OLG Düsseldorf, Beschl. v. 16.01.2013 – I-3 Wx 27/12
Amtsermittlungspflicht des Nachlassgerichts hinsichtlich Testierfähigkeit
(AG Langenfeld, Beschl. v. 23.12.2011 – 47 VI 247/11)
Gründe:
I.
Die Beteiligten zu 1. und 3. sind als Töchter des vorverstorbenen Bruders des Erblassers dessen Nichten. Bei den Beteiligten zu 2. handelt es sich um den Stiefsohn des Erblassers sowie um dessen Ehefrau.
Am 29.12.2009 errichtete der Erblasser im St. M. Krankenhaus in L., wohin sich der Notar begeben hatte, ein notariell beurkundetes Testament. In dieser letztwilligen Verfügung berief der Erblasser zu seinen alleinigen und unbeschränkten Erben die Beteiligten zu 2. zu je ½ Anteil. Vor den vom Erblasser erklärten testamentarischen Anordnungen enthält die Urkunde folgenden Absatz:
„Der Erschienene ist schwer krank. Die vom Notar befragte Stationsärztin Dr. F. vermochte ihm nicht zu bestätigen, dass der Erschienene voll geschäftsfähig ist und ein entsprechendes Attest ausstellen. Der Notar führte daraufhin am gestrigen Tage (28.12.) und nochmals am heutigen Tage mit dem Erschienenen ein längeres Gespräch. Hierbei antwortete der Erschienene auf Fragen genau und zeigte sich insoweit orientiert. Auch die Frage nach der Dauer seines Krankenhausaufenthaltes beantwortete er mit ca. drei Wochen genau und zeigte sich zeitlich orientiert. Auch wenn einerseits positiv von ärztlicher Seite die volle Geschäftsfähigkeit nicht festgestellt werden konnte, ist andererseits der Notar aufgrund seines in den Gesprächen gewonnenen Eindrucks aber nicht davon überzeugt, dass ihm die erforderliche Geschäftsfähigkeit i.S.d. §§ 11, 28 BeUrkG fehlt. Der Notar hat vielmehr den Eindruck gewonnen, dass der Erschienene ansprechbar war und auch – zwar sehr geschwächt, aber präzise und nachvollziehbare – Antworten geben konnte. Dies hat auch eine neurologische Begutachtung von der Neurologin Frau Dr. S. ergeben. Etwa im Übrigen noch verbleibende bloße Zweifel bzgl. der Geschäftsfähigkeit berechtigten den Notar gem. § 11 Abs. 1 Satz 2 BeUrkG nicht, die Beurkundung abzulehnen.“
Die Beteiligte zu 1. steht auf dem Standpunkt, sie und die Beteiligte zu 3. seien Miterbinnen zu je ½-Anteil nach dem Erblasser aufgrund gesetzlicher Erbfolge geworden. Sie hat die Erteilung eines dementsprechenden Teil-Erbscheins über ihren Erbanteil beantragt. Zur Begründung hat sie sich darauf berufen, dass der Erblasser bei Errichtung des Testaments v. 29.12.2009 testierunfähig gewesen sei. Dem sind die Beteiligten zu 2. Entgegengetreten […].
Auf der anderen Seite sind die Beteiligten, wie § 27 Abs. 1 und 2 FamFG heute hervorhebt, auch in Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit von der Verpflichtung, durch eingehende Tatsachendarstellung an der Aufklärung des Sachverhalts mitzuwirken, nicht befreit. Ihrer Mitwirkungs- und Verfahrensförderungslast genügen sie, indem ihr Vortrag und die Bezeichnung geeigneter Beweismittel dem Gericht Anhaltspunkte dafür geben, in welche Richtung es seine Ermittlungen durchführen soll. Insbesondere findet die Verpflichtung des Gerichts zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts dort ihre Grenze, wo es die Verfahrensbeteiligten allein oder hauptsächlich in der Hand haben, die notwendigen Erklärungen abzugeben und Beweismittel zu bezeichnen bzw. vorzulegen, um eine ihren Interessen entsprechende Entscheidung herbeizuführen (Keidel/Sternal, a.a.O., § 26 Rn. 20 f. m.w.N.).
Schon der Inhalt der notariellen Urkunde über das Testament bot allen Anlass, in Tatsachenermittlungen zur Testierunfähigkeit des Erblassers einzutreten. Dem Vermerk des Notars lässt sich ohne weiteres entnehmen, dass der Erblasser einen Eindruck vermittelte, der es dem beurkundenden Notar geraten sein ließ, zu versuchen, eine Stellungnahme der Stationsärztin zur Geschäftsfähigkeit des Erblassers einzuholen, dies mit dem Ergebnis, dass ihm ein positives Testat verweigert wurde. Belanglos ist in diesem Zusammenhang die Erwähnung einer „vollen“ Geschäftsfähigkeit im notariellen Vermerk. Denn zum einen lässt der Text nicht erkennen, ob die dahingehende Formulierung von der Stationsärztin stammte oder vom Notar an sie herangetragen wurde. Zum anderen und vor allem liegt diesem Begriff, wer immer ihn auch verwendet haben mag, ein verfehltes Verständnis der Geschäftsfähigkeit im rechtlichen Sinne zugrunde; denn anerkanntermaßen kann diese nicht abgestuft werden.
Hernach sah der beurkundende Notar die Notwendigkeit, an zwei aufeinander folgenden Tagen mit dem Erblasser jeweils ein längeres Gespräch zu führen. Als Ergebnis dieser Gespräche hielt er im notariellen Vermerk fest, er sei aufgrund des von ihm gewonnenen Eindrucks nicht vom Fehlen der Geschäftsfähigkeit des Erblassers überzeugt. Diese Formulierung des Ergebnisses wie auch die ständige Verwendung des Begriffs der Geschäftsfähigkeit in jenem notariellen Vermerk – statt des zutreffenden Begriffs der Testierfähigkeit – sind ersichtlich durch die gesetzlichen Regelungen in § 11 BeurkG, den der Notar ausdrücklich in Bezug genommen hat, veranlasst gewesen. Danach soll die Beurkundung – nur – dann abgelehnt werden, wenn einem Beteiligten nach der Überzeugung des Notars die erforderliche Geschäftsfähigkeit fehlt; hat dieser an der erforderlichen Geschäftsfähigkeit eines Beteiligten lediglich Zweifel, soll der Notar dies in der Niederschrift feststellen. Mithin kann aus den notariellen Äußerungen in der Urkunde, auch wenn dort an einer Stelle der Sache nach von „etwaigen“ Zweifeln die Rede war, keineswegs geschlossen werden, der beurkundende Notar sei von der Testierfähigkeit des Erblassers positiv überzeugt gewesen, habe also Zweifel an der Testierfähigkeit zuvor überwunden.
Darüber hinaus lässt die notarielle Urkunde auch nicht etwa den Schluss zu, die Testierfähigkeit des Erblassers sei von einer Fachärztin für Neurologie bejaht worden. Denn erstens bleibt gänzlich unklar, wann jene neurologische Begutachtung aus welchem Anlass mit welcher Fragestellung und welchen Untersuchungsmethoden erfolgte. Zweitens und insbesondere ist der Kontext zu beachten, in dem der Notar die Neurologin erwähnte: Zuvor hatte er ausgeführt, er habe den Eindruck gewonnen, dass der Erblasser ansprechbar sei und auch präzise und nachvollziehbare Antworten geben könne. Der Notar fährt fort, „dies“ habe auch eine neurologische Begutachtung ergeben. Nach üblichem Sprachgebrauch dürfte jene Formulierung dahin zu verstehen sein, die neurologische Begutachtung habe ergeben, dass der Erblasser ansprechbar sei und in der vom Notar beschriebenen Weise Antworten geben könne. Damit ist indes nicht zugleich die Bejahung der Testierfähigkeit schlechthin durch die Neurologin aufgezeigt.
Umso mehr waren Ermittlungsmaßnahmen angezeigt, weil es sich dem Nachlassgericht aufdrängen musste, dass es anhand des Textes der notariellen Urkunde zwar in Überlegungen zum Bestehen von Zweifeln an der Testierfähigkeit des Erblassers oder dessen Testierunfähigkeit eintreten konnte, ohne aber irgendeine Kenntnis davon zu haben, worauf sich die aktenkundigen Zweifel denn in tatsächlicher Hinsicht überhaupt stützten. Für sich genommen durchaus zutreffend, hat das Nachlassgericht in der angefochtenen Entscheidung bemerkt, weder die Art der Erkrankung des Erblassers, noch die ihm verordnete Medikation, noch deren Auswirkungen auf den körperlichen und geistigen Zustand des Erblassers seien erkennbar. Aus diesem Grunde, so kann ergänzt werden, kann auch dem von den Beteiligten zu 2. angesprochenen Krankheitsverlauf – angeblich Entlassung des Erblassers aus dem Krankenhaus im Januar 2010 mit anschließendem häuslichen Aufenthalt bis zu seinem Tode (erst) im Dezember 2010 – keine konkrete Bedeutung beigemessen werden, da die Relevanz dieses Verlaufs von dem gegebenen medizinischen Sachverhalt abhängt. Entgegen der Ansicht des Nachlassgerichts ist es jedoch nicht Aufgabe der Beteiligten zu 1. gewesen, dahingehenden Vortrag zu leisten. Vielmehr ist es Aufgabe des Nachlassgerichts, hierzu Ermittlungen anzustellen. Denn die Beteiligte zu 1. hatte dargelegt, in welchem Krankenhaus mit welcher Anschrift, in welcher Station der Erblasser gewesen sei und überdies die Telefonnummer des betreffenden Sekretariats genannt. Die Namen der beteiligten beiden Ärztinnen sowie des beurkundenden Notars sind dem Nachlassgericht aufgrund der notariellen Urkunde bereits bekannt gewesen. Eine über diese erfolgte Mitwirkung hinausgehende Verfahrensförderungspflicht der Beteiligten zu 1. lässt sich auch nicht aus der Erwägung herleiten, es seien Vorgänge aus ihrem eigenen höchstpersönlichen Lebensbereich betroffen, die Gegenstand von Ermittlungen sein sollten.
Nach alledem hätte das Nachlassgericht zumindest den beurkundenden Notar sowie die Ärztinnen Dr. F. und Dr. S. als Zeugen vernehmen müssen. Nach dem Ergebnis dieser Einvernahmen wäre zu entscheiden gewesen, ob es der Beiziehung der im Krankenhaus über den Erblasser vorhandenen Unterlagen, nämlich zur Vorbereitung einer möglichen Begutachtung der Testierunfähigkeit des Erblassers durch einen gerichtlich bestellten Sachverständigen, bedurfte.
Schließlich haben – während des Beschwerdeverfahrens in dem Nachlassgericht nicht mehr bekannt gewordenen Schriftsätzen – sowohl die Beteiligte zu 1. als auch die Beteiligten zu 2. Zeugen für den Gesundheitszustand des Erblassers angeboten. Nach Durchführung der vorstehend genannten Ermittlungsmaßnahmen wäre aufgrund des dann gewonnen Ergebnisses zu entscheiden, ob diesen Ermittlungsanregungen noch nachzugehen ist.
Die bisher unterlassenen Ermittlungsmaßnahmen sind nach Wiedereröffnung des ersten Rechtszuges nachzuholen.
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