OLG Düsseldorf, Beschl. v. 23.07.2014 – I-3 Wx 95/13 Zur Auslegung einer schriftlich niedergelegten Erklärung als Testament

Juni 3, 2018

OLG Düsseldorf, Beschl. v. 23.07.2014 – I-3 Wx 95/13

Zur Auslegung einer schriftlich niedergelegten Erklärung als Testament

(AG Duisburg-Hamborn, Beschl. v. 16.01.2013 – 5 VI 188/06)

Gründe:

  1. Unter dem 22.09.2006 ist ein aufgrund gesetzlicher Erbfolge ergangener gemeinschaftlicher Erbschein erteilt worden, der die Beteiligte zu 2. sowie die nachverstorbene E. P. M. als Miterbinnen nach dem Erblasser zu je ½ Anteil ausweist. Mit Schriftsatz ihrer Verfahrensbevollmächtigten v. 10.10.2012 hat die Beteiligte zu 1. beantragt, diesen Erbschein einzuziehen. Hierzu hat sie sich auf ein ihrer Behauptung nach vom Erblasser hinterlassenes Schriftstück bezogen. Bei diesem handelt es sich um die (einfache) Ablichtung einer notariellen Urkunde v. 27.11.1998, in dem der Erblasser einem Herrn E. L.– dem Großvater der Beteiligten zu 1. – ein unwiderrufliches, unbefristetes, jedoch erst nach dem Tode des Erblassers annehmbares Angebot auf Übertragung eines bestimmten Grundbesitzes, den der Erblasser soeben erworben hatte, machte. Auf dieser Ablichtung findet sich im Anschluss an die mitfotokopierten handschriftlichen Unterschriften des Erblassers und des Notars folgender handschriftlicher Text:

„L. gib meine Sparbücher von Mama zurück, ich will mit E. das Haus umbauen!

Auch wenn du mich nicht reinläßt sollst du wissen das J. nicht nur das Haus auch mein Vermögen erben soll. Ich brauch das Geld bis Mai 1999.“

Dieser Text ist handschriftlich unterzeichnet mit „H. H.“.

Den Einziehungsantrag der Beteiligten zu 1. hat das Nachlassgericht durch die angefochtene Entscheidung zurückgewiesen.

Mit am 22.01.2013 bei Gericht eingegangener Schrift des beurkundenden Notars hat die Beteiligte zu 1. darüber hinaus einen Erbscheinantrag v. 14.01.2013 zur Nachlassakte gereicht, mit dem sie die Einziehung des Erbscheins v. 22.09.2006 sowie die Erteilung eines neuen, sie als Alleinerbin nach dem Erblasser ausweisenden Erbscheins beantragt. Hierzu hat das Nachlassgericht am 25.01.2013 vermerkt, die Beteiligte zu 1. habe vor Erlass der nachlassgerichtlichen Entscheidung nur einen Einziehungsantrag gestellt, über ihren nunmehr vorliegenden Erbscheinsantrag solle erst nach Rechtsbeständigkeit der Entscheidung über den Einziehungsantrag befunden werden.

Gegen den ihren Verfahrensbevollmächtigten am 12.03.2013 zugestellten Zurückweisungsbeschluss wendet sich die Beteiligte zu 1. nunmehr mit ihrem am 09.04.2013 bei Gericht eingegangenen Rechtsmittel, mit dem sie beantragt, unter Aufhebung der angegriffenen Entscheidung den Erbschein v. 22.09.2006 einzuziehen und einen neuen Erbschein zu erteilen, wonach sie Alleinerbin nach dem Erblasser geworden sei. Diesem Rechtsmittel hat das Nachlassgericht mit weiterem Beschluss v. 10.04.2013 nicht abgeholfen und die Sache dem OLG Düsseldorf als Beschwerdegericht zur Entscheidung vorgelegt.

Der Senat hat die Beteiligte zu 2. sowie – teilweise nach ergänzenden Ermittlungen – sämtliche Erbeserben der nachverstorbenen Frau M. angehört. Die (anwaltlich vertretene) Beteiligte zu 2. tritt dem Rechtsmittel eingehend entgegen; der Sache nach äußern sich die übrigen Beteiligten, soweit sie Erklärungen zur Gerichtsakte gereicht haben, mit demselben Ziel. Der Wechsel von Schriftsätzen mit Vorbringen in der Sache zwischen der Beteiligten zu 1. und der Beteiligten zu 2. hat mit Schriftsatz der Beteiligten zu 2. v. 10.03.2014 geendet. Mit weiterem Schriftsatz v. 18.06.2014 erhebt die Beteiligte zu 2. u.a. die Verzögerungsrüge. […]

  1. Das gem. §§ 58 Abs. 1, 59 Abs. 2, 61 Abs. 1, 63 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 1, 64 Abs. 1 und 2 FamFG als befristete Beschwerde – mit dem Ziel, das Nachlassgericht zur Einziehung anzuweisen – zulässige Rechtsmittel der Beteiligten zu 1., das der Senat infolge der vom Nachlassgericht erklärten Nichtabhilfe als ihm zur Entscheidung angefallen behandelt (§ 68 Abs. 1 Satz 1, 2. Halbs. FamFG), bleibt in der Sache ohne Erfolg.
  2. Zugunsten der Beteiligten zu 1. versteht der Senat ihr Rechtsmittel dahin, dass sie sich – nur – insoweit beschweren will, wie sie durch die nachlassgerichtliche Entscheidung auch tatsächlich beschwert ist. Durch seinen Beschluss v. 16.01.2013 hat das Nachlassgericht jedoch allein den Einziehungsantrag der Beteiligten zu 1. zurückgewiesen; dies ergibt sich nicht nur aus dem Beschlussausspruch, sondern auch aus dessen gesamter Begründung. Eine weitergehende Entscheidung zu treffen, hat für das Nachlassgericht auch kein Anlass bestanden. Zwar hatte die Beteiligte zu 1. am Ende ihres Schriftsatzes v. 10.10.2012 geäußert, der falsche Erbschein sei einzuziehen „und ein Neuer zu erteilen“. Die bloße letztgenannte Äußerung war allerdings so deutlich von einem formgerechten Erbscheinsantrag entfernt, dass das Nachlassgericht nicht davon ausgehen musste, die Beteiligte zu 1. wünsche insoweit eine gerichtliche Bescheidung. Ein beachtlicher Erbscheinsantrag der Beteiligten zu 1. ist erst nach Erlass des angegriffenen Beschlusses bei Gericht eingegangen, und hierzu hat das Nachlassgericht durch Vermerk ausdrücklich festgestellt, über diesen Antrag solle erst nach Abschluss des Verfahrens über den Einziehungsantrag entschieden werden.

Wollte man dies anders sehen, wäre die Beschwerde hinsichtlich des Begehrens auf Erteilung eines Erbscheins zugunsten der Beteiligten zu 1. jedenfalls mangels Beschwer unzulässig.

  1. In der Sache hat sich das Nachlassgericht zu Recht auf den Standpunkt gestellt, es habe beim Erbschein v. 22.09.2006 zu verbleiben.

Gem. § 2361 Abs. 1 Satz 1 BGB hat das Nachlassgericht einen erteilten Erbschein einzuziehen, wenn dieser unrichtig ist. Das ist namentlich der Fall, wenn in ihm unrichtige Erben angegeben sind. Hierauf beruft sich die Beteiligte zu 1., und eine anderweitige Unrichtigkeit des erteilten Erbscheins kommt auch nicht näher in Betracht. Indes weist der Erbschein v. 22.09.2006 die Erbenstellung der beiden Miterbinnen zutreffend aus. Nach Lage der Dinge – dies scheint die Beschwerdeführerin nicht anders zu sehen – könnte der erteilte Erbschein insoweit nur unrichtig sein, falls keine gesetzliche Erbfolge eingetreten wäre, weil eine letztwillige Verfügung des Erblassers mit anderweitiger Erbenberufung existiert. Das ist jedoch nicht der Fall. Dabei mag zugunsten der Beteiligten zu 1. unterstellt werden, dass der von ihr zur Akte gereichte handschriftliche Text tatsächlich vom Erblasser stammt. Jedenfalls stellt er keine Verfügung von Todes wegen, nämlich kein Testament, dar.

  1. a) Eine schriftlich niedergelegte Erklärung des Erblasser kann, auch wenn sie den formalen Voraussetzungen des 2247 BGB genügt, nur dann als letztwillige Verfügung gelten, wenn sie mit Testierwillen abgegeben worden ist, also mit dem ernstlichen Willen des Erblassers, ein Testament zur errichten und rechtsverbindliche letztwillige Anordnungen zu treffen. Danach muss außer Zweifel stehen, dass der Erblasser die von ihm erstellte Urkunde als rechtsverbindliche letztwillige Verfügung angesehen oder zumindest das Bewusstsein hatte, sie könnte als solche angesehen werden. Ob ein derartiger ernstlicher Testierwille vorgelegen hat, ist im Wege der Auslegung gem. § 133 BGB unter Berücksichtigung aller erheblichen, auch außerhalb der Urkunde liegenden Umstände und der allgemeinen Lebenserfahrung zu beurteilen. Dabei sind, sofern die Form des Schriftstücks nicht den für Testamente üblichen Gepflogenheiten entspricht – was auch bei einem Brief der Fall ist –, an den Nachweis des Testierwillens strenge Anforderungen zu stellen. Bei verbleibenden Zweifeln findet die Vorschrift des § 2084 BGB – wonach im Zweifel diejenige Auslegung vorzuziehen ist, bei der die Verfügung Erfolg haben kann – keine Anwendung. Diese Grundsätze werden (soweit ersichtlich) in der obergerichtlichen Rechtsprechung allgemein und ständig vertreten (OLG Schleswig, FamRZ 2010, 65 ff.; OLG München, NJW-RR 2009, 16 ff.; KG, FamRZ 2004, 736 ff., BayObLG, FamRZ 2003, 1786 ff.; 2001, 944 f.; 1992, 353 ff.). Insbesondere muss der Wille, letztwillig zu verfügen, bei der Errichtung des fraglichen Schriftstücks tatsächlich vorhanden gewesen sein. Wenn es um die Frage geht, ob ein Schriftstück, das nicht dem üblichen Bild eines Testaments entspricht, dennoch nach der Vorstellung des Erblassers rechtsverbindliche Anordnungen für den Todesfall enthalten sollte, kann ein hypothetischer Wille (anders als bei der Auslegung des Inhalts einer unzweifelhaft als solche verfassten letztwilligen Verfügung) nicht berücksichtigt werden; demgemäß kann allein der Umstand, dass nach dem Tode eines Erblassers keine wirksame letztwillige Verfügung vorhanden war, nicht dazu führen, im Nachhinein zu unterstellen, er habe jedenfalls für diesen Fall ein bestimmtes Schriftstück als letztwillige Verfügung verstanden wissen wollen (OLG München a.a.O.).

Diesen Grundsätzen ist der Senat in seiner st. Rspr. gefolgt. Hiervon abzugehen, besteht kein Anlass.

  1. b) Danach lässt sich nicht feststellen, dass der durch die Beteiligte zu 1) zu den Akten gereichte handschriftliche Text von einem Testierwillen des Erblassers getragen war.

Von vornherein ohne Belang ist in diesem Zusammenhang, dass der Text formal verfahrensrechtlich vom Nachlassgericht als letztwillige Verfügung eröffnet worden ist. Auch kann nicht ausschlaggebend berücksichtigt werden, dass er das einzige als Verfügung des Erblassers von Todes wegen in Betracht kommende Schriftstück darstellt. Alsdann lässt sich für einen möglichen Testierwillen des Erblassers, bei Lichte betrachtet, allein anführen, dass er den in Rede stehenden Text mit vollständigem Vor- und Nachnamen unterzeichnete. Alle weiteren im vorliegenden Fall gegebenen Umstände sprechen klar gegen eine letztwillige Verfügung.

In formaler Hinsicht hat der Erblasser die Erklärung weder mit einer Zeit noch mit einem Ort versehen. Dies ist zwar nach § 2247 Abs. 2 BGB für die Gültigkeit eines etwaigen Testaments nicht erforderlich, doch kann bei dem – worüber sich alle Beteiligten einig sind – nicht geschäftserfahrenen und schon gar nicht rechtskundigen Erblasser nicht davon ausgegangen werden, dass er sich dessen bewusst war; im Gegenteil wäre eher zu erwarten gewesen, dass er sich bemüht hätte, allen vermuteten Förmlichkeiten besonders nachdrücklich Rechnung zu tragen, wenn er denn wirklich hätte testieren wollen. Überdies steht die vollständige Unterschrift in einem gewissen Gegensatz zu der im Text enthaltenen persönlichen Anrede der Frau M. mit einer Art Kosename. Dass der Erblasser sich überhaupt der handschriftlichen Form bediente, erlaubt wegen der fehlenden schriftlichen Gewandtheit keinen Rückschluss auf ein Bewusstsein, bestimmten Formen genügen zu müssen.

Inhaltlich erschöpft sich der Text in bloßen Aufforderungen und Mitteilungen an „L.“. Das gilt für die Aufforderung im ersten und die Mitteilung der zeitlichen Vorgabe im dritten Satz ohne Weiteres. Aber auch im zweiten Satz äußert der Erblasser allein, welches Wissen er der Angesprochenen vermitteln will. Dieses bezieht sich darauf, dass die Beteiligte zu 1. Haus und Vermögen „erben soll“. Die von der Beteiligten zu 1. selbst hervorgehobenen Umstände außerhalb der schriftlichen Erklärung gebieten dabei die Auslegung, der Erblasser habe zum Ausdruck bringen wollen, er habe alles so eingerichtet, bzw. werde es noch einrichten, dass der Beteiligten zu 1. nach seinem Tode letztlich Haus und Vermögen wirtschaftlich zugute kommen sollten, er mit der vorbezeichneten Bemerkung jedoch nicht besagen wollte, hierdurch setze er die Beteiligte zu 1. als Erbin ein.

Denn nach dem eigenen Vorbringen der Beteiligten zu 1. wäre eine solche Erklärung dem wahren Willen des Erblassers für den Fall seines Todes vor Volljährigkeit der 1992 geborenen Beteiligten zu 1. – wie in der Tat eingetreten – gerade zuwider gelaufen. Mit der Rechtsmittelbegründung wie auch, wenngleich bezüglich einiger Nebenumstände abgeschwächt, mit Schriftsatz v. 22.08.2013 macht die Beteiligte zu 1. geltend, der Erblasser habe unter allen Umständen verhindern wollen, dass sich die Mutter oder die Eltern der Beteiligten zu 1. der dieser von ihm zugewandten Vermögenswerte in irgendeiner Form bemächtigten; aus diesem Grunde habe der Erblasser insbesondere den Grundbesitz an Herrn L. und nicht unmittelbar an die Beteiligte zu 1. als dessen Enkelin übertragen. Dieser Darstellung entspricht nicht nur die das Übertragungsangebot auf den Todesfall enthaltende notarielle Urkunde v. 27.11.1998, sondern auch die zur Nachlassakte gereichte schriftliche Erklärung der nachverstorbenen Frau M. v. 30.06.2005, sie bestätige, dass der Erblasser sie mehrmals davon in Kenntnis gesetzt habe, sein Haus solle nach seinem Tode als Geschenk an Herrn L. übergehen. In diesem Zusammenhang ist weiter zu berücksichtigen, dass, falls der handgeschriebene Text Frau M. seinerzeit überhaupt erreichte, dies in unmittelbarer Verbindung mit dem Inhalt der notariellen Urkunde erfolgte; dieser Umstand deutet darauf hin, dass der Erblasser meinte, Frau M. auf diese Weise hinreichend deutlich zu machen, dass u.a. der Grundbesitz der Beteiligten zu 1. letztlich zugutekommen sollte, hierfür indes das Wort „erben“ verwendete. Bezüglich der Sparbücher tritt noch hinzu, dass der Erblasser diese von Frau M. lebzeitig zu seiner Verwendung begehrte, so dass die Annahme, er habe auch die dort angelegten Geldbeträge der Beteiligten zu 1. von Todes wegen zuwenden wollen, fern liegt. Aber auch im Hinblick auf Grundbesitz und sonstiges Geldvermögen musste der Erblasser nach seiner von der Beteiligten zu 1. geschilderten Vorstellung eine Berufung der Beteiligten zu 1. zur Erbin vermeiden; dies jedenfalls, solange er nicht sonstige Maßnahmen gegen die Gefahr von Verfügungen durch die Mutter oder Eltern der Beteiligten zu 1. ergriff, für die der handschriftliche Text jedoch auch nicht ansatzweise etwas hergibt.

Insgesamt spricht daher nichts dafür, dass der Erblasser mit dem handgeschriebenen Text mehr erreichen wollte, als die dort angesprochene Person über seine Absichten in Kenntnis zu setzen. Das stellt jedoch keinen Willen dar, aktuell – durch das betreffende niedergeschriebene Schriftstück – rechtsverbindlich Anordnungen von Todes wegen zu treffen.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 353 Abs. 1, 84 FamFG. […]

 

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