Oberlandesgericht Frankfurt am Main — Urt. v. 22.03.2018 Az.: 12 U 5/16 Beratungspflicht bei Prämienfreistellungsverlangen

April 28, 2018

Oberlandesgericht Frankfurt am Main — Urt. v. 22.03.2018

Az.: 12 U 5/16
Beratungspflicht bei Prämienfreistellungsverlangen

 

Der Wunsch eines Versicherungsnehmers auf vorübergehende Prämienfreistellung, kann eine Beratungspflicht der Versicherung nach § 6 Abs. 1, Abs. 4 VVG begründen.

 

Tenor:

  1. 1.

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Darmstadt vom 14. Dezember 2015 wird zurückgewiesen.

  1. 2.

Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

  1. 3.

Dieses und das angefochtene Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des gegen sie vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des Betrages leistet, dessen Vollstreckung sie betreibt.

Gründe

I.

Die Klägerin ist die Ehefrau eines verstorbenen Versicherungsnehmers der Beklagten. Sie macht Forderungen für die Erbengemeinschaft, bestehend aus ihr selbst sowie der Mutter des Versicherungsnehmers, die ihre Rechte am 2.5.2014 an die Klägerin abgetreten hat (Bl. 155 d. A.), geltend. Der am XX.XX.2012 an einer Lungenfibrose verstorbene Versicherungsnehmer unterhielt bei der Beklagten insgesamt vier kapitalbildende Lebensversicherungen mit Leistungen für den Todesfall.

Im August 2011 trat der Verstorbene, der einzelkaufmännisch ein Immobilienunternehmen betrieb, aufgrund eines betrieblichen Liquiditätsengpasses an den Zeugen A, einen bei der Beklagten angestellten Versicherungsvermittler, der nach seinen Angaben eine jahrelange Geschäftsbeziehung mit dem Verstorbenen und daraus folgend ein freundschaftliches Verhältnis hatte, heran, mit dem Ziel, seine monatlichen Belastungen wegen der Versicherungsprämien zu reduzieren. Die Versicherungen wurden auf den von dem Zeugen A vermittelten Antrag des Versicherungsnehmers vom 25.8.2011 (Anlage B 17, Bl. 99 d. A.) von der Beklagten ab dem 1.10.2011 beitragsfrei gestellt.

Ab dem 15.5.2012 nahm der Versicherungsnehmer die monatlichen Prämienzahlungen in der ursprünglichen Höhe wieder auf. Mit Datum vom 19.5.2012 beantragte der Versicherungsnehmer förmlich die Wiederinkraftsetzung der Versicherungen gegenüber der Beklagten (Anlage K 2, Bl. 14 d. A.).

Mit Schreiben vom 13.7.2012 (Anlage B 19, Bl. 102 d. A.) teilte die Beklagte dem Versicherungsnehmer unter Verweis auf ihre Allgemeinen Versicherungsbedingungen mit, dass die Wiederinkraftsetzung von einer Gesundheitsprüfung abhängig sei, und bat um Übersendung der erforderlichen Gesundheitserklärung.

Die Beklagte hat auf der Basis beitragsfreier Versicherungen Todesfallleistungen in Höhe von insgesamt 52.307,30 € geleistet. Mit der Klage verlangt die Klägerin die Differenz zu den bei einem vollen Versicherungsschutz bestehenden Anspruch auf Todesfallleistungen in Höhe von 139.010,00 €.

Der Versicherungsnehmer hatte bereits im Jahr 1995 mit Schreiben vom 22.11.1995 verlangt, alle Lebensversicherungen beitragsfrei zu stellen (Anlage B 25, Bl. 113 d. A.). Bei dem Antrag auf Wiedereinsetzung vom 14.1.1998 (Anlage B 26, Bl. 114) -bezogen auf die Verträge 1 und 2 – hatte der Versicherungsnehmer alle Gesundheitsfragen beantwortet.

Die Klägerin hat behauptet, der Versicherungsnehmer habe im August 2011 lediglich eine temporäre Beitragsaussetzung gewollt. Die Beklagte habe gegen ihre Beratungspflicht verstoßen, insbesondere habe der Versicherungsnehmer eindeutigen Beratungsbedarf signalisiert. Die Klägerin bestreitet, dass der Versicherungsnehmer Schreiben der Beklagten vom 15.09.2011 erhalten habe.

Die Beklagte hat behauptet, sie habe dem Kläger am 15.9.2011 Schreiben zur Bestätigung der Beitragsfreistellung übersandt, und dazu exemplarisch Anlage B 18 (Bl. 100 d. A.) vorgelegt.

In dem Schreiben heißt es: „Sie haben das Recht prüfen zu lassen, ob Ihr Versicherungsschutz durch Aufnahme der Prämienzahlung wieder in Kraft gesetzt werden kann. Unsere Entscheidung hierüber müssen wir allerdings in den meisten Fällen von dem Ergebnis einer Überprüfung der Gesundheitsverhältnisse abhängig machen. Eine Wiederinkraftsetzung der Versicherung sollte jedoch innerhalb von drei Jahren erfolgen, um die bisherige steuerliche Behandlung der Versicherung aufrechtzuerhalten.“

Die Beklagte hat behauptet, der Versicherungsnehmer habe eine unbegrenzte Beitragsaussetzung gewünscht. Sie stellt eine Beratungspflichtverletzung in Abrede, da kein erkennbarer Beratungsbedarf bestanden habe und sie den Versicherungsnehmer mit Schreiben vom 15.9.2011 darauf hingewiesen habe, dass eine erneute Wiederinkraftsetzung des Versicherungsschutzes von einer Gesundheitsprüfung abhängig sei. Ferner habe sich der Versicherungsnehmer in massiven wirtschaftlichen Schwierigkeiten befunden und die nicht unerheblichen Beiträge zu den Versicherungsverträgen nicht bezahlen können.

Wegen der weiteren Feststellungen und der erstinstanzlich gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des landgerichtlichen Urteils Bezug genommen (Bl. 271 ff d. A.).

Das Landgericht hat der Klage hinsichtlich der Hauptforderung in Höhe von 84.759,30 € stattgegeben, hinsichtlich der außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 2.217,45 €, woraus sich der ausgeurteilte Betrag von 86.976,75 € ergibt.

Das Landgericht hat einen Verstoß der Beklagten gegen die ihr obliegende Beratungspflicht nach § 6 Abs. 5 S. 1 VVG angenommen, da die Beklagte den Versicherungsnehmer nicht über die Konsequenzen einer über sechs Monate hinausgehenden Beitragsfreistellung sowie die Möglichkeiten der Beitragsreduzierung ohne Erfordernis einer weiteren Gesundheitsprüfung aufgeklärt habe.

Dazu hat das Landgericht sich insbesondere auf die Aussage des Zeugen A gestützt. Aus dessen Aussage ist das Landgericht zu der Überzeugung gelangt, dass die Beklagte, vertreten durch den Zeugen A, Anlass hatte, einen Beratungsbedarf während des laufenden Vertrages bei dem Versicherungsnehmer zu erkennen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Dagegen richtet sich die Berufung der Beklagten, mit der sie ihr erstinstanzliches Ziel einer vollständigen Klageabweisung weiterverfolgt.

Die Beklagte vertritt die Auffassung, das Schreiben des Versicherungsnehmers vom 25.8.2011 habe – ungeachtet der Angaben des Zeugen A, wonach die Beitragsfreistellung nicht habe dauerhaft sein sollen, sondern nur als eine „kurzfristige Geschichte“ von zwischen 8 bis 10 Wochen gedacht gewesen sei – gegenüber der Beklagten unstreitig eine zeitlich unbegrenzte Freistellung von der Verpflichtung, Versicherungsbeiträge zahlen zu müssen, enthalten. Jedenfalls sei gegenüber dem Zeugen A unstreitig kein konkretes Datum genannt worden. Der Zeuge A habe den zeitlich unbegrenzten Antrag auf Beitragsfreistellung an die Beklagte weitergeleitet, so dass aus ihrer Sicht ein eindeutiges, nämlich deutlich unbefristetes Beitragsfreistellungsverlangen vorgelegen habe.

Die Beklagte bestreitet ferner eine Beratungspflichtverletzung. Zum einen sei sie nicht zu einer Beratung nach Maßgabe von § 6 Abs. 4 VVG verpflichtet gewesen, denn es habe ja keine von dem Versicherungsnehmer beabsichtigte Vertragsänderung zur Diskussion gestanden, sondern er habe diese Vertragsänderung durch sein Umwandlungsverlangen bereits selbst herbeigeführt. Zum anderen habe kein erkennbarer Beratungsanlass bestanden.

Die Beklagte bestreitet nach wie vor, dass der Versicherungsnehmer die streitgegenständlichen Versicherungsverträge hätte bedienen können. Auf die Vermutung eines aufklärungsgerechten Verhaltens könne sich die Klägerin nicht berufen, denn diese Vermutung werde schon dadurch erschüttert, dass der Versicherungsnehmer die Beklagte im Februar 2012 um Vorauszahlungsangebote für die bestehenden Lebensversicherungsverträge gebeten habe. Die Beklagte bestreitet, dass der Versicherungsnehmer zwischen August 2011 und Februar 2012 über ausreichende Liquidität verfügt habe, um die Beiträge wieder innerhalb der 6-Monatsfrist zahlen zu können.

Die Beklagte bestreitet ferner die vorgerichtlichen Anwaltskosten, denn es sei nicht nachgewiesen, dass der Versicherungsnehmer seine Prozessbevollmächtigten bereits zu Lebzeiten mandatiert habe. Es sei auch nicht vorgetragen, dass die Klägerin ihre Prozessbevollmächtigten vorprozessual mandatiert habe. Ferner fehle es an den Voraussetzungen des Verzuges.

Wegen der Einzelheiten ihres Vortrages wird insbesondere auf die Berufungsbegründung vom 21.03.2016 (Bl. 316 ff d. A.) und die weiteren zweitinstanzlichen Schriftsätze einschließlich des in Bezug genommenen erstinstanzlichen Vorbringens und das Vorbringen in der mündlichen Verhandlung vom 22.3.2018 verwiesen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage unter teilweiser Abänderung des angefochtenen Urteils des Landgerichts Darmstadt vom 14.12.2015 in vollem Umfang abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil und wiederholt und vertieft ihren erstinstanzlichen Vortrag. Wegen der Einzelheiten wird insbesondere auf die Berufungserwiderung der Klägerin vom 4.7.2017 (Bl. 337 ff d. A.) und das weitere zweitinstanzliche Vorbringen einschließlich der Bezugnahmen auf den erstinstanzlichen Vortrag und das Vorbringen in der mündlichen Verhandlung vom 22.3.2018 verwiesen.

II.

Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet.

  1. Die Erbengemeinschaft nach dem verstorbenen Versicherungsnehmer hat Anspruch in der vom Landgericht ausgeurteilten Höhe auf Todesfallleistungen aus unterstellt prämienpflichtigen Versicherungsverträgen aus den vom Erblasser geschlossenen Lebensversicherungsverträgen i.V.m. § 1922 BGB.
  2. a) Es erscheint schon fraglich, ob die Erklärung des Verstorbenen vom 25.8.2011 zu einer Umwandlung nach § 165 Abs. 1 VVG geführt hat.

Ein Lebensversicherungsvertrag wird nur dann in eine beitragsfreie Versicherung umgewandelt, wenn ein klares und eindeutiges endgültiges Umwandlungsverlangen des Versicherungsnehmers erkennbar ist (u. a. Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, Urteil vom 16. Januar 2015 – 5 U 12/14 -, juris, Rz. 35 ff).

Ein wirksames Umwandlungsverlangen hat zur Folge, dass sich der Versicherungsschutz auf die beitragsfreie Versicherungssumme beschränkt; in Höhe des darüber hinausgehenden Betrags erlischt die Versicherung. Die Umwandlung in eine prämienfreie Versicherung kann grundsätzlich nur mit Zustimmung des Versicherers wieder rückgängig gemacht werden. Das auf eine solche Umwandlung gerichtete Freistellungsverlangen des Versicherungsnehmers ist eine einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung mit rechtsgestaltender Wirkung; eine Annahme durch den Versicherer ist nicht erforderlich. Im Interesse der Klarheit über Bestand und Umfang des Versicherungsschutzes kann ein wirksames Umwandlungsverlangen des Versicherungsnehmers deshalb nach ständiger höchst- und obergerichtlicher Rechtsprechung nur dann als wirksam gestellt angesehen werden, wenn sich aus der Erklärung klar und eindeutig der Wille ergibt, dass die Versicherung in eine prämienfreie umgewandelt werden soll (OLG Saarbrücken aaO unter Verweis auf BGH, Urt. v. 24.9.1975 – IV ZR 50/74 – VersR 1975, 1089; Urt. v. 23.6.1993 – IV ZR 37/92 – VersR 1994, 39; OLG Köln, RuS 2013, 397; RuS 1992, 138; OLG Hamm, VersR 2012, 347; Senat, Urt. v. 8.1.2003 – 5 U 383/02-49 – RuS 2004, 33; OLG Stuttgart, VersR 2002, 301).

An einer solchen Erklärung fehlt es vorliegend.

Die auf einem – nicht für die Beitragsfreistellung vorgesehenen – Formular der Beklagten von dem Zeugen A ausgefüllte und von dem Verstorbenen unterzeichnete Erklärung (Anlage B 17, Bl. 99 d. A.) enthält lediglich die handschriftlich eingefügte Überschrift „Beitragsfreistellung“ und den Satz: „Policen sollen beitragsfrei gestellt werden“.

Selbst wenn sich aus diesem Formular eine zeitliche Begrenzung der Freistellung nicht ergibt, so ging der Wunsch des Verstorbenen nach einer nur kurzfristigen Beitragsfreistellung deutlich aus dessen Erklärungen dem Zeugen A gegenüber hervor. Der Zeuge A hat dazu erklärt, die Beitragsfreistellung habe nicht dauerhaft sein sollen, sondern die Zahlungen hätten recht schnell wieder aufgenommen werden sollen. Er – der Zeuge A – sei hierbei von einem Vierteljahr der Prämienaussetzung ausgegangen. Er habe auch mit dem Verstorbenen über einen Zeitraum gesprochen. Hierbei hatte der Zeuge A seinen Angaben nach auch die Frist von halben Jahr im Kopf gehabt. Der Zeuge A hat ferner bekundet: „Wir dachten, dass es eine kurzfristige Geschichte würde, so zwischen 8 und 10 Wochen, bis er wieder Beträge zahlen könnte“ (Sitzungsniederschrift vom 4.5.2015, Bl. 165 d. A.).

Wenn dem Zeugen A somit der Wunsch des Versicherungsnehmers nach einer nur begrenzten und kurzfristigen Überbrückung seines Liquiditätsengpasses bekannt war, kann sich die Beklagte nicht darauf berufen, sie habe die Erklärung des Verstorbenen für eine auf unbegrenzte Beitragsfreistellung gerichtete gehalten, denn sie muss sich die Kenntnis ihres Versicherungsvertreters, des Zeugen A, nach § 70 S. 1 VVG zurechnen lassen.

Ein solcher war der Zeuge A gemäß § 69, 73 VVG. Dies ergibt sich nicht nur aus der Aussage des Zeugen selbst, er sei ein bei der Beklagten angestellter Vertriebsdirektor (Bl. 164 d. A), sondern auch aus dem Schreiben der Beklagten vom 13.7.2012 (Anlage B 19, Bl. 102 d. A.): „Ihre an unseren Mitarbeiter Herrn A gerichtete Anfrage vom…“ (Anlage B 19, Bl. 102 d. A.), so dass das Landgericht zu Recht den Zeugen A im unstreitigen Tatbestand des angefochtenen Urteils (§ 314 ZPO) als einen bei der Beklagten angestellten Versicherungsvermittler angesehen hat.

Insofern ist der vorliegende Fall dem vom OLG Köln wie folgt entschiedenen vergleichbar: „Wenn ein Versicherungsnehmer gegenüber dem Lebensversicherer den Wunsch äußert, die Versicherung wegen einer vorübergehenden Einkommenslosigkeit auf die Dauer von zehn Monaten beitragsfrei zu stellen, kann dies nicht als Antrag auf Umwandlung in eine prämienfreie Versicherung, sondern nur als Antrag, die Versicherung für kurze Zeit zum Ruhen zu bringen, verstanden werden“ (OLG Köln, Urteil vom 16. Mai 1991 – 5 U 123/90 -, juris).

  1. b) Letztlich kann aber dahinstehen, ob die Erklärung des verstorbenen Versicherungsnehmers zu einer Umwandlung nach § 165 VVG geführt hat, da die Erbengemeinschaft nach § 6 Abs. 1 S 1, Abs. 4 S. 1 und Abs. 5 VVG i.V.m. §§ 249, 1922 BGB einen Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte hat, der darauf gerichtet ist, so gestellt zu werden, als wäre die Beitragsfreistellung nicht erfolgt, denn die Beklagte hat die ihr nach § 6 Abs. 1 S. 1, Abs. 4 S. 1 VVG obliegende Beratungspflicht verletzt. Sie hat ihren Versicherungsnehmer nämlich weder selbst noch durch den Zeugen A über die Folgen einer Beitragsfreistellung aufgeklärt, insbesondere nicht darüber, dass bei einer Dauer von mehr als 6 Monaten eine Gesundheitsprüfung gefordert werden kann.

Hat der Versicherer den Wunsch des Versicherungsnehmers auf vorübergehende Prämienfreistellung als Antrag auf Umwandlung in eine prämienfreie Versicherung gewertet und den Versicherungsnehmer nicht auf die Folgen hingewiesen, haftet er aus positiver Forderungsverletzung (OLG Köln, Urteil vom 16. Mai 1991 – 5 U 123/90 -, juris).

Demgegenüber hatte das OLG Frankfurt zwar ein Beratungsverschulden des Versicherers verneint, wenn er den Versicherungsnehmer nach Eingang eines nicht auslegungsfähigen Beitragsfreistellungsverlangens nicht darauf hinweist, dass dies unweigerlich zum Erlöschen der Versicherung führt (OLG Frankfurt, Urteil vom 05. März 2015 – 3 U 131/13 -, juris), allerdings lag dieser Entscheidung die Annahme eines nicht auslegungsfähigen Beitragsfreistellungsverlangens, das automatisch eine Umwandlung bewirke, zu Grunde.

Vorliegend war das von dem Versicherungsnehmer dem Zeugen A mitgeteilte Begehren einer vorübergehenden Reduzierung der Zahlungsverpflichtungen aber, wie ausgeführt, keinesfalls eindeutig und begründete eine Beratungspflicht der Beklagten hinsichtlich der Möglichkeiten der zeitweiligen Aussetzung und der damit jeweils verbundenen Risiken.

  1. aa) Aufgrund der Anfrage des Versicherungsnehmers vom 25.8.2011 nach einer Beitragsfreistellung bestand für die Beklagte Anlass zur Beratung gemäß § 6 Abs. 1 S. 1, Abs. 4 S. 1 VVG.

Aus der genannten Erklärung war für die Beklagte erkennbar, dass ihr Versicherungsnehmer Beratungsbedarf bezüglich der Frage hatte, welche Ansprüche ihm im Falle einer Beitragsfreistellung zustehen und welche Folgen eine solche haben konnte. Der Wunsch nach einer Beitragsfreistellung ist aufgrund der für einen durchschnittlichen Versicherungsnehmer nicht unmittelbar zu überblickenden Konsequenzen schon für sich allein genommen ein Anlass für eine Beratung, die eine Beratungspflicht gemäß § 6 Abs. 4 VVG nach sich zieht (LG Landshut, Urteil vom 09. August 2013 – 72 O 3570/12 -, juris).

Diese Beratungspflicht hat die Beklagte gemäß § 6 Abs. 5 VVG verletzt, denn sie hätte ihrem Versicherungsnehmer im Rahmen der Beratungspflicht gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 VVG vor Beantragung der Beitragsfreistellung mitteilen müssen, welche Ansprüche er im Fall von deren Durchführung hat und insbesondere, dass eine Wiederaufnahme nach Ablauf von 6 Monaten von einer Gesundheitsprüfung abhängig sein würde. Eine solche Beratung hat die Beklagte nicht erbracht. Soweit sie hierzu auf ihr Schreiben vom 15.9.2011 (Bl. 23 d. A.) verweist, das sich ohnehin nur auf den Vertrag mit der Nr. 3 bezieht, verkennt die Beklagte, dass sie ihren Versicherungsnehmer darin gerade nicht auf die Besonderheiten der 6-Monatsfrist, sondern lediglich allgemein auf eine mögliche Überprüfung der Gesundheitsverhältnisse bei Wiederaufnahme aufmerksam gemacht hat („Unsere Entscheidung müssenwir allerdings in den meisten Fällen von dem Ergebnis einer Überprüfung der Gesundheitsverhältnisses abhängig machen“). Wenn der Versicherungsnehmer aber entsprechend dem Vorbringen der Beklagten zu diesem Zeitpunkt bereits eine verbindliche Erklärung zur Beitragsfreistellung im Sinne von § 165 VVG abgegeben hatte, wurde er durch das vorgenannte Schreiben der Beklagten nicht ausreichend darüber informiert, dass er selbst es durch Einhaltung des 6-Monatszeitraums in der Hand hatte, eine Wiederaufnahme ohne Gesundheitsprüfung zu erreichen. Somit war die mit dem Schreiben vom 15.9.2011 erteilte Aufklärung, sollte diese dem Versicherungsnehmer zugegangen sein, jedenfalls inhaltlich unzureichend.

Eine solche hinreichende Beratung ist auch nicht durch den Zeugen A erfolgt, der ausdrücklich erklärt hat, er selbst habe zwar die Frist von einem halben Jahr im Kopf gehabt, dieses dem Versicherungsnehmer aber nicht mitgeteilt. Ob diese Information im Hinblick auf die angedachte kurze Überbrückung eines Liquiditätsengpasses unterblieben ist, kann dahingestellt bleiben, denn jedenfalls hätte der Zeuge A angesichts der oben unter lit. a) ausgeführten weitreichenden Folgen der Beitragsfreistellung umfassend über die Risiken der Beitragsfreistellung und gegebenenfalls Alternativen informieren müssen, was er nicht getan hat. Lediglich die Stundung hat er kurz angesprochen.

  1. bb) Darüber hinaus war die Beklagte nach § 6 Abs. 1 S. 1, Abs. 4 S. 1 VVG gehalten, ihren Versicherungsnehmer auch nach der Beitragsfreistellung noch interessengerecht zu beraten. Denn nach der der Beklagten nach § 70 VVG zurechenbaren Kenntnis des Zeugen A hatte sich der Gesundheitszustand des Versicherungsnehmers bis Dezember 2011 verschlechtert (Schriftsatz der Beklagten vom 15.5.2015, Bl. 178 d. A.). Insoweit kann sich die Beklagte auch nicht auf die Ausnahmeregelung des § 70 S. 2 VVG berufen, denn das im Dezember geführte Gespräch war nach den Angaben des Zeugen A nicht nur rein privat und ohne Zusammenhang mit den Versicherungsverträgen, über die nach den Aussagen des Zeugen explizit gesprochen worden ist, allerdings ohne Erteilung der wichtigen Information hinsichtlich des Zeitraums für die Gesundheitsprüfung. Zwar hat der Zeuge A den Versicherungsnehmer im Dezember 2011 auf die Notwendigkeit der Wiedereinsetzung der Beitragszahlungen hingewiesen, damit aber wiederum nicht die Information über die nach Ablauf von 6 Monaten erforderlich werdende Gesundheitsprüfung verbunden. Dieses wäre jedoch die maßgebliche Information für den Versicherungsnehmer gewesen.
  2. cc) Der erkennbare Beratungsanlass iSv § 6 Abs. 1 S. 1 VVG ist auch nicht im Hinblick darauf entfallen, dass der Versicherungsnehmer bereits mit Schreiben vom 22.11.1995 verlangt hatte, alle Lebensversicherungen beitragsfrei zu stellen (Anlage B 25, Bl. 113 d. A.) und bei dem Antrag auf Wiedereinsetzung vom 14.1.1998 (Anlage B 26, Bl. 114 d. A.) – bezogen auf die Verträge 1 und 2 – alle Gesundheitsfragen beantwortet hatte.

Daraus sind schon deshalb keine Schlüsse auf einen rund 13 Jahre späteren Beratungsbedarf zu ziehen, da nicht ersichtlich ist, dass der Versicherungsnehmer noch Erinnerung an die damalige Verfahrensweise hatte, zumal der Versicherungsnehmer den Wiederaufnahmeantrag 1998 gemeinsam mit dem Zeugen A ausgefüllt hatte (Bl. 115 unten d. A.).

Insbesondere aber folgte aus den Vorgängen im Jahr 1995 keine Kenntnis des Verstorbenen von der möglicherweise erforderlichen Gesundheitsprüfung, weil die Beklagte selbst den Verstorbenen mit Schreiben vom September 2008 (u.a. Anlage B 3, Bl. 64 d. A.) über die „grundlegende Reform“ des Versicherungsvertragsgesetzes unterrichtet hatte, so dass ihr Versicherungsnehmer nicht von einem Fortbestand der alten Rechtslage ausgehen konnte. Vielmehr gebot gerade die dem Verstorbenen mitgeteilte Neufassung des VVG eine (erneute) Beratung des Versicherungsnehmers.

  1. c) Die Erbengemeinschaft hat auch einen Schaden in der geltend gemachten Höhe erlitten. Hinsichtlich der schadensausfüllenden Kausalität ist von der Vermutung auszugehen, dass sich der Versicherungsnehmer bei korrekter Beratung „aufklärungsrichtig“ verhalten hätte (vgl. Prölss/Martin, VVG, 30. Aufl. 2018, § 6 Rdnr. 67). Die Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens hat die Beklagte nicht entkräftet. Das aufklärungsrichtige Verhalten wäre gewesen, die beitragsfreie Zeit auf unter 6 Monate zu beschränken. Dass es dem Versicherungsnehmer möglich gewesen wäre, diesen Zeitraum einzuhalten, hat das Landgericht zu Recht angenommen: Der Versicherungsnehmer war schon im Mai 2012 wieder in der Lage, die Beitragszahlungen von insgesamt rund 650 € monatlich aufzubringen. Aus den von der Klägerin vorgelegten Kontounterlagen (Bl. 196 ff d. A.) des von dem Versicherungsnehmer einzelkaufmännisch betriebenen Unternehmens ergibt sich für den 10.8.2011 ein Kontostand von 13.946,70 €, am 28.10.2011 von 13.275,90 €, am 1.11.2011 von 9.907,98 €, am 20.12.2011 von 16.674,46 € und am 22.3.2012 von 26.553,26 €. Somit ergibt sich aus dem Wunsch des Versicherungsnehmers, zur Überbrückung eines Liquiditätsengpasses die Prämienzahlungen zu reduzieren oder auszusetzen, nicht, dass er außerstande gewesen wäre, die Versicherungen zu bedienen. Das Gleiche gilt für die Bitte um Vorausauszahlungsangebote im Februar 2012, die nur finanzielle Schwierigkeiten indizieren, nicht aber die Vermutung widerlegen, dass der Versicherungsnehmer – wäre er sich der Bedeutung der 6-Monatsfrist bewusst gewesen- finanzielle Alternativen gefunden hätte, z. B. durch Unterstützung seiner Familie. Denn auch die Klägerin selbst verfügte über regelmäßige Einkünfte in Höhe von ca. 2.100,00 €. Der Senat teilt die Auffassung des Landgerichts, dass es angesichts des sich verschlechternden Gesundheitszustands des Versicherungsnehmers fernliegend wäre, anzunehmen, dass der Verstorbene oder seine Ehefrau nicht alle Reserven mobilisiert hätten, um die Beitragszahlungen innerhalb des so wichtigen 6-Monatszeitraums wieder aufzunehmen, zumal die Klägerin ein wirtschaftliches Interesse am Erhalt der Versicherungsleistungen hatte.

Ferner ergibt sich auch aus der Aussage des Zeugen A („Deckungskapital war ja da. Er hatte ja mehrere Versicherungen, ich kann das Geld aber nicht einfach umbuchen“), dass der Versicherungsnehmer möglicherweise noch andere finanzielle Reserven hätte mobilisieren können, z. B. durch eine Umschichtung anderer Versicherungen.

Dass der Versicherungsnehmer sich in – der Beklagten zurechenbarer – Unkenntnis der Brisanz der einen Zeitraum von 6 Monaten übersteigenden Zahlungsaussetzung nicht um einen kürzeren Zeitraum bemüht hat, widerlegt nicht die Vermutung, dass er bei entsprechender Kenntnis seine finanziellen Angelegenheiten anders – den vollen Versicherungsschutz erhaltend – geregelt hätte.

Die Kausalität entfällt auch nicht im Hinblick auf die Vorgänge im Jahr 1995. Daraus folgte aus den o.g. Gründen keine Kenntnis des Verstorbenen von der möglicherweise erforderlichen Gesundheitsprüfung, weil dieser im Hinblick auf das Schreiben der Beklagten vom September 2008 Versicherungsnehmer nicht von einem Fortbestand der alten Rechtslage ausgehen konnte.

  1. d) Der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch ist auch nicht im Hinblick auf ein etwaiges Mitverschulden des Versicherungsnehmers nach § 254 BGB zu kürzen, weil weder die Beklagte noch der Zeuge A den Versicherungsnehmer – auch später nicht – auf die Gesundheitsprüfung hingewiesen haben. Das Schreiben der Beklagten vom 15.9.2011 (Bl. 23 d. A.) enthält, wie oben ausgeführt, nur eine unzureichende Information, da daraus nicht hervorgeht, dass bei Unterschreitung einer Frist von 6 Monaten keine Gesundheitsprüfung erforderlich ist.

Auch der Zeuge A hat den Versicherungsnehmer nicht auf die Bedeutung der 6-Monatsfrist, die ihm selbst bekannt war, hingewiesen.

Das reine Unterlassen von Informationsbemühungen des Versicherungsnehmers kann aber grundsätzlich nicht als Mitverschulden gewertet werden, denn eine Obliegenheit zur Selbstinformation widerspräche der Statuierung einer Pflicht des Versicherers zur Aufklärung und Beratung, die gerade durch das Informationsbedürfnis des Versicherungsnehmers ausgelöst wird (vgl. Prölss/Martin, a.a.O., Rdnr. 64). Dem Versicherungsnehmer, der es unterlassen hat, von sich aus Rechtsrat einzuholen, ist kein Mitverschuldensanteil anzulasten (OLG Köln, Urteil vom 16. Mai 1991 – 5 U 123/90 -, juris).

  1. Das Landgericht hat der Erbengemeinschaft auch zu Recht einen Anspruch auf Erstattung außergerichtlicher Rechtsverfolgungskosten zugesprochen. Diese folgen aus §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2, 249 BGB.

Der Zinsanspruch ist nach §§ 291, 288 Abs. 1 S. 2 BGB begründet.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen dafür nicht vorliegen.

 

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