LAG Hamm, Beschluss vom 05.07.2010 – 14 Ta 529/09

September 30, 2020

LAG Hamm, Beschluss vom 05.07.2010 – 14 Ta 529/09

Der Einsatz einer kapitalbildenden Lebensversicherung ist nicht zumutbar im Sinne des § 115 Abs. 3 ZPO, wenn die Beitragsleistung den bei einer Kündigung zu realisierenden Rückkaufwert übersteigt.
Tenor

Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Minden vom 14. August 2009 (2 Ca 724/09) aufgehoben.

Das Verfahren wird zur anderweitigen Entscheidung an das Arbeitsgericht Minden zurückverwiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe

Die gemäß § 46 Abs. 2, § 78 ArbGG, § 127 Abs. 2, §§ 567 ff. ZPO zulässige sofortige Beschwerde ist begründet. Zu Unrecht hat das Arbeitsgericht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe wegen vorhandenen verwertbaren Vermögens verweigert. Die Klägerin hat ihre Lebensversicherungen nicht als Vermögen einzusetzen, weil ihr dies nicht zumutbar ist (§ 115 Abs. 3 ZPO).

1. Zu dem Vermögen im Sinne des § 115 Abs. 3 ZPO gehören alle beweglichen und unbeweglichen Sachen sowie geldwerten Forderungen und sonstigen Rechte. Auch eine kapitalbildende Lebensversicherung zählt grundsätzlich zum verwertbaren Vermögen (vgl. BAG, 5. Mai 2006, 3 AZB 62/04, AP ZPO § 115 Nr. 6). Weil die Gewährung von Prozesskostenhilfe als Leistung der staatlichen Daseinsfürsorge vor allem gewährleisten soll, einer bedürftigen Partei in gleicher Weise wie einer vermögenden Partei die Führung eines Prozesses zu ermöglichen und ihr den gleichen Zugang zum Verfahren zu verschaffen (vgl. BAG, 22. Dezember 2003, 2 AZB 23/03, RVGReport 2004, 196), kann aus dem Charakter einer kapitalbildenden Renten- oder Lebensversicherung nicht geschlossen werden, diese sei grundsätzlich als Bestandteil des Vermögens des Arbeitnehmers bei der Betrachtung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht zu berücksichtigen. Nach diesen Grundsätzen kann die bei der L3-Lebensversicherungs-AG bestehende Risikolebensversicherung Nr. 2.123.234.345/L5 keine Berücksichtigung finden, weil es sich hierbei nicht um eine kapitalbildende Lebensversicherung handelt. Die übrigen drei Versicherungen sind grundsätzlich berücksichtigungsfähig.

2. Gemäß § 115 Abs. 3 Satz 2 ZPO in Verbindung mit § 90 Abs. 1 SGB XII ist Vermögen einsetzbar, wenn es verwertbar ist. Eine Verwertbarkeit scheidet nach § 90 Abs. 2 Nr. 2, 2 SGB XII aus, wenn es sich um Kapital einschließlich seiner Erträge handelt, das der zusätzlichen Altersvorsorge im Sinne des § 10 a oder des Abschnitts XI des Einkommenssteuergesetzes dient und dessen Ansammlung staatlich gefördert wird. Nach dieser Bestimmung scheidet die Verwertung der für die Klägerin bei der L3-Lebensversicherungs-AG unter der Nr. 1.123.123.123 bestehenden Versicherung aus, weil es sich hierbei zwar um eine kapitalbildende Lebensversicherung handelt, die jedoch als eine im Sinne der vorgenannten Vorschriften staatlich geförderte Altersvorsorge geschützt ist.

Darüber hinaus ist gemäß § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII die Verwertung kleinerer Barbeträge oder sonstiger Geldwerte ausgeschlossen. Aufgrund der hierzu ergangenen Durchführungsverordnung steht der Klägerin für sich und ihre beiden Kinder ein Schonbetrag von 3.132,– Euro zu. Unter Abzug dieses Schonbetrages ergibt sich im Hinblick auf die bestehenden Rückkaufwerte der beiden kapitalbildenden, berücksichtigungsfähigen Lebensversicherungen ein einzusetzendes Vermögen in folgender Höhe:

L3-Lebensversicherung (Nr. 2.456.567.678) 6.497,00 Euro

R1+V1-Lebensversicherung (Nr. 12345678901) 6.304,01 Euro

Zwischensumme 12.801,01 Euro

Abzüglich

Schonbetrag Klägerin 2.600,00 Euro

Schonbetrag zwei Kinder 532,00 Euro

Einzusetzendes Vermögen 9.669,01 Euro

3. Der Einsatz des vorhandenen Vermögens ist von der Partei jedoch nur zu verlangen, wenn dieser ihr zumutbar ist (§ 115 Abs. 3 Satz 1 ZPO). Dabei kann offen bleiben, ob die Verwertung des Vermögens eine „Härte“ im Sinne von § 90 Abs. 3 Satz 1 SGB XII darstellt. Die sozialrechtliche Härtefallregelung findet nur auf atypische, ungewöhnliche Lebenssachverhalte Anwendung, ist also von der Erfüllung besonders schwerwiegender Voraussetzungen abhängig. Das im Rahmen der Prozesskostenhilfe zu prüfende Kriterium der Unzumutbarkeit ist von geringeren Anforderungen gekennzeichnet (vgl. BAG, 5. Mai 2006, a.a.O.). Zu berücksichtigen ist, dass § 90 SGB XII nur entsprechend gilt, d.h. soweit er dem Prozesskostenhilferecht entspricht. Damit ist auch die Verordnung zu § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII nicht direkt anwendbar, sondern als Richtschnur zu begreifen. Schließlich eröffnet sich über die Zumutbarkeitsprüfung ein Ermessensspielraum, der es dem Gericht erlaubt, den Einzelfall individuell zu beurteilen (vgl. Kalthöner/Büttner/Wrobel-Sachs, Prozess- und Verfahrenskostenhilfe, Beratungshilfe, 5. Auflage, 2010, Rn. 313).

Bei kapitalbildenden Lebensversicherungen ist abhängig von der Höhe des Rückkaufwerts insbesondere im Verhältnis zu den bisherigen Beitragszahlungen sowie der Höhe der Überschreitung des Schonbetrags die Zumutbarkeit der Verwertung zu beurteilen (vgl. BAG, 5. Mai 2006, a.a.O.; Kalthöner/Büttner/Wrobel-Sachs, a.a.O., Rn. 327). Im vorliegenden Fall ist die Verwertung der beiden Lebensversicherungen für die Klägerin unzumutbar, weil ihre Beitragsleistungen den bei einer Kündigung zu realisierenden Rückkaufwert übersteigen.

a) Bei der L3-Lebensversicherung Nr. 2.456.567.678 handelt es sich um eine Versicherung, die im Todesfall nicht die Auszahlung einer Versicherungssumme, sondern eine Beitragsrückgewähr vorsieht. Die Versicherungsleistung ist zumindest bis zum Jahr 2015 in diesem Fall deutlich höher als der Auszahlungsbetrag bei einer Kündigung (2015: 12.375,00 Euro Todesfallleistung, 10.911,00 Euro Auszahlung bei Kündigung). Da der letzte dynamische Monatsbeitrag bis Mai 2008 (erstmaliges Ruhen des Vertrags) 231,53 Euro betrug und von 2004 an eine jährliche Anpassung von 5 % vereinbart war, sind die Werte aus dem zuletzt übersandten Versicherungsschein vom 28. September 2009 auch plausibel. Selbst wenn nur eine monatliche Beitragsleistung von 210,– Euro im Durchschnitt zugrunde gelegt wird, liegt vom 1.November 2004 bis 31. Mai 2008 eine Beitragsleistung von 9.030,00 Euro vor. Die Todesfallleistung beträgt laut dem aktuellen Versicherungsschein zum 1. November 2009 bei 9.049,– Euro, der Zahlungsbetrag bei einer Kündigung 6.497,– Euro. Angesichts der deutlich über dem Rückkaufwert bei einer Kündigung liegenden bisherigen Beitragsleistungen der Klägerin ist die Verwertung dieser Lebensversicherung unzumutbar.

b) Entsprechendes gilt für die Zumutbarkeit einer Verwertung der R1+V1-Lebensversicherung Nr. 12345678901. Die Versicherung wurde von der Klägerin zum 1. Dezember 1998 abgeschlossen. Die monatliche Beitragsleistung beträgt 100,— DM bzw. nunmehr 51,13 Euro. Bis zum 1. Juli 2009 ergeben sich daraus Beitragsleistungen in Höhe von 6.493,51 Euro (127 Monate x 51,13 Euro). Der Rückkaufwert beträgt zum 1. Juli 2009 laut dem nunmehr vorgelegten Nachweisen 6.304,01 Euro und liegt ebenfalls unterhalb der Beitragsleistungen der Klägerin, was eine Verwertung für sie wiederum unzumutbar macht.

4. Die Zurückverweisung beruht auf § 572 Abs. 3 ZPO. Das Arbeitsgericht wird nunmehr die Einkommensverhältnisse der Klägerin zu prüfen haben.

5. Gründe für eine Zulassung der Rechtsbeschwerde bestehen nicht.

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