OLG Frankfurt am Main, 09.06.2016 – 8 W 33/16

März 22, 2019

OLG Frankfurt am Main, 09.06.2016 – 8 W 33/16
Leitsatz:

Die Wortwahl des Sachverständigen darf – gerade in Arzthaftungsfällen – deutlich sein, damit die Sachaussagen verstanden werden. Hinsichtlich der Art und Weise der Formulierung muss einem Sachverständigen daher ein gewisser Spielraum zugebilligt werden. Gleichwohl darf die Wortwahl des Sachverständigen nicht in eine beleidigende Herabsetzung einer Partei abgleiten.
Tenor:

Die sofortige Beschwerde des Beklagten und Beschwerdeführers gegen den Beschluss der 14. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main vom 16. März 2016 in Verbindung mit dem Beschluss vom 9. Mai 2016 über die Nichtabhilfe wird zurückgewiesen.

Der Beklagte und Beschwerdeführer hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Der Beschwerdewert wird auf € 12.310,02 festgesetzt.
Gründe

I.

Der Kläger und Beschwerdegegner (im Folgenden: der Kläger) nimmt den Beklagten und Beschwerdeführer (im Folgenden: den Beklagten) mit dem Vorwurf einer fehlerhaften zahnärztlichen Behandlung in Anspruch.

Das Landgericht hat auf der Grundlage des Beweisbeschlusses vom 26. Januar 2012 (Bl. 123 ff. d. A.) Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens, das der Sachverständige A – gemeinsam mit dem Oberarzt C – unter dem 4. September 2013 (Bl. 202 ff. d. A.) vorgelegt hat. Mit Beschluss vom 15. Oktober 2014 (Bl. 305 ff. d. A.) hat das Landgericht bei dem Sachverständigen ein Ergänzungsgutachten in Auftrag gegeben. Nachdem der Sachverständige das Ergänzungsgutachten unter dem 18. März 2015 (Bl. 316 ff. d. A.) vorgelegt und die Parteien dazu Stellung genommen hatten, hat das Landgericht den Sachverständigen sodann zur Erläuterung seines Gutachtens geladen.

In diesem Termin am 11. Februar 2016 hat der Sachverständige u. a. geäußert:

„Zu der Operation vom … 2008 möchte ich noch sagen, dass es nicht sein kann, dass bei einer so umfangreichen Operation, wie sie hier durchgeführt worden ist, es keinen Operationsbericht und keine schriftlichen Aufzeichnungen zu den verwendeten Materialien gibt. In den späteren Briefen an die Nachbehandler gibt es dazu ja Angaben. Es muss etwas geben, das mir nicht zur Verfügung gestellt worden ist, weil es nicht in den Akten war (S. 2 des Protokolls vom 11. Februar 2016, Bl. 355 d. A.).

Der Beklagte hat daraufhin beantragt, den Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen. Der Beklagte macht geltend, der Sachverständige drücke mit der zitierten Äußerung seine Ablehnung gegen den Beklagten aus. Es werde unterstellt, dass der Beklagte seine Behandlungsunterlagen nicht vollständig herausgegeben habe. Zugleich liege in der Behauptung die Unterstellung, dass der Beklagte in Bezug auf die Dokumentation und den Behandlungsverlauf manipuliert und dementsprechend versucht habe, das Verfahren zu beeinflussen.

Auch die Annahme des Sachverständigen, dass für ihn nicht denkbar sei, dass im vorliegenden Behandlungsfall kein OP-Bericht vorliege – dessen Abfassung weder gesetzlich vorgeschrieben noch nach den berufsrechtlichen Regeln der Zahnärzte zwingend erforderlich sei – lasse die Befürchtung zu, dass der Sachverständige nicht unbefangen und vorurteilsfrei gegenüber dem Beklagten sei.

Wegen der näheren Einzelheiten des Befangenheitsgesuchs wird auf die Anlage zum Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 11. Februar 2016 (Bl. 358a f.) sowie auf den Anwaltsschriftsatz vom 15. Februar 2016 Bezug genommen (Bl. 360 ff. d. A.).

Das Landgericht hat mit dem angegriffenen Beschluss vom 16. März 2016 das Ablehnungsgesuch zurückgewiesen (Bl. 363 ff. d. A.). Ein Grund zur Besorgnis der Befangenheit liege nicht vor.

Soweit der Sachverständige das Fehlen eines Operationsberichts beanstande, entspreche es der Erfahrung der Kammer aus zahlreichen Verfahren, dass bei chirurgischen Eingriffen zumindest einer gewissen Größenordnung regelmäßig ein Operationsbericht erstellt werde, so dass es „objektiv nicht auffällig“ sei, dass der Sachverständige dessen Fehlen beanstande. Überdies gehe auch der Beklagte selbst davon aus, dass ein Operationsbericht vom … 2008 vorhanden sei, da er dessen Fehlen auf S. 9 der Klageerwiderung (BI. 80 d. A.) bestreite. Insoweit stehe auch die Äußerung des Sachverständigen, es könne nicht sein, dass kein OP-Bericht vorhanden sei, in Einklang mit dem Akteninhalt. Ein abfälliges oder voreingenommenes Verhalten des Sachverständigen ergebe sich aus dem Inhalt der Äußerung nicht. Auch die Wortwahl sei neutral und enthalte schon keine spitzen oder abwertenden Formulierungen.

Eine abwertende Einstellung des Sachverständigen gegenüber dem Beklagten ergebe sich auch nicht aus dessen Äußerung, es müsse etwas geben, was nicht in den Akten gewesen sei. Diese Formulierung enthalte in keiner Weise den Vorwurf eines vorsätzlichen Verhaltens gegenüber dem Beklagten, sondern lediglich eine Feststellung, dass der Sachverständige auf Grund konkreter Umstände – der Üblichkeit der Erstellung eines OP-Berichts, Angaben zu der Operation gegenüber den Nachbehandlern und der Nichtauffindbarkeit des OP-Berichts in der Akte – davon ausgehe, dass noch weitere Informationen vorhanden seien, die ihm noch nicht zur Verfügung gestellt worden seien. Diese Feststellung sei sachlich begründet, da ihre Hintergründe nachvollziehbar dargelegt seien und es sogar Gegenstand des Auftrags an den Sachverständigen sei, sich mit dem ihm unterbreiteten Akteninhalt auseinanderzusetzen und hierbei natürlich auch Lücken aufzuzeigen. Erst das Aufzeigen von Lücken eröffne den Parteien die Möglichkeit, versehentlich nicht Vorgelegtes nachzureichen und zur Grundlage der Begutachtung zu machen.

Dass der Beklagte hier vorsätzlich Bestandteile seiner Behandlungsunterlagen vorenthalte, könne den Ausführungen des Sachverständigen jedenfalls nicht entnommen werden.

Gegen diesen seinem Prozessbevollmächtigten am 7. April 2016 (Bl. 395 d. A.) zugestellten Beschluss des Landgerichts hat der Beklagte mit Anwaltsschriftsatz vom 21. April 2016 (Bl. 389 ff. d. A.) sofortige Beschwerde erhoben. Zur Begründung hat er u. a. ausgeführt, es könne nicht sein, dass die Kammer ihre eigene Wertung an die Stelle der Wertung des Beklagten oder eines distanzierten, objektiven Prozessbeobachters stelle.

Der Beklagte habe in seinem Ablehnungsantrag unmissverständlich dargestellt, dass die Aussage des Sachverständigen aus seiner Sicht eine negative Äußerung und Bewertung gegenüber seiner Arbeitsweise und seiner Dokumentation darstelle und dieser ihm zudem unterstelle, dass er in Bezug auf die Dokumentation und den Behandlungsverlauf manipuliert und dementsprechend versucht habe, das Verfahren zu beeinflussen. Diese Überlegungen seien vom Landgericht ignoriert worden.

Überdies sei die Einschätzung des Landgerichts lebensfremd, die Formulierungen des Sachverständigen enthielten in keiner Weise den Vorwurf eines vorsätzlichen Verhaltens gegenüber dem Beklagten. Die verniedlichende Auslegung des Landgerichts in dem angefochtenen Beschluss sei dem gefundenen Ergebnis geschuldet und decke sich nicht mit dem Empfinden eines unbeteiligten und distanzierten Prozessbeobachters. Wegen der näheren Einzelheiten der Begründung der sofortigen Beschwerde wird auf den Anwaltsschriftsatz vom 22. April 2016 Bezug genommen (Bl. 867 ff. d. A.).

Das Landgericht hat der sofortigen Beschwerde mit Beschluss vom 9. Mai 2016 (Bl. 390 f. d. A.) nicht abgeholfen und die Sache dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.

II.

1. Die sofortige Beschwerde des Beklagten ist nach den §§ 567 Abs. 1 Nr. 1, 406 Abs. 5 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig, insbesondere binnen der Notfrist des § 569 Abs. 1 ZPO eingelegt worden. Allerdings findet sich auf dem nicht abgezeichneten Eingangsstempel des Landgerichts auf dem Beschwerdeschriftsatz vom 21. April 2016 die Datumsangabe „22. April 2016“. Ein gerichtlicher Eingangsstempel beweist grundsätzlich, dass das Schriftstück zu einem bestimmten Zeitpunkt bei Gericht eingegangen ist (§ 418 Abs. 1 ZPO; vgl. etwa BGH, Versäumnisurteil vom 17.02.2012 – V ZR 254/10, NJW-RR 2012, 701, 702; Geimer, in: Zöller, ZPO, 31. Aufl. 2016, § 418, Rdnr. 1). Es kann offen bleiben, ob die Beweiskraft des Eingangsstempels hier nicht bereits deswegen im Sinne des § 419 ZPO gemindert ist, weil der Eingangsstempel nicht abgezeichnet worden ist. Jedenfalls steht hier zur Überzeugung des Senats aufgrund der Zeitangaben auf dem Fax ganz oben („21-04-16 22:46“) und ganz unten („2016-04-21 22:58“) zur Überzeugung des Senats (§ 418 Abs. 2 ZPO) fest, dass der Beschwerdeschriftsatz vom 21. April 2016 noch am selben Tage per Fax beim Landgericht eingegangen ist.

2. In der Sache hat die sofortige Beschwerde des Beklagten jedoch keinen Erfolg, weil das Landgericht das Ablehnungsgesuch des Beklagten zu Recht abschlägig beschieden hat.

Die Ablehnung eines Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit ist begründet, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen (§§ 406 Abs. 1 Satz 1, 42 Abs. 2 ZPO). Es muss sich dabei um Tatsachen oder Umstände handeln, die vom Standpunkt des Ablehnenden aus bei vernünftiger Betrachtung die Befürchtung erwecken können, der Sachverständige stehe der Sache nicht unvoreingenommen und damit nicht unparteiisch gegenüber (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 11.04.2013 – VII ZB 32/12, NJW-RR 2013, 851; Greger, in: Zöller, ZPO, 31. Aufl. 2016, § 406, Rdnr. 8). Solche Tatsachen können sich u. a. aus dem Verhalten des Sachverständigen ergeben. Die Wortwahl des Sachverständigen darf jedoch – gerade in Arzthaftungsfällen – deutlich sein, damit die Sachaussagen verstanden werden (vgl. etwa OLG Saarbrücken, Beschluss vom 16.09.2004 – 5 W 196/04, MDR 2005, 648; Ahrens, in: ders. (Hrsg.), Der Beweis im Zivilprozess, 1. Aufl. 2015, Kapitel 46, § 163, Rdnr. 35; Berger, in: Stein/Jonas, ZPO, Band 5, 23. Aufl. 2015, § 406, Rdnr. 40). Hinsichtlich der Art und Weise der Formulierung muss einem Sachverständigen daher ein gewisser Spielraum zugebilligt werden (vgl. etwa OLG Karlsruhe, Beschluss vom 04.09.2013 – 9 W 28/13, MDR 2014, 425, 426; OLG Frankfurt, Beschluss vom 26.02.2015 – 2 WF 409/14, juris). Gleichwohl darf die Wortwahl des Sachverständigen nicht in eine beleidigende Herabsetzung einer Partei abgleiten (vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom 19.05.2009 – 4 W 150/09, NJW-RR 2009, 1653, 1654).

Nach diesen Maßstäben besteht in Bezug auf den Sachverständigen A nicht die Besorgnis der Befangenheit.

In Ergänzung zu den zutreffenden Erwägungen des Landgerichts, auf die der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug nimmt, sei darauf hingewiesen, dass die oben zitierte Äußerung des Sachverständigen mehrere Deutungen zulässt. Die Lesart des Beklagten, die Formulierung impliziere den Vorwurf eines vorsätzlichen Verhaltens gegenüber dem Beklagten, ist nach dem Kontext der Äußerung fernliegend. Die Abfolge der Sätze lässt vielmehr eher darauf schließen, dass der Sachverständige sein Unverständnis darüber zum Ausdruck bringen wollte, dass ihm der Operationsbericht nicht vorliege und ihm daher eine wichtige Informationsquelle fehle. Es sind eine ganze Reihe von Gründen vorstellbar, warum – ohne dass dem Beklagten insoweit ein vorsätzliches Handeln vorgeworfen werden könnte – dem Sachverständigen der Operationsbericht nicht vorliegt: Der Operationsbericht kann etwa beim Beklagten, dem Landgericht, auf dem Weg vom Beklagten zum Landgericht oder auf dem Weg vom Landgericht zum Sachverständigen verloren gegangen oder verlegt worden sein. Vor diesem Hintergrund sind im Streitfall keine Anhaltspunkte dafür vorhanden, warum die zitierte Äußerung des Sachverständigen von dem Standpunkt des Beklagten aus bei vernünftiger Betrachtung dahin zu verstehen ist, dass dieser ihm eine Urkundenunterdrückung vorwirft.

Dass der Sachverständige hier mit deutlichen Worten die Ansicht vertreten hat, dass es einen Operationsbericht geben müsse, begründet schon deswegen nicht die Besorgnis der Befangenheit, weil er sich damit – wie das Landgericht zutreffend betont hat – im Einklang mit dem Vorbringen des Beklagten befindet. Schließlich hatte dieser mit Anwaltsschriftsatz vom 7. November 2011 (Bl. 80 d. A.) bestreiten lassen, dass es keinen Operationsbericht zu dem Eingriff vom … 2008 gebe. Diese Formulierung kann nach dem logischen Grundprinzip „tertium non datur“ nicht anders verstanden werden, als dass auch der Beklagte von der Existenz eines Operationsberichts zu dem Eingriff vom … 2008 ausgeht.

Nach alledem vermag auch eine Gesamtschau keine Besorgnis der Befangenheit des Sachverständigen zu begründen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO (vgl. zur Notwendigkeit einer Kostenentscheidung im Falle einer erfolglosen Beschwerde gegen eine ein Ablehnungsgesuch zurückweisende Entscheidung etwa BGH, Beschluss vom 06.04.2005 – V ZB 25/04, NJW 2005, 2233).

Den Wert des Beschwerdegegenstandes bemisst der Senat gemäß § 3 ZPO mit einem Drittel des Hauptsachewertes (vgl. Senat, Beschluss vom 20.04.2015 – 8 W 16/15, Entscheidungsumdruck, S. 6; Beschluss vom 01.10.2015 – 8 W 33/15, Entscheidungsumdruck, S. 8 f.; ebenso BGH, Beschluss vom 15.12.2003 – II ZB 32/03, juris; OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 20.10.2014 -15 W 53/14, IBRRS 2015, 0003; Berger, in: Stein/Jonas, ZPO, Band 5, 23. Aufl. 2015, § 406, Rdnr. 78). Hierbei ist in Anlehnung an die von den Parteien nicht beanstandete Wertfestsetzung des Landgerichts durch Beschluss vom 17. August 2011 (Bl. 54 d. A.) von einem Hauptsachewert in Höhe von € 36.930,07 (€ 10.000,00 + € 23.930,07 + € 3.000,00) auszugehen.

Es bestand keine Veranlassung, die Rechtsbeschwerde zuzulassen, weil die hierfür in § 574 ZPO aufgestellten Voraussetzungen ersichtlich nicht gegeben sind. Die Frage, inwieweit die Besorgnis der Befangenheit durch unangemessene Formulierungen des Sachverständigen begründet ist, ist eine Einzelfallentscheidung, die keine grundsätzliche Bedeutung hat und die zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nicht der Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts bedarf.

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