FG Nürnberg, 4 K 270/14
Beschluss
Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren wird für notwendig erklärt.
Streitig ist, ob Zahlungsverpflichtungen aus der Abrechnung von Erschließungsbeiträgen, für eine Lärmschutzeinrichtung als Verbindlichkeiten i.S.v. § 10 Abs. 5 ErbStG berücksichtigt werden können.
Die Klägerin ist testamentarische Alleinerbin der am 27.09.2012 verstorbenen D. Sie ist Tochter der Cousine der Erblasserin.
Im Nachlass befanden sich u.a. das mit einem Zweifamilienhaus bebaute Grundstück Straße 1, A-Stadt, wobei eine Wohnung von der Erblasserin selbst genutzt, die andere vermietet worden war, und ein unbebautes Grundstück Straße, Fl.Nr. 2…/139 der Gemarkung A-Stadt.
Im Erbschaftsteuerbescheid vom 22.11.2013, in dem das Finanzamt weitgehend den Angaben der Klägerin folgte, wurde ein Wert des Erwerbs von 349.467 € und ein steuerpflichtiger Erwerb von 329.400 € angesetzt und die Erbschaftsteuer nach Steuerklasse III i.H.v. 98.820 € festgesetzt.
Im Einspruchsverfahren brachte die Klägerin – soweit jetzt noch streitig – vor, sie sei im Rahmen der Erbschaft mit Zahlungsverpflichtungen aus Erschließungsbeiträgen für Lärmschutz belastet. Mit Bescheid vom 30.10.2013 der Stadt A-Stadt sei von ihr für das Grundstück Fl.Nr. 1… Gemarkung A-Stadt (gemeint Straße 1) ein Erschließungsbeitrag i.H.v. 6.760,61 € erhoben worden.
Das unbebaute Grundstück habe sie mit notariellem Kaufvertrag vom 10.07.2013 an die Ehegatten EG und FG verkauft. Im Vertrag sei unter „VII. Erschließungskosten 1.“ vereinbart worden, dass die für das Vertragsgrundstück etwa anfallenden Kosten und Lasten für die aktuell durchgeführte Lärmschutzmaßnahme (Lärmschutzwall) vom Veräußerer zu tragen seien; diese Kosten seien im Kaufpreis mitenthalten. Vorstehendes gelte unabhängig davon, wann und in welcher Höhe die Kosten anfallen/angefallen seien, bzw. wann die Inrechnungstellung erfolge. Mit Bescheid vom 30.10.2013 gegenüber EG sei von diesem ein Erschließungsbeitrag i.H.v. 5.856,02 € erhoben worden. Die Klägerin habe am 20.11.2013 diesen Betrag an die Stadt A-Stadt überwiesen.
Die Bescheide vom 30.10.2013 der Stadt A-Stadt führen in den Gründen aus:
„Die Beitragspflicht ergibt sich aus Artikel 5a KAG, § 134 Abs. 1, § 133 Abs. 1 und 2 BauGB. Sie ist mit der endgültigen Herstellung der für die Erschließung des Baugebietes Straße erforderlichen Lärmschutzeinrichtung am 19.08.2013 entstanden. (…) Beitragspflichtig ist derjenige, der im Zeitpunkt der Bescheidbekanntgabe Eigentümer des Grundstücks ist. Mehrere Beitragspflichtige sind Gesamtschuldner (§ 134 Abs. 1 BauGB).“
Die Klägerin fügte ihrem Vorbringen einen Bericht „Schalltechnische Untersuchung zur Änderung des Bebauungsplans „Straße“ der Stadt A-Stadt“ des beratenden Ingenieurs H vom 05.10.2009 bei. Ferner legte sie die am 01.03.2010 vom Oberbürgermeister der Stadt A-Stadt unterschriebene Änderung des Bebauungsplans „Bebauungsplan Nr. 6….. „Strasse“ Änderung Nr. 6….. Ä 3 „Nördliche und südliche Lärmschutzeinrichtung entlang der BAB A xx“ Begründung gemäß § 9 Abs. 8 BauGB“ vor. Hierin heißt es unter „7. Auswirkungen“: „(…) Die Kosten für die Lärmschutzeinrichtung sind auf die davon begünstigten Bewohner des Baugebiets „Straße“ umzulegen. Zur Festlegung des Umlegungsmaßstabs ist durch die Kämmerei eine Satzung zu erlassen, unter Heranziehung einer schalltechnischen Untersuchung, in der die durch die Lärmschutzeinrichtung Begünstigten ermittelt werden. Diese schalltechnische Untersuchung wird nach Fertigstellung der Lärmschutzeinrichtung erstellt.“
Sie trug dazu vor, die Lärmschutzeinrichtung sei bereits am 01.03.2010 beschlossen worden; das entsprechende Gutachten hierfür datiere vom 05.10.2009. Aufgrund des Bebauungsplans sei bekannt gewesen, dass kostenpflichtige Erschließungsbescheide durch die Stadt A-Stadt erstellt werden würden. Bereits zum Todeszeitpunkt der Erblasserin sei also mit einer entsprechenden Inanspruchnahme zu rechnen gewesen. Sie habe den Zeitpunkt der Bescheiderteilung nicht beeinflussen können. Objektiv sei es keine neu entstandene Schuld, sondern es sei erst nach dem Ableben der Erblasserin mit Bescheiden abgerechnet worden. Die schwebende Verpflichtung sei in einem Beitragsbescheid festgestellt worden.
Das Finanzamt erließ am 23.01.2014 einen nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO geänderten Erbschaftsteuerbescheid, in dem es einen Freibetrag nach § 13c ErbStG berücksichtigte, den steuerpflichtigen Erwerb mit 317.700 € ansetzte und die Erbschaftsteuer auf 95.310 € festsetzte.
Das Einspruchsverfahren blieb ohne Erfolg; mit Einspruchsentscheidung vom 07.02.2014 wurde der Einspruch als unbegründet zurückgewiesen.
Mit der Klage verfolgt die Klägerin ihr Vorbringen weiter und trägt vor:
Die Problematik der Lärmschutzmaßnahmen Straße sei bereits seit dem Kalenderjahr 2009 bekannt. Bereits im Zeitpunkt des Ablebens der Erblasserin sei die Verpflichtung zu erkennen gewesen. Dass diese Maßnahme für niemanden überraschend gekommen sei, sei auch in der Beurkundung des Verkaufs des unbebauten Grundstücks ersichtlich. Dies belege, dass die Existenz von Kosten bekannt gewesen sei, wenn auch nicht auf Heller und Pfennig genau.
In der mündlichen Verhandlung haben der Klägervertreter und die Klägerin vorgetragen, eine Rückfrage bei der Stadt A-Stadt habe ergeben, dass die Lärmschutzeinrichtung bereits im Jahr 2011 fertiggestellt gewesen sei. Wegen der langwierigen und umfangreichen Diskussionen mit den betroffenen Anwohnern hinsichtlich der Erschließungsbeiträge habe sich die Erstellung der Beitragsbescheide bis ins Jahr 2013 verzögert. Zur Erläuterung legte die Klägerin Zeitungsausschnitte vom 07.12.2012 und 04.01.2013 vor. Der Verkauf des unbebauten Grundstücks sei an fremde Dritte erfolgt.
Die Klägerin beantragt, den Bescheid vom 08.12.2014 dahin zu ändern, dass Erschließungsbeiträge i.H.v. 6.761 € und 5.856 € als Nachlassverbindlichkeiten berücksichtigt werden und die Erbschaftsteuer entsprechend niedriger festgesetzt wird.
Das Finanzamt beantragt, die Klage abzuweisen.
Es verweist auf sein bisheriges Vorbringen im Einspruchsverfahren.
Am 08.12.2014 hat das Finanzamt einen nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO geänderten Erbschaftsteuerbescheid erlassen, in dem es Vermächtnisansprüche der vier Kinder der Klägerin mit einem Kapitalwert von 71.840 € (80.000 € x 0,898) als Vermächtnisschuld berücksichtigte; den Wert des Erwerbs legte es mit 277.627 € und den steuerpflichtigen Erwerb mit 245.800 € zugrunde und setzte Erbschaftsteuer i.H.v. 73.740 € fest.
Die Klage ist begründet; die Erschließungsbeiträge i.H.v. 6.761 € und 5.856 € sind als Nachlassverbindlichkeiten zu berücksichtigen.
Vom Erwerb sind, soweit sich nicht aus § 10 Abs. 6 bis 9 ErbStG etwas anderes ergibt, als Nachlassverbindlichkeiten gemäß § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG die vom Erblasser herrührenden Schulden abzugsfähig, soweit sie nicht mit einem zum Erwerb gehörenden Gewerbebetrieb, Anteil an einem Gewerbebetrieb, Betrieb der Land- und Forstwirtschaft oder Anteil an einem Betrieb der Land- und Forstwirtschaft in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen und bereits bei der Bewertung der wirtschaftlichen Einheit berücksichtigt worden sind.
Das Erfordernis der wirtschaftlichen Belastung hatte der BFH in der älteren Rechtsprechung in einigen Konstellationen streng beurteilt (vgl. BFH-Urteil vom 02.03.2011, II R 5/09, BFH/NV 2011, 1147-1158, Rz. 83 bis 86).
In seiner Entscheidung zur Berücksichtigung von Einkommensteuerschulden des Erblassers im Todesjahr als Nachlassverbindlichkeiten (BFH-Urteil vom 04.07.2012 II R 15/11, BStBl II 2012, 790, Rz. 17) hielt der BFH an dem Erfordernis nicht mehr fest: „Soweit aus den hauptsächlich zum Erfordernis einer wirtschaftlichen Belastung ergangenen Entscheidungen des BFH entnommen werden könnte bzw. kann, dass der Abzug von Nachlassverbindlichkeiten nach § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG „nur“ bei einer zum Zeitpunkt des Erbfalls bestehenden rechtlichen Verpflichtung möglich ist, hält der Senat daran jedenfalls für die kraft Gesetzes aufgrund einer Tatbestandsverwirklichung des Erblassers entstehenden Steueransprüche nicht mehr fest (m.w.N.). Es verbleibt jedoch dabei, dass der Abzug einer Steuerschuld als Nachlassverbindlichkeit nach § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG–abweichend vom Zivilrecht– zusätzlich voraussetzt, dass sie eine wirtschaftliche Belastung darstellt (vgl. BFH-Urteil vom 02.03.2011 II R 5/09, BFH/NV 2011, 1147, unter III.7.c aa aaa).“
Der BFH führt in dieser Entscheidung (Rz. 15) aus: Bei einem Erwerb von Todes wegen wirken sich auch Steuerschulden aus der Veranlagung des Erblassers für das Todesjahr bereicherungsmindernd aus, obwohl sie beim Erbfall noch nicht rechtlich entstanden waren. Denn der Erbe hat diese Steuerschulden zu tragen. Entscheidend für den Abzug der Steuerschulden als Nachlassverbindlichkeiten ist, dass der Erblasser in eigener Person und nicht etwa der Erbe als Gesamtrechtsnachfolger steuerrelevante Tatbestände verwirklicht hat und deshalb „für den Erblasser“ als Steuerpflichtigen eine Steuer entsteht.
34a) Die Verbindlichkeit, hier die Pflicht zur Leistung der Erschließungsbeiträge, war zwar im Zeitpunkt des Erbfalls noch nicht voll wirksam entstanden. Im Zeitpunkt des Erbfalls waren Beitragsbescheide nicht ergangen.
Die Beitragspflicht trifft nach § 134 Abs. 1 BauGB den im Zeitpunkt der Bekanntgabe des Beitragsbescheids jeweiligen Eigentümer des Grundstücks. Die Beitragspflicht entsteht nach § 133 Abs. 2 BauGB mit der endgültigen Herstellung der Erschließungsanlage. Dieser Zeitpunkt ist in den Bescheiden vom 30.10.2013 mit dem 19.08.2013 angegeben. Damit trifft die Beitragspflicht die Klägerin als – in diesem Zeitpunkt – Eigentümerin des Grundstücks Straße 1 und EG als (Mit-)Eigentümer des unbebauten Grundstücks. Die Beitragsbescheide der Stadt A-Stadt vom 30.10.2013 an sie entsprachen diesen Vorgaben.
Bei der Beitragspflicht für den Erschließungsbeitrag handelt es sich um eine derartige werdende und schwebende Rechtsbeziehung der Erblasserin.
Mit der Änderung des Bebauungsplans am 01.03.2010 durch die Stadt A-Stadt erfolgte unter „7. Auswirkungen“ die gemeindliche Entscheidung, die Kosten der Lärmschutzeinrichtung auf die davon begünstigten Bewohner – seinerzeit auch die Erblasserin – umzulegen. Der Höhe nach wurde der Umlagebeitrag darin nicht geregelt; die Festlegung des Umlegungsmaßstabs sollte – nach Fertigstellung der Lärmschutzeinrichtung – unter Heranziehung einer schalltechnischen Untersuchung erfolgen. Damit war mit der gemeindlichen Entscheidung vom 01.03.2010 geregelt, dass – dem Grunde, noch nicht der Höhe nach – eine Umlage der Kosten auf die begünstigten Bewohner und damit auch die Erblasserin erfolgt.
Nach Erkundigung des Klägervertreters bei der Stadt A-Stadt war die Lärmschutzeinrichtung bereits im Jahr 2011, also vor dem Erbfall, fertiggestellt. Auch wenn die „endgültige Herstellung“ der Lärmschutzeinrichtung laut Bescheid vom 30.10.2013 erst am 19.08.2013 erfolgte, konkretisierte und verfestigte sich für die Erblasserin mit der Errichtung der Lärmschutzeinrichtung ihre künftige Beitragspflicht.
Wie sich aus den vorgelegten Zeitungsausschnitten ergibt, stand in der Phase der öffentlichen Diskussion mit den betroffenen Anliegern das „Ob“ der Beitragspflicht, wie in der Änderung des Bebauungsplans am 01.03.2010 geregelt, nie in Frage.
Die Beitragspflicht wäre in der Person der Erblasserin entstanden, wenn sie nicht vor Erlass des Beitragsbescheides verstorben wäre.
Ebenso stand für das unbebaute, später an die Ehegatten G verkaufte Grundstück die wirtschaftliche Belastung der Klägerin als Erbin des Grundstücks fest.
Dieser Zusammenhang wird nicht durch die Veräußerung des Grundstücks an die Ehegatten G und den Umstand unterbrochen, dass EG als neuer (Mit-)Eigentümer Adressat des Beitragsbescheids vom 30.10.2013 war.
Die seinerzeit im Raume stehende und – insbesondere durch die aus den Zeitungsberichten ersichtliche, offensichtlich kontrovers geführte Diskussion zwischen Stadt A-Stadt und Anwohnern – in der Öffentlichkeit bekannte anstehende Beitragspflicht führte dazu, dass die Klägerin mit den Käufern vereinbarte, dass etwa anfallende Kosten und Lasten für die aktuell durchgeführte Lärmschutzmaßnahme vom Veräußerer zu tragen seien und im Kaufpreis mit enthalten seien. Der Verkauf erfolgte an fremde Dritte.
Die Klägerin war fortdauernd durch die anstehende Beitragspflicht belastet: Bis zur Veräußerung stand die zukünftige wirtschaftliche Belastung der Klägerin als Erbin des Grundstücks fest. Mit der Veräußerung an einen fremden Dritten wurde der erzielte Kaufpreis durch die Übernahme des Erschließungsbeitrags in noch unbestimmter Höhe gemindert. Die wirtschaftliche Belastung durch den anstehenden Erschließungsbeitrag verblieb bei der Klägerin.
Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das von der Klägerin durchgeführte Vorverfahren wird aufgrund der Schwierigkeit der betroffenen Sach- und Rechtsfragen für notwendig erklärt (§ 139 Abs. 3 S. 3 FGO).
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 143 Abs. 1, 135 Abs. 1 FGO, die vorläufige Vollstreckbarkeit wegen der Kosten aus §§ 151 Abs. 1 FGO, 708 Nr. 10, 711 ZPO.
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