Kammergericht Berlin, Beschluss v. 02.06.2017 – 6 W 95/16
Testamentsanfechtung wegen Übergehung eines Pflichtteilsberechtigten; Geschäftsunfähigkeit bei Eheschließung und Testierunfähigkeit
(AG Spandau, Beschl. v. 25.07.2016 – 62 VI 249/15)
Gründe:
Die Erblasserin ist kinderlos verstorben und war in dritter Ehe mit dem Beteiligten zu 2) seit dem 23.03.2012 bis zu ihrem Tode verheiratet. Sie hat insgesamt fünf Testamente hinterlassen:
[…] Die notariellen Testamente sind am 13.04.2015 eröffnet worden, die Eröffnung des handschriftlichen Testamentes erfolgte am 18.12.2015.
Die Erblasserin hatte mehrere Geschwister, die außer der während des Verfahrens am 27.10.2016 verstorbenen Beteiligten zu 1) vorverstorben sind und die in den Testamenten aus den Jahren 1990 und 2000 genannten Nachkommen hatten, den Neffen und die Großneffen und […]. Die Beteiligte zu 1) ist in den Testamenten der Erblasserin nicht erwähnt worden. Die Beteiligte zu 3) ist mit der Erblasserin nicht verwandt, sie ist in den Testamenten der Erblasserin von 1990, 2000 und 2008 als Vermächtnisnehmerin bedacht.
Der Beteiligte zu 2) hat die Erteilung eines Erbscheins beantragt, der ihn als Alleinerben nach der Erblasserin auf Grund der Testamente aus dem Jahr 2012 ausweist. Zugleich hat er mit Schreiben vom 08.03.2016, beim Nachlassgericht eingegangen am 09.03.2016, die letztwilligen Verfügungen von 1990, 2000 und 2008 angefochten, weil er als Pflichtteilsberechtigter in diesen Testamenten übergangen worden sei. Die Beteiligten zu 1) und 3) zweifeln die Testierfähigkeit der Erblasserin im Jahr 2000 an und machen die Unwirksamkeit der Testamente aus dem Jahr 2000 geltend. Zu den Einzelheiten des Vortrages wird auf die eingereichten Stellungnahmen nebst Anlagen verwiesen.
Das Nachlassgericht hat den Notar G. als Zeugen vernommen. Es hat die Betreuungsakte des AG Spandau für die Erblasserin beigezogen und die dort genannte Fachärztin für Allgemeinmedizin zur Erblasserin befragt. Auf die Auskunft der Ärztin H. vom 13.08.2015 und 29.09.2015 wird jeweils verwiesen. Das Nachlassgericht hat ferner die Behandlungsunterlagen des Krankenhauses über die Behandlung der Erblasserin im Juni 2013 angefordert. Auf den Inhalt des Arztbriefes vom 20.06.2013 wird verwiesen. Die häusliche Krankenpflege GmbH hat unter dem 04.03.2016 mitgeteilt, dass die Erblasserin in der Zeit vom 20.07.2010 bis 19.10.2010 gepflegt worden sei. Die Unterlagen seien zwischenzeitlich allerdings vernichtet worden. Die ehemalige Haushälterin der Erblasserin, Frau […], hat unter dem 04.02.2016 sowie unter dem 16.02.2016 ihre Wahrnehmungen gegenüber dem Nachlassgericht geschildert. Auf den Inhalt der Schreiben wird verwiesen. Der Großneffe hat seine Erinnerungen an die Geschehnisse für den hier in Rede stehenden Zeitraum dargelegt. Ferner hat er die Anfechtung der Testamente der Erblasserin aus dem Jahr 2012 erklärt.
Das Nachlassgericht hat mit Beschluss vom 25.07.2016 festgestellt, dass die zur Erteilung des Erbscheins erforderlichen Tatsachen gemäß dem Antrag vom 22.05.2015 vorliegen. Zu den Einzelheiten der Begründung wird auf den Beschluss verwiesen.
Gegen diesen, den Beteiligten zu 1) und 3) jeweils am 28.07.2016 zugestellten Beschluss haben die Beteiligte zu 1) am 04.08.2016 sowie die Beteiligte zu 3) am Montag, den 29.08.2016 Beschwerde eingelegt.
Nachdem das Nachlassgericht mit Beschluss vom 14.09.2016 der Beschwerde nicht abgeholfen, der Senat mit Beschluss vom 20.09.2016 diesen Beschluss aufgehoben und die Sache zur ordnungsgemäßen Durchführung des Nichtabhilfeverfahrens an das Nachlassgericht zurückgegeben hat, hat das Nachlassgericht weitere Ermittlungen angestellt. Es hat eine schriftliche Aussage des ehemaligen Nachbarn der Erblasserin eingeholt. Auf das Schreiben des Herrn […] vom 31.10.2016 wird verwiesen. Schließlich hat das Nachlassgericht den Arztbrief sowie die Behandlungsunterlagen über den Klinikaufenthalt der Erblasserin im Juni 2010 angefordert. Auf die eingegangenen Unterlagen des […]-krankenhauses Spandau wird verwiesen.
Im Ergebnis dieser Ermittlungen hat das Nachlassgericht den Beschwerden erneut nicht abgeholfen. Auf die Begründung des Beschlusses vom 13.12.2016 wird verwiesen.
Die Beteiligte zu 1) hat einen Antrag auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für das Beschwerdevorbringen gestellt.
1) Die Beteiligte zu 3) ist zwar durch den angefochtenen Beschluss in ihren Rechten insoweit beeinträchtigt und damit beschwerdebefugt gem. § 59 Abs. 1 FamFG, als bei einer Unwirksamkeit der Testamente aus dem Jahr 2012, in dem die Erblasserin den Beteiligten zu 2) zu ihrem Alleinerben eingesetzt und alle früheren letztwilligen Verfügungen aufgehoben hat, das Testament vom 10.12.2008 zum Zuge kommen könnte, in dem ihr die Erblasserin zuletzt ein Vermächtnis von 100.000 € ausgesetzt hat. Der Vermächtnisanspruch aus diesem Testament (§§ 2147, 2174 BGB) besteht jedoch unabhängig von der Frage der Testierfähigkeit der Erblasserin und damit der Wirksamkeit der Testamente aus dem Jahre 2012 schon deshalb nicht, weil die vom Beteiligten zu 2) erklärte Anfechtung der Testamente der Erblasserin vom 17.05.1990, 25.03.2000 und 10.12.2008 wirksam ist und deren Nichtigkeit zur Folge hat. Die Beschwerde ist deshalb jedenfalls nicht begründet.
a) § 2079 Satz 1 BGB kann eine letztwillige Verfügung angefochten werden, wenn der Erblasser einen zur Zeit des Erbfalls vorhandenen Pflichtteilsberechtigten übergangen hat, dessen Vorhandensein ihm bei der Errichtung des Testamentes nicht bekannt war oder der erst nach der Errichtung geboren oder pflichtteilsberechtigt geworden ist. Diese Voraussetzungen des § 2079 Satz 1 BGB liegen vor. Der Beteiligte zu 2) ist in den drei genannten Testamenten als Pflichtteilsberechtigter übergangen worden, weil zum Zeitpunkt der Errichtung der Testamente die Eheschließung mit der Erblasserin noch nicht erfolgt war und er später durch Eheschließung pflichtteilsberechtigt wurde (§§ 2303 Abs. 2, 1931 Abs. 1 BGB). Er und die Erblasserin haben am 23.03.2012 vor dem Standesamt in S. in Dänemark die Ehe geschlossen. Diese ist erst durch den Tod der Erblasserin aufgelöst worden. Der Einwand der Beteiligten zu 3), die Erblasserin sei möglicherweise bei der Heirat geschäftsunfähig gewesen, lässt das Pflichtteilsrecht nicht entfallen. Denn die Berücksichtigung fehlender Geschäftsfähigkeit gem. § 1304 BGB erfolgt im Verfahren über die Aufhebung der Ehe grds. nur durch richterliche Entscheidung für die Zukunft gemäß den §§ 1313 ff. BGB. Ein Antrag auf Aufhebung der Ehe kann gem. § 1317 Abs. 2 BGB nicht mehr gestellt werden, wenn die Ehe – wie hier durch den Tod der Erblasserin – bereits aufgelöst ist. Darüber hinaus ist gem. § 1933 Satz 2 BGB das Ehegattenerbrecht nur dann ausgeschlossen, wenn der Erblasser berechtigt war, die Aufhebung der Ehe zu beantragen und er vor dem Erbfall den Antrag gestellt hatte (§ 1933 Satz 2 BGB). Liegt ein solcher Antrag – wie hier – nicht vor, kann schließlich das Erbrecht des Ehegatten und damit auch sein Pflichtteilsrecht gem. § 1318 Abs. 5 BGB dann ausgeschlossen sein, wenn der überlebende Ehegatte bei einem Verstoß u.a. gegen § 1304 BGB die Aufhebbarkeit der Ehe bei der Eheschließung kannte, er muss also bösgläubig gewesen sein. Hier sind jedoch schon keine hinreichenden Tatsachen ersichtlich, aus denen die erforderliche Überzeugung gewonnen werden könnte, dass der Beteiligte zu 2) eine etwaige Geschäftsunfähigkeit gem. § 1304 BGB bei der Erblasserin im Hinblick auf die Eheschließung gekannt hätte. Eine weitere Amtsermittlung durch Einholung eines Sachverständigengutachtens zu der Frage der Geschäftsunfähigkeit der Erblasserin im Zeitpunkt der Eheschließung bedarf es daher nicht.
b) Die gesetzliche Vermutung des 2079 Satz 1 BGB kann zwar widerlegt werden gem. § 2079 Satz 2 BGB. Danach ist die Anfechtung ausgeschlossen, soweit anzunehmen ist, dass der Erblasser auch bei Kenntnis der Sachlage die Verfügung getroffen haben würde. Die Voraussetzungen für diesen Ausschluss des Anfechtungsrechts liegen nicht vor. Die Umstände sprechen hier vielmehr dagegen, dass die Erblasserin den Beteiligten zu 2) als ihren Ehemann übergangen hätte. Denn sie hatte auch ihren zweiten Ehemann in dem gemeinschaftlichen Testament aus dem Jahr 1990 zu ihrem Alleinerben bestimmt. Dies spricht für einen hypothetischen Willen der Erblasserin, auch den Beteiligten zu 2) als späteren Ehemann testamentarisch nicht zu übergehen, sondern auch zu ihrem Erben einzusetzen. Dabei bedarf es an dieser Stelle keiner Ausführung dazu, ob eine Einsetzung als Alleinerbe gewollt gewesen wäre.
c) Der Beteiligte zu 2) ist als Pflichtteilsberechtigter gem. 2080 Abs. 3 BGB zur Anfechtung der Testamente berechtigt gewesen und hat die Anfechtung der Testamente durch die Erklärung vom 08.03.2016 gegenüber dem Nachlassgericht innerhalb der Anfechtungsfrist von einem Jahr gem. § 2082 Abs. 1 BGB wirksam erklärt. Die Frist beginnt in dem Zeitpunkt zu laufen, in welchem der Anfechtungsberechtigte von dem Anfechtungsgrund, d.h. allen das Anfechtungsrecht begründenden Tatsachen, Kenntnis erlangt. Eine Vermutung, dass möglicherweise ein früheres Testament existiert, reicht hierfür nicht aus und setzt die Anfechtungsfrist nicht in Gang. Der Beteiligte zu 2) musste vielmehr Kenntnis von den früheren Testamenten und von deren Inhalt haben, um diese anfechten zu können. Der Vortrag des Beteiligten zu 2) ist nicht zu widerlegen, dass er von den genannten Testamenten erst im Zuge der Testamentseröffnungen erfuhr. Diese Eröffnung erfolgte jeweils am 13.04.2015. Der Eingang der Anfechtungserklärung am 09.03.2016 beim Nachlassgericht wahrte damit die Frist.
d) Folge der Anfechtung der Testamente ist, dass auch das Vermächtnis zu Gunsten der Beteiligten zu 3) unwirksam ist. Die erfolgreiche Anfechtung eines Testamentes wegen Übergehung eines Pflichtteilsberechtigten führt dazu, dass alle Vermächtnisse vernichtet werden, die auch den anfechtenden Pflichtteilsberechtigten als gesetzlichen Erben belasten würden (vgl. Staudinger/Otte, BGB, Stand 2013, § 2079 Rn. 17).
2) Die Beteiligte zu 1) ist in ihren Rechten als gesetzliche Erbin (§ 1925 Abs. 3 BGB) durch die Tatsachenfeststellung zugunsten des Beteiligten zu 2) beeinträchtigt und damit beschwerdebefugt gem. § 59 Abs. 1 FamFG. Dies gilt in gleicher Weise für ihre Erben. Mit ihrem gesetzlichen Erbrecht hätte sie aber nur dann zum Zuge kommen können, wenn die Testamente der Erblasserin aus dem Jahr 2012 unwirksam wären, gleichzeitig die Anfechtung der Testamente aus den Jahren 1990 bis 2008 durch den Beteiligten zu 2) erfolgreich ist und wenn diese erfolgreiche Anfechtung dazu führen würde, dass uneingeschränkt gesetzliche Erbfolge nach der Erblasserin eingetreten wäre. Schon an Letzterem fehlt es, so dass ihre Beschwerde ebenfalls nicht begründet ist.
Über die Folgen einer wirksam erklärten Testamentsanfechtung besteht im Einzelnen Streit (vgl. die Darstellung des Meinungsstandes im Beschl. v. 07.12.2015 des Schleswig-Holsteinischen OLG – 3 W x 108/15, zitiert nach juris: Rn. 22–27 m.w.N.).
Im hier in Rede stehenden Sachverhalt führen alle Auffassungen zu dem Ergebnis, dass die Beteiligte zu 1) selbst bei unterstellter Testierunfähigkeit im Jahre 2012 nicht gesetzliche Erbin der Erblasserin geworden ist, die angefochtenen Testamente vielmehr im Hinblick auf die darin enthaltene Enterbung der Beteiligten zu 1) wirksam geblieben sind.
Denn es lässt sich bei der Ermittlung des Willens der Erblasserin im Zeitpunkt der Errichtung der Testamente unter Berücksichtigung einer fingierten Kenntnis von ihrer späteren Eheschließung mit dem Beteiligten zu 2) feststellen, dass sie es bei Enterbung der Beteiligten zu 1) belassen hätte. Die Prüfung ist darauf zu richten, wie die Erblasserin zur Zeit der Testamentserrichtung verfügt haben würde, wenn sie zwar hinsichtlich der Person des Pflichtteilsberechtigten die später eingetretene Sachlage richtig überblickt hätte, im Übrigen aber diejenigen Umstände auf sich hätte wirken lassen, die sie zur Zeit der Errichtung der Testamente zu diesen bestimmt haben (vgl. BayObLG, NJW-RR 2005, 91 ff. [BayObLG 26.03.2004 – 1Z BR 114/03] – zitiert nach juris: Rn. 26 m.w.N.).
Bei der Errichtung des gemeinschaftlichen Testamentes vom 17.05.1990 hatten die Erblasserin und ihr damaliger Ehemann den Willen, sich gegenseitig zu Alleinerben einzusetzen und dem Überlebenden keine Bindung aufzuerlegen. Die Schwester der Erblasserin war bekannt und ist nicht bedacht worden. Als Erbe des Letztversterbenden waren jeweils ein Neffe des Ehemannes und ein Neffe der Erblasserin vorgesehen. Sollte dieser von der Erblasserin vorgesehene Schlusserbe vor der Erblasserin versterben, sollten dessen Kinder erben, bei Fehlen von Abkömmlingen dessen Ehefrau, sofern sie gesetzliche Erbin ihres Ehemannes hätte sein können. Dies wäre beim Bestand der Ehe der Fall gewesen. Hieran lässt sich erkennen, dass weitere Verwandte der Erblasserin nicht bedacht werden sollten. Daran hätte sich auch nichts geändert, wenn die Erblasserin die spätere Heirat mit dem Beteiligten zu 2) vorhergesehen hätte.
Nach dem Tod ihres zweiten Ehemannes hat die Erblasserin ihren Willen bekräftigt, ihre Schwester nicht als Erbin einzusetzen, indem sie im Testament vom 25.03.2000 diese wiederum nicht bedachte. Die Erblasserin enterbte den bisher eingesetzten Mitschlusserben, den Neffen ihres verstorbenen Ehemannes. Nachdem sie auf diese Weise geregelt hatte, dass ihr Nachlass nicht an Familienangehörige ihres vorverstorbenen Ehemannes gehen sollte, bestimmte sie aus ihrer Familie wiederum ihren Neffen sowie nunmehr auch ihre Großneffen und […] zu ihren Erben. Der Nachlass sollte erkennbar in die nächste und übernächste Generation von Familienangehörigen weitergegeben werden. Ein Bedenken der Beteiligten zu 1) als Schwester war von der Erblasserin erkennbar nicht gewollt.
Noch im Jahr 2008 hat die Erblasserin ihren dahingehenden Willen im Hinblick auf die Erbeinsetzungen im Testament vom 10.12.2008 bestätigt.
Bei Kenntnis der späteren Eheschließung mit dem Beteiligten zu 2) ist entsprechend der gesetzlichen Vermutung davon auszugehen, dass die Erblasserin diesen bei der Regelung ihres Nachlasses nicht übergangen, sondern ihm zumindest den gesetzlichen Erbteil von 3/4 am Nachlass hätte zukommen lassen. Für das restliche Viertel lässt sich angesichts der Umstände jedenfalls der Wille der Erblasserin feststellen, dass ihre Schwester, die Beteiligte zu 1), auch weiterhin enterbt bleiben sollte.
Es bedarf an dieser Stelle keiner weiteren Ermittlung im Hinblick darauf, ob sich ein fiktiver Wille der Erblasserin feststellen lässt, den Beteiligten zu 2) in größerem Umfang zu bedenken, als es seinem gesetzlichen Erbteil entspricht und ob der Neffe sowie die Großneffen insgesamt weiter als Miterben hätten bestimmt sein sollen. Dies betrifft die rechtliche Stellung der Beteiligten zu 1) nicht.
b) Ob die Testamente der Erblasserin vom 06.03.2012 und 04.07.2012 wirksam sind oder wegen Testierunfähigkeit der Erblasserin unwirksam sind, kann damit letztlich dahinstehen, weil die Beschwerde der Beteiligten zu 1) schon aus den vorstehenden Gründen ohne Erfolg bleiben muss. Die Ausführungen des Nachlassgerichts dazu, warum es an hinreichenden Anknüpfungstatsachen für die Einholung eines Sachverständigengutachtens fehlt und deshalb weiterhin von der Vermutung der Testierfähigkeit der Erblasserin auszugehen ist, sind im Ergebnis aber auch nicht zu beanstanden.
aa) Die Unwirksamkeit der Testamente folgt nicht aus 2077 BGB. Denn die Erblasserin hat bis zu ihrem Tod weder einen Antrag auf Scheidung der Ehe gestellt noch einem solchen Antrag zugestimmt (§ 2077 Abs. 1 Satz 2 BGB). Sie hat auch keinen Antrag auf Auflösung der Ehe gestellt (§ 2077 Abs. 1 Satz 3 BGB).
bb) Die mit Schreiben vom 14.03.2016 erklärte Testamentsanfechtung seitens des […] führt nicht zur Unwirksamkeit der Testamente. Denn ein Anfechtungsgrund ist in der Erklärung nicht dargelegt. Es handelt sich vielmehr um die Äußerung der Vermutung fehlender Testierfähigkeit bei der Erblasserin im Zeitpunkt der Testamentserrichtung.
cc) § 2229 Abs. 4 BGB kann ein Testament nicht errichten, wer wegen krankhafter Störung der Geistestätigkeit, wegen Geistesschwäche oder wegen Bewusstseinsstörung nicht in der Lage ist, die Bedeutung einer von ihm abgegebenen Willenserklärung einzusehen.
Nach der Konzeption des § 2229 BGB, wonach die Störung der Geistestätigkeit die Ausnahme bildet, gilt jedermann, der das 16. Lebensjahr (§ 2229 Abs. 1 BGB) vollendet hat, solange als testierfähig, bis das Gegenteil zur vollen Überzeugung des Gerichts bewiesen ist (vgl. OLG München, ErbR 2017, 149 ff., zitiert nach juris: Rn. 3 m.w.N.). Für diesen Beweis genügt, da eine absolute Gewissheit nicht zu erreichen und jede Möglichkeit des Gegenteils nicht auszuschließen ist, ein für das praktische Leben brauchbarer Grad von Gewissheit (BGH, NJW 1993, 935 [BGH 14.01.1993 – IX ZR 238/91], zitiert nach juris: Rn. 16), der Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (BGH, NJW 2014, 71 [BGH 16.04.2013 – VI ZR 44/12], zitiert nach juris: Rn. 8; OLG München, a.a.O.).
Diese für § 286 ZPO entwickelten Grundsätze gelten grds. auch im Verfahren mit Amtsermittlungsgrundsatz (BGH, NJW 1994, 1348, zitiert nach juris: Rn. 15). Testierunfähigkeit i.S.v. § 2229 Abs. 4 BGB liegt danach vor, wenn einem Erblasser aufgrund solch krankhafter Erscheinungen die Einsichts- und Handlungsfähigkeit verloren gegangen sind, er mithin nicht mehr in der Lage ist, die Bedeutung einer von ihm abgegebenen Willenserklärung einzusehen und danach zu handeln. Testierunfähig ist derjenige, dessen Erwägungen und Willensentschlüsse nicht mehr auf einer dem allgemeinen Verkehrsverständnis entsprechenden Würdigung der Außendinge und der Lebensverhältnisse beruhen, sondern durch krankhaftes Empfinden oder krankhafte Vorstellungen und Gedanken derart beeinflusst werden, dass sie tatsächlich nicht mehr frei sind, sondern vielmehr von diesen krankhaften Einwirkungen beherrscht werden.
Diese Unfreiheit der Erwägungen und der Willensbildungen braucht nicht darin zu Tage zu treten, dass der Erblasser sich keine Vorstellung von der Tatsache der Errichtung eines Testaments und von dessen Inhalt oder von der Tragweite seiner letzten Anordnungen, insbesondere von der Auswirkung auf die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Betroffenen zu machen vermag. Sie kann sich vielmehr darauf beschränken, die Motive für die Errichtung einer letztwilligen Verfügung entscheidend zu beeinflussen (vgl. OLG München, ErbR 2017, 149 ff., zitiert nach juris: Rn. 4).
Es genügt deshalb zur Bejahung der Testierfähigkeit nicht, dass der Erblasser eine allgemeine Vorstellung von der Tatsache der Errichtung des Testaments und von dem Inhalt seiner letztwilligen Anordnung hatte; er musste vielmehr auch in der Lage sein, sich über die Tragweite dieser Anordnungen und ihre Auswirkungen auf die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Betroffenen sowie über die Gründe, die für und gegen ihre sittliche Berechtigung sprechen, ein klares Urteil zu bilden und nach diesem Urteil frei von Einflüssen etwaiger interessierter Dritter zu handeln (vgl. BGH, FamRZ 1958, 127 [128]; OLG Hamm, FamRZ 2004, 659 ff. zitiert nach juris: Rn. 31). Dabei geht es nicht darum, den Inhalt letztwilliger Verfügungen auf seine Angemessenheit zu beurteilen, sondern nur darum, ob sie frei von krankheitsbedingten Störungen gefasst werden konnten.
Dieser Prozess der Willensbildung setzt voraus, dass eine Person Informationen aus der Umgebung aufnehmen und im Gehirn speichern kann. Sie muss in der Lage sein, gespeicherte Informationen wieder abzurufen und in der Weise zu verarbeiten, dass mögliche Handlungsalternativen wahrgenommen werden. Die Informationen müssen beurteilt und daraus eine Entscheidung abgeleitet werden können. Schließlich muss die Person in der Lage sein, einen gefassten Entschluss auch umzusetzen (vgl. Wetterling, Freier Wille und neuropsychiatrische Erkrankungen, 2016, S. 34 f.). In all diesen Bereichen können Störungen auftreten.
Die Klärung der im Wesentlichen auf dem Gebiet des Tatsächlichen angesiedelten Frage, ob die Voraussetzungen der Testierunfähigkeit bei der Erblasserin gegeben waren, verlangt vom Gericht, die konkreten auffälligen Verhaltensweisen der Erblasserin aufzuklären, sodann Klarheit über den medizinischen Befund zu schaffen und anschließend die hieraus zu ziehenden Schlüsse zu prüfen (vgl. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 01.06.2012 – 3 Wx 273/11, zitiert nach juris: Rn. 38; OLG Hamm, OLGZ 1989, 271; OLG Frankfurt, NJW-RR 1996, 1159 [OLG Frankfurt am Main 15.11.1995 – 20 W 144/94]). Die Beweislast für mangelnde Testierfähigkeit trägt im Rechtsstreit, da es sich um eine rechtsvernichtende Tatsache handelt, wer sie behauptet (BGH, FamRZ 1958, 127; Palandt/Weidlich, BGB, 76. Aufl., § 2229 Rn. 11). Dies gilt auch im Erbscheinsverfahren für die Feststellungslast. Allein maßgebender Zeitpunkt für die Beurteilung der Testierfähigkeit ist der der Errichtung des Testaments.
Das Nachlassgericht hat diese gebotene Sachaufklärung betrieben. Es hat die die Erblasserin behandelnde Hausärztin um Auskünfte zum Gesundheitszustand gebeten. Es hat Krankenhausberichte von stationären Behandlungen vor und nach der Testamentserrichtung angefordert. Es hat die Haushälterin sowie Nachbarn und weitere Verwandte um Informationen ersucht und auf dieser Grundlage fehlerfrei die Entscheidung getroffen, dass das gewonnene Tatsachenmaterial nicht ausreicht, um ein Sachverständigengutachten zur Einschätzung der Testierfähigkeit der Erblasserin einzuholen.
Die von dem Nachbarn und den Beteiligten vorgebrachten Verhaltensauffälligkeiten bestanden in Vorstellungen der Erblasserin dahingehend, dass die Personen aus ihrem sozialen Umfeld sie verfolgen und schädigen wollen. Diese Vorstellungen bezogen sich auf den Nachbarn, die Beteiligte zu 3), Mitarbeiter des Pflegedienstes und die ehemalige Haushälterin. Diese Personen gehörten jedoch nicht zum Kreis der Familienangehörigen und gesetzlichen Erben. Bis auf das Vermächtnis für die Beteiligte zu 3) spielten diese Personen in den Überlegungen der Erblasserin bei der Regelung ihres Nachlasses keine Rolle. Die Hausärztin hat zu den wahnhaften Vorstellungen der Erblasserin mitgeteilt, dass deren Intensität von der Einnahme der verschriebenen Medikamente abhing. Nach dem neuropsycholgischen Befund vom 24.06.2010 der die Erblasserin behandelnden Ärzte im […]-krankenhaus Spandau ist diese wahnhafte Störung seit ca. 30 Jahren vorbeschrieben gewesen. Da die wahnhaften Vorstellungen medikamentös behandelbar waren und sich nicht darauf bezogen, dass sich die Erblasserin von ihren Verwandten verfolgt fühlte, kann aus dieser Störung – auch wegen der von der Hausärztin beschriebenen Schwankung der Intensität – kein sicherer Schluss auf eine Testierunfähigkeit der Erblasserin im Zeitraum von März bis Juli 2012 gezogen werden (vgl. zur Beurteilung eines Wahns: Wetterling, a.a.O., S. 179).
Soweit es um das Vorliegen einer Demenzerkrankung bei der Erblasserin geht, liegen gesicherte medizinische Befunde nicht vor. Im […]-krankenhaus Spandau ist im Jahr 2010 eine entsprechende Diagnose nicht gestellt worden. Die testdiagnostischen Daten bei der Untersuchung am 24.06.2010 entsprachen zwar der Ausprägung und dem Profil nach einer leicht- bis mittelgradigen Demenz, eine Diagnose sollte jedoch zurückgestellt werden. Hierbei spielte eine Rolle, dass die Erblasserin nach der Operation wegen eines Bruchs des Oberschenkelhalskopfes nach einem Sturz und dem Auftreten sowohl einer Harnwegs- als auch einer Darminfektion ein sog. Durchgangsyndrom entwickelt hatte. Die Erblasserin litt an Verwirrtheitszuständen, die sich wegen und während der weiteren Behandlungen im Krankenhaus nur langsam besserten. Deswegen sollte eine Abklärung des gesundheitlichen Zustandes in ca. sechs Monaten nach der Entlassung Ende Juni 2010 aus dem Krankenhaus erfolgen. Die Diagnose lautet damals „Delir ohne Demenz“. Ein Delir ist ein vorübergehender Zustand.
Weitere konkrete medizinische Befunde liegen nicht vor. Die Hausärztin hat in dem hier in Rede stehenden Zeitraum ab der Entlassung aus dem Krankenhaus die Erblasserin erst ab dem 17.05.2011 bis zum 02.04.2012 behandelt und zu vier Ereignissen Feststellungen geschildert. Am 02.04.2012 erfolgte eine Untersuchung mit dem Ergebnis, dass kein Schlaganfall vorlag. Im Übrigen äußerte die Ärztin lediglich den Verdacht einer zunehmenden Altersdemenz, ohne jedoch weitere Prüfungen selbst vorzunehmen. Sie schilderte, dass die Erblasserin am 17.05.2011 nach einem weiteren Unfall desorientiert wirkte und nicht stationär behandelt werden wollte. Am 21.06.2011 schilderte sie aus Sicht der Ärztin unglaubwürdige Geschehnisse, die wiederum in Richtung der Verfolgungswahnvorstellungen gingen. Am 05.12.2011 konnte die Erblasserin keine zusammenhängende Erklärung dafür abgeben, warum sie sich am Vortrag aus ihrem Haus ausgesperrt hatte. Die Erblasserin hatte wohl mehrere Stunden in der Kälte ausgeharrt. Es handelt sich um aktuelle Ereignisse, die für die Erblasserin sicher psychisch belastend gewesen sind und vorübergehende Auffälligkeiten nach sich ziehen konnten. Dies zeigte sich etwa an dem vorübergehenden Delir bei der Krankenhausbehandlung im Jahr 2010.
Im Jahr 2013 ist bei der Erblasserin im Juni nach einer weiteren Femurfraktur mit operativer Versorgung ein hyperaktives Delir bei bekannter Demenz festgestellt worden. Es ist ein fortgeschrittenes Stadium einer progredient verlaufenden Demenzerkrankung attestiert worden. Der Zustand der Erblasserin hatte sich allerdings teilweise wieder während der Behandlung gebessert, so dass im Ergebnis die Rehabilitationsfähigkeit der Erblasserin bejaht wurde, um die vorhandenen Restfähigkeiten wiederzuerlangen und zu stabilisieren. Im neuropsychologischen Befund vom 13.06.2013 ist vermerkt, dass sich die Gedanken der Erblasserin auf den Ehemann bezogen, „wo er denn sei, sie müsse zu ihm“. Dies zeigt, dass sie auch zu diesem Zeitpunkt von ihrer Eheschließung wusste und den Kontakt mit ihrem Ehemann wollte.
Da die Progedienz einer Demenzerkrankung sehr variabel verlaufen kann, sind Rückrechnungen und Rückschlüsse auf einen vorherigen Zeitpunkt nur mit einem erheblichen Unsicherheitsfaktor möglich (vgl. Wetterling, a.a.O. S. 63 m.w.N.). Da hier kein sicherer Anfangszeitpunkt der Erkrankung und keine durchgehend auffälligen Verhaltensaufweisen festgestellt sind, sind auch die ärztlichen Feststellungen im Juni 2013 keine hinreichende Grundlage für weitere Ermittlungen hinsichtich der Testierfähigkeit der Erblasserin im März und Juli 2012.
Es verbleiben die Feststellungen des Notars G. bei der Beurkundung des letzten Willens der Erblasserin im am 04.07.2012. Die Erblasserin hatte zuvor im Juni 2012 ihren 91. Geburtstag gefeiert. Verhaltensauffälligkeiten der Erblasserin sind von den eingeladenen Verwandten insoweit nicht geschildert worden.
Der Notar G. hat bei seiner Vernehmung geschildert, dass die Erblasserin – wie in der Urkunde festgehalten – wusste, dass sie in Dänemark geheiratet hatte. Auch wenn sie das genaue Datum und den Ort nicht mehr nennen konnte, war zumindest klar, dass sie einen neuen Ehemann hatte. Dieser spielte offensichtlich eine wichtige Rolle in ihrem Leben. So wird aus den Vorwürfen gegenüber der Beteiligten zu 3), die sie dem Notar schilderte deutlich, dass sie in ihrem Ehemann einen Unterstützer gefunden glaubte, der es ihr ermöglichen würde, weiterhin in ihrem Haus zu leben, und der sich um sie kümmern würde. Es ist unstreitig, dass es aus Sicht der Beteiligten zu 3) und des Neffen nach dem Sturz im Jahr 2010 sinnvoll gewesen wäre, wenn die Erblasserin in ein Heim gezogen wäre, wo auch ihre Betreuung gesichert gewesen wäre. Die Erblasserin wollte jedoch in ihrem Haus weiter leben und nahm die Bemühungen der Beteiligten zu 3) um einen Heimplatz als Bedrohung wahr. Die gegenüber dem Notar geschilderten Erwägungen für die Eheschließung mögen überzogen erscheinen, lassen jedoch den rationalen Hintergrund erkennen, nunmehr etwaige Bemühungen, sie in einem Heim unterzubringen, erfolgreich abzuwehren, weil ihr nunmehr wieder ein Ehemann zur Seite steht.
Als Motiv für die Erbeinsetzung des Beteiligten zu 2) als Alleinerben hat die Erblasserin auch allein die Eheschließung genannt. Auch dies entsprach ihrer Vorgehensweise bei dem vorherigen Testament mit ihrem zweiten Ehemann.
Die Ermittlung des Sachverhalts hat auch keine hinreichenden Anhaltspunkte, die über Vermutungen hinausgehen, dafür erbracht, dass der Beteiligte zu 2) der Erblasserin seinen Willen durch eine Art der Beeinflussung der Erblasserin letztlich durchgesetzt hat, der sie sich wegen ihres Geisteszustandes nicht widersetzen konnte.
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