OLG Frankfurt am Main, 15.12.2014 – 3 W 50/14

April 12, 2019

OLG Frankfurt am Main, 15.12.2014 – 3 W 50/14
Leitsatz

1. Auch im selbstständigen Beweisverfahren hat das Gericht ein eingeholtes schriftliches Gutachten von Amts wegen auf seine Vollständigkeit, Schlüssigkeit und Widerspruchsfreiheit hin zu überprüfen. Wird diese verneint, ist das Beweisverfahren auch ohne weiteren Antrag einer Partei durch Ladung des Sachverständigen zur Erläuterung seines schriftlichen Gutachtens fortzusetzen.

2. Einer Fortsetzung des Beweisverfahrens durch Ladung des Sachverständigen bedarf es auch, wenn eine der Parteien die Geeignetheit des vorliegenden schriftlichen Gutachtens zur Klärung der Beweisfragen für unzureichend hält. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Ladung des Sachverständigen oder lediglich die Eignung des schriftlichen Gutachtens durch Einwendungen hiergegen bestritten wird.
Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers vom 8.10.2014 wird der Beschluss des Landgerichts Wiesbaden vom 29.9.2014 aufgehoben.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Antragsgegner zu tragen.
Gründe
1

I.

Der Antragsteller begehrt die Einholung eines Ergänzungsgutachtens im selbstständigen Beweisverfahren.
2

Mit Beschluss vom 11.02.2014 ordnete das Landgericht antragsgemäß die Einholung eines Sachverständigengutachtens zu dem Motorschaden an einem Motorrad an. Nach Eingang des Gutachtens bei Gericht wurde es dem Antragsteller am 10.7.2014 zugestellt. Gleichzeitig wurde ihm zur Stellungnahme sowie zur Mitteilung etwaiger Einwendungen, Anträgen und Ergänzungsfragen eine Frist von drei Wochen gesetzt. Auf die Folgen verspäteten Vorbringens nach §§ 411 Abs. 4, 296 Abs. 1 und 4 ZPO wurde hingewiesen. Die Frist wurde auf Antrag bis zum 21.8.2014 verlängert.
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Mit am 18.8.2014 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz vom 15.8.2014 führte der Antragsteller unter Bezugnahme auf ein privat eingeholtes Gutachten aus, warum die Schlussfolgerungen des gerichtlichen Gutachtens „nicht haltbar“ seien.
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Mit am 18.9.2014 eingegangenem Schriftsatz vom gleichen Tag begehrte der Antragsteller eine ergänzende Stellungnahme des Sachverständigen zu zwei konkret formulierten Fragen. Das Landgericht hat diesen Antrag mit Beschluss vom 29.9.2014 zurückgewiesen, da er erst nach Ablauf der hierfür gesetzten Frist gestellt worden ist.
5

Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde des Antragstellers. Er ist der Ansicht, mit Schriftsatz vom 15.8.2014 Einwendungen gegen das Gutachten i.S.d. § 411 Abs. 4 ZPO erhoben zu haben. Dies habe für eine Anhörung des Sachverständigen ausreichen müssen. Ansonsten liefe die genannte Norm leer. Die Mitteilung von Einwendungen und Ergänzungsfragen stehe der Stellung eines förmlichen Antrags gleich.
6

Der Antragsgegner verteidigt den angefochtenen Beschluss. Aus der Beschwerdebegründung ergebe sich, dass der Antragsteller mit Schriftsatz vom 15.8.2014 einen förmlichen Antrag bewusst nicht habe stellen wollen.
7

II.

Die sofortige Beschwerde ist zulässig, insbesondere an sich statthaft (§ 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO) sowie form- und fristgerecht eingelegt worden (§ 569 ZPO). Sie hat auch in der Sache Erfolg.
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Das selbstständige Beweisverfahren ist nicht beendet, weil der Antragsteller innerhalb der ihm hierfür gesetzten Frist Einwendungen gegen das Gutachten erhoben hat, auf die hin das schriftliche Gutachten zu ergänzen bzw. zu erläutern ist (§§ 492, 411 Abs. 3, 4 ZPO).
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Eine dahingehende weitere Aufklärung kann von Amts wegen erforderlich sein (§ 411 Abs. 3 ZPO). Dies ergibt sich aus der allgemeinen Pflicht des Gerichts, das Gutachten auf Vollständigkeit, Schlüssigkeit und Widerspruchsfreiheit in sich und im Verhältnis zu anderen vorliegenden Gutachten zu prüfen (BGH NJW 1996, 1597 [BGH 09.01.1996 – VI ZR 70/95]). Dies gilt auch für vorliegendes Privatgutachten (BGH VersR 2009, 499 [BGH 21.01.2009 – VI ZR 170/08] und 975). Nachdem innerhalb der verlängerten Frist das vom Antragsteller privat eingeholte Gutachten des Ingenieurbüros A vom 14.8.2014 vorlag, oblag es dem Gericht, daraufhin das im gerichtlichen Auftrag erstellte schriftliche Gutachten des Sachverständigen B darauf zu überprüfen, ob es den gerichtlichen Auftrag erfüllte. Wäre das Gericht unter Berücksichtigung des Privatgutachtens zu dem Ergebnis gekommen, dass die vom Antragsteller bezeichneten Tatsachen durch das gerichtliche Gutachten nicht hinreichend geklärt sind, hätte es ihm oblegen, auch ohne weitere, auf die Fortsetzung des selbstständigen Beweisverfahrens gerichtete konkrete Eingaben des Antragstellers das Erscheinen des Sachverständigen anordnen und ihn sein schriftliches Gutachten erläutern lassen müssen.
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Einer Fortsetzung des Beweisverfahrens durch Ladung des Sachverständigen bedarf es auch, wenn eine der Parteien die Geeignetheit des vorliegenden schriftlichen Gutachtens zur Klärung der Beweisfragen für unzureichend hält. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Ladung des Sachverständigen ausdrücklich beantragt, ihm zu stellende Ergänzungsfragen vorformuliert oder lediglich die Eignung des schriftlichen Gutachtens durch Einwendungen hiergegen bestritten wird. Das Gesetz erfordert für die Verfahrensfortsetzung keinen Antrag, keine ausdrückliche Erklärung, stellt die genannten Möglichkeiten in kein Rangverhältnis zueinander und knüpft hieran keine unterschiedlichen Rechtsfolgen. Einwendungen, Anträge und Ergänzungsfragen stehen sich damit in ihren Wirkungen gleich. Erforderlich und ausreichend ist der erkennbare Wille, sich mit dem vorliegenden schriftlichen Gutachten nicht zufrieden zu geben, sondern die Beweisaufnahme fortzusetzen. Nicht genügen kann hierfür eine bloße Beweiswürdigung, die dem Prozessgericht vorbehalten bleibt und deswegen auch den Parteien erst im Verfahren vor diesem obliegt (§§ 279 Abs. 3, 285 ZPO).
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Im vorliegenden Fall hätte das Gericht von einer Ladung des Sachverständigen also nur absehen dürfen, wenn es selbst die Beweisfragen durch das eingeholte schriftliche Gutachten des Sachverständigen B auch unter Berücksichtigung des vom Antragsteller vorgelegten Privatgutachtens A als vollständig und widerspruchsfrei beantwortet und zudem den Schriftsatz des Antragstellers vom als bloße vorweggenommene Beweiswürdigung angesehen hätte. Beides ergibt sich aus der Verfahrensakte nicht.
12

Zumindest die Annahme, der Schriftsatz des Antragstellers vom 15.8.2014 stelle eine bloße Beweiswürdigung dar, ist nicht haltbar. Aus ihm ergibt sich vielmehr die eindeutige Absicht, sich mit dem vorliegenden Gutachten nicht abzufinden, sondern zur Sachklärung weitere Umstände einzubeziehen. Das gerichtliche Gutachten wird – substantiiert durch das eingeholte Privatgutachten – in zwei konkret benannten Punkten als falsch gerügt. Ob das vom Sachverständigen B gefundene Ergebnis auf nur zwei beschädigte Gleitlagerschalenpaare gestützt werden kann, oder ob hierfür nicht vielmehr alle zehn Gleitlager hätten beschädigt sein müssen, ist eine Frage, die nur durch ergänzende Anhörung des Sachverständigen beantwortet werden kann. Dies gilt auch für die Frage, ob sich bei Einbeziehung des Motorsteuergeräts in die Untersuchung nicht weitergehende Erkenntnisse ergeben hätten. Indem er das gerichtlich eingeholte schriftliche Gutachten abschließend als „nicht haltbar“ bezeichnet, macht der Antragsteller deutlich, dass aus seiner Sicht die Beweisaufnahme nicht beendet sein kann, sondern es weiterer Sachaufklärung bedarf.
13

Für eine solche Fortsetzung des Beweisverfahrens durch Ladung und Anhörung des Sachverständigen spricht auch der Grundsatz der Prozessökonomie. In der vorliegenden Form könnte das eingeholte schriftliche Gutachten einer Wiederholung oder Ergänzung der Beweisaufnahme im Prozess nicht ersetzen (§ 493 ZPO).
14

Die damit erforderliche Ladung des Sachverständigen muss dem Landgericht vorbehalten bleiben (§ 572 Abs. 3 ZPO).
15

Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens folgt aus § 91 ZPO.

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