OLG Düsseldorf, Beschl. v. 20.04.2018 – I-3 Wx 202/17 Zur Bindungswirkung bei gemeinschaftlichem Testament, zur Verschwiegenheitspflicht des den Erblasser beratenden Anwaltes

September 16, 2018

OLG Düsseldorf, Beschl. v. 20.04.2018 – I-3 Wx 202/17

Zur Bindungswirkung bei gemeinschaftlichem Testament, zur Verschwiegenheitspflicht des den Erblasser beratenden Anwaltes

  1. 1.

Zur Bindungswirkung einer wechselbezüglichen Verfügung im gemeinschaftlichen Testament bei nicht getroffenem Änderungsvorbehalt (hier: Berufung des gemeinsamen Sohnes) mit dem Tode eines Ehepartners.

  1. 2.

Zur Auslegung der Erklärung „Der Überlebende von uns ist durch dieses Testament nicht beschwert oder beschränkt und kann in jeder Weise frei verfügen.“ (hier im Sinne einer Klarstellung der gegenseitigen Vollerbeneinsetzung, mithin eines Bezuges auf lebzeitige Rechtsgeschäfte).

  1. 3.

Zum auf die anwaltliche Verschwiegenheitspflicht gegründeten Zeugnisverweigerungsrecht des Rechtsanwalts wegen vorangegangener Beratung des Erblassers in dessen erbrechtlichen Angelegenheiten und den Voraussetzungen einer Entbindung durch die Erben unter Beachtung der höchstpersönlichen Sphäre des Verstorbenen.

(AG Mülheim a.d.Ruhr, Beschl. v. 08.06.2017 – 4 VI 573/16)

Gründe:

Der Beteiligte zu 2. ist das einzige Kind der Erblasserin und ihres 2005 vorverstorbenen Ehemannes. Unter dem 15.12.2004 errichteten die Eheleute ein eigenhändiges gemeinschaftliches Testament. Dieses lautete – in Ziffer 2.) – u.a.:

„1)

Wir setzen uns gegenseitig zu Alleinerben ein.

2)

Der Überlebende von uns ist durch dieses Testament nicht beschwert oder beschränkt und kann in jeder Weise frei verfügen.

3)

Sollten wir beide gleichzeitig bzw. einer von uns vorversterben, so soll unser Erbe unser gemeinsamer Sohn … [der Beteiligte zu 2.] sein.

4)

Zu unserem Nachlass gehört eine Grundbesitzung, …

5)

Wir ordnen hiermit an, dass unser Erbe, …[der Beteiligte zu 2.] die Grundbesitzung zu seinen Lebzeiten weder veräußern noch verschenken darf. Sollte der Erbe hiergegen verstoßen, soll … [dessen Tochter, die Enkelin der Eheleute] die Grundbesitzung erhalten. Dies gilt auch für den Fall des versuchten Verstoßes gegen diese Anordnung.

6)

Sollte unser Sohn seinen Erbteil bereits beim Tode des Vorversterbenden geltend machen, so erhält er nur seinen Pflichtteil. In diesem Fall wird … [die Enkelin] unsere Erbin.“

Mit einem weiteren eigenhändigen Testament vom 20.03.2015 bestimmte die Erblasserin die Beteiligte zu 1. zu ihrer Alleinerbin und verwies den Beteiligten zu 2. ausdrücklich auf den Pflichtteil; außerdem setzte sie Vermächtnisse aus.

Unter Berufung auf die letztwillige Verfügung aus dem Jahre 2015 hat die Beteiligte zu 1. einen sie als Alleinerbin nach der Erblasserin ausweisenden Erbschein beantragt. Diesen Antrag hat das Nachlassgericht durch die angefochtene Entscheidung zurückgewiesen. Gegen den ihr am 14.06.2017 zugestellten Beschluss wendet sich die Beteiligte zu 1. mit ihrem am 10.07.2017 bei Gericht eingegangenen Rechtsmittel, dem der Beteiligte zu 2. entgegentritt.

Das Nachlassgericht hat einen Zeugen vernommen, sodann mit weiterem Beschluss vom 31.08.2017 dem Rechtsmittel nicht abgeholfen und die Sache dem Beschwerdegericht zur Entscheidung vorgelegt.

Das Rechtsmittel der Beteiligten zu 1., das infolge der vom Nachlassgericht ordnungsgemäß erklärten Nichtabhilfe dem Senat zur Entscheidung angefallen ist (§ 68 Abs. 1 Satz 1, Halbs. 2 FamFG), ist als befristete Beschwerde statthaft und insgesamt zulässig (§§ 58 Abs. 1, 59 Abs. 2, 61 Abs. 1, 63 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 1, 64 Abs. 1 und 2 FamFG).

In der Sache jedoch bleibt es ohne Erfolg. Zu Recht hat das Nachlassgericht das Testament der Erblasserin von 2015 – auf das sich die Beschwerdeführerin einzig stützen kann – wegen Verstoßes gegen die Bindungswirkung einer wechselbezüglichen Verfügung des gemeinschaftlichen Testaments als gem. § 2289 Abs. 1 Satz 2 BGB analog (dazu Palandt/Weidlich, BGB, 77. Aufl. 2018, § 2271 Rn. 12 m.w.N.) unwirksam angesehen.

Gründe, die Gültigkeit des gemeinschaftlichen Testaments von 2004 zu bezweifeln, werden weder von den Beteiligten geäußert, noch sind solche ersichtlich.

Die Berufung des gemeinsamen Sohnes stellt eine wechselbezügliche Verfügung, 2270 Abs. 1 BGB, dar. Auch das wird von den Beteiligten nicht bezweifelt. In der Tat spricht hier wie regelmäßig alles dafür, dass jedenfalls der erstversterbende Ehegatte den anderen nicht zu seinem Alleinerben berufen hätte, hätte letzterer als Überlebender nicht den Beteiligten zu 2. als Schlusserben – sowie die Enkelin in bestimmten Fällen als Ersatzschlusserbin – eingesetzt. Wer, wie hier, sein Vermögen letztendlich an das eigene Kind weitergeben will, dieses gleichwohl für den ersten eigenen Todesfall enterbt, tut das regelmäßig im Bewusstsein und Vertrauen darauf, dass wegen der Schlusserbeneinsetzung des anderen Ehegatten das gemeinsame Vermögen eines Tages auf jenen Abkömmling übergehen wird (eingehend zu diesem Fall der Wechselbezüglichkeit OLG Köln, ZErb 2014, 118). Vorliegend tritt hinzu, dass die Testierenden – zur Zeit der Testamentserrichtung, auf die es ankommt – erkennbar auf die Person des Schlusserben besonderen Wert legten, weil sie bei dessen Auswahl offenkundig gezielt auch die Erwartung, der Grundbesitz werde „in der Familie“ bleiben, hegten, wie die Anordnungen für den Veräußerungs- und Verschenkensfall in Ziffer 2.) 5) zeigen.

Mit dem Tode des Ehemannes 2005 ist – da Fälle des § 2271 Abs. 2 Satz 1, Halbs. 2 oder Satz 2 BGB erkennbar nicht vorliegen – die Schlusserbeneinsetzung des Beteiligten zu 2. nach § 2271 Abs. 2 Satz 1, Halbs. 1 BGB bindend geworden. Ein durch die Eheleute getroffener Änderungsvorbehalt ist nicht feststellbar.

a) Er könnte seine Grundlage allein in Ziffer 2.) 2) haben. Diese Verfügung ist auslegungsbedürftig und auslegungsfähig.

Es kann inzwischen als in der obergerichtlichen Rechtsprechung gesichert gelten, dass eine Formulierung der hier in Rede stehenden Art zunächst einmal nur als klarstellender Hinweis darauf, der Überlebende solle die volle Stellung eines unbeschränkten Erben haben (Klarstellung der gegenseitigen Vollerbeneinsetzung), zu verstehen ist, sich mithin auf dessen lebzeitige Rechtsgeschäfte bezieht, zum zweiten Erbgang, der Schlusserbfolge indes nichts besagt. Dies rechtfertigt sich aus zwei Erwägungen: Zum einen ist sowohl hinsichtlich der Annahme als auch des Umfangs einer Änderungsbefugnis ein strenger Maßstab anzulegen, weil eine solche Befugnis den von Eheleuten mit wechselbezüglichen Verfügungen typischerweise verfolgten Zwecken der Bindung und des Vertrauensschutzes zuwiderläuft; zum anderen können nur lebzeitige Verfügungen des Überlebenden unmittelbar den – finanziellen – Notwendigkeiten seiner Lebensführung dienen, und diesen Lebensunterhalt zu sichern, ist typischerweise ein weiteres Motiv für ein Berliner Testament (OLG München, NJW-RR 2011, 1020 ff. [OLG München 28.03.2011 – 31 Wx 93/10] [OLG München 28.03.2011 – 31 Wx 93/10]; OLG Hamm, Urt. v. 29.03.2011 – 10 U 112/10; OLG Köln, a.a.O:, SchlHOLG, NJW-RR 2014, 965 ff [OLG Schleswig 27.01.2014 – 3 Wx 75/13]; Staudinger/Kanzleiter, BGB, Neubearb. 2014, § 2271 Rn. 57 m. Nachw. zu älterer Rspr. und Hinweis auf § 2137 Abs. 2 BGB). Mit anderen Worten muss deutlich feststellbar sein, dass sich der Vorbehalt gerade (auch) auf die Befugnis zu abweichenden Verfügungen von Todes wegen bezieht (OLG Hamm, a.a.O.).

Dabei ist die Beimessung eines gesteigertes Wertes der wörtlichen Fassung der Klausel im Einzelfall – hier etwa in Form der adverbialen Ergänzung „in jeder Weise“ – zumindest dann fehl am Platze, wenn es sich – wie hier – um eine nicht notariell beurkundete Verfügung von Todes wegen juristischer Laien handelt. Dies gilt heutzutage umso mehr, als des Öfteren nicht mehr festgestellt werden kann, ob sich ein solcher Testierender nicht „Muster“, „Formulierungshilfen“ oder anderer allgemein zugänglicher Vorgaben bedient hat, ohne zutreffende Vorstellungen von ihrem sachlichen Gehalt entwickelt zu haben.

b) Umstände, die im gegebenen Fall eine weitergehende letztwillige Verfügung des Überlebenden einschließende Bedeutung der Klausel zur Verfügungsfreiheit auch nur naheliegend erscheinen ließen, sind nicht feststellbar.

aa) Aus der Testamentsurkunde, insbesondere deren Wortlaut, ergeben sie sich nach den zuvor dargestellten Grundsätzen nicht.

Im Gegenteil spricht die Stellung der Ziffer 2.) 2), nämlich im Anschluss an die Regelung der ersten Erbganges (nach dem Erstversterbenden) und gerade nicht nach den Regelungen zur Schlusserbfolge, ebenso für eine Beschränkung auf lebzeitige Verfügungen des Überlebenden wie das bereits angesprochene Gewicht, das die Eheleute ersichtlich der Person des im Testament bestimmten Schlusserben oder seines Ersatzes beimaßen.

bb) Für ein erweitertes Verständnis sprechende Umstände außerhalb der letztwilligen Verfügung von Todes wegen können nicht festgestellt werden.

Der nach Aktenlage einzige dahin gehende Ermittlungsansatz ist die Einvernahme des Zeugen A gewesen (die übrigen Zeugen sind für das eingeschränkte Verständnis benannt worden). Dieser Zeuge hat sich jedoch berechtigterweise auf ein ihm zustehendes Zeugnisverweigerungsrecht berufen und deshalb nicht ergiebig bekundet.

(1) Ein Zeugnisverweigerungsrecht nach §§ 29 Abs. 2 FamFG, 383 Abs. 1 Nr. 6 ZPO besteht.

Die anwaltliche Verschwiegenheitspflicht und daher auch dieses Zeugnisverweigerungsrecht umfasst nicht nur solche Tatsachen, die dem zur Verschwiegenheit verpflichteten Zeugen unmittelbar zur Durchführung der vertrauensgeschützten Tätigkeit mitgeteilt worden sind, sondern erstreckt sich auf alles, was dem Anwalt in Ausübung seines Berufs bekannt geworden ist, selbst im Rahmen seiner Tätigkeit erlangtes Zufallswissen (BGH, NJW 2011, 1077 f. [BGH 16.02.2011 – IV ZB 23/09] [BGH 16.02.2011 – IV ZB 23/09] m.w.N.).

Der Zeuge war und ist Rechtsanwalt. Es mag sein, dass er und die Erblasserin auch persönlich verbunden waren und Gespräche privaten Inhalts führten. Jedenfalls aber konsultierte ihn die Erblasserin in ihren erbrechtlichen Angelegenheiten – ob 2004 und/oder 2015, ist bereits Gegenstand der Verschwiegenheitspflicht – gerade auch in der Eigenschaft als Rechtsanwalt. Das ergibt sich bereits daraus, dass zwischen beiden Personen ausdrücklich beredet wurde, wie sich der Zeuge bei einer etwaigen Einvernahme und namentlich vor Gericht verhalten solle; am Überzeugungswert der diesbezüglichen Bekundungen des Zeugen zu zweifeln, hat der Senat keinen Anlass. Der nähere Zusammenhang von Mitteilungen der Erblasserin gegenüber dem Zeugen, insbesondere die Nähe dieser Mitteilungen zur anwaltlichen Beratungsleistung, bedarf nach den zuvor aufgezeigten Grundsätzen keiner Aufklärung.

(2) Der Zeuge ist nach dem Tode der Erblasserin nicht nach § 385 Abs. 2 ZPO von der Verpflichtung zur Verschwiegenheit entbunden worden.

Zum einen könnte eine derartige Entbindung nur durch den Erben erfolgen, müsste in einem Verfahren der vorliegenden Art, in dem erst festgestellt werden soll, wer Erbe ist, daher wohl durch alle Erbprätendenten geschehen (gebotene Anpassung an das Fam-FG-Verfahren, vgl. Keidel/Sternal, FamFG, 19. Aufl. 2017, § 30 Rn. 61) und hat zumindest der Beteiligte zu 2. keine Entbindung erklärt.

Zum anderen und vor allem aber kommt eine Entbindung nur in Betracht, soweit über Tatsachen ausgesagt werden soll, die ausschließlich dem vermögensrechtlichen Bereich zuzuordnen sind; denn lediglich in diesem Umfang kann die vor seinem Tod dem Geschützten zustehende Befreiungsbefugnis nach § 1922 Abs. 1 BGB auf den Erben übergehen; mit anderen Worten darf die Vernehmung die höchstpersönliche Sphäre des Verstorbenen nicht berühren (Sternal, a.a.O., Rn. 68 f. m.w.N.). Ein reiner Vermögensbezug erscheint bei dem hiesigen Beweisthema eines etwaigen Änderungsvorbehalts aber ausgeschlossen, weil notwendigerweise nicht nur Fragen des Verhältnisses der Eheleute zur ihrem Vermögen, sondern auch solche ihres Verhältnisses untereinander und zu dem gemeinsamen Sohn betroffen werden.

(3) Schließlich scheidet ein Rückgriff auf einen mutmaßlichen, auf die „Entpflichtung“ des Zeugen gerichteten Willen der Erblasserin aus.

Zwar kommt in Erbscheinsverfahren grds. in Betracht, dass ein zur Verschwiegenheit Verpflichteter unter Berücksichtigung des mutmaßlichen Willens eines Erblassers nicht zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigt ist; tragende Erwägung ist hierbei, dass dem Verstorbenen an einer Aufklärung gerade im Hinblick auf die Wirksamkeit der von ihm gewünschten Erbfolge gelegen sein müsste (vgl. Sternal, a.a.O. Rn. 69). Im vorliegenden Fall jedoch beruft sich der Zeuge auf den zu Lebzeiten ausdrücklich und dezidiert auf Nachfrage erklärten Willen der Erblasserin zur Nichtoffenbarung der hier maßgeblichen Tatsachen, und Umstände, die diese Berufung als sachlich unzutreffend erscheinen lassen könnten, sind nicht zutage getreten.

 

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