OLG Frankfurt am Main, 10.12.2015 – 3 U 51/15

März 24, 2019

OLG Frankfurt am Main, 10.12.2015 – 3 U 51/15
Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das am 12.02.2015 verkündete Urteil des Landgerichts Wiesbaden abgeändert.

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 6.988,40 € nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit 05.09.2013 € zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits in erster und zweiter Instanz haben die Kläger 55% und die Beklagte 45% zu tragen.

Dieses und das angefochtene Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe

(Von der Darstellung der tatsächlichen Feststellungen wird gemäß §§ 540 II, 313 a ZPO abgesehen.)

Die Berufung des Klägers ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, und hat auch in der Sache teilweise Erfolg.

Das Landgericht hat die Klage zu Unrecht (insgesamt) abgewiesen. Der Kläger kann dem Grunde nach Rückabwicklung des Versicherungsvertrags verlangen, weil er rechtswirksam zurückgetreten ist. Eine Saldierung mit den zugunsten der Beklagten anzusetzenden Positionen führt zu dem zugesprochenen Betrag in Höhe von 6.988,40 €. Die weitergehende Forderung ist indes unbegründet.

Der zwischen den Parteien mit Wirkung zum 01.02.2003 geschlossene Vertrag über eine fondsgebundene Lebensversicherung mit Rente ist jedenfalls durch die Erklärung des Klägers vom 23.08.2013 in ein Rückabwicklungsschuldverhältnis umgewandelt worden.

Auf den vorliegenden Vertrag findet § 8 VVG in der Fassung vom 21.07.1994, gültig vom 29.07.1994 bis zum 07.12.2004 (nachfolgend VVG 1994) Anwendung.

Der Kläger ist mit Erklärung vom 23.08.2013 wirksam vom Versicherungsvertrag zurückgetreten sein. Die Widerspruchserklärung des Klägers vom 23.08.2013 (Anlage K 4, Bl. 24 ff. d.A.) kann als Rücktritt ausgelegt werden, da „Rückabwicklung“ verlangt worden ist und das Begehren des Klägers erkennbar darauf gerichtet war, eine rechtswirksame Erklärung, die zur Rückabwicklung des Vertrages führen würde, abzugeben. Diese Erklärung bestand in einer Rücktrittserklärung, die – für den Fall, dass die ausdrücklich genannten Rechtsbehelfe des Widerspruchs gemäß § 5 a VVG, des Widerrufs nach § 8 VVG, der Anfechtung nach § 119 BGB nicht durchgreifen sollte – hilfsweise gewollt war.

Bei der Lebensversicherung bestand nach altem Recht das in § 8 Abs. 4 VVG a.F normierte Widerrufsrecht nicht; an seiner Stelle gewährte § 8 Abs. 5 VVG a.F. dem Versicherungsnehmer ein Rücktrittsrecht.

Die im Versicherungsantrag erfolgte Belehrung des Klägers über das Rücktrittsrecht ist unwirksam, weil sie nicht ausreichend drucktechnisch hervorgehoben worden ist. Zudem ist die Belehrung inhaltlich unzureichend, weil sie dem Versicherungsnehmer nicht mitteilt, dass der maßgebliche Zeitpunkt für den Fristbeginn die Übersendung der Police darstellt, mit deren Zugang der Vertrag zustandekommt. Die Angabe: „Abschluss des Vertrages“ reicht nicht aus, um dem Versicherungsnehmer klar vor Augen zu halten, dass es für den Fristbeginn einer Annahmeerklärung der Beklagten bedarf, die in der Zusendung des Versicherungsscheins zu sehen ist.

Darüber hinaus fehlt es an einer „Bestätigung der Belehrung durch Unterschrift“, weil sich die Bestätigung, die der Kläger im Antragsformular unterzeichnet hat, nicht auf die Belehrung über das Rücktrittsrecht beschränkt, sondern den Erhalt bestimmter Unterlagen einbezieht. Insoweit gelten die Grundsätze der Entscheidung des BGH vom 30.09.1992, VIII ZR 196/91, BGHZ 119, 283, entsprechend.

Die Jahresfrist des § 8 Abs. 5 Satz 4 VVG a.F. ist richtlinienkonform einschränkend dahin auszulegen, dass sie im Bereich der Lebens- und Rentenversicherung und der Zusatzversicherung zur Lebensversicherung nicht anwendbar ist (vgl. BGH, Urt.v. 17.12.2014, IV ZR 260/11, VersR 2015, 224 ff., abgedruckt in Juris + Anlage K 24, Bl. 253 ff. d.A.).

Das Rücktrittsrecht des Klägers ist auch nicht nach beiderseits vollständiger Erbringung der Leistungen – nach Abrechnung des Vertrags durch die beklagte Versicherung und Auszahlung des um den Stornoabschlag, die Kapitalertragssteuer sowie den Solidaritätszuschlag verminderten Fondsguthabens – erloschen.

Eine analoge Anwendung der §§ 7 II VerbrKrG, 2 I 4 HWiG, die nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 16.10.2013 (a.a.O., Rn. 25) grundsätzlich in Betracht kommt, setzt voraus, dass die Vertragspartner des Versicherungsvertrags ihre beiderseitigen Leistungen vor dem 31.12.2001 vollständig erbracht haben (vgl. BGH vom 16.10.2013, a.a.O., Rn. 30).

Diese Voraussetzungen liegen aber nicht vor. Denn das Versicherungsverhältnis des Klägers wurde – nach erklärtem Widerruf – von der Beklagten erst zum 01.04.2012 abgerechnet. Wie der Bundesgerichtshof mehrfach entschieden hat (BGH, Urt. v. 24.11.2009, XI ZR 260/08, WM 2010, 34, zit. nach juris, Rn. 16; Urt. v. 07.05.2014, IV ZR 76/11, zit. nach juris, Rn. 37 sowie Urt. v. 17.12.2014, IV ZR 260/11, zit. nach juris, Rn. 28), ist für eine entsprechende Anwendung der Regelungen in den §§ 7 II VerbrKrG, 2 I 4 HWiG nach Außerkrafttreten dieser Gesetze kein Raum mehr.

Der Kläger verstößt mit der Berufung auf sein Rücktrittsrecht auch nicht gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB). Verwirkung ist nicht eingetreten. Der Kläger hat zwar längere Zeit keinen Gebrauch von seinem Widerrufsrecht gemacht; es fehlt aber an dem erforderlichen Umstandsmoment. Die Beklagte konnte schon deshalb kein schutzwürdiges Vertrauen auf den Fortbestand des Vertrags bis zum Ende der regulären Laufzeit für sich in Anspruch nehmen, weil sie diese Situation selbst dadurch herbeigeführt hat, dass sie dem Kläger keine ordnungsgemäße Belehrung über sein Rücktrittsrecht erteilt hat (vgl. BGH, Urteil vom 7.5.2014, IV ZR 76/11).

Nach wirksamem Rücktritt des Klägers vom Vertrag ist der Vertrag nach den §§ 346 ff. BGB rückabzuwickeln. Eine Beschränkung der Rücktrittsfolgen auf die Zukunft kommt nicht in Betracht (vgl. BGH, Urt. v. 17.12.2014, IV ZR 260/11, zit. nach juris, Rn. 30; KG Berlin, Urt. v.13.02.2015, 6 U 179/13, VersR 2015, 1107 [KG Berlin 13.02.2015 – 6 U 179/13], zit. nach juris, Rn. 23 ff.). Vielmehr sind die Parteien gemäß § 346 I BGB verpflichtet, die empfangenen Leistungen zurückzugewähren und die gezogenen Nutzungen herauszugeben (vgl. KG Berlin, a.a.O., Rn. 28).

Die Beklagte hat dem Kläger sämtliche Prämienleistungen nebst gezogener Nutzungen herauszugeben, der Kläger ist zur Erstattung des Wertes des für die Vertragsdauer erlangten Versicherungsschutzes verpflichtet.

Konkret ergibt sich hier Folgendes:

a) Zunächst kann der Kläger die von ihm geleisteten Prämien in Höhe von 26.676,60 € zurückverlangen. Seine Behauptung, er habe insgesamt Prämien in Höhe von 27.350,94 € geleistet, hat der Kläger nicht belegt, insbesondere nicht unter Beweis gestellt. Demgegenüber ergibt sich aus dem von der Beklagten mit der Klageerwiderung vorgelegten Anlagenkonvolut BLD 7, dass der Kläger der monatlichen Beitragsanpassung vom 01.02.2011 nicht zugestimmt, sondern auf dem Ankündigungsschreiben der Beklagten vom 08.12.2010 handschriftlich den Widerruf der Anpassung erklärt und der Beklagten zugesandt hat (Bl. 133 d.A.).

b) Die Wertentwicklung der Fondsanteile, die sich auf 3.179,45 € belief, ist dem Kläger ebenfalls auszuzahlen.

c) Der BGH hat in seinem Urteil vom 7.5.2014, IV ZR 76/11 entschieden, dass sich der Versicherungsnehmer im Rahmen der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung von Lebens- und Berufsunfähigkeitsversicherungen als Vermögensvorteil den Versicherungsschutz anrechnen lassen muss, den er bis zur Erklärung des Widerspruchs genossen hat. Dies gilt entsprechend für die Rückabwicklung der beiderseitigen Leistungen gemäß §§ 346 ff. BGB. Insoweit ist hier der Versicherungsschutz anzusetzen, den der Kläger durch die Risikoversicherung faktisch erworben hat. Bei Lebensversicherungen kommt insoweit dem Risikoanteil Bedeutung zu (vgl. neuestens: BGH, Urt. v. 11.11.2015, IV ZR 513/14, zit. nach juris, Rn. 31). Zur Herstellung eines vernünftigen Ausgleichs und einer gerechten Risikoverteilung zwischen den Beteiligten, die im Rahmen einer gemeinschaftsrechtlich geforderten rechtsfortbildenden Auslegung bei der Regelung der Rechtsfolgen des Widerspruchs nach nationalem Recht eröffnet ist, ist es geboten, dass der Versicherer neben dem Risikoanteil auch hieraus gegebenenfalls gezogene Nutzungen behalten darf (vgl. BGH, ebd. Rn. 42).

Die Beklagte hat den ihr gebührenden Risikoanteil im Schriftsatz vom 08.09.2015 mit 1.082,62 € angegeben. Der Kläger hat diesen Vortrag im Schriftsatz vom 01.10.2015 bestritten. Das Bestreiten des Klägers in diesem Zusammenhang ist unsubstantiiert. Eine Beweisaufnahme war insoweit nicht angezeigt.

d) Der Ansatz von Verwaltungs- und Vermittlungskosten kommt entgegen der Auffassung der Beklagten nicht in Betracht (vgl. BGH, Urteile vom 29.07.2015, IV ZR 384/14 und IV ZR 448/14; neuestens BGH, Urt. v. 11.11.2015, IV ZR 513/14, zit. nach juris, Rn. 34). Hinsichtlich des auf die Abschluss- und Verwaltungskosten entfallenden Prämienanteils besteht auch keine Verpflichtung der Beklagten zur Herausgabe von Nutzungen (vgl. BGH, ebd., Rn. 43 ff.).

e) Eine Verzinsung der von ihm geleisteten Prämienzahlungen kann der Kläger nicht, insbesondere nicht als Nutzungsersatz, verlangen. Denn die Beklagte hat aus den Prämien keine Nutzungen gezogen. Sie hat vielmehr die Sparanteile der Prämien, die insgesamt 18.785,86 € betragen haben, vereinbarungsgemäß in die vom Kläger ausgewählten Fonds investiert.

Der aus der Anlage der Sparanteile erzielte Gewinn steht dem Versicherungsnehmer bei kapitalbildenden Lebensversicherungen als tatsächlich gezogene Nutzung zu. Die Wertentwicklung der Fondsanteile, die sich auf 3.179,45 € belief, ist dem Kläger bereits mit Auszahlung des Fondsguthabens zugeflossen.

Nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 11.11.2015 (IV ZR 513/14, abgedruckt in juris) muss sich der Versicherungsnehmer bereicherungsmindernd nach Widerspruch gemäß § 5 a VVG a.F. Verluste aus Sparanteilen bei einer fondsgebundenen Lebensversicherung auf seinen Prämienrückzahlungsanspruch anrechnen lassen (LS 1 + Rn. 35 ff.). Er kann nur tatsächlich gezogene Nutzungen des Versicherers herausverlangen und trägt hierfür die Darlegungs- und Beweislast (Rn. 48). Er kann seinen Tatsachenvortrag nicht ohne Bezug zur Ertragslage des jeweiligen Versicherers auf eine tatsächliche Vermutung einer Gewinnerzielung in bestimmter Höhe, etwa in Höhe des gesetzlichen Verzugszinses von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz, stützen (vgl. BGH, ebd., Rn. 48 + 49). Finanzprodukte, in die die Sparanteile einer fondsgebundenen Lebensversicherung vereinbarungsgemäß investiert werden, weisen anlageklassenbedingt eine mehr oder minder große Volatiliät auf, so dass die mit ihnen erzielten jährlichen Wertzuwächse keiner konstanten jährlichen Verzinsung entsprechen und unter Umständen sogar ganz ausbleiben können (vgl. BGH, ebd. Rn. 52).

f) Zur Auszahlung gebracht hat die Beklagte vorprozessual insgesamt 21.785,03 €.
Fondsguthaben 22.880,38 €
abzügl,.Stornoabschlag – 1.144,02 €
abzügl. Kapitalertragssteuer – 1.107,17 €
abzügl. Solidaritätszuschlag – 60,89 €
Auszahlungsbetrag 20.568,30 €
Weitere Zahlung 1.216,73 €

g) Ein Stornoabschlag ist von der Klageforderung nicht abzusetzen. Denn die Beklagte kann diesen Abschlag aus keinem Rechtsgrund verlangen. Die Erstattung des Stornoabschlags, die in dem Betrag von 1.216,73 € beinhaltet ist, ist zu Recht erfolgt und – entgegen den Berechnungen der Beklagten im Schriftsatz vom 08.09.2015 – nicht rückgängig zu machen.

h) Von dem sich rechnerisch ergebenden Rückzahlungsanspruch in Höhe von 28.773,43 € (26.676,60 € + 3.179,45 € – 1.082,62 €) sind die von der Beklagten bereits zurückerstatteten 21.785,03 € (20.568,30 € + 1.216,73 €) abzuziehen, so dass zugunsten des Klägers eine Forderung in Höhe von 6.988,40 € – die Verurteilungssumme – verbleibt.

Die Ansprüche des Klägers sind nicht verjährt, wie die Beklagte meint. Sie entstanden erst im Jahr 2013 (vgl. BGH, Urteil vom 8.4.2015, IV ZR 103/15), weshalb die maßgebliche dreijährige Verjährungsfrist nach §§ 195, 199 I BGB bei Anhängigkeit der Klage im Jahr 2013 noch nicht abgelaufen war.

Auf den zuerkannten Betrag kann der Kläger Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz unter dem Gesichtspunkt des Verzuges gemäß §§ 288 I, 286 II 2 BGB nach Ablauf der im Anwaltsschreiben vom 23.08.2013 (Anlage K 4 = Bl. 24 ff. d.A.) gesetzten Frist (04.09.2013) verlangen.

Den Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten kann der Kläger unter dem allein in Betracht kommenden Gesichtspunkt des Verzuges nicht beanspruchen, weil die anwaltliche Beauftragung schon vor der Erklärung des – als Rücktritt zu wertenden – Widerspruchs und damit auch vor dem Verzug der Beklagten mit der Zahlung erfolgt ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 I ZPO.

Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit hat seine Grundlage in §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

Der Gebührenstreitwert für den Rechtsstreit in erster und zweiter Instanz wird auf 15.683,69 € festgesetzt.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 543 II ZPO nicht vorliegen.

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