Oberlandesgericht Düsseldorf, I-3 Wx 78/17 – Keine Vor- und Nacherbschaft bezogen auf eine bestimmte Gruppe von Gegenständen, Grundsatz der Gesamtrechtsnachfolge, keine Sondererbfolge in einzelne Nachlassgegenstände

Mai 22, 2018

Oberlandesgericht Düsseldorf, I-3 Wx 78/17

Tenor:

Die angefochtene Entscheidung wird geändert.

Der Erbscheinsantrag der Beteiligten zu 1 vom 20. September 2016 – notarielle Urkunde UR-Nr. ….. für 2016 des Notars A in Stadt 1 – wird zurückgewiesen.

 

 

G r ü n d e

 

I.

 

Die Beteiligte zu 1 ist die Ehefrau des Erblassers. Sie hat einen Sohn, zu dem sie keinen Kontakt hat. Der Beteiligte zu 2 ist der Vater des Erblassers. Die Beteiligten zu 3 bis 6 sind seine Brüder.

 

Am 8. April 2002 errichteten der Erblasser und die Beteiligte zu 1 ein gemeinschaftliches notarielles Testament, in dem sie sich gegenseitig zu Alleinerben einsetzten. Ferner verfügten sie, dass die Beteiligte zu 1, sollte sie die Längstlebende sein, lediglich von allen Beschränkungen des Gesetzes befreite Vorerbin werden solle. Zu „Nacherben des beweglichen Vermögens“ bestimmten sie: a) B zu ½ Anteil und b) unter sich zu gleichen Teilen die „noch nicht erzeugten oder geborenen“ Enkel des Bruders der Beteiligten zu 1. Hinsichtlich des unbeweglichen Vermögens sollte hinsichtlich der Erbfolge Entsprechendes gelten, jedoch anstelle der genannten Erbquoten mit einer Teilungsanordnung hinsichtlich bestimmter Grundstücke.

 

Am 17. Juni 2015 errichteten der Erblasser und die Beteiligte zu 1 ein weiteres gemeinschaftliches notarielles Testament, in dem sie alle eventuell früher getroffenen Verfügungen von Todes wegen, insbesondere das Testament vom 8. April 2002, widerriefen und unter anderem Folgendes bestimmten:

 

„1. Wir setzen uns hiermit gegenseitig zu alleinigen und ausschließlichen Erben unseres gesamten beweglichen Vermögens ein.

 

  1. Hinsichtlich des unbeweglichen Vermögens, insbesondere des Immobilienvermögens, welches sich zum Zeitpunkt seines Ablebens im Eigentum bzw. Miteigentum des Erschienenen zu 1) befindet, ist Alleinerbin die Erschienene zu 2), diese jedoch lediglich als von den Beschränkungen des Gesetzes befreite Vorerbin.

 

Nacherbin des unbeweglichen Vermögens ist die Schwester der Erschienenen zu 2), …“

 

Mit notariell beurkundeter Erklärung vom 20. September 2016 hat die Beteiligte zu 1 gestützt auf das Testament vom 17. Juni 2015 Erteilung eines sie als Alleinerbin ausweisenden Erbscheins beantragt.

Der Beteiligte zu 4 ist dem entgegen getreten. Er hat geltend gemacht, das Testament sei wegen der Grundstücksangelegenheit und im Hinblick darauf, dass es den Sohn der Beteiligten zu 1 nicht berücksichtige, unwirksam. Der Erbscheinsantrag berücksichtige nicht, dass die Beteiligte zu 1 lediglich Vorerbin sei.

Mit Beschluss vom 9. Januar 2016 hat das Nachlassgericht die Tatsachen, die zur Begründung des Antrags der Beteiligten zu 1 erforderlich sind, für festgestellt erachtet. In seiner Begründung hat es sich allein auf das Testament vom 8. April 2002 bezogen. Es hat ausgeführt, aus diesem Testament gehe hervor, dass die Beteiligte zu 1 alleinige und ausschließliche Erbin sein solle. Die Regelung hinsichtlich der Vor- und Nacherbschaft sei wirksam. Zwar sei eine Differenzierung zwischen beweglichem und unbeweglichem Vermögen rechtlich nicht möglich. Das Testament sei aber so zu verstehen, dass eine Nacherbfolge für das gesamte Vermögen verbunden mit einer Teilungsanordnung habe getroffen werden sollen. Selbst wenn die Regelung hinsichtlich der Vor- und Nacherbschaft aber unwirksam sein sollte, lägen keine Tatsachen vor, die den Schluss darauf zuließen, dass die Beteiligte zu 1 in diesem Fall nicht Alleinerbin sein solle.

Dagegen richtet sich die Beschwerde des Beteiligten zu 4. Das Nachlassgericht hat der Beschwerde mit weiterem Beschluss vom 5. April 2017 nicht abgeholfen und die Sache dem Oberlandesgericht Düsseldorf zur Entscheidung vorgelegt.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

 

II.

Die gem. §§ 58 Abs. 1, 59 Abs. 2, 61 Abs. 1, 63 Abs. 1 und Abs. 3 S. 1, 64 Abs. 1 und 2 FamFG zulässige Beschwerde der Beteiligten zu 1 ist nach der vom Nachlassgericht erklärten Nichtabhilfe gem. § 68 Abs. 1 S. 2, 2. Hs. FamFG dem Senat zur Entscheidung angefallen. In der Sache hat sie ebenfalls Erfolg und führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung. Dabei hindert allerdings der Umstand, dass das Nachlassgericht auf dem angefochtenen Beschluss entgegen § 38 Abs. 3 S. 3 FamFG keinen Erlassvermerk angebracht hat, die Wirksamkeit der Entscheidung nicht (Ulrici, in: Münchener Kommentar zum FamFG, 2. Auflage 2013, § 38 Rn. 38).

Der angefochtene Beschluss ist deshalb aufzuheben, weil der Erbschein nicht so, wie von der Beteiligten zu 1 beantragt, erteilt werden darf. Die gebotene Auslegung des Testaments ergibt, dass die Beteiligte zu 1 nicht, wie im Erbscheinsantrag zugrunde gelegt, unbeschränkte alleinige Vollerbin, sondern lediglich Vorerbin nach dem Erblasser geworden ist. Abzustellen ist dabei allein auf das Testament vom 17. Juni 2015, durch das der Erblasser und die Beteiligte zu 1 das vorausgegangene Testament vom 8. April 2002 aufgehoben haben. Aus welchem Grund das Nachlassgericht bei seiner Entscheidung lediglich das Testament vom 8. April 2002 berücksichtigt und das vom 17. Juni 2015 noch nicht einmal erwähnt hat, erschließt sich nicht.

Das Testament vom 17. Juni 2015 ist wirksam, dies auch in Anbetracht der Verfügung zur Nacherbfolge, die ausschließlich das unbewegliche Vermögen betreffen soll. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass eine Vor- und Nacherbfolge bezogen auf einen bestimmten Gegenstand oder eine Gruppe von Gegenständen mit dem Grundsatz der Gesamtrechtsnachfolge (Universalsukzession) unvereinbar ist. Vielmehr geht das Vermögen mit dem Erbfall gem. § 1922 BGB ungeteilt auf den Erben über. Eine Sondererbfolge in einzelne Nachlassgegenstände ist nicht möglich; dies gilt auch hinsichtlich der hier angeordneten Sondernacherbfolge bezüglich des unbeweglichen Vermögens (Hanseatisches OLG Hamburg FamRZ 2016, 1808; Avenarius, in: Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2013, § 2100 Rn. 8).

Das Testament ist im Hinblick auf diese Regelung aber auslegungsfähig; dabei ist gem. § 2084 BGB diejenige Auslegung vorzuziehen, bei der die Verfügung Erfolg haben kann. Der – scheinbar – eindeutige Wortlaut des Testaments, der eine (rechtlich nicht mögliche) Vor- und Nacherbfolge nur bezüglich des unbeweglichen Vermögens vorsieht, steht der Auslegungsfähigkeit nicht entgegen. Die Feststellung der Eindeutigkeit einer Erklärung kann nicht der Auslegung vorhergehen, sondern immer nur deren Ergebnis sein, so dass es keine Anordnungen geben dürfte, bei denen schon vom Wortlaut her die Möglichkeit einer der Anordnung zum Erfolg verhelfenden Auslegung abgeschnitten wäre. Vielmehr liegt die unüberwindbare Grenze für die wohlwollende Auslegung erst dort, wo feststeht, dass der Erblasserwille, und zwar auch der hypothetische, auf einen aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglichen Erfolg gerichtet war (vgl. Otte, in: Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2013, § 2084 Rn. 17). Selbst wenn man aber die Auffassung vertreten würde, dass bei einer eindeutigen und mit ihrem Inhalt unwirksamen Verfügung durch eine wohlwollende Auslegung keine Änderung und damit keine Wirksamkeit der Verfügung herbeigeführt werden kann, kann in einem solchen Fall ein Rückgriff auf die Umdeutung oder ergänzende Testamentsauslegung zu einer wirksamen Verfügung führen, so dass auch dann entscheidend auf den Erblasserwillen abzustellen ist (vgl. Linnartz, in: jurisPK-BGB, 8. Auflage 2017, § 2084 Rn. 53).

Im vorliegenden Fall ging der Wille des Erblassers dahin, dass die Beteiligte zu 1 frei über das bewegliche Vermögen sollte verfügen können, während sie hinsichtlich des unbeweglichen Vermögens die Stellung einer von den Beschränkungen des Gesetzes befreiten Vorerbin erhalten sollte. Diese Vorstellung des Erblassers kann i.S.d. § 2084 BGB dadurch rechtlich wirksam durch eine Auslegung der Verfügung in dem Sinne verwirklicht werden, dass insgesamt eine Vor- und Nacherbschaft angeordnet werden, die Beteiligte zu 1 das bewegliche Vermögen aber im Wege des Vorausvermächtnisses erhalten sollte, §§ 2110 Abs. 2, 2150 BGB (vgl. Hanseatisches OLG Hamburg a.a.O.).

Bei dieser Auslegung kann der von der Beteiligten zu 1 beantragte Erbschein, der sie als unbeschränkte alleinige Vollerbin ausweisen soll, nicht erteilt werden. Der Inhalt des Erbscheins für die Vorerbin richtet sich nach § 352 b BGB, der gem. Art. 229 § 36 EGBGB auf den vorliegenden Fall Anwendung findet, weil der Erblasser nach dem Stichtag des 17. August 2015 verstorben ist. Danach ist in einem Erbschein, der einem Vorerben erteilt wird, die Anordnung der Nacherbfolge anzugeben, ferner die Person des Nacherben und der exakte Umfang der Nacherbfolge, etwa die Beschränkung auf einen Erbteil, die Anordnung von Bedingungen und die etwaige Befreiung des Vorerben von Verfügungsbeschränkungen der §§ 2113 bis 2115 BGB (vgl. Bahrenfuss, a.a.O., § 352 b Rn. 9 ff.). Da das Nachlassgericht bei der Erbscheinserteilung nicht von dem gestellten Erbscheinsantrag abweichen darf (Bahrenfuss, FamFG, 3. Auflage 2017, § 352 Rn. 7), ist der Antrag zurückzuweisen. In welcher Form der Erbschein für die Vorerbin in der vorliegenden Konstellation abzufassen wäre, kann im Rahmen der hier zu treffenden Beschwerdeentscheidung offen bleiben. Wegen der hierzu in der Rechtsprechung und der Literatur erörterten Möglichkeiten wird auf die vorzitierte Entscheidung des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg (a.a.O.) Bezug genommen.

III.

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst. Gerichtskosten fallen für die erfolgreiche Beschwerde nicht an, (§ 25 Abs. 1 GNotKG). Die Kostentragungspflicht der Beteiligten zu 1 für die im Erkenntnisverfahren angefallenen Kosten ergibt sich unmittelbar aus dem Gesetz (§ 22 Abs. 1 GNotKG). Hinsichtlich der außergerichtlichen Kosten entspricht es der Billigkeit (§ 81 FamFG), dass jede Partei ihre Kosten selbst trägt. Zwar hat die Beteiligte zu 1 mit ihrem Erbscheinserteilungsantrag keinen Erfolg, so dass sie formal unterlegen ist. Auch der Beteiligte zu 4 hat aber mit seiner Argumentation, nach der wegen der angeblichen Unwirksamkeit des Testaments die gesetzliche Erbfolge zum Tragen kommen soll, keinen Erfolg.

Da keine Kosten zu erstatten sind, erübrigt sich auch eine Festsetzung des Geschäftswerts von Amts wegen.

 

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