OLG Frankfurt am Main, 11.11.2015 – 19 U 40/15

März 24, 2019

OLG Frankfurt am Main, 11.11.2015 – 19 U 40/15
Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das am 27. Februar 2015 verkündete Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Wiesbaden wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Das angefochtene Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

Dieses Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe

I.

Der Kläger macht gegenüber der Beklagten Rückabwicklungsansprüche wegen verbraucherkreditrechtlichen Widerrufs eines Finanzierungsvertrages im Zusammenhang mit der Beteiligung des Klägers an dem Filmfonds X GmbH & Co. Verwaltungs KG geltend. Wegen des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils verwiesen (Bl. 307-309 d. A.).

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen (Bl. 306-311 d. A.).

Die Klageabweisung begründet das Landgericht zum einen damit, dass die Widerrufsbelehrung dem Muster der Anlage 2 zur BGB-InfoV entsprochen habe. Zum anderen führt das Landgericht aus, dass ein Widerrufsrecht auch verwirkt sei.

Der Kläger hat gegen dieses ihm am 04.03.2015 zugestellte Urteil (Bl. 318 d. A.) am 06.03.2015 Berufung eingelegt und dieses Rechtsmittel am 14.04.2015 begründet (Bl. 332 ff. d. A.).

Die Berufung macht zunächst geltend, dass das angefochtene Urteil ein Überraschungsurteil sei, da das Landgericht in der mündlichen Verhandlung noch darauf hingewiesen habe, dass es zur Klagestattgabe neige.

Im Weiteren wiederholt die Berufung den erstinstanzlichen Vortrag dazu, warum die Widerrufsbelehrung nicht dem Muster entsprochen habe.

Schließlich ist die Berufung der Ansicht, dass keine Verwirkung gegeben sei.

Insbesondere fehle es aus mehreren Gründen an dem Vorliegen des Umstandsmomentes.

Insbesondere fehle der Beklagten das schutzwürdige Vertrauen, da sie auf eine Nachbelehrung der Kunden verzichtet habe.

Zudem liege auch kein abgeschlossener Lebenssachverhalt vor. Es sei nicht isoliert auf eine angebliche Beendigung des Darlehensvertrages abzustellen, sondern ebenfalls auf die weiterhin bestehende und damit verbundene Fondsbeteiligung. Zudem habe sich die Beklagte gerade nicht auf den Bestand der Verträge eingerichtet, da ihr seit vielen Jahren Widerrufe hinsichtlich der X Finanzierung zugehen würden und die Fehlerhaftigkeit der Belehrung nachgewiesenermaßen seit mindestens 2010 in gerichtlichen Urteilen festgestellt worden sei. Zudem habe der Kläger unbestritten vorgetragen, dass die Beklagte sich im Hintergrund um ihre eigenen Regressansprüche gegenüber den damals beratenden Anwaltskanzleien bemühe. Spätestens dadurch sei ein angebliches Vertrauen darauf, dass keine weiteren Widersprüche eingehen würden, klar widerlegt.

Auch spreche gegen das Vorliegen des Umstandsmoments, dass die Rückführung des Darlehens im vorliegenden Fall auch nicht vom Anleger selbst veranlasst worden sei. Ein Verhalten des Klägers, aus dem die Beklagte Rückschlüsse hätte ziehen können, sei somit nicht gegeben.

Zudem habe der Gesetzgeber in Kenntnis der Rechtsfolgen die Entscheidung getroffen, dass eine fehlerhafte Widerrufsbelehrung dazu führe, dass das Widerrufsrecht nicht erlösche. Diese Entscheidung könne nicht über die Hintertür der Verwirkung außer Kraft gesetzt werden, indem doch auf die Intention des Widerrufenen abgestellt werde, obwohl das Widerrufsrecht gerade von keiner Begründung abhängen solle, sondern frei erklärt werden könne.

Darüber hinaus stellt die Berufung auch darauf ab, dass bereits das Zeitmoment der Verwirkung nicht gegeben sei. Denn es sei nicht auf den Ablauf zwischen Abschluss des Vertrages und Erklärung des Widerrufs abzustellen. Der Kläger sei erst Anfang 2014 durch zufällige Umstände darauf aufmerksam gemacht worden, dass sein Widerrufsrecht noch nicht erloschen sein könnte. Wenig später habe er sodann den Widerruf erklärt.

Schließlich macht der Kläger noch geltend, dass Steuervorteile nicht zu berücksichtigen seien.

Der Kläger beantragt:

1.

Die Beklagte wird verurteilt an den Kläger EUR 22.629,13 zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 24.01.2014 zu bezahlen, Zug um Zug gegen Übertragung sämtlicher Rechte des Klägers im Zusammenhang mit seiner Beteiligung an der X GmbH & Co. Verwaltungs KG.
2.

Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der vorgenannten Abtretung in Annahmeverzug befindet.
3.

Die Beklagte wird verurteilt an den Kläger Nutzungsersatz in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinszinssatz
aus EUR 4.910,99 von 20.12.2006 bis 19.12.2007
aus EUR 9.821,98 von 20.12.2007 bis 19.12.2008
aus EUR 14.732,97 von 20.12.2008 bis 19.12.2009
aus EUR 19.643,96 von 20.12.2009 bis 19.12.2010
aus EUR 24.554,95 von 20.12.2010 bis 19.12.2011
aus EUR 29.465,94 von 20.12.2011 bis 19.12.2012
und aus EUR 34.376,93 seit 20.12.2012

zu bezahlen.
4.

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger EUR 1.530, 70 zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 21.03.2014 zu bezahlen.
5.

Die Hilfswiderklage wird abgewiesen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Hilfsweise:

Es wird festgestellt, dass der Kläger verpflichtet ist, sämtliche Steuervorteile, die er im Zusammenhang mit seiner Beteiligung an der X GmbH & Co. VerwaltungsKG (…-Fonds Nr. …) erzielt hat, an die Beklagte auszukehren, sobald und soweit über diese Steuervorteile bestandskräftige Steuerbescheide vorliegen und soweit ihm die Steuervorteile nach Abzug einer etwaigen Besteuerung von Beträgen, die im Rahmen des vorliegenden Rechtsstreits zugesprochen werden sollten, verbleiben.

Die Beklagte verteidigt das landgerichtliche Urteil.

In Höhe von 620,00 EUR erklären die Parteien übereinstimmend den Rechtsstreit für erledigt.

II.

Die Berufung des Klägers ist unbegründet. Das Landgericht hat im Ergebnis zu Recht die Klage abgewiesen.

Der Kläger kann sich nicht auf ein verbraucherkreditrechtliches Widerrufsrecht nach den §§ 495 Abs. 1, 491 Abs. 1, 355 BGB a.F. berufen. Einer wirksamen Ausübung dieses Widerrufsrechts steht der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung (§ 242 BGB) entgegen.

1.

Grundsätzlich war der Widerruf des Klägers vom 15.01.2014 nicht verfristet, weil mangels ordnungsgemäßer Widerrufsbelehrung der Lauf der Widerrufsfrist noch nicht begonnen hatte, § 355 Abs. 1 S. 1 BGB a. F.

Die Widerrufsbelehrung ist zu beanstanden, da sie die Formulierung „die Frist beginnt frühestens mit Erhalt dieser Belehrung“ enthält, für die der BGH schon verschiedentlich ausgesprochen hat, dass sie hinsichtlich des Beginns der Frist unzureichend ist und deshalb den Lauf der Frist nicht gemäß § 355 Abs. 2 a. F. BGB in Gang setzen kann, weil sie den Verbraucher über den nach § 355 Abs. 2 BGB maßgeblichen Beginn der Widerrufsfrist nicht umfassend und nicht richtig belehrt (BGH NJW 2012, 3298 [BGH 15.08.2012 – VIII ZR 378/11]).

Die Beklagte kann sich auch nicht mit Erfolg auf den Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes im Hinblick auf die Musterbelehrung nach Anlage 2 zu § 14 Abs. 1 BGB-InfoV in der jeweils maßgeblichen Fassung berufen. Denn Voraussetzung wäre gewesen, dass für die Widerrufsbelehrung ein Formular verwendet worden wäre, das dem Muster der Anlage 2 zu § 14 Abs. 1 BGB-InfoV in der maßgeblichen Fassung sowohl inhaltlich als auch in der äußeren Gestaltung vollständig entsprochen hätte (vgl. BGH WM 2014, 887 [BGH 18.03.2014 – II ZR 109/13]).

Die Widerrufsbelehrung weist jedoch Abweichungen auf. Denn anstelle der Überschrift „Widerrufsbelehrung“ lautet die Überschrift „Widerrufsbelehrung Nr. 2 zum Darlehensvertrag mit der(.Zeichnungsschein.“

Obwohl nach den Zusätzen zur Musterbelehrung als Empfänger des Widerrufs „Name/Firma und ladungsfähige Anschrift des Widerrufsadressaten“ angegeben werden können, verweist die von der Beklagten verwendete Widerrufsbelehrung den Widerrufenden nicht an den Adressaten, sondern an die Z GmbH Finanzanlagen und Beteiligungen und belehrt den Widerrufenden zusätzlich darüber, dass die Z GmbH Finanzanlagen und Beteiligungen Empfangsvertreterin für die Bank1 O1 – International ist.

Mithin ist die Widerrufsbelehrung nicht ordnungsgemäß und hat den Lauf der Widerrufsbelehrung nicht in Gang gesetzt, 355 Abs. 3 Satz 2 BGB a.F.

2.

Der Wirksamkeit des daher grundsätzlich möglichen Widerrufs steht jedoch im vorliegenden Fall der Einwand des Rechtsmissbrauchs nach § 242 BGB entgegen. Denn es liegen besondere Umstände vor, die die Ausübung des Widerrufsrechts als rechtsmissbräuchlich erscheinen lassen. Die gegen § 242 BGB verstoßende Rechtsausübung liegt in der Ausnutzung einer formalen Rechtsposition, also darin, dass der Widerruf aus Gründen ausgeübt wird, die von dem Schutzzweck des Widerrufs nicht gedeckt sind (vgl. zum Rechtsmissbrauch statt vieler: Palandt/Grüneberg, BGB, 74. Aufl., § 242 Rn. 38).

Das Widerrufsrecht soll nämlich vor vertraglichen Bindungen schützen, die der Verbraucher möglicherweise übereilt und ohne gründliche Abwägung des Für und Wider eingegangen ist. Grund für die Durchbrechung des Grundsatzes „pacta sunt servanda“ ist im Einzelfall des Verbraucherdarlehens der manchmal schwierig zu durchschauende Vertragsgegenstand (vgl. Palandt/Grüneberg, a.a.O., § 355 Rn. 2; BT-Drucksache 11/5462, S. 21). Auch der Bundesgerichtshof hat in einem Urteil vom 28.05.2013 (XI ZR 6/12, zitiert nach juris) herausgestellt, dass der Schutzzweck des Widerrufsrecht der Übereilungsschutz ist, indem er ausgeführt hat, dass bei einer Jahre nach Abschluss des ursprünglichen Darlehensvertrages anfallenden Konditionenanpassung, bei der die Entscheidung für die Darlehensaufnahme bereits gefallen gewesen ist, sich der Verbraucher nicht mehr in der vergleichbaren schutzbedürftigen Entscheidungssituation befunden habe.

Dass nach dem Willen des Gesetzgebers nur der Übereilungsschutz Schutzzweck des Widerrufsrechts sein soll, ergibt zudem eine systematische Auslegung. Denn in § 312g Abs. 2 Nr. 8 BGB ist ein Widerrufsrechts bei Finanzdienstleistungen ausgeschlossen, deren Preis von Schwankungen auf dem Finanzmarkt abhängt. Zur Begründung wird dabei ausgeführt, dass das Widerrufsrecht nicht dazu dienen solle das Risiko, dass sich eine Einschätzung über die Entwicklung einer Anlage als fehlerhaft erweise, allein dem Unternehmen aufzubürden. Allgemeine Vertragsreue soll mithin keinen Grund für einen Widerruf darstellen können (Palandt/Grüneberg, a. a. O., § 312g Rn. 11).

Der von dem Kläger am 15.01.2014 erklärte Widerruf (Anlage K3 = Bl. 82 d.A.) erfolgte nicht mehr zum Schutz vor Übereilung.

Denn den widerrufenen Darlehensvertrag hat der Kläger am 5.12.2004 abgeschlossen und seit Dezember 2012 ist das widerrufene Darlehen vertragsgemäß vollständig zurückgeführt.

Mithin ist bereits aufgrund des zeitlichen Abstandes von neun Jahren zwischen Abschluss des Darlehensvertrages und Widerruf und aufgrund des Abstandes von über einem Jahr zwischen vollständiger Rückführung des Darlehens und Widerruf offensichtlich, dass der Widerruf nicht mehr dazu geeignet ist, eine Überrumplungssituation zu beseitigen.

Zudem wird aus dem Umstand, dass das Darlehen widerrufen wird, das aufgrund seiner vollständigen Abwicklung den Kläger nicht mehr belasten kann, während die damit ehemals verbundene Fondsbeteiligung sich für den Kläger negativ entwickelt hat, deutlich, dass der Widerruf hier aus Gründen der Vertragsreue erfolgt. Schutz vor Vertragsreue ist jedoch gerade nicht der Schutzzweck des Widerrufsrechts.

Dem Rechtsmissbrauchseinwand steht auch nicht entgegen, dass die Ausübung des Widerrufsrechts keiner Begründung bedarf. Denn der Umstand, dass der Verbraucher seinen Widerruf nicht begründen muss, soll dazu dienen, dem Darlehensnehmer nur die ungehinderte Ausübung des Widerrufsrecht innerhalb des vorgesehenen Schutzzweckes zu ermöglichen, nicht jedoch den schutzzweckwidrigen Missbrauch desselben.

Der Anwendbarkeit des § 242 BGB steht auch nicht der Einwand entgegen, dass sich auch der andere Vertragspartner rechtstreu verhalten müsse. Zwar könnte man daran denken, dass die Beklagte eine Nachbelehrung hätte erteilen können; aber hier ist zu bedenken, dass die Beklagte eine Widerrufsbelehrung erteilt hat, die ggf. nicht zutreffend gewesen ist. Eine Rechtspflicht, einmal geschlossene Verträge zu beobachten und bei Änderung von Rechtsprechung eine Nachbelehrung zu erteilen, kennt das deutsche Recht nicht. Dieser Umstand mag bei der Frage der Verwirkung eine Rolle spielen, nicht jedoch bei der Frage, ob ein Rechtsmissbrauch gegeben ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97, 91a ZPO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit findet ihre Rechtsgrundlage in den §§ 708 Nr. 10 S. 2, 711 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil der Rechtsstreit keine grundsätzliche Bedeutung hat (§ 543 Abs. 2 ZPO). Die Frage, ob der Kläger hier rechtsmissbräuchlich unter Ausnutzung einer formalen Rechtsposition gehandelt hat, ist eine Frage des Einzelfalls.

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