Landesarbeitsgericht Köln, 6 Sa 861/10 Inhaltskontrolle; ,Leistungspflichten;

Juni 3, 2018

Landesarbeitsgericht Köln, 6 Sa 861/10

Inhaltskontrolle; ,Leistungspflichten;

 

 

Tenor:

  1. Die Berufung der Beklagten gegen das am 08.06.2010 verkündete Urteil des Arbeitsgerichts Köln

– 14 Ca 10581/09 – wird zurückgewiesen.

  1. Die Beklagte trägt die Kosten der Berufung.
  2. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

 

T a t b e s t a n d :

 

Die Parteien streiten in der Berufungsinstanz nur noch über den zeitlichen Umfang der Arbeitszeit des Klägers. In dem mit der Rechtsvorgängerin der Beklagten abgeschlossenen Arbeitsvertrag heißt es in § 2 Ziffer 2:

 

„Der Mitarbeiter ist verpflichtet, im monatlichen Durchschnitt 150 Stunden zu arbeiten, wobei diese Arbeitstage auch auf Samstage, Sonnt- und Feiertage fallen können. Die Einzelheiten ergeben sich aus dem jeweiligen Diensteinsatzplan, der von der Gesellschaft rechtszeitig im Voraus erstellt wird. (…)“

 

Von der weiteren Darstellung des Sachverhalts wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen.

 

Das Arbeitsgericht hat der Klage mit Urteil vom 08.06.2010 überwiegend stattgegeben und festgestellt, dass zwischen den Parteien ein Vollzeitarbeitsverhältnis mit einer monatlichen Arbeitszeit von 160 Stunden besteht. Dies folge wegen der Unwirksamkeit der Arbeitszeitklausel in dem Formulararbeitsvertrag der Parteien aus der allgemeinverbindlichen Regelung in § 2 Nr. 1 des Manteltarifvertrags für das Wach- und Sicherheitsgewerbe in Nordrhein-Westfalen vom 08.12.2005 (MTV NRW). Wegen der Einzelheiten der arbeitsgerichtlichen Begründung wird auf Blatt 92 ff. der Akten Bezug genommen.

 

Dagegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung. Sie macht unter Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens geltend, ein Vollzeitarbeitsverhältnis sei gerade nicht vereinbart worden. Die Arbeitszeitklausel im Arbeitsvertrag schreibe jedenfalls eine monatliche (Mindest-)Arbeitszeit von 150 Stunden fest. Zudem bestünden auch Bedenken gegen die Streichung der Gesamtregelung, weil durch die Klausel eine Arbeitszeit von 150 Stunden als vertragliche Hauptleistung des Arbeitnehmers definiert werde. Gemäß § 307 Abs. 3 BGB unterlägen aber Abreden über den unmittelbaren Gegenstand der Hauptleistung aus Gründen der Vertragsfreiheit regelmäßig keiner Inhaltskontrolle.

 

Die Beklagte beantragt,

 

das Urteil des Arbeitsgerichts Köln – 14 Ca 1581/09 – vom 08.06.2010, zugestellt am 23.10.2010, aufzuheben und die Klage insgesamt abzuweisen, hilfsweise die Revision zuzulassen.

 

Der Kläger beantragt,

 

die Berufung zurückzuweisen.

 

Er verteidigt die angefochtene Entscheidung aus Rechtsgründen.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes haben die Parteien auf die von ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

 

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

  1. Die Berufung der Beklagten ist zwar zulässig, weil sie statthaft (§ 64 Abs. 1 und 2 ArbGG) sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden ist (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, 519, 520 ZPO).

 

  1. In der Sache hat das Rechtsmittel jedoch keinen Erfolg.

 

Das Arbeitsgericht ist unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Berufungsgerichts zu vergleichbaren Fallgestaltungen mit zutreffender Begründung zu dem Ergebnis gelangt, dass die Beklagte den Kläger in Umfang von 160 Stunden monatlich zu beschäftigen hat. Die dagegen erhobenen Einwände der Berufung greifen nicht durch. Im Einzelnen gilt Folgendes:

 

Der Kläger kann beanspruchen, monatlich mit mindestens 160 Stunden beschäftigt zu werden. Dieser Anspruch folgt wegen der Unwirksamkeit der arbeitsvertraglichen Vereinbarung einer Arbeitszeit von 150 Stunden „im monatlichen Durchschnitt“ aus § 611 BGB i. V. m. § 2 des allgemeinverbindlichen Manteltarifvertrages für das Wach- und Sicherheitsgewerbe in NRW vom 08.12.2005.

 

  1. Die Regelung in dem mit der Rechtsvorgängerin der Beklagten geschlossenen Formulararbeitsvertrag, wonach der Arbeitnehmer verpflichtet ist, „im monatlichen Durchschnitt 150 Stunden zu arbeiten“, verstößt gegen § 307 Abs. 1 S. 1 BGB, weil sie den Kläger unangemessen benachteiligt. Im Einklang mit der bisherigen Rechtsprechung des Landesarbeitsgerichts Köln (vgl. nur Urteile vom 04.10.2009 – 5 Sa 945/07; vom 11.11.2009 – 9 Sa 584/09; vom 08.02.2010 – 4 Sa 1165/09) geht auch die erkennende Kammer davon aus, dass die im Jahre 2003 erfolgte Festlegung der Arbeitszeit der in den §§ 305 ff. BGB vorgeschriebenen Kontrolle von allgemeinen Geschäftsbedingungen und Formulararbeitsverträgen nicht standhält. Die Vereinbarung der Durchschnittsarbeitszeit widerspricht den Wertungen des § 615 S. 1 und S. 3 BGB, wonach der Arbeitgeber das Risiko, den Arbeitnehmer nicht zu beschäftigen, und das Risiko eines Arbeitsausfalls trägt. Nach der gesetzlichen Regelung bleibt der Arbeitgeber in diesen Fällen zur Entgeltzahlung verpflichtet. Mit einer Vereinbarung, die es dem Arbeitgeber gestattet, in Zeiten geringeren Arbeitsanfalls den Arbeitnehmer auch mit weniger als 150 Monatsstunden einzusetzen, wird in Abweichung von der gesetzlichen Regelung ein Teil des den Arbeitgeber treffenden Wirtschaftsrisikos auf den Arbeitnehmer verlagert. Auch wenn ein Interesse der Beklagten an einer flexiblen Arbeitszeitgestaltung aufgrund der von den Anfragen der Bundespolizei abhängigen Dienstleistungen besteht, liegt gleichwohl in Abwägung der beiderseitigen Interessen eine gemäß § 307 Abs. 2 S. 1 BGB gegen Treu und Glauben verstoßende unangemessene Benachteiligung des Klägers vor. Eine monatliche Mindestarbeitszeit ist nicht festgelegt worden. Aus dem Arbeitsvertrag ergibt sich nicht, in welchem Zeitraum die durchschnittliche Zahl der Arbeitsstunden erreicht werden soll. Der Kläger kann weder mit einer monatlichen noch mit einer mindestens jährlichen festen (Mindest-)Vergütung rechnen, die ein Arbeitnehmer für die Planung seines privaten Lebens benötigt. Die vertragliche Arbeitszeitregelung ist damit unwirksam.

 

  1. Die Regelung in § 2 Abs. 2 des Arbeitsvertrages ist aber noch aus einem weiteren Grunde gemäß § 306 Abs. 1 BGB unwirksam. Die Klausel ist nicht klar und verständlich. Sie verstößt gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 S. 2 BGB (vgl. ebenso LAG Köln v. 03.12.2010 – 4 Sa 898/10).

 

Mit der Klausel wird die vertragliche Leistungspflicht des Arbeitnehmers einem sehr weitgehenden Leistungsbestimmungsrecht des Arbeitgebers unterworfen. Der Umfang der Leistungspflicht muss aber so bestimmt und zumindest durch die konkrete Begrenzung der Anordnungsbefugnis hinsichtlich des Umfangs so bestimmbar sein, dass der Arbeitnehmer bereits bei Vertragsschluss erkennen kann, was „auf ihn zukommt“, d. h. welche Leistung er maximal erbringen muss.

 

Die Klausel in § 2 Abs. 2 des Arbeitsvertrages ist in mehrfacher Hinsicht völlig unbestimmt. Sie enthält nicht nur hinsichtlich der monatlichen Höchst- bzw. Mindestleistung irgendeine Grenze, es ist in ihr auch in keiner Weise festgelegt, in welchem Zeitraum der monatliche Durchschnitt von 150 Stunden zu erreichen ist. Es lässt sich nicht erkennen, ob die monatlich durchschnittlichen 150 Stunden im Jahr erreicht werden müssen oder gar erst in mehreren Jahren. Der Kläger kann nicht mit einer monatlichen Mindestvergütung, nicht einmal mit einer jährlichen rechnen, die er für die Planung seines privaten Lebens benötigt. Die Klausel ist gänzlich intransparent (vgl. auch BAG, 01.09.2010 – 5 AZR 517/09).

 

  1. Entgegen der Ansicht der Beklagten führt auch der sog. blue-pencil-Test nicht dazu, dass die Vereinbarung mit einer monatlichen Arbeitszeit von mindestens 150 Stunden aufrecht erhalten werden kann. Eine geltungserhaltende Reduktion kommt im Rahmen der Klauselkontrolle bekanntlich nicht in Betracht. Lediglich dann, wenn Teile einer Klausel sprachlich und inhaltlich eindeutig abtrennbar sind („blue-pencil-Test“), kann eine Teilung in einen zulässigen und einen unzulässigen Teil vorgenommen werden. Zu prüfen ist stets, ob die Klausel mehrere sachliche Regelungen enthält (vgl. BAG, 11.04.2006 – 9 AZR 610/05, juris). Liegen diese Voraussetzungen vor, dann wird nicht eine zu weitgehende Klausel neu gefasst, sondern eine teilbare Klausel ohne ihren unwirksamen Bestandteil mit ihrem zulässigen Inhalt aufrecht erhalten (vgl. BAG, 15.09.2009 – 3 AZR 173/08, juris). Hier liegt eine nichtaufteilbare einheitliche Klausel vor, bestehend aus einer Arbeitszeitvorgabe, die untrennbar mit einem Leistungsbestimmungsrecht der Beklagten verbunden ist. Die Formulierung „im monatlichen Durchschnitt“ macht allein keinen Sinn. Streicht man diese Formulierung, so ergibt sich auch inhaltlich ein völlig anderes Ergebnis als das vertraglich mit der einheitlichen Klausel intendierte. Nach dem Vertrag sollte nicht eine feste Arbeitszeit von 150 Stunden, auch keine Mindestarbeitszeit, sondern gerade die bereits dargestellte Flexibilisierungsmöglichkeit der Beklagten geschaffen werden.
  2. Soweit sich die Beklagte darauf beruft, gemäß § 307 Abs. 3 BGB unterlägen Abreden über den unmittelbaren Gegenstand der Hauptleistung aus Gründen der Vertragsfreiheit regelmäßig keiner Inhaltskontrolle, so ist dieses im Grundsatz richtig.

Die Klausel des § 2 Abs. 2 des Arbeitsvertrages ist aber – wie gezeigt – schon mangels hinreichender Transparenz unwirksam. Auch die Regelung von Hauptleistungspflichten unterliegt gemäß § 307 Abs. 3 S. 2 BGB der Transparenzkontrolle nach § 307 Abs. 1 S. 2 BGB (vgl. BAG, 01.09.2010 – 5 AZR 517/09).

Darüber hinaus aber sind vertraglich eingeräumte einseitige Leistungsbestimmungsrechte auch im Bereich der Hauptleistungspflichten kontrollfähig (vgl. HWK/Gotthardt, 4. Aufl., § 307 BGB Rz. 8 m.w.N.; ErfK/Preis §§ 305 – 310 Rn. 40). Die Klausel des § 2 Abs. 2 des Arbeitsvertrages stellt die Bestimmung, wie viel Stunden monatlich geleistet werden müssen in ein außerordentlich weites Leistungsbestimmungsrecht des Arbeitgebers. Das Leistungsbestimmungsrecht „im monatlichen Durchschnitt“ ist – wie oben gezeigt – untrennbar mit der Zahl 150 Stunden verbunden. Eine feste monatliche Stundenzahl sollte gerade nicht vereinbart werden, wie auch die Vertragspraxis zeigt. Daher muss im vorliegenden Fall auch unter dem Gesichtspunkt der reinen Angemessenheitskontrolle (außerhalb der Transparenzfrage) die Unwirksamkeit der Flexibilisierungsabrede auf die Abrede „150 Stunden“ durchschlagen.

  1. Da die Vereinbarung von durchschnittlich 150 Stunden insgesamt unwirksam ist, also auch keine wirksame Teilzeitvereinbarung vorliegt, und im Zweifel ein Vollzeitarbeitsverhältnis anzunehmen ist (vgl. BAG vom 087.10.2008 – 5 AZR 715/07, juris), muss die entstandene Vertragslücke gemäß § 306 Abs. 2 BGB durch die normative Arbeitszeitregelung des allgemein verbindlichen Manteltarifvertrages für das Wach- und Sicherheitsgewerbe in N vom 08.12.2005 gefüllt werden. Nach § 2 Abs. 1 dieses Tarifvertrags beträgt die tarifliche Mindestarbeitszeit eines vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers monatlich 160 Stunden. Diese Regelung ist nach Wortlaut, Sinn und Zweck und Entstehungsgeschichte dahin zu verstehen, dass sie den Arbeitsvertragsparteien den geschuldeten Umfang der Hauptleistungspflichten bei der Vollzeitarbeit vorgibt. Die tarifgebundenen Arbeitgeber müssen die vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmer jedenfalls im Umfang dieser Mindestarbeitszeit zu Arbeitsleistungen heranziehen. Andererseits haben die Arbeitnehmer keinen Anspruch, zu mehr als 160 Stunden monatlich herangezogen zu werden.

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

  1. Die Revision war nicht gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG zuzulassen. Insbesondere hatte die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung, weil die Entscheidung auf den besonderen Umständen des Einzelfalles beruht.

Rechtsmittelbelehrung

Gegen dieses Urteil ist kein Rechtsmittel gegeben. Wegen der Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde wird auf § 72 a ArbGG verwiesen.

Dr. Kalb Hilbert-Hesse Dujardin

 

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