OLG Frankfurt am Main, 08.10.2015 – 5 WF 231/15

März 28, 2019

OLG Frankfurt am Main, 08.10.2015 – 5 WF 231/15
Orientierungssatz:

Der weder im BerHG noch im RVG gesetzlich bestimmte Begriff der „Angelegenheiten“ ist im Sinne des Beratungshilferechts (§ 2 Abs. 2 S. 1 BerHG) unter Berücksichtigung der Wertungen des RVG (vgl. § 44 RVG) zu bestimmen. Er ist aus verfassungsrechtlicher Sicht wegen der vergleichsweise niedrigen Gebühren nicht zu eng zu fassen (BVerfG FuR 2002, 187). Gleichwohl ist er nicht identisch mit dem Gegenstandsbegriff des § 22 RVG, der sich auf das jeweilige Rechtsverhältnis bezieht, das der anwaltlichen Tätigkeit zugrunde liegt, so dass trotz verschiedener mehrerer Gegenstände anwaltlicher Tätigkeit beratungshilferechtlich nur eine Angelegenheit vorliegen kann.
Tenor:

Die Beschwerde wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Beschwerdewert: 242,76 EUR.
Gründe

I.

Nach eigenen Angaben reiste der betroffene Minderjährige am 13.7.2015 ohne Begleitung seiner Eltern in das Bundesgebiet ein und wurde vom Jugendamt der Stadt X noch am selben Tag in Obhut genommen. Mit Beschluss vom 16.7.2015 bestellte das Amtsgericht – Familiengericht – Frankfurt am Main im Wege einstweiliger Anordnung das Jugendamt der Stadt X vorläufig als Pfleger für Personensorge und Rechtsanwältin … als berufsmäßige Pflegerin für den Wirkungskreis der ausländer- und asylrechtlichen Betreuung des Pfleglings. Mit Schreiben vom 20.7.2015 beantragte die Beteiligte zu 1. bei der Ausländerbehörde der Stadt X eine Duldung für den Pflegling und bat um Mitteilung, ob bereits Eurodac-Treffer für den Betroffenen vorhanden seien. Ebenfalls mit Schreiben vom 20.7.2015 beantragte die Beschwerdeführerin bei dem Regierungspräsidium Darmstadt unter Hinweis auf einen beabsichtigten Asylantrag, den Pflegling nach Vorgabe durch das Jugendamt nach AsylVfG zuzuweisen. Mit Schreiben vom 10.8.2015 stellte die Beschwerdeführerin für den Pflegling beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge einen Asylantrag. Mit weiterem Schreiben vom 10.8.2015 beantragte die Beschwerdeführerin bei der Ausländerbehörde der Stadt X eine Aufenthaltsgestattung für den Betroffenen. Mit Schreiben vom 10.8.2015 stellte die Beteiligte für ihre vier oben gestellten Anträge jeweils eine Geschäftsgebühr von 85,- EUR nach Nr. 2503 VV RVG zzgl. Pauschale für Post und Telekommunikation iHv jeweils 17 EUR und zzgl. Mehrwertsteuer, also jeweils 121,38 EUR für ihre Tätigkeiten in Rechnung. Mit Beschluss vom 21.8.2015 setzte das Amtsgericht die Vergütung der Beteiligten zu 1. auf insgesamt 242,76 EUR fest. Nach Ansicht des Amtsgerichts würden nur zwei beratungshilferechtliche Angelegenheiten vorliegen, nämlich die Betreibung des Asyl- und Aufenthaltsverfahrens. Die Beschwerde gegen die Entscheidung wurde zugelassen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Beteiligten zu 1., die die Vergütung weiterer 242,76 EUR beansprucht. Sie verweist dabei insbesondere auf die Vergütungspraxis der Verwaltungsgerichte und auf den Begriff der „Angelegenheit“ nach § 17 RVG und des verwaltungsrechtlichen und prozessualen Gegenstandsbegriffs.

II.

Die Beschwerde der Beteiligten gegen die vom Amtsgericht nach § 168 FamFG festgesetzte Vergütung für die Tätigkeit der Beschwerdeführerin ist nach § 11 Abs. 1 RpflG i.V.m. 58 ff. FamFG zulässig, insbesondere wurde sie form- und fristgerecht eingelegt. Zwar ist die hier einschlägige Wertgrenze von § 61 Abs. 1 FamFG nicht erreicht, allerdings hat das Amtsgericht in der angefochtenen Entscheidung nach § 61 Abs. 3 FamFG die Beschwerde zugelassen, so dass die Beschwerde insgesamt nach § 61 Abs. 2 FamFG zulässig ist.

In der Sache ist die Beschwerde aber unbegründet. Der Beschwerdeführerin steht über die bereits festgesetzte Vergütung von 242,76 EUR kein weitergehender Vergütungsanspruch gegen die Staatskasse zu.

Dem Vergütungsanspruch der Beschwerdeführerin steht zunächst allerdings nicht entgegen, dass ihre Bestellung als berufsmäßige Mitpflegerin neben dem Jugendamt nach heute ganz h. M. unzulässig war, wie dies insbesondere der Rechtsprechung des BGH (FamRZ 2013, 1206; ZKJ 2014, 249) und auch nahezu aller Familiensenate des OLG Frankfurt am Main (FamRZ 2015, 1119; 2015, 680; JAmt 2014, 165; FF 2014, 465; a. A. nur der in Darmstadt ansässige 6. Senat für Familiensachen, zuletzt FamRZ 2015, 1412; vgl. dazu Dürbeck ZKJ 2014, 266) entspricht. Dass die Ergänzungspflegschaft fehlerhaft angeordnet wurde, steht der Wirksamkeit der Bestellung jedoch nicht entgegen, so dass die Gerichte im Vergütungsfestsetzungsverfahren hieran gebunden sind (BGH ZKJ 2014, 249).

Das Amtsgericht hat zutreffend berücksichtigt, dass der Aufwendungsersatzanspruch des anwaltlichen Ergänzungspflegers eines mittellosen Pfleglings im Rahmen der Abrechnung nach dem RVG (§§ 1915 Abs. 1, 1835 Abs. 3 BGB) auf die Gebührensätze der Beratungshilfe, wie sie in Nr. 2501 ff. VV RVG vorgesehen sind, beschränkt ist (BGH ZKJ 2014, 249), weil auch ein nicht anwaltlicher Pfleger gehalten wäre, Beratungshilfe für einen mittellosen Pflegling in Anspruch zu nehmen.

Entgegen der Ansicht des Amtsgerichts bleibt aber im Falle der Bestellung eines anwaltlichen und berufsmäßigen Ergänzungspflegers außer Acht, ob auch ein nicht unter Pflegschaft stehender Minderjähriger – vertreten durch seine sorgeberechtigten Eltern – anwaltlichen Rechtsbeistand für die Besorgung seiner ausländer- und asylrechtlicher Angelegenheiten vor dem Hintergrund anderweitiger Hilfsmöglichkeiten (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 BerHG; vgl. dazu für das Ausländerrecht Lissner ZAR 2013, 110) in Anspruch nehmen würde, da durch die Bestellung eines anwaltlichen Berufspflegers für diesen Aufgabenkreis die Notwendigkeit anwaltlicher Vertretung bereits im Bestellungsverfahren durch das Familiengericht bejaht worden ist.

Gleichwohl stellt die Beschwerdeführerin bei der Frage, wie viele von ihr im Rahmen der außergerichtlichen Vertretung des Pfleglings vorgenommenen Geschäfte gesondert zu vergüten sind, zu Unrecht auf den verwaltungsrechtlichen bzw. verwaltungsprozessualen Verfahrensgegenstandsbegriff ab. Der weder im BerHG noch im RVG gesetzlich bestimmte Begriff der „Angelegenheiten“ ist vielmehr im Sinne des Beratungshilferechts (§ 2 Abs. 2 S. 1 BerHG) unter Berücksichtigung der Wertungen des RVG (vgl. § 44 RVG) zu bestimmen (Dürbeck in: Büttner/Wrobel-Sachs/Gottschalk/Dürbeck, Prozess- und Verfahrenskostenhilfe, Beratungshilfe, 7. Aufl., 2014, Rn. 1012). Er ist aus verfassungsrechtlicher Sicht wegen der vergleichsweise niedrigen Gebühren nicht zu eng zu fassen (BVerfG FuR 2002, 187). Gleichwohl ist er nicht identisch mit dem Gegenstandsbegriff des § 22 RVG, der sich auf das jeweilige Rechtsverhältnis, das der anwaltlichen Tätigkeit zugrunde liegt, bezieht (BGH AnwBl. 1976, 337; JurBüro 1984, 537), so dass trotz verschiedener mehrerer Gegenstände anwaltlicher Tätigkeit beratungshilferechtlich nur eine Angelegenheit vorliegen kann (vgl. Lissner/Dietrich/Eilzer/German/Kessel Rn. 217). Entgegen der Ansicht der Beschwerde begründen dabei mehrere anwaltliche Schreiben an verschiedene Adressaten nicht allein verschiedene Angelegenheiten im Sinne des BerHG, insbesondere nicht, wenn sie in einem inneren Zusammenhang stehen (vgl. LG Koblenz Rpfleger 1996, 116; 1999, 30). Eine eigenständige Angelegenheit im Sinne des BerHG liegt trotz mehrerer Gegenstände insbesondere dann vor, wenn ein gleichzeitiger Auftrag vorliegt, die Verfahrensgegenstände ein gleichartiges Verfahren mit gleichem Rahmen betreffen und ein zeitlicher und sachlicher Zusammenhang in der Bearbeitung besteht (BVerfG NJW 2002, 439; OLG Hamm FamRZ 2005, 532).

Vorliegend bestehen schon Zweifel, ob nicht schon wegen des engen zeitlichen und sachlichen Zusammenhangs zwischen asyl- und aufenthaltsrechtlichen Verfahren insgesamt nur von einer beratungshilferechtlichen Angelegenheit auszugehen ist, wie dies zumindest dann angenommen werden muss, solange das Asyl- und das Aufenthaltsverfahren sich nicht verselbständigen und unterschiedliche Verfahrensabläufe nehmen (vgl. AG Kulmbach JurBüro 1986, 1215; Enders JurBüro 2000, 337, 340). Dies kann jedoch offen bleiben, da im Beschwerdeverfahren nach §§ 58 ff, FamFG in Verfahren, die nur auf Antrag eingeleitet werden, ein Verböserungsverbot gilt (Heilmann/Dürbeck, Kindschaftsrecht, 2015, § 69 FamFG Rn. 4). Soweit demnach vom Amtsgericht zwei gebührenrechtlich gesonderte Angelegenheiten bzgl. des Asylverfahrens und des Verfahrens nach dem AufenthG angenommen worden sind, ist der von der Beschwerdeführerin in Vertretung des Pfleglings gestellte Duldungsantrag und der in unmittelbaren zeitlichen Zusammengang gestellte Aufenthaltsgestattungsantrag nach dem AufenthG als eine Angelegenheit in diesem Sinne zu betrachten, ebenso wie der gestellte Asylantrag und der gegenüber dem Regierungspräsidium gestellte Zuweisungsantrag nach dem AsylVfG. Die entsprechenden Vertretungshandlungen stehen sowohl in einem zeitlichen als auch sachlichen Zusammenhang und unterliegen jeweils demselben Verfahrensrahmen. Allein die Möglichkeit, dass sich die jeweiligen Verfahren auseinander entwickeln könnten, reicht für die Annahme verschiedener beratungshilferechtlicher Angelegenheiten nicht aus.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG.

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