Landgericht Bonn, 1 O 280/20

Mai 4, 2021

Landgericht Bonn, 1 O 280/20

Tenor:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.741.118,17 EUR nebst Zinsen in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 05.09.2020 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

4. Der Beklagten bleibt die Ausführung ihrer Rechte im Nachverfahren vorbehalten.

1

Tatbestand:
2

Die Parteien streiten im Urkundenprozess um Zahlungsansprüche der Klägerin (vormals A) aus einem mit der Beklagten im Rahmen der COVID-19-Pandemie geschlossenen Vertrag über die Lieferung von Atemschutzmasken.
3

Im Rahmen eines sog. Open House Verfahrens veröffentlichte die Beklagte am 27.03.2020 die Auftragsbekanntmachung mit der Referenznummer ###-####-#### im „Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Union“ für das europäische öffentliche Auftragswesen sowie in dessen Online-Version „Tenders Electronic Daily“ zur Beschaffung persönlicher Schutzausrüstung. Dessen Ziffer II.2.4) lautet wie folgt:
4

„[…] Das Vertragssystem beginnt ab sofort zu laufen und endet mit Ablauf des 08.02.2020. Zu berücksichtigten ist jedoch, dass spätester Liefertermin der 30.04.2020 innerhalb der üblichen Geschäftszeiten der B […] ist.“
5

Beigefügt waren u.a. die Aufforderung zur Angebotsabgabe, das Vertragsformular über die Lieferung von Schutzausrüstung sowie die Leistungsbeschreibung.
6

Die Aufforderung zur Angebotsabgabe enthielt unter 3.1 einen Hinweis auf den genannten Liefertermin zum 30.04.2020.
7

Der „Gegenstand des Vertrages“ ist in dem Vertragsformular über die Lieferung von Schutzausrüstung unter § 1 S. 1 zunächst wie folgt definiert:
8

„Gegenstand des Vertrages ist die Lieferung von Produkten folgender Produktgruppe(n):
9

1. FFP2 Masken Menge in Stück: Klicken Sie hier, um Text einzugeben
10

2. OP-Masken Mange in Stück: Klicken Sie hier, um Text einzugeben
11

3. Schutzkittel Menge in Stück: Klicken Sie hier, um Text einzugeben
12

Der Auftragnehmer konnte insoweit lediglich die zu liefernde Stückzahl eingeben.
13

§ 2 Ziffer 2.1 lautet unter der Überschrift „Vertragsbestandteile“ wie folgt:
14

„Folgende Unterlagen und Bestimmungen sind in Ergänzungen der Regelungen dieses Vertrages Bestandteile des Vertragsverhältnisses:
15

a. die Leistungsbeschreibung mit den Stückpreisen für die einzelnen Produktgruppen Anlage 1“
16

(einen entsprechenden Buchstaben b. weist das Vertragsdokument nicht auf)
17

§ 3 Ziffer 3.1 lautet wie folgt:
18

„Die von dem AN zu liefernden Produkte einer Produktgruppe i.S.d. § 1 dieses Vertrags werden durch die Leistungsbeschreibung (Anlage 1) näher bestimmt.“
19

In dieser Leistungsbeschreibung wurde hinsichtlich der Produktgruppen „FFP 2 Masken“, „OP-Masken“ und „Schutzkittel“ unterschieden.
20

Hinsichtlich ersterer heißt es dort:
21

„FFP2 Masken
22

Beschreibung:
23

Atmungsaktives Design, das nicht gegen den Mund zusammenfällt (z.B. Entenschnabel, becherförmig)
Versehen mit einer Metallplatte an der Nasenspitze
Kann wiederverwendbar* (aus robustem Material, das gereinigt und desinfiziert werden kann) oder Einwegartikel sein

24

Normen/Standards:
25

 Atemschutzgerät „N95“ gemäß FDA Klasse II, unter 21 CFR 878.4040, und CDC NIOSH, oder „FFP2“ gemäß EN 149 Verordnung 2016/425 Kategorie III
26

oder gleichwertige Normen, auch KN95 (CHN)“
27

Weiter war in der Leistungsbeschreibung ein Preis pro Maske in Höhe von 4,50 EUR netto vorgesehen.
28

Zudem finden sich in dem o.g. Vertragsformular insbesondere die folgenden weiteren Regelungen:
29

In § 3 Ziffer 3.2 heißt es zur Lieferung:
30

„Die Lieferung der Produkte hat an die B […] während der üblichen Geschäftszeiten zu erfolgen; […]. Die Lieferung ist der B in Textform mit einer Frist von mindestens drei Kalendertagen vor dem Liefertermin anzukündigen. Spätester Liefertermin ist der 30.04.2020 innerhalb der Geschäftszeiten gemäß S.1. Bei Nichteinhaltung des spätesten Liefertermins entfallen die gegenseitigen Pflichten der Vertragspartner; eine verspätete Lieferung stellt keine Erfüllung des Vertrages durch den AN dar (absolutes Fixgeschäft).“
31

§ 5 Ziffer 5.1 bestimmt in Bezug auf die Zahlung:
32

„Der AG zahlt die vereinbarte Vergütung bargeldlos binnen einer Woche nach erfolgter Lieferung und Eingang einer den Vorschriften des Umsatzsteuerrechts entsprechenden Rechnung bei der B […] auf das von dem AN angegebene Konto.“
33

Unter § 6 und der Überschrift „Mängelansprüche“ finden sich in den Ziffern 6.1 und 6.2 die folgenden Regelungen:
34

„6.1 Für Sach- und Rechtsmängelansprüche gelten die gesetzlichen Vorschriften, soweit nachfolgend nichts anderes bestimmt ist.
35

6.2 Eine Untersuchungs-/Rügeobliegenheit des AG beschränkt sich auf Mängel, die nach der Ablieferung unter äußerlicher Begutachtung offen zu Tage treten (z.B. Transportbeschädigungen, Falsch- und Minderlieferungen). Eine Rüge/Mängelanzeige gilt als unverzüglich und rechtzeitig, wenn sie innerhalb von sieben Kalendertagen beim AN eingeht.“
36

Ferner heißt es dort unter § 7 Ziffer 7.1 des Vertrages:
37

„Der Vertrag tritt mit Zuschlagserteilung des AG auf das im Open-House-Verfahren abgegebene Angebot des AN in Kraft und endet mit Ablauf des 30.04.2020. Die durch eine innerhalb der Vertragslaufzeit erfolgte Lieferung begründeten Rechte und Pflichten […] bestehen […] fort.“
38

Die Schutzmasken sollten im Anschluss an die Beschaffung durch die Beklagte an die Bundesländer und Kassenärztlichen Vereinigungen weitergegeben werden.
39

Die Klägerin unterbreitete der Beklagte am 08.04.2020 ein Angebot über die Lieferung von insgesamt 500.000 „FFP2-Masken“.
40

Mit E-Mail vom 10.04.2020 (Anlage K 4) und Schreiben vom 22.04.2020 (Anlage K 5) erhielt die Klägerin über die Y den entsprechenden Zuschlag zur „Lieferung von Schutzausrüstung“. Insgesamt erhielt die Klägerin aufgrund der verschiedenen Angebote den Zuschlag für die Lieferung von insgesamt 2,6 Mio. „FFP2-Masken“.
41

Die Anlieferungen der Masken wurden im Auftrag der Beklagten durch die B (nachfolgend „B“) sowie die im fortgeschrittenen Stadium des Open House Verfahrens involvierte C (nachfolgend: „C“) koordiniert. Nach Ankündigung einer Anlieferung durch den Auftragnehmer wiesen die Logistiker der geplanten Anlieferung eine oder mehrere Avisierungsnummern zu und teilten die Lieferadresse mit. Dabei entsprach eine Avis-Nummer jeweils einem LKW-Anlieferslot, d.h. pro LKW wurde eine Avis-Nummer vergeben. Die Avis-Nummer beinhaltete oft ein Kürzel für das jeweilige Lager.
42

Eine Analyse der Vorankündigungen zeigte auf, dass für den Zeitraum zwischen dem 28.04.2020 und 30.04.2020 eine massive Anlieferungsspitze zu erwarten war, die trotz Einbindung von C und Inanspruchnahme der zusätzlich bereitgestellten Lagerflächen logistisch von der Beklagten nicht bewältigt werden konnte. Zur Entzerrung dieser Anlieferungsspitze erhielt eine größere Zahl von Auftragnehmern, die ihre Lieferung pünktlich bis zum 27.04.2020 23:59 avisiert hatten, einen Anlieferslot für einen Zeitpunkt nach dem 30.04.2020.
43

Die Klägerin lieferte die 500.000 Schutzmasken der Hersteller D, E und F in zwei Tranchen bei C in G ab. Dies erfolgte ausweislich der Rechnung der Klägerin vom 30.04.2020 (Anlage K 6) sowie des Schreibens der Prozessbevollmächtigen der Klägerin (Anlage K 7) am 30.04.2020.
44

Für die Schutzmasken stellte die Klägerin der Beklagten unter dem 30.04.2020 einen Betrag in Höhe von 2.677.500,00 EUR in Rechnung (Anlage K 6).
45

Nachdem eine Kaufpreiszahlung nicht erfolgt war und die Beklagte vergeblich zur Zahlung des Kaufpreises aufgefordert wurde, beauftragte die Klägerin die Prozessbevollmächtigten mit der Geltendmachung der Forderung. Am 29.06.2020 zahlte die Beklagte an die Klägerin einen Betrag in Höhe von 942.747,75 EUR. Eine Verrechnungsbestimmung erfolgte nicht. Die Klägerin verrechnete die Zahlung mit den aus ihrer Sicht bis dahin angefallenen Verzugszinsen in Höhe von 32.077,33 EUR und den Restbetrag in Höhe 910.670,42 EUR mit der Hauptforderung (Anlage K 7).
46

Mit Schreiben vom 10.07.2020 forderten die Prozessbevollmächtigten der Klägerin die Beklagte zur Zahlung des offenen Restkaufpreises zzgl. Zinsen und außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.784.346,17 EUR bis zum 20.07.2020 auf (Anlage K 7). Dieses Schreiben ging der Beklagten am 11.07.2020 zu.
47

Hintergrund der nicht erfolgten Zahlung durch die Beklagte war eine Prüfung der Ware durch die H (im Folgenden „H“). Dabei lief das Prüfungsverfahren vor dem Hintergrund, dass es zur Zeit des Ausbruchs der COVID-Pandemie nicht genügend Schutzmasken gab, die das Konformitätsbewertungsverfahren vollständig durchlaufen hatten und auf dem deutschen Markt verkehrsfähig gewesen wären, wie folgt ab:
48

Die M (nachfolgend: „M“) passte das von der europäischen Norm EN 149 vorgesehene Prüfverfahren auf Grundlage der am 13.03.2020 von der EU-Kommission herausgegebenen „Empfehlung der Europäischen Kommission 2020/403 über Konformitätsbewertungs- und Markt-überwachungsverfahren im Kontext der COVID-19-Bedrohung“ an und erstellte infolge dessen den Prüfgrundsatz für Corona SARS-Cov-2 Pandemie Atemschutzmasken (nachfolgend „CPA-Prüfgrundsatz“). Da die im Rahmen des Open House Verfahrens gelieferten Schutzmasken für den Einsatz im medizinischen Bereich vorgesehen waren, entschied sich die Beklagte sodann, das Prüfverfahren auf Basis des CPA-Prüfgrundsatzes zu modifizieren und insbesondere auf diejenigen Kriterien zu beschränken, die ihrer Auffassung nach für die Verwendung der Schutzmasken insbesondere im medizinischen Bereich essentiell sind (nachfolgend „modifizierter CPA-Prüfgrundsatz“). Diese Modifikation erfolgte durch das N in Abstimmung mit dem O („O“). Zur Durchführung der erforderlichen Prüfung benannte die Beklagte den H einschließlich seiner Gruppengesellschaft der I (I).
49

Die Beklagte führte im Rahmen dieses Prüfverfahrens nach dem von ihr entwickelten modifizierten CPA-Prüfgrundsatz zunächst eine Sensorikprüfung in Form einer sog. Sicht- und Anlegeprüfung durch, im Rahmen derer der H u.a. Passform (Dichtsitz), Befestigung der Fixierbänder sowie Geruch begutachtete. Hieran schloss sich im Falle des Bestehens der Prüfung – an anderen Prüfexemplaren – eine Laborprüfung an, die neben Elementen, die bereits Gegenstand der Sensorikprüfung waren (z.B. Dichtsitz der Schutzmasken und Stabilität der Bänder im Rahmen einer sog. Anlegeprüfung) insbesondere die Prüfung des Atemwiderstandes und des Filterdurchlasses der Schutzmasken umfasste. Im Rahmen der Atemwiderstandsprüfung wird gemessen, wie sehr die Atmung des Trägers aufgrund der Dichtigkeit der Maske beeinträchtigt wird, und bei der Filterdurchlassprüfung, ob die Schutzmasken die Anforderungen an die Dichtigkeit als Schutz gegen den Durchlass von schädlichen Partikeln (hier Tröpfchen oder Aerosole als Träger der Corona-Viren) erfüllen.
50

Dabei unterscheiden sich die vereinbarten Standards der europäischen Norm EN 149 für FFP2 Masken und der chinesischen Norm GB 2626 für KN95 Masken sowohl im Hinblick auf den zulässigen Durchlassgrad, als auch die bei den Filterdurchlasstests anzuwendenden Prüfbedingungen. Während FFP2-Schutzmasken gemäß Ziffer 7.9.2 der EN 149 bei einem Luftstrom von 95 l/min einen Durchlassgrad von maximal 6 % aufweisen müssen, dürfen chinesische KN95-Schutzmasken gemäß Ziffer 5.3 und 6.3 GB 2626 bei einem Luftstrom von 85 l/min den Durchlassgrad von 5 % nicht überschreiten. Auch können FFP2-Schutzmasken sowohl mit paraffinölhaltigen Aerosolen als auch Natriumchlorid getestet werden, wohingegen bei KN95-Schutzmasken lediglich Prüfungen mit Natriumchlorid zulässig sind.
51

Bei der Auswertung der Durchlassprüfung implementierte die Beklagte infolge des Umstands, dass KN95 Schutzmasken bei H-Prüfungen einem anderen Luftfluss ausgesetzt werden, als nach chinesischem GB 2626-Standard vorgesehen ist, einen Toleranzbereich von einem Filterdurchlassgrad von 15%, innerhalb dessen die Masken nicht zum Gegenstand von Mängelansprüchen gemacht wurden.
52

Für die Zusammenstellung der zu prüfenden Stichprobe entnahm der H grundsätzlich pro Avis-Nummer jeweils drei Verpackungseinheiten von unterschiedlichen Paletten, die abhängig vom Hersteller eine unterschiedliche Anzahl von Exemplaren enthielten. Im Rahmen der Sensorikprüfung untersuchte der H an drei bis zehn Exemplaren, ob die Schutzmasken den Anforderungen genügten. Im Labor wurden mindestens drei Exemplare durch drei Testpersonen einer Anlegeprüfung unterzogen. Bei nicht eindeutigen Ergebnissen bzw. Prüfkriterien in Sensorik- und Anlegeprüfung im Labor griff der H auf weitere Prüfexemplare zurück. Da die Anlegeprüfung mit Hautkontakt sowie menschlicher Beatmung einherging, wurden sowohl die Atemwiderstands- als auch die Durchlassprüfung anhand von jeweils zwei weiteren Exemplaren durchgeführt, sodass insgesamt mindestens sieben, ggf. aber auch mehr Exemplare im Rahmen der Laborprüfung getestet wurden.
53

Mit E-Mail vom 24.06.2020 – gesendet an die E-Mailadresse $$$@$$$$.$$ – rügte Beklagte die Mangelhaftigkeit der Masken und erklärte einen Teilrücktritt vom Vertrag für die unter der Avis-Nr. HAL##########1 gelieferten Masken (Anlage B 17). Die Beklagte rügte in diesem Schreiben auch die fehlende Lieferung von insgesamt 800 FFP2-Masken. Der Versand dieser E-Mail scheiterte jedoch aufgrund der Überschreitung der zulässigen Dateigröße. Unter dem 31.07.2020 – versendet per E-Mail am 05.08.2020 – wurde den Prozessbevollmächtigten der Klägerin von K ein weiteres Mal die E-Mail vom 24.06.2020 mit der Rücktrittserklärung unter Beifügung der Prüfberichte (Anlagen B 5 bis B 16) übersandt (Bl. 85 d.A.).
54

Eine weitere Versendung der Rücktrittserklärung erfolgte per E-Mail am 07.08.2020, was die Klägerin mangels Vorlage einer Originalurkunde der Vollmacht zurückwies. Daraufhin erfolgte mit Schreiben vom 18.08.2020 eine erneute Übersendung per Briefpost mit der Originalvollmacht (Anlage B 19, Anlagenkonvolut K 16). Dieses Schreiben ging am 21.08.2020 bei der Klägerin ein (Anlagenkonvolut K 16).
55

Die Klägerin behauptet, die hier streitgegenständlichen gelieferten Schutzmasken entsprächen dem vertraglich geschuldeten Standard für Masken des Typs KN95/FFP2. Der Zustand von „nicht hydrophob“ (wasserabweisend), auf den sich die Beklagte beziehe, sei nach der Leistungsbeschreibung vertraglich nicht geschuldet. Die gelieferten Schutzmasken entsprächen zudem auch den Qualitätsanforderungen nach den Prüfgrundsätzen für Corona SARS-CoV-2 Pandemie Schutzmasken Rev. 2 vom 02.06.2020. Dies habe eine zertifizierte Prüfstelle der P ($$$ Q) in verschiedenen Prüfgutachten anhand von Rückstellmustern der gelieferten Masken bestätigt (Anlagen K 8 – K 11). Auch die Regierung von R habe aufgrund des Prüfgutachtens von $$$ Q vom 03.08.2020 die „Verkehrsfähigkeit“ der Schutzmasken bestätigt (Anlagen K 12 – K 14). Das Prüfverfahren der Beklagten sei ungeeignet, da die Masken nicht auf die vertraglich vereinbarten Standards KN95/FFP2 hin überprüft worden seien.
56

Die Klägerin ist der Ansicht, die Beklagte hätte nach Ziffer 6.2. des Kaufvertrages etwaige Mängel innerhalb von einer Woche nach Feststellung rügen müssen; die Ware gelte daher als genehmigt (§ 377 Abs. 2 HGB). Es habe zudem vor Erklärung des Rücktritts einer Nachfrist bedurft. Es handele sich nicht um ein Fixgeschäft, da die Beklagte zahlreichen Lieferanten nach dem 30.04.2020 die Möglichkeit zur Nacherfüllung eingeräumt habe.
57

Zudem bestreitet die Klägerin, dass die von der Beklagten überprüften Schutzmasken tatsächlich die von der Klägerin gelieferten Schutzmasken gewesen seien.
58

Weiter seien die übermittelten Rügen in Englisch erklärt worden, obwohl die Vertragssprache Deutsch sei. Die entsprechenden Erklärungen der Beklagten gelten daher als nicht zugegangen.
59

Die Klägerin ist der Ansicht, die Klage sei auch aufgrund eines Schadensersatzanspruchs der Klägerin gegen die Beklagte begründet, da die Klägerin aufgrund der verspäteten Rüge die Schutzmasken nicht mehr anderweitig zum Preis von 4,50 EUR netto verkaufen konnte. Ihr sei daher ein Schaden in Höhe von 1.542.002,00 EUR entstanden. Auch sei ihr durch die späte Rüge die Regressmöglichkeit bei ihrem Lieferanten in X genommen worden.
60

Die Klägerin hat zunächst beantragt, die Beklagte zu verurteilen an die Klägerin 1.793.092,59 EUR nebst Zinsen in Höhe von 9%-Punkten über dem Basiszinssatz aus 1.766.829,58 EUR ab dem 05.09.2020 sowie vorgerichtliche Kosten in Höhe von 9.284,90 EUR zu bezahlen.
61

Am 29.01.2021 hat die Beklagte 56.257,65 EUR an die Klägerin gezahlt, wobei nach der Verrechnungsbestimmung 9.284,90 EUR auf die außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten und 46.972,75 EUR auf die Restforderung entfallen sollte.
62

Die Klägerin beantragt,
63

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 1.746.119,80 EUR nebst Zinsen in Höhe von 9% -Punkten über dem Basiszinssatz ab 01.09.2020 zu bezahlen.
64

Die Beklagte beantragt,
65

die Klage abzuweisen.
66

Hinsichtlich eines Teilbetrages in Höhe von 56.257,65 EUR haben die Parteien den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt.
67

Die Beklagte ist der Auffassung, sie sei wirksam von dem Vertrag zurückgetreten, da die von der Klägerin gelieferten Masken mangelhaft seien. Sie behauptet in ihren Prüfberichten im Einzelnen die folgenden Mängel, die sich alle auf die in G an C übergebene Lieferung mit der Avis-Nummer HAL##########1 beziehen (Bl. 74 ff. d.A.):
68

69

a) Lieferung über 16.000 Schutzmasken, Liefernummer L####1

70

„The fixation piece is released from the mask“ … „10 off 10 pieces are coming
71

off“ … „the fixation piece is released from the mask“
72

Übersetzung durch die Prozessbevollmächtigten der Beklagten:
73

„Das Befestigungsteil ist losgelöst von der Maske“ …“ 10 von
74

10 Teilen lösen sich“ … „das Befestigungsteil ist losgelöst von der Maske“
75

76

b) Lieferung über 19.000 Schutzmasken, Liefernummer L####2

77

„Bags are not labelled at all; criteria is not fulfilled“ … „two different designs“
78

… „the fixation of the elastic band is not stable, 4 of 10 negative
79

checked by the manual tearing“ … „the fixation pieces come off 2 of 10
80

masks“ …“elastic bands are tearing in more than 20% tested“ … „the outer
81

skin is not hydrophobic, water penetrates the outer skin“ … „masks are not
82

hydrophobic“
83

Übersetzung durch die Prozessbevollmächtigten der Beklagten:
84

„Beutel sind überhaupt nicht gelabelt; Kriterien nicht erfüllt“
85

… „zwei unterschiedliche Designs“ … „Befestigung der elastischen Bänder
86

nicht stabil, 4 von 10 negativ getestet durch manuelles Abreißen“ … „Befestigungsstücke lösen sich bei 2 von 10 Masken“ … „die elastischen Bänder reißen in mehr als 20% der getesteten Fälle“ … „die äußere Schicht ist nicht hydrophob, Wasser durchdringt die äußere Schicht“ … „Masken sind nicht hydrophob“
87

88

c) Lieferung über 16.000 Schutzmasken, Liefernummer L####3

89

„Bags are not labelled at all; criteria is not fulfilled“ … „two different designs“
90

… „the fixation of the elastic bands is not stable, 3 of 10 negative
91

checked by manual tearing“ … „elastic bands are tearing in more than 20%
92

tested“ … „the outer skin is not hyprophobic, water penetrates the outer skin“
93

… „masks are not hydrophobic“
94

Übersetzung durch die Prozessbevollmächtigten der Beklagten:
95

„Beutel sind überhaupt nicht gelabelt; Kriterien nicht erfüllt“
96

… „zwei unterschiedliche Designs“ … „Befestigung der elastischen Bänder
97

nicht stabil, 3 von 10 negativ getestet durch manuelles Abreißen“ … „die elastischen
98

Bänder reißen in mehr als 20% der getesteten Fälle“ … „die äußere
99

Schicht ist nicht hydrophob, Wasser durchdringt die äußere Schicht“ …
100

„Masken sind nicht hydrophob“
101

102

d) Lieferung über 150.000 Schutzmasken, Liefernummer L####4

103

„at 7 of 10 tested masks, the adhesive Bonding to the nose-bridge came loose“
104

Übersetzung durch die Prozessbevollmächtigten der Beklagten:
105

„bei 7 von 10 getesteten Masken löste sich die Verbindung zur Nasen-Brücke“
106

107

e) Lieferung über 16.000 Schutzmasken, Liefernummer L####5

108

„aluminium strips comes off in 4/5 tested“
109

Übersetzung durch die Prozessbevollmächtigten der Beklagten:
110

„Aluminiumstreifen lösen sich in 4 von 5 getesteten Fällen“
111

112

f) Lieferung über 16.000 Schutzmasken, Liefernummer L####6

113

„the fixation of bands is not stable. 1 of 10 fixations broke“ … „the nose fixation
114

piece is easily bendable but not stable. 4 od 10 nose pieces lost connection
115

to the mask“ … „band fixation broke and nose pieces fell off partly“ …
116

„5 of 10 masks failed“
117

Übersetzung durch die Prozessbevollmächtigten der Beklagten:
118

„die Befestigung der Bänder ist nicht stabil. 1 von 10 Befestigungen brach.“ … „die Nasenbefestigungsstücke sind leicht zu biegen, aber nicht stabil. 4 von 10 Nasenstücken verloren die Verbindung zur Maske“ …
119

„die Bandfixierung brach und Nasenstücke fielen teilweise ab.“… „5 von 10
120

Masken versagten“
121

122

g) Lieferung über 12.000 Schutzmasken, Liefernummer L####7

123

„the masks are regularly folded and shaped, however, the masks are from
124

different mask type, when comparing the content of two different packages.
125

Additionally, the batch number is different“ … „the nose fixation piece is easily
126

bendable, but not stable, 4 of 10 nose pieces broke in the middle“ … „nose
127

pieces broke, 4 of 10 masks failed“ … „the nose piece broke, while putting the
128

mask on for the fifth time“
129

Übersetzung durch die Prozessbevollmächtigten der Beklagten:
130

„die Masken sind ordnungsgemäß gefaltet und geformt, die Masken gehören aber zu unterschiedlichen Maskentypen, wenn man den Inhalt von zwei unterschiedlichen Packungen vergleicht. Überdies unterscheiden sich die Batch-Nummern“ … „das Nasenbefestigungsstück ist leicht zu biegen, aber nicht stabil. 4 von 10 Nasenstücken brachen in der Mitte“ …
131

„Nasenstücke brachen, 4 von 10 Masken versagten“ …
132

„das Nasenstück brach, wenn die Maske das fünfte Mal angezogen wurde“
133

134

h) Lieferung über 8.000 Schutzmasken, Liefernummer L####8

135

„no labelling on plastic bags“
136

Übersetzung durch die Prozessbevollmächtigten der Beklagten:
137

„Kein Labelling auf den Plastikbeuteln“
138

139

i) Lieferung über 32.000 Schutzmasken, Liefernummer L####9

140

„the packages are not labelled“ … „the masks differ in the seame type“ … „the
141

nose fixation pieces easily bendable, but not stable. 4 of 20 nose pieces failed“
142

Übersetzung durch die Prozessbevollmächtigten der Beklagten:
143

„die Packungen sind nicht gelabelt“ … „die Masken unterscheiden sich im gleichen Typ“ … „das Nasenbefestigungsstück ist leicht zu biegen, aber nicht stabil. 4 von 20 Nasenstücken versagten“
144

145

j) Lieferung über 16.000 Schutzmasken, Liefernummer L####10

146

„the fixation piece is released from the mask“ … „7 off 10 pieces are coming off“
147

Übersetzung durch die Prozessbevollmächtigten der Beklagten:
148

„das Befestigungsstück löst sich von der Maske“ … „7 von 10 Stücken löst sich“
149

150

k) Lieferung über 16.000 Schutzmasken, Liefernummer L####11

151

„the packages are not labelled“ … „the fixation of bands is not stable. 2 of 10
152

fixations failed“ … „the nose fixation piece is easily bendable, but not stable,
153

1 of 10 nose pieces failed“ … „3 of 10 masks failed“
154

Übersetzung durch die Prozessbevollmächtigten der Beklagten:
155

„die Packungen sind nicht gelabelt“ … „die Befestigung der Bänder ist nicht stabil, 2 von 10 Befestigungen versagten“ … „das Nasenbefestigungsstück ist leicht zu biegen, aber nicht stabil, 1 von 10 Nasenstücken versagten“ … „3 von 10 Masken versagten“
156

157

l) Lieferung über 8.000 Schutzmasken, Liefernummer L####12

158

(hier: Laborprüfung)
159

Durchlassgrad P von 26% festgestellt
160

Die Beklagte behauptet, das von ihr genutzte Prüfverfahren sei für die Testung von KN95-Masken geeignet und berücksichtige die Besonderheiten der zugrunde liegenden Regularien für diesen Maskentyp. Bei Schutzmasken gelte ein Null-Toleranz-Prinzip. Daher sei auch die von ihr gewählte Stichprobengröße ausreichend.
161

Die Beklagte ist der Ansicht, sowohl ein fehlendes Labelling wie auch die fehlende Sortenreinheit begründen die Mangelhaftigkeit der Masken. Vor dem Hintergrund des Zwecks der Maskenbeschaffung „stehe außer Frage“, dass auch FFP2/KN95-Schutzmasken hydrophobe Eigenschaften aufweisen müssen; dies gelte hier auch, obwohl nach der Leistungsbeschreibung das Erfordernis der Hydrophobie nicht explizit aufgeführt sei.
162

Eine Untersuchungs- und Rügeverpflichtung habe der Beklagten weder aus § 6 Ziffer 6.2 des Vertrages mangels originärer Begründung noch gemäß § 377 HGB in Ermangelung eines beiderseitigen Handelsgeschäfts oblegen, und sie habe im Übrigen eine solche auch ohnehin nicht verletzt, wobei ihr Untersuchungsprogramm auch nicht an dem eines typischen Maskenbeschaffers zu messen sei, da sich dieser in der Regel auf bereits bestehende Zertifizierungen verlassen könne. Ohnehin liege insbesondere vor dem Hintergrund des unstreitigen Gesamtliefervolumens von 1,03 Mrd. Schutzmasken und 1,02 Mrd. OP-Maske eine unverzügliche Mängelrüge vor.
163

Eine vertragliche Nebenpflichtverletzung habe sie nicht begangen, die im Übrigen auch nicht die von der Klägerin begehrte Rechtsfolge herbeiführe. Auch zur Anwendung von § 242 BGB lägen weder der erforderliche Zeit- noch der Umstandsmoment vor.
164

Die Beklagte ist zudem der Auffassung, eine Nachfristsetzung sei entbehrlich gewesen, da es sich vorliegend um ein relatives Fixgeschäft handele und im Übrigen zudem besondere Umstände vorgelegen hätten. Dies ergebe sich bereits aus dem Wortlaut sowie aus dem für die Auftragnehmer deutlich erkennbaren einmaligen und zeitlich begrenzten Beschaffungsvorgang, bei dem die Beklagte schon aus logistischen Gründen nicht in der Lage sei, bei Anlieferung mangelhafter Schutzmasken Nachlieferungen abzuwickeln und deshalb nur ein Interesse an mangelfreien, sofort verwendbaren Schutzmasken haben hätte können, und es sich bei der Beklagten im Übrigen nicht um einen klassischen Beschaffer von PSA handele, der über die Erfahrung und notwendige Infrastruktur verfüge, um die immensen Schutzmaskenlieferungen, Prüfungen und wegen Mangelhaftigkeit erfolgter Nachlieferungen zu bewältigen.
165

Die Beklagte bestreitet, dass es sich bei vom Prüfinstitut $$$ Q geprüften Masken um solche von der Klägerin angelieferten und damit hier streitgegenständlichen Schutzmasken handele.
166

Schließlich ist die Beklagte im Hinblick auf das Urkundenverfahren der Ansicht, die sog. H-Protokolle als Urkunde i.S.v. § 592 ZPO belegten die Mangelhaftigkeit der gelieferten Schutzmasken.
167

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze einschließlich der Anlagen und auf das Sitzungsprotokoll vom 10.03.2021 (Bl. 226 ff. d.A.) verwiesen.
168

Entscheidungsgründe:
169

Die im Urkundenverfahren statthafte Klage ist zulässig und weit überwiegend begründet.
170

Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung von 1.741.118,17 EUR aus dem zwischen den Parteien geschlossenen sog. Open House Vertrag i.V.m. § 433 Abs. 2 BGB.
171

I.
172

Die Klage ist gemäß § 592 ZPO im Urkundenprozess statthaft. Der geltend gemachte Anspruch hat die Zahlung eines vereinbarten Kaufpreises und damit einer bestimmten Geldsumme zum Gegenstand. Zudem können nach § 592 ZPO sämtliche zur Begründung des Anspruchs erforderlichen Tatsachen von der Klägerin durch Urkunden bewiesen werden.
173

II.
174

Die Klage ist weit überwiegend begründet.
175

1.
176

a)
177

Mit dem zwischen den Parteien geschlossenen sog. Open House Vertrag (Anlagen K 2-K 5) über 500.000 Atemschutzmasken hat die Beklagte sich zu Zahlung eines Kaufpreises in Höhe von 4,50 EUR netto pro Schutzmaske verpflichtet.
178

Die Lieferung dieser Schutzmasken ist durch die Klägerin – mit Ausnahme der hier streitgegenständlichen etwaigen Minderlieferung von 800 Schutzmasken – ausweislich der Rechnung der Klägerin am 30.04.2020 (Anlage K 6) bei C in G erfolgt. Diese Anspruchsvoraussetzungen hat die Klägerin – soweit überhaupt zwischen den Parteien streitig – mit den im Urkundenprozess zulässigen Beweismitteln vollständig geführt.
179

b)
180

Die Beklagte ist – im Rahmen des Prüfungsgegenstandes eines Urkundsverfahrens – nicht gemäß der §§ 437 Nr. 2, 323 Abs. 2 Nr. 2, 346, 433, 434 Abs. 1 S. 1 BGB wirksam von dem zwischen den Parteien geschlossenen Vertrag zurückgetreten.
181

Die Beklagte hat zumindest mit Schreiben vom 18.08.2020 den Rücktritt vom Kaufvertrag nach § 349 BGB gegenüber der Klägerin erklärt. Allerdings ist in dem hier statthaften Urkundenprozess der insoweit beweisbelasteten Beklagten der Beweis des Vorliegens der weiteren Voraussetzungen für einen wirksamen Rücktritt vom Kaufvertrag nicht gelungen.
182

Es fehlt bereits an dem Nachweis durch Urkunden, dass die von der Klägerin gelieferten Schutzmasken mangelhaft im Sinne von § 434 Abs. 1 S. 1 BGB sind.
183

Die Klägerin hat hinreichend bestritten, dass die von ihr am 30.04.2020 unter der Avis-nummer ##########1 gelieferten Schutzmasken tatsächlich mit den von der Beklagten mit den Prüfberichten Anlagen B 5 bis B 16 geprüften Schutzmasken übereinstimmen.
184

Der Beweis dieser richtigen Zuordnung ist der Beklagten mit den hier vorgelegten Prüfberichten Anlagen B 5 bis B 16 nicht gelungen. Denn die von der Beklagten für die Mangelhaftigkeit der Schutzmasken angeführten Prüfberichte sind nicht geeignet, zu beweisen, dass tatsächlich und ausschließlich die von der Klägerin angelieferten Schutzmasken dieser Prüfung zu Grunde lagen. So führen die Prüfberichte bereits den Lieferantennamen der Klägerin nicht auf. Stattdessen heißt es in den Prüfberichten unter „Manufacturer / Supplier“ stets „Unknown manufacturer, „unknown“ oder „no information“. Auch die Avis-Nummer ##########1 wird in den Prüfberichten nicht vollständig aufgeführt. Losgelöst von der Frage, ob die in englischer Sprache in den Prozess eingeführten Prüfberichte Urkunden im Sinne von §§ 592 ff. ZPO darstellen, so sind diese Berichte in jedem Fall nicht geeignet, zu beweisen, dass tatsächlich die von der Klägerin gelieferten Schutzmasken von der Beklagten geprüft worden sind und die in den Prüfberichten erfassten Eigenschaften beinhalten.
185

Neben der fehlenden Zuordnungsmöglichkeit beweisen die Prüfprotokolle auch die für einen wirksamen Rücktritt erforderliche Mangelhaftigkeit der streitgegenständlichen Schutzmasken nicht. Denn zwischen den Parteien unstreitig hat die Beklagte die Masken anhand des sog. CPA-Prüfgrundsatzes geprüft und dabei nicht ausschließlich den vertraglich vereinbarten Standard GB2626 für KN95-Schutzmasken zugrunde gelegt. Mit den von der Beklagten vorgelegten Prüfberichten ist jedoch nicht bewiesen, dass dieser angewandte CPA-Prüfgrundsatz weniger streng als der für KN95-Schutzmasken relevante Standard GB 2626 ist und die einzelnen Voraussetzungen des zwischen den Parteien vertraglich vereinbarten Standards tatsächlich nicht erfüllt sind. Die Prüfberichte enthalten keine Angaben zu den einzelnen Prüfschritten des Prüfverfahrens und der Geeignetheit zur Überprüfung der Voraussetzungen des vertraglich vereinbarten Standards, was die Klägerin auch in zulässiger Weise bestritten hat.
186

Entgegen der Auffassung der Beklagten (Klageerwiderung, S. 69, Bl. 119 d.A.) können die Prüfberichte des Hs, die nach Auffassung der Kammer mit einem Privatgutachten zu vergleichen sind und unstreitig den CPA-Prüfgrundsatz und nicht den Standard GB2626 zugrunde legen, nicht wie ein gerichtliches Prüfgutachten zu der Frage der Mangelhaftigkeit der streitgegenständlichen Schutzmasken bewertet werden.
187

Insoweit bedarf es für die Beurteilung der streitigen Frage der Mangelhaftigkeit der Schutzmasken der Einholung eines Gutachtens durch einen gerichtlich bestellten Sachverständigen, was jedoch in dem hier entscheidenden Urkundenverfahren kein statthaftes Beweismittel ist.
188

Da die Voraussetzungen für einen wirksamen Rücktritt nach §§ 437 Nr. 2, 323 Abs. 2 Nr. 2, 346, 433, 434 Abs. 1 S. 1 BGB bereits aufgrund des fehlenden Beweises der Mangelhaftigkeit der streitgegenständlichen Schutzmasken nicht vorliegen, kommt es auf die streitigen (Rechts-)Fragen der Entbehrlichkeit der Fristsetzung zur Nacherfüllung, einer verspäteten Rüge der Beklagten, einem etwaigen widersprüchlichen Verhalten der Beklagten nach § 242 BGB oder die Verletzung von vertraglichen Nebenpflichten nicht weiter an.
189

2.
190

Der Klägerin steht gegen die Beklagte kein Anspruch auf Erhalt des Kaufpreises für 800 Stück Schutzmasken zu je 4,50 EUR netto zu.
191

Indem die Klägerin die Ausführungen der Beklagten in der Klageerwiderung (Seite 35, Bl. 85 d.A.) zu einer fehlenden Lieferung von 800 Schutzmasken in den darauffolgenden Schriftsätzen nicht erwähnt oder gar bestritten hat, so geht die Kammer davon aus, dass die fehlende Lieferung von 800 Schutzmasken zwischen den Parteien unstreitig ist. Der Klägerin steht daher mangels Lieferung dieser Schutzmasken ein Kaufpreiszahlungsanspruch insoweit nicht zu.
192

Selbst wenn die Kammer die von der Beklagten behauptete Minderlieferung als zwischen den Parteien streitig behandeln würde, so führt dies zu keinem anderen Ergebnis. Die Klägerin trägt für die Teillieferung dieser 800 Schutzmasken als Voraussetzung des Kaufpreiszahlungsanspruchs die Beweislast.
193

Der Beweis der Lieferung ist vorliegend weder durch die im Urkundenprozess statthaften Urkunden noch in sonstiger Weise erfolgt. Die Klägerin legt keine Belege oder Bestätigungen vor, mit welchen die Beklagte die Entgegennahme dieser Teillieferung bestätigt hat.
194

3.
195

Unter Berücksichtigung des Zahlungsanspruchs der Klägerin für 499.200 Schutzmasken und der Unbegründetheit der Klage hinsichtlich des Kaufpreisanspruchs für die nicht gelieferten 800 Schutzmasken setzt sich der der Klägerin zugesprochene Betrag in Höhe von 1.741.118,17 EUR im Einzelnen wie folgt zusammen:
196

Der ursprüngliche Zahlungsanspruch der Klägerin bestand lediglich in Höhe von 2.673.216,00 EUR (499.200 x 4,50 EUR zzgl. 19 % MwSt. = 2.673.216,00 EUR).
197

Die Zinsforderung für diesen Betrag beträgt bei einem Beginn des Verzuges ab dem 08.05.2020 (§ 5 Ziffer 5.1. des Open House Vertrages bei einer Lieferung und Rechnungsstellung am 30.04.2020) und einem Zinssatz von 9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz bis zum 29.06.2020 31.432,93 EUR.
198

Der in Höhe von 942.747,75 EUR von der Beklagten am 29.06.2020 gezahlte Betrag ist daher nur mit 31.432,93 EUR (anstatt wie von der Klägerin Höhe von 32.077,33 EUR) auf die Zinsforderung und mit 911.314,82 EUR (anstatt wie von der Klägerin Höhe von 910.670,42 EUR) auf die Hauptforderung zu verrechnen, was sodann zunächst zu einer verbleibenden Forderung in Höhe von 1.761.901,18 EUR führt.
199

Anders als nach der Berechnung der Klägerin (Anlage K 15) fallen für diese Forderung für den Zeitraum 30.06.2020 bis 04.09.2020 sodann Zinsen in Höhe von 26.189,74 EUR an. Dies ergibt folglich eine Forderung in Höhe von 1.788.090,80 EUR (1.761.901,18 EUR + 26.189,74 EUR für Zinsen bis zum 04.09.2020 = 1.788.090,92 EUR).
200

Bei Berücksichtigung der von der Beklagten sodann am 29.01.2021 weiter gezahlten 56.257,65 EUR, wobei 9.284,90 EUR auf die außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten und 46.972,75 EUR auf die Restforderung fallen, ergibt sich der tenorierte Betrag in Höhe von 1.741.118,17 EUR (1.788.090,92 EUR – 46.972,75 EUR).
201

4.
202

Der Zinsanspruch folgt aus §§ 288 Abs. 1 S.1, Abs. 2, 286 BGB.
203

II.
204

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen wegen der Kosten auf §§ 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO, 91 a ZPO. Soweit die Parteien den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben, war über den darauf entfallenden Teil der Kosten gemäß § 91 a ZPO auf der Grundlage des bisherigen Sach- und Streitstandes unter Berücksichtigung billigen Ermessens zu entscheiden. Diese Entscheidung fällt zu Lasten der Beklagten, da sie, wie aus den obigen Entscheidungsgründen folgt, ohne die Teilzahlung auch insoweit unterlegen gewesen wäre.
205

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 4, 711 ZPO.
206

III.
207

Streitwert: 1.766.829,58 EUR (§§ 48 Abs. 1 GKG, 3 ZPO)

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