OLG Frankfurt am Main, 26.10.2016 – 16 U 68/16

März 21, 2019

OLG Frankfurt am Main, 26.10.2016 – 16 U 68/16
Tenor:

Auf die Berufung der Klägerinnen wird das am 14. März 2016 verkündete Urteil des Landgerichts Wiesbaden – 9 O 276/15 – abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerinnen 128.391,62 € nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus je 32.097,91 € seit dem 05. April 2015, 05. Mai 2015 und 05. August 2015 sowie aus 32.097,98 € seit dem 05. Juni 2015 zu zahlen.

Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits – und zwar beide Rechtszüge – zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerinnen Sicherheit in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages leisten.
Gründe

I.

Die Klägerinnen nehmen als Vermieter die Beklagte aus der von dieser übernommenen Bürgschaft auf Zahlung in Anspruch.

Die Klägerinnen als Vermieter und die A GmbH als Mieter schlossen unter dem 28. März 2014/31. März 2014 einen Mietvertrag über Büroräume auf dem Grundstück B Platz in Stadt1. Wegen des genauen Inhalts des Vertrages wird auf die Anlage K 2 Bezug genommen. Die Beklagte übernahm unter dem 13. Mai 2014 eine Bürgschaft über die Verbindlichkeiten der Mieterin. Das Mietverhältnis war durch fristlose Kündigung wegen Zahlungsverzugs gemäß § 543 Abs. 2 Nr. 3 a BGB beendet worden. Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits sind die Mieten für die Monate April, Mai, Juni und Juli 2015 von jeweils 32.097,91 €; das entspricht der Hauptforderung von 128.391,64 €. Die Beklagte wurde mit Schreiben vom 13. August 2015 (Anlage K3) vergeblich zur Zahlung dieses Betrages aufgefordert.

Die Klägerinnen haben die Auffassung vertreten, dass die Bürgschaftsforderung rechtswirksam begründet worden sei.

Sie haben – im Urkundenprozess klagend – beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an die Kläger 128.391,62 € nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus je 32.097,91 € seit dem 05. August 2015, 05. April 2015 und 05. Mai 2015 sowie aus 32.097,89 € seit dem 05. Juni 2015 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat Wirksamkeit des Mietvertrages, die Überlassung der Mietsache und den behaupteten Mietrückstand bestritten und die Auffassung vertreten, dass die zwischen den Mietparteien getroffene Sicherungsabrede jedenfalls unwirksam sei, so dass sie sich auf § 821 BGB berufen könne. Die Unwirksamkeit folge daraus, dass im Zusammenhang mit dem Verzicht auf die Einrede der Aufrechenbarkeit keine Ausnahme für rechtskräftig festgestellte und unstreitige Forderungen vorgesehen worden sei, was zu einer unangemessenen Benachteiligung führe. Entsprechendes gelte auch für den klauselmäßig geforderten Verzicht auf die Hinterlegung und die Einrede der Anfechtbarkeit.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat das Landgericht im Wesentlichen ausgeführt, dass sich die Klägerinnen gemäß §§ 768, 821 BGB die Einrede der ungerechtfertigten Bereicherung entgegenhalten lassen müssten, da die Klausel in § 8 Nr. 2 des Mietvertrages gemäß § 307 Abs. 2 Nr. 1 und 2 BGB unwirksam sei. Denn der Verzicht auf die Einrede der Aufrechenbarkeit sei dort ausnahmslos gefordert, eine Ausnahme für rechtskräftig festgestellte oder anerkannte Forderungen nicht enthalten. Selbst bei Anwendung des blue-pencil-Tests auf die Regelungen in § 8 Nr. 2 Abs. 2 und 4 des Mietvertrages entfielen diese Absätze nicht vollständig, wodurch auch das Recht der Gegenseite entfiele, von der Mieterin als Hauptschuldnerin eine selbstschuldnerische Bürgschaft gemäß den Mustern in Anlage 9 zu fordern.

Hinsichtlich weiterer Einzelheiten des Sachverhalts und die Entscheidungsgründe wird auf den Tatbestand und die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils (Bl. 99 – 103 d.A.) Bezug genommen.

Gegen das ihnen am 17. März 2016 zugestellte Urteil haben die Klägerinnen mit einer am 06. April 2016 bei Gericht eingegangenen Schrift Berufung eingelegt, die mit einer am 17. Mai 2016 bei Gericht eingegangenen Schrift begründet worden ist.

Die Klägerinnen rügen Rechtsfehler und sind der Auffassung, die Bezugnahme auf Anlage 9 des Mietvertrages in § 8 Nr. 2 Abs. 3 des Mietvertrages genüge, weil dort ausdrücklich auf die Ausnahme hingewiesen werde, dass die Gegenforderung des Hauptschuldners nicht unbestritten oder rechtskräftig festgestellt worden ist. Es fehle deshalb an einer unangemessenen Benachteiligung des Mieters oder der Bürgin. Selbst bei unterstelltem Verstoß gegen § 307 Abs. 1 und 2 BGB könne nicht von einer Unwirksamkeit der gesamten Regelung ausgegangen werden, da – wie auch das Kammergericht Berlin in MDR 2006, 1158 [KG Berlin 09.01.2006 – 8 U 86/05] entschieden habe – keine Gesamtnichtigkeit anzunehmen sei, weil der als wirksam anzusehende Teil im Gesamtgefüge des Vertrages durchaus sinnvoll bleibe.

Die Klägerinnen beantragen,

unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Wiesbaden vom 14. März 2016 – 9 O 276/15 – die Beklagte zu verurteilen, an sie 128.391,62 € nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus je 32.097,91 € seit dem 05. August 2015, 05. April 2015 und 05. Mai 2015 sowie aus 32.097,89 € seit dem 05. Juni 2015 zu zahlen.

Die Beklagten beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagten sind der Auffassung, dass die Regelungen in § 8 Nr. 2 Abs. 3 des Mietvertrages einerseits und der Anlage 9 andererseits gegen die Unklarheitenregel verstießen. Auch führe der Verzicht auf die Einrede der Anfechtbarkeit zu einer unangemessenen Benachteiligung, weil auch die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung ausgeschlossene werde. Ebenfalls sei der Verzicht auf das Recht der Hinterlegung unangemessen, da vom gesetzlichen Leitbild in § 232 BGB abgewichen werde. Schließlich läge eine Übersicherung wegen unangemessen hoher Gesamtsicherheit vor, weil keine zeitliche Begrenzung vorgesehen sei, aber eine unbegrenzte Auffüllpflicht neben dem ohnehin gegebenen Vermieterpfandrecht bestehe.

Hinsichtlich weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Die in formeller Hinsicht unbedenkliche Berufung der Klägerinnen hat auch in der Sache Erfolg.

Die Klägerinnen haben gegenüber der Beklagten aufgrund des Bürgschaftsvertrages vom 13. Mai 2014 einen Anspruch auf Zahlung von 128.491,62 € aus § 765 Abs.1 BGB.

Bis zu dieser Höhe hat sich die Beklagte für die Verbindlichkeiten der Mieterin aufgrund des Mietvertrages vom 28./31. März 2014 verbürgt. Die Mietforderungen der Klägerinnen gegen die Mieterin sind für die Monate April bis Juli 2015 fällig. Im Hinblick auf die Höhe des Rückstandes kündigten die Klägerinnen den Mietvertrag gemäß § 564 Abs.2 Nr. 3 BGB und erhoben Räumungsklage.

Der Bürgschaftsvertrag vom 13. Mai 2014 ist auch wirksam zustande gekommen. Die Bürgschaftserklärung ist gemäß Anlage K1 schriftlich, unbefristet und selbstschuldnerisch erfolgt.

Soweit die Erteilung der Bürgschaft unter Verzicht auf die Einrede der Aufrechnung, unter Verzicht auf die Einrede der Anfechtung sowie unter Verzicht auf das Recht der Hinterlegung erfolgt ist, ist das nach Auffassung des Senats rechtlich unbedenklich.

Es handelt sich um eine Individualvereinbarung. Abweichende Regelungen von §§ 770 Abs. 1 und 2 sowie 232 BGB sind erlaubt.

Die Beklagte kann entgegen der Auffassung des Landgerichts der Klageforderung auch nicht gemäß § 768 BGB die der Mieterin als Hauptschuldnerin zustehende Einrede der ungerechtfertigten Bereicherung gemäß § 821 BGB entgegenhalten.

Die Klägerinnen sind nämlich im Verhältnis zur Mieterin nicht in Bezug auf die Sicherung ihrer Ansprüche aus dem Mietverhältnis ungerechtfertigt bereichert.

Nach Auffassung des Senats ist die Klausel in § 8 Nr. 2 des Mietvertrages, bei der es sich unstreitig um eine Allgemeine Geschäftsbedingung handelt, nicht unwirksam gemäß §§ 307 Abs.1 und 2 Nr. 1 und 2 BGB.

Zwar wird dort der Verzicht auf die Einrede der Aufrechenbarkeit gefordert, ohne eine Ausnahme für rechtskräftig festgestellte oder anerkannte Forderungen vorzusehen.

Eine solche Regelung hält auch grundsätzlich einer AGB-rechtlichen Überprüfung nicht stand. Das ist höchstrichterlich entschieden (vgl. BGH WM 1978, 620; OLG Düsseldorf, NJW-RR 1997, 757).

Im vorliegenden Fall besteht indes eine Besonderheit, die eine abweichende Beurteilung rechtfertigt.

Gemäß § 26 des Mietvertrages ist u.a. die dem Vertrag beigefügte Anlage 9 wesentlicher Bestandteil des Vertrages. Dabei handelt es sich um das „Bürgschaftsmuster Bankbürgschaft“, worauf in § 26 des Mietvertrages ausdrücklich und unmissverständlich hingewiesen wird. In dieser Anlage 9, also dem vorformulierten Muster für die zu erbringende Bürgschaft, wird wiederum ausdrücklich klargestellt, dass die Erteilung der Bürgschaft unter Verzicht auf die Einrede der Aufrechnung zu erfolgen hat, soweit die Gegenforderung des Hauptschuldners nicht unbestritten oder rechtskräftig festgestellt ist. Damit ist nach Auffassung des Senats den Vorgaben des Bundesgerichtshofes hinlänglich Rechnung getragen worden.

Es besteht auch keine Unklarheit oder Widersprüchlichkeit, weil die Regelung in der Anlage 9 klar formuliert ist. Dass in der Bürgschaftserklärung der „A GmbH“ vom 28. März 2014 (Anlage 8 zum Mietvertrag) die Einschränkung fehlt, ist ohne Belang, weil es im vorliegenden Fall ausschließlich um die Bürgschaftserklärung der Beklagten geht, die wie eine Bankbürgschaft entsprechend Anlage 9 zu fassen war und sich deshalb an den Vorgaben der Anlage 9 zu orientieren hatte, worauf auch nochmals unter § 8 Nr. 2 des Mietvertrages hingewiesen wird.

Zu beanstanden ist auch nicht der Ausschluss des Rechts des Hauptschuldners, das seiner Verbindlichkeit zugrunde liegende Rechtsgeschäft anzufechten, obwohl damit auch eine Anfechtung wegen arglistiger Täuschung ausgeschlossen ist.

Ein solcher Ausschluss ist regelmäßig wirksam (vgl. Palandt-Grüneberg, BGB, 76. Aufl., § 307 Rdnr. 79). Es gibt allerdings Ausnahmefälle, die mit dem vorliegenden Fall nicht zu vergleichen sind.

So hat der Bundesgerichtshof (Urt. v. 17.01.2007, VIII ZR 37/06, Urt. v. 21.09.2011, XI ZR 38/09, zitiert nach juris) eine Unwirksamkeit für den Fall angenommen, dass die Täuschung von dem Geschäftspartner selbst oder von einer Person verübt worden ist, die nicht Dritter i.S.d. § 123 Abs.2 BGB ist. Und dem Urteil des BGH vom 16.06.2009 (XI ZR 145/08, zitiert nach juris) lag der Fall zugrunde, dass der Bürge auf sämtliche Einreden des § 768 BGB verzichtet hatte. Solle Fälle sind vorliegend nicht gegeben. Der Fall ist auch nicht vergleichbar mit dem der Entscheidung des OLG München (Urt. v. 03.06.2014, 9 U 3403/13) zugrunde liegenden Sachverhalt, bei dem neben dem Verzicht auf die Rechte aus § 770 Abs.1 und 2 BGB auch ein Verzicht auf die Rechte aus § 776 BGB gegeben war.

Weiterhin beruft sich die Beklagte ohne Erfolg auf eine Unwirksamkeit des Verzichts auf das Recht der Hinterlegung. Die Regeln über die Art und Weise der Sicherheitsleistung gemäß § 232 ff. BGB sind dispositiv (vgl. Palandt – Ellenberger, BGB, aaO, Überblick vor § 232, Rdnr. 2).

Schließlich liegt auch kein Fall der Übersicherung wegen einer unangemessen hohen Gesamtsicherheit vor. Ohne Erfolg macht die Beklagte geltend, dass das Sicherungskonzept in § 8 des Mietvertrages den tolerierbaren Rahmen einer angemessenen Sicherheit weit übersteige, da in § 8 Nr. 1 des Mietvertrages die zeitlich und betragsmäßig unbegrenzte Bürgschaft eines Dritten, in § 8 Nr.2 des Mietvertrages die weitere Bürgschaft eines anderen Dritten in Höhe von vier Monatsraten und in § 8 Nr. 2 Abs.4 des Mietvertrages die unbegrenzt revolvierende Auffüllpflicht nach Inanspruchnahme der zweiten Bürgschaft geregelt worden sei.

Der Senat vermag darin keine Übersicherung zu sehen, die die Annahme einer unangemessenen Benachteiligung des Mieters rechtfertigt.

Zu berücksichtigen ist zum Einen, dass es sich bei der gemäß § 8 Nr. 1 des Mietvertrages geregelten Bürgschaft um die Bürgschaft einer GmbH handelt, sodass die Inanspruchnahme auf die Höhe des Stammkapitals, also 25.000,- € beschränkt ist, was nicht einmal der Höhe einer Monatsmiete entspricht. Auch bezieht sich die Bürgschaft der Beklagten, die auf § 8 Nr. 2 des Mietvertrages fußt, nur auf vier Bruttomonatsmieten, wobei diese bei Erfüllung sämtlicher Zahlungsverpflichtungen auch auf drei reduziert werden konnte.

Da es sich um gewerbliche Vermietung handelte, stellt § 551 BGB keinen Maßstab dar, da diese Vorschrift nur für Mietverhältnisse über Wohnraum gilt. Auch die Auffüllpflicht ist nicht zu beanstanden, da sie einerseits mit der Höhe der in Anspruch genommenen Sicherheit korrespondiert und damit dem berechtigten Interesse des Vermieters Rechnung trägt, andererseits aber bei einer unberechtigten Inanspruchnahme des Bürgen entfällt. Und das Vermieterpfandrecht als weiteres Sicherungsinstrument ist nur bei einer entsprechenden Werthaltigkeit der eingebrachten Sachen des Mieters effektiv.

Der Zinsanspruch ist gemäß §§ 579 Abs. 2, 556 b Abs. 1 BGB i.V.m. § 288 Abs. 2 BGB gerechtfertigt. Die Beklagte hat im Bürgschaftsvertrag auch die Zahlung von Zinsen übernommen. Ferner handelt es sich bei der Forderung der Klägerinnen gegenüber der Bürgin, sobald Zahlung geltend gemacht wird, um eine Entgeltforderung im Sinne des § 288 Abs.2 BGB.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs.1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 711, 709 ZPO.

Die Revision war nicht gemäß § 543 Abs.2 ZPO zuzulassen, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts nicht erfordert. Die Entscheidung beruht auf der Anwendung höchstrichterlicher und obergerichtlicher Rechtsprechung.

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