OLG Frankfurt am Main, 22.11.2016 – 10 U 78/15

März 21, 2019

OLG Frankfurt am Main, 22.11.2016 – 10 U 78/15
Tenor:

Auf die Berufung der Kläger wird das Urteil des Landgerichts Gießen vom 19.03.2015 – Az.: 4 O 395/14 – abgeändert.

Die Beklagte wird verurteilt, an die Kläger 42.850,00 € zzgl. Zinsen von 5 Prozentpunkte über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit dem 01.09.2012 zu zahlen.

Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des nach diesem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.

Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe

I.

Die Kläger haben von der Beklagten die Rückzahlung einer geleisteten Vorfälligkeitsentschädigung verlangt.

Sie schlossen am 22.09.2009 mit der Beklagten in der Filiale Stadt1 drei Verbraucherdarlehensverträge. Jedes der Vertragsformulare enthielt eine wortgleiche Widerrufsbelehrung, wegen deren Inhalts auf Bl. 15, 24 und 33 d.A. verwiesen wird. Soweit im Tatbestand des angefochtenen Urteils die Widerrufsbelehrung wiedergegeben wird, ist dies dahin zu berichtigen, dass es statt „… ein Exemplar dieser Widerrufserklärung“ heißen muss „… ein Exemplar dieser Widerrufsbelehrung“.

Im Jahre 2012 kam es nach Gesprächen zwischen den Parteien dazu, dass die Darlehen durch die Kläger vorzeitig abgelöst werden. Dabei wurde eine Ablösung seitens der Beklagten von der Zahlung einer Vorfälligkeitsentschädigung in Höhe von 42.550,00 € abhängig gemacht. Die B Lebensversicherung glich in der Folge die Darlehensforderungen der Beklagten aus, die Kläger zahlten die verlangte Vorfälligkeitsentschädigung zzgl. einer weiteren Gebühr von 300,00 €.

Am 24.09. und 25.11.2014 erklärten die Kläger den Widerruf der Darlehensverträge (Bl. 34-39 d.A.).

Die Kläger haben gemeint, sie hätten die Darlehensverträge wirksam widerrufen, die Verträge seien nicht durch die Ablösung der Darlehen aufgehoben worden.

Mit der Klage haben sie die Rückzahlung der Vorfälligkeitsentschädigung nebst der weiteren Gebühr, insgesamt 42.850,00 € verlangt.

Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Zwar sei die Widerrufsbelehrung fehlerhaft gewesen, da die getroffene Wortwahl nicht eindeutig über den Beginn der Widerrufsfrist informiere. Bei der Nennung des zur Verfügung zu stellenden Vertragsantrages hätte aufgenommen werden müssen, dass es auf den Vertragsantrag des Verbrauchers ankomme. Die Beklagte könne sich nicht auf die Schutzwirkung des § 14 Abs. 1 BGB-InfoV berufen. Es sei auch nicht dargetan, dass mit der Zahlung der Vorfälligkeitsentschädigung die Darlehensverhältnisse für die Vergangenheit hätten erledigt sein sollen. Der Ausübung des Widerrufsrechts stehe jedoch der Einwand der Verwirkung entgegen. Die Beklagte habe sich darauf einrichten können und eingerichtet, dass die Kläger ihre Erklärungen nicht mehr widerrufen. Die Darlehen seien 2012 vollständig abgelöst worden, die Kläger hätten nach Erhalt der Widerrufsbelehrungen zudem bis zur Widerrufserklärung mehr als fünf Jahre verstreichen lassen und zudem nach Ablösung des Kreditkontos noch zwei Jahre zugewartet. Zu berücksichtigen sei, dass überhaupt eine Widerrufserklärung erteilt worden sei, die einen durchschnittlichen Verbraucher nicht über das Bestehen eines – befristeten – Widerrufsrechts im Unklaren habe lassen können. Die Kläger hätten am 21.09.2009 (richtig: 22.09.2009) insbesondere die Vertragsurkunde und die Widerrufsbelehrung erhalten, so dass aus ihrer Sicht keine Unklarheiten über den Fristbeginn hätten bestehen können. Die Kläger könnten ferner nicht die Gebühr von 300,00 € für die Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung zurückverlangen, da diese nicht auf einer Allgemeinen Geschäftsbedingung der Beklagten beruht habe. Wegen des Sach- und Streitstandes in erster Instanz, der vom Landgericht festgestellten Tatsachen und der Begründung im Einzelnen wird auf das Urteil verwiesen (Bl. 122-129 d.A.).

Gegen die am 22.04.2015 zugestellte Entscheidung haben die Kläger am 05.05.2015 Berufung eingelegt und das Rechtsmittel zugleich begründet. Das Widerrufsrecht sei nicht verwirkt gewesen. Die Widerrufsbelehrungen seien aus dem vom Landgericht angeführten Grund wegen der unklaren Angabe der Fristdauer „zwei Wochen (ein Monat)1“ unwirksam Die Gebühr für die Vorfälligkeitsberechnung sei unzulässig gewesen, so dass zumindest insoweit der Klage stattgegeben werden müsse.

Die Kläger beantragen,

unter Abänderung des am 19.03.2015 verkündeten Urteils des Landgerichts Gießen, Az.: 4 O 395/14 die Beklagte zu verurteilen, an sie (Kläger) 42.850 € zzgl. 5 Prozentpunkte Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit dem 01.09.2012 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte wiederholt ihre Auffassung, dass eine Fehlvorstellung bei den Klägern über den Beginn der Widerrufsfrist nicht habe aufkommen können. Sie hätten mit den Widerrufsbelehrungen sogleich die allseits unterzeichneten Vertragsurkunden erhalten. Aus ihrer Sicht habe es somit für den Fristbeginn nur auf den jeweils ihnen ausgehändigten Vertrag ankommen können, während die als Teil eines vorformulierten Textbausteins enthaltende Variante des Erhalts eines Vertragsantrags offensichtlich auf andere Fälle gezielt haben. Nicht zu folgen sei der erstinstanzlichen Auffassung der Kläger, Kausalitätsgesichtspunkte müssten unberücksichtigt bleiben, es komme nicht auf die Umstände des Einzelfalls, sondern allein auf den Text die Widerrufsbelehrung an. Bezüglich des Einwands der Verwirkung sei das Umstandsmoment gegeben. Sie habe sich auf die Nichtausübung des Widerrufsrechts eingerichtet, indem sie auf ein Vorfälligkeitsentgelt in Höhe von fast 10.000 € gegenüber den Klägern verzichtet habe. Die Ausübung des Widerrufsrechts stelle sich auch deshalb als unzulässige Rechtsausübung dar, weil die Kläger zum Zeitpunkt der Darlehensvertragsabschlüsse als Versicherungsvermittler tätig gewesen seien und sie deshalb die spezielle berufliche Sachkunde gehabt hätten, dass ein Widerrufsrecht bestehe und welche Voraussetzungen nach § 8 VVG 2008 einzuhalten seien.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivortrages wird auf die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

II.

Die Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.

Den Klägern steht ein Anspruch auf Rückgewähr der Vorfälligkeitsentschädigung gemäß §§ 495 Abs. 1, 357 Abs. 1 S. 1, 346 Abs. 1 BGB in der zum Zeitpunkt der Darlehensvertragsschlüsse geltenden Fassung zu.

Die Widerrufsfrist von zwei Wochen war bei Erklärung des Widerrufs nicht abgelaufen, da der Lauf der Frist mangels ordnungsgemäßer Belehrung noch nicht begonnen hatte (dazu § 355 Abs. 2 BGB).

Die Vorfälligkeitsentschädigung hat ihren Rechtsgrund auch nicht in einer der Ablösung der Darlehen zugrunde liegenden Vereinbarung. Soweit dabei abgesprochen wurde, dass die Kläger die Entschädigung zahlen, handelte es sich nur um die Bestätigung der nach den Darlehensverträgen geschuldeten Zahlung. Die Parteien wollten nicht mit einer Ablösungsvereinbarung einen Anspruch der Beklagten auf die Vorfälligkeitsentschädigung erst begründen, sondern setzten einen solchen darlehensvertraglichen Anspruch gerade voraus. Dies wird auch darin deutlich, dass sich die Beklagte nach ihrem Vortrag mit einer Herabsetzung der Entschädigung, die sie an sich nach ihrer Auffassung gemäß den Darlehensverträgen hätte beanspruchen können, um nahezu 10.000 € einverstanden erklärte (vgl. auch OLG Brandenburg, Urt. v. 17.10.2012 – 4 U 194/11 – ; OLG Köln, Urt. v. 08.06.2016 – 13 U 23/16 bei Juris Rz. 19).

Das Widerrufsrecht ist nicht durch die einvernehmliche Ablösung der Darlehen erloschen, da – wie nachfolgend ausgeführt wird – die Widerrufsbelehrung fehlerhaft war (hierzu BGH, Urt. v. 16.10.2013 – IV ZR 52/12 = NJW 2013, 3776, 3778 Tz. 29; Palandt/Grüneberg, BGB, 75. Aufl., § 355 Rdn. 2).

Die Widerrufsbelehrungen sind fehlerhaft. Sie klären den Verbraucher zum einen über den Beginn des Fristlaufs nicht genügend deutlich auf, weil sie nicht besagen, dass dem Verbraucher dessen eigener Vertragsantrag bzw. eine Abschrift davon übergeben worden sein muss. Einen schriftlichen Vertragsantrag der Kläger gab es zwar nicht, so dass der Fristbeginn nicht von der Übergabe eines solchen Schriftstücks abhängen konnte. Ob der Fehler der Belehrung sich tatsächlich ausgewirkt hat, ist insofern aber nicht erheblich (BGH Urt. v. 23.06.2009 – XI ZR 156/08 = NJW 2009, 3020, 3022 Tz. 25; v. 12.07.2016 – XI ZR 564/15 – Juris Rz. 26). Zum anderen belassen die von der Beklagten verwendeten Belehrungen Zweifel, ob die Widerrufsfrist zwei Wochen oder einen Monat beträgt. Auch unter Zuhilfenahme der Fußnote 1 wird dem durchschnittlichen Verbraucher nicht ausreichend klar, welche Frist für ihn im Einzelfall maßgeblich ist.

Der Beklagten kommt nicht der Vertrauensschutz nach § 14 BGB-InfoV zustatten. Die verwendeten Widerrufsbelehrungen weichen von dem Muster Anlage 2 zu § 14 Abs. 1 und 3 BGB-InfoV ab, weil als Widerrufsfrist nicht entweder zwei Wochen oder einem Monat, sondern beide Fristen angegeben worden sind.

Die Berufung der Kläger auf das Widerrufsrecht ist nicht rechtmissbräuchlich. Rechtmissbräuchlich ist die Ausübung eines Rechts, das auf einem geringfügigen, im Ergebnis folgenlos gebliebenen Verstoß der Gegenpartei beruht, an den aber weitreichende, eindeutig unangemessene Rechtsfolgen geknüpft werden (Palandt/Grüneberg, § 242 Rdn. 53). Allerdings hat sich die ungenaue Belehrung über den Beginn der Widerrufsfrist (fehlende Angabe, dass dem Verbraucher sein Darlehensantrag oder eine Abschrift davon übergeben worden sein muss) nicht ausgewirkt. Den Klägern war klar, dass in ihrem Fall bereits die Übergabe des Darlehensvertrages oder einer Abschrift davon die Widerrufsfrist beginnen ließ. Auch die nicht zweifelsfreie Belehrung über die Länge der Widerrufsfrist konnte allenfalls dazu führen, dass die Kläger von einer einmonatigen Frist ausgingen. Jedoch ist der Widerruf der Vertragserklärungen und damit der Wegfall der Darlehensverträge keine weitreichende, eindeutig unangemessene Rechtsfolge. Die Beklagte verliert dadurch nur einen Teil der Nutzungen aus der Valutierung der Darlehen. Sie kann nach Rückzahlung der Valuta diesen Betrag anderweitig verzinslich ausleihen.

Die Kläger verhalten sich ferner auch nicht deshalb rechtsmissbräuchlich, weil sie sich auf die Fehlerhaftigkeit der Belehrungen berufen, obwohl sie – wie die Beklagte meint – als Versicherungsvermittler wüssten, wann die Widerrufsfrist beginnt. Nach § 8 VVG in der seinerzeit geltenden Fassung begann die Widerrufsfrist unter anderen Voraussetzungen als die Widerrufsfrist bei Verbraucherdarlehensverträgen.

Das Recht zum Widerruf ist nicht verwirkt. Die Voraussetzungen der Verwirkung des Widerrufsrechts sind nicht erfüllt. Es fehlt am sog. Umstandsmoment.

Ein Recht ist verwirkt, wenn seit der Möglichkeit der Geltendmachung längere Zeit verstrichen ist (Zeitmoment) und besondere Umstände hinzutreten, die die verspätete Geltendmachung als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen (Umstandsmoment). Letzteres ist der Fall, wenn der Verpflichtete bei objektiver Betrachtung aus dem Verhalten des Berechtigten entnehmen durfte, dass dieser sein Recht nicht mehr geltend machen werde, und sich im Vertrauen auf das Verhalten des Berechtigten in seinen Maßnahmen so eingerichtet hat, dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstünde (z.B. BGH, Urt. v. 23.01.2014 – VII ZR 177/13 = NJW 2014, 1230, 1231 Tz. 13).

Dass das Zeitmoment gegeben ist, hat das Landgericht zu Recht und von der Beklagten in der Berufung unbeanstandet bejaht. Das Umstandsmoment ist jedoch zu verneinen. Soweit das OLG Köln (a. a. O. Rdn. 26) die Rückabwicklung eines Darlehens Jahre nach dessen vollständiger beiderseitiger Erfüllung als einen unzumutbaren Nachteil für die Bank ansieht, weil die Bank bereits Nutzungen durch Wiederanlage dieser Gelder am Kapitalmarkt oder durch anderweitige Ausleihungen als Darlehen erzielt hat, trifft dies für die Zahlung einer Vorfälligkeitsentschädigung nicht ohne weiteres zu. Denn bei der Vorfälligkeitsentschädigung handelt es sich nicht um die Rückzahlung der Darlehensvaluta, sondern um einen Ersatz für Zinsen, die die Bank ansonsten vom Darlehensnehmer im weiteren Verlauf des Darlehensverhältnisses erzielt hätte (§ 502 Abs. 1 Satz 1BGB). Die Beklagte kann jedoch die zurückgezahlte Valuta anderweitig anlegen oder ausleihen und damit Erträge erzielen. Auch der Umstand, dass die Beklagte bei der Vereinbarung der von den Klägern zu zahlenden Vorfälligkeitsentschädigung ihre Ansprüche um nahezu 10.000 € verringert hat, stellt eine schützenswerte Disposition nicht dar. Sie hat dadurch nicht gezahlte Beträge anderweitig verwendet oder auf die Geltendmachung von Ansprüchen gegenüber Dritten verzichtet. Vielmehr ist ihr eine mögliche Einnahme entgangen.

Ein Anspruch der Beklagten auf Zahlung einer Gebühr für die Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung besteht ebenfalls nicht. Die Voraussetzungen der Entstehung einer solchen Gebührenliegen nicht vor, da die Kläger eine Vorfälligkeitsentschädigung aufgrund des Widerrufs der Vertragserklärungen nicht schulden. Die Kläger können deshalb die geleistete Zahlung mangels Rechtsgrundes gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB zurückverlangen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision ist nicht gemäß § 543 ZPO zuzulassen, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert.

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