LAG Hamm, Beschluss vom 18.10.2010 – 1 Ta 494/10

September 29, 2020

LAG Hamm, Beschluss vom 18.10.2010 – 1 Ta 494/10

Die Aussetzung eines Kündigungsschutzverfahrens wegen Vorgreiflichkeit eines anderen Kündigungsschutzverfahrens ist regelmäßig ermessensfehlerhaft, wenn eine Verbindung der Verfahren möglich ist.
Tenor

Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Iserlohn vom 30.07.2010 – 5 Ca 1439/10 – aufgehoben. Das Arbeitsgericht wird angewiesen, dem Rechtsstreit Fortgang zu geben. Die Entscheidung über den Verbindungsantrag der Beklagten bleibt dem Arbeitsgericht vorbehalten.
Gründe

Gründe :

I.

Die Beklagte wendet sich gegen einen Beschluss des Arbeitsgerichts Iserlohn, mit dem das von der Klägerin anhängig gemachte Kündigungsschutzverfahren ausgesetzt worden ist.

Die Klägerin ist seit März 1999 bei der Beklagten, die eine Pflegeeinrichtung betreibt, als Hauswirtschafterin zu einer monatlichen Vergütung von ca. 1.700,– Euro brutto beschäftigt. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis unter Berufung auf verhaltensbedingte Gründe mit Schreiben vom 01.02.2010 zum 31.05.2010. Die Wirksamkeit dieser Kündigung lässt die Klägerin mit der beim Arbeitsgericht Iserlohn zum AZ: 5 Ca 480/10 geführten Kündigungsschutzklage gerichtlich überprüfen. Eine Entscheidung ist noch nicht ergangen. Kammertermin steht für den 14.12.2010 an.

Die Beklagte kündigte nachfolgend unter dem 15.06.2010 sowie unter dem 05.07.2010 das mit der Klägerin begründete Arbeitsverhältnis vorsorglich erneut jeweils außerordentlich, hilfsweise ordentlich zum nächst zulässigen Termin. Gegen die Kündigung vom 15.06.2010 hat die Klägerin beim Arbeitsgericht Iserlohn die Kündigungsschutzklage erhoben, die Gegenstand des angefochtenen Beschlusses ist. Außerdem begehrt sie die Entfernung einer ihr unter dem 09.06.2010 erteilten Abmahnung.

Wegen der Kündigung vom 05.07.2010 ist beim Arbeitsgericht Iserlohn ein weiteres Kündigungsschutzverfahren anhängig (5 Ca 1542/10).

Das Arbeitsgericht hat zunächst einen Gütetermin anberaumt und der Klägerin für den ersten Rechtszug Prozesskostenhilfe bewilligt. Nach Eingang der Klageerwiderung hat es mit Beschluss vom 30.07.2010 den Gütetermin aufgehoben und den vorliegenden Rechtsstreit wie auch den Rechtsstreit 5 Ca 1542/10 bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Sache 5 Ca 480/10 gemäß § 148 ZPO ausgesetzt. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Rechtsstreit 5 Ca 480/10 sei vorgreiflich. Die Aussetzung erfolge, um die Gefahr divergierender Entscheidung zu vermeiden. Die Aussetzung diene insbesondere „auch der Rechtssicherheit der Parteien hinsichtlich des Zeitpunkts der möglichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses“.

Gegen den ihr am 03.08.2010 zugestellten und wegen seiner weiteren Einzelheiten in Bezug genommenen Beschluss hat die Beklagte mit am 05.08.2010 beim Arbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz sofortige Beschwerde eingelegt. Sie bemängelt die Verletzung rechtlichen Gehörs und hält im Übrigen die Aussetzung für ermessensfehlerhaft, da er den arbeitsgerichtlichen Beschleunigungsgrundsatz außer Acht lasse. Vielmehr seien die anhängigen Kündigungsschutzverfahren miteinander zu verbinden.

Die Beklagte beantragt,

den Beschluss des Arbeitsgerichts Iserlohn vom 30.07.2010 aufzuheben und die Verfahren 5 Ca 1439/10 und 5 Ca 1542/10 mit dem Verfahren 5 Ca 480/10 zu verbinden.

Die Klägerin verteidigt den angefochtenen Beschluss.

Das Arbeitsgericht hat der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Prozessakte verwiesen.

II.

Die statthafte und form- und fristgerecht eingelegte (§§ 252, 567, 569 ZPO, 78 ArbGG), mithin zulässige sofortige Beschwerde der Beklagten ist begründet.

Soweit die Beklagte moniert, ihr sei vor der Aussetzung kein rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) gewährt worden, ist dieser Einwand durch das Beschwerdeverfahren überholt, denn über das Rechtsmittel hatte sie Gelegenheit, ihren Standpunkt zu erläutern. Damit ist dem Grundsatz des rechtlichen Gehörs nachträglich Genüge getan (Zöller/Greger, ZPO, vor § 128 Rn. 8 a).

Das Arbeitsgericht hat zutreffend und von den Parteien nicht in Abrede gestellt die Vorgreiflichkeit des Kündigungsschutzverfahrens zu der unter dem 01.02.2010 erklärten Kündigung des Arbeitsverhältnisses (Arbeitsgericht Iserlohn 5 Ca 480/10) angenommen. Zu dem Begehren auf Entfernung der Abmahnung hat es allerdings die Vorgreiflichkeit nicht ausdrücklich festgestellt. Da die Abmahnung aber erst nach Ablauf der bis zum 31.05.2010 laufenden Kündigungsfrist erklärt wurde, ist auch das Entfernungsbegehren zumindest unter dem Gesichtspunkt des Rechtsschutzinteresses von dem Ausgang der Sache 5 Ca 480/10 abhängig.

Das Arbeitsgericht hat auch zutreffend erkannt, dass die Bejahung der Vorgreiflichkeit für eine Aussetzungsentscheidung nach § 148 ZPO für sich allein nicht ausreicht, sondern dass diese Entscheidung zusätzlich der richterlichen Ermessensausübung unterfällt (GK-ArbGG/Schütz, § 55 Rn. 44, 48; Zöller/Greger, § 148 Rn. 7 m.w.N.). Das Ermessen hat sich in den gesetzlichen Grenzen zu halten und an dem gesetzgeberischen Zweck der Vorschrift auszurichten (LAG Hessen, 07.08.2003 – 11 Ta 267/03 – NZA-RR 2004, 264). Das Beschwerdegericht hat lediglich zu prüfen, ob das Arbeitsgericht den Ermessensspielraum überschritten hat oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat (LAG Hessen, 07.08.2003, a.a.O.; 11.08.1999 – 5 Ta 513/99 – DB 2001, 265; LAG Hamm, 18.04.1985 – 8 Ta 96/85 – LAGE § 148 ZPO Nr. 14; LAG Köln, 18.08.2005 – 8 (13) Ta 300/05 – LAGE § 148 ZPO 2002 Nr. 3; LAG Nürnberg, 18.09.2006 – 7 Ta 169/06 -; GK-ArbGG/Bader, § 9 Rn. 14; Stadler/Musielak, ZPO, § 252 Rn. 4).

Auch unter Zugrundelegung dieses nur eingeschränkten Prüfungsmaßstabes hält der angefochtene Beschluss der Überprüfung nicht stand. Die Aussetzung des Verfahrens ist nicht ermessensfehlerfrei erfolgt.

Das Arbeitsgericht hat die Aussetzung nur mit der Vordringlichkeit begründet, divergierende Entscheidungen zu vermeiden und die Parteien vor dadurch entstehenden Rechtunsicherheiten zu schützen. Damit hat es in die Ermessensentscheidung nur einen geringfügigen Ausschnitt der zu berücksichtigenden Umstände einbezogen. Völlig ausgeblendet hat es insbesondere den arbeitsgerichtlichen Beschleunigungsgrundsatz aus § 9 Abs. 1 ArbGG, wobei dieser Grundsatz in § 61 a ArbGG für Bestandsstreitigkeiten eine besondere Betonung erfährt (vgl. BAG 27.04.2006 – 2 AZR 360/05 – NZA 2007, 229; GK-ArbGG/Schütz § 55 Rn. 44 f.). Er ist Ausprägung des verfassungsrechtlich gewährleisteten Gebotes effektiven Rechtsschutzes (vgl. auch OLG München 18.03.2008 – 10 W 1000/08 – unter Berufung auf Art. 6 Abs. 1 EMRK). Ein zügiges Verfahren vor dem Arbeitsgericht ist sowohl für den Arbeitnehmer wie für den Arbeitgeber von besonderer Bedeutung. Für den Arbeitnehmer hat die Kenntnis über den Bestand des Arbeitsverhältnisses und damit regelmäßig der Grundlage seiner wirtschaftlichen Existenz erhebliches Gewicht (LAG Rheinland-Pfalz 23.05.2008 – 6 Sa 802/07 -; LAG Köln 19.06.2006 – 3 Ta 60/06 – LAGE § 148 ZPO 2002 Nr. 4 m.w.N.; LAG Hamm 18.04.1985 – LAGE § 148 ZPO Nr. 14; Hessisches LAG 07.08.2003 – NZA – RR 2004 264). Aber auch für den Arbeitgeber ist die zügige Verfahrensdurchführung insbesondere im Hinblick auf sein Annahmeverzugsrisiko von großer Bedeutung. Die Aussetzung eines Kündigungsschutzverfahrens, bei der außerdem auch der Stand des Verfahrens, insbesondere des vorgreiflichen Rechtsstreits und dessen voraussichtliche Dauer und damit die voraussichtliche Dauer der Aussetzung zu berücksichtigen sind (LAG Berlin-Brandenburg 06.03.2008 – 15 Ta 281/08 -; Hessisches LAG 06.04.2004 – 1 Ta 106/84 -), kommt deshalb nur im Ausnahmefall in Betracht (BAG 27.04.2006 a.a.O.).

Aus welchem Grund hier ein solcher Ausnahmefall anzunehmen ist, ergibt sich aus dem angefochtenen Beschluss nicht. Auch die Nichtabhilfeentscheidung, die lediglich auf die Gründe des Aussetzungsbeschlusses Bezug nimmt, lässt dies nicht erkennen. Der Gefahr divergierender Entscheidungen, auf die das Arbeitsgericht maßgeblich abstellt, kann jedenfalls durch eine Verfahrensverbindung, gegebenenfalls auch durch eine Verhandlung der Verfahren am selben Tage, begegnet werden. Einer Verfahrensverbindung nach § 147 ZPO ist gegenüber einer Aussetzung regelmäßig der Vorzug zu geben (LAG Hamm 20.10.1983 – 8 Ta 291/83 – LAGE § 148 ZPO Nr. 13; LAG Schleswig-Holstein 25.09.1998 – 6 Ta 137/98 – LAGE § 55 ArbGG 1979 Nr. 4). Der Aussetzungsbeschluss kann nach alledem keinen Bestand haben; das Verfahren ist fortzusetzen.

Über eine Verfahrensverbindung, die die Beklagte beantragt, hat nicht das Beschwerdegericht zu entscheiden. Diese Entscheidung bleibt dem Arbeitsgericht vorbehalten.

Eine Kostenentscheidung ist nicht zu treffen, da die durch die Beschwerde entstandenen Kosten einen Teil der Gesamtkosten des Rechtsstreits bilden, über die in der Entscheidung zur Hauptsache zu befinden ist (BGH, 12.12.2005 – II ZB 30/04 – NJW-RR 2006, 1289).

Für die Zulassung der Rechtsbeschwerde nach §§ 72, 78 ArbGG besteht kein Anlass.

Streitwertmitteilung für das Beschwerdeverfahren: 1.360,– Euro (1/5 des Wertes der Hauptsache, bemessen nach einem Vierteljahreseinkommen für die Kündigungsschutzklage und einem Monatsentgelt für das Begehren nach Entfernung der Abmahnung).

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