teilbetrags i. H. v. 78.960,00 € auf die erstmalige Erbschaftsteuerfestsetzung mit dem Bescheid vom 4. August 2016 abzustellen ist oder ob hierfür der Änderungsbescheid vom 6. Januar 2020, der im Januar 2020 i. S. des § 229 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 AO wirksam geworden ist, maßgeblich ist oder aber der angefochtene Bescheid vom 5. Februar 2020 selbst mit dem ihm beigefügten Leistungsgebot über 78.960,00 €. Denn auch wenn man einen Beginn der fünfjährigen Zahlungsverjährung bereits mit Ablauf des Kalenderjahres 2016 – also des Kalenderjahres, in dem die erstmalige Festsetzung des Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis wirksam geworden ist (§ 229 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 AO) – annimmt, ergibt sich als Ende der Zahlungsverjährung der Ablauf des Kalenderjahres 2021 und damit ein Ablauf erst nach dem Zeitpunkt der Geltendmachung des Differenzbetrags i. H. v. 78.960,00 € durch das dem angefochtenen Bescheid vom 5. Februar 2020 beigefügte Leistungsgebot. Mit der schriftlichen Geltendmachung durch das dem angefochtenen Bescheid vom 5. Februar 2020 beigefügte Leistungsgebot ist nach § 231 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8, Abs. 4 AO die Zahlungsverjährung des Erbschaftsteueranspruchs i. H. v. 78.960,00 € unterbrochen worden. Mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Unterbrechung endet – hier: mit Ablauf des Jahres 2020 –, wird eine neue fünfjährige Verjährungsfrist beginnen (§ 231 Abs. 3 AO). Nach deren fruchtlosen Verstreichen ohne rechtzeitige Unterbrechungshandlung werden die Ansprüche des Beklagten gegen die Klägerin aus dem Steuerschuldverhältnis nach dem Tod von A. erlöschen.

IV. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil weder die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des BFH erfordert (§ 115 Abs. 2 FGO).

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