OLG Hamm, Beschl. v. 13.04.2018 – 10 W 89/17 Rechtsfolgen der Teilausschlagung der Erbschaft durch einen Miterben bei einer Mehrheit von „Erbeserben“

September 16, 2018

OLG Hamm, Beschl. v. 13.04.2018 – 10 W 89/17

Rechtsfolgen der Teilausschlagung der Erbschaft durch einen Miterben bei einer Mehrheit von „Erbeserben“

(AG Bochum, Beschl. v. 30.05.2017 – 20a VI 64/17)

Gründe:

Der 1962 geborene und 2015 in Bochum verstorbene Erblasser U hatte ein Kind, die 1999 geborene Beteiligten zu 1. Von der Mutter der Beteiligten zu 1., Frau N1, war der Erblasser zum Zeitpunkt des Erbfalls rechtskräftig geschieden.

Die Eltern des Erblassers U1 und U2 verstarben nach dem Erbfall, sein Vater U1 2015 und seine Mutter U2 2016. Beide Elternteile hinterließen kein Testament und wurden im Wege der gesetzlichen Erbfolge beerbt. Die Eltern des Erblassers hatten neben dem Erblasser noch ein weiteres Kind, die Schwester des Erblassers U3.

Der Erblasser verfasste unter dem 04.09.2011 ein privatschriftliches Testament. In diesem setzte er seine Schwester zur alleinigen Erbin ein. Weiter bestimmte er: „Meine Tochter N soll – wenn es rechtlich möglich sein sollte – auch den Pflichtteil erst nach ihrer Volljährigkeit ausgezahlt bekommen“. Das Testament wurde vom Nachlassgericht am 15.09.2015 eröffnet.

Zum Nachlass des Erblassers gehörten ein 3-Familienhaus in Bochum sowie verschiedene Pkw und zahlreiche Verbindlichkeiten. Mit Beschluss vom 23.09.2015 ordnete das Nachlassgericht eine Nachlasspflegschaft an und bestellte den Beteiligten zu 2. zum Nachlasspfleger.

Auf Antrag des Beteiligten zu 2. eröffnete das AG Bochum zum AZ: 80 IN 931/15 wegen drohender Zahlungsunfähigkeit am 23.12.2015 ein Insolvenzverfahren über den Nachlass.

Nach dem Erbfall schlugen die die Schwester des Erblassers sowie ihre beiden Kinder U3a und U3b mit Erklärung vom 08.09.2015 gegenüber dem Nachlassgericht die Erbschaft nach dem Erblasser aus allen Berufungsgründen aus.

Mit Erklärung vom 23.09.2015 gegenüber dem Nachlassgericht schlug die Mutter der Beteiligten zu 1., Frau N1, als deren alleinige Sorgeberechtigte die Erbschaft für die damals noch minderjährige Beteiligte zu 1. aus allen Berufungsgründen aus. Eine Genehmigung der Ausschlagungserklärung durch das Familiengericht erfolgte in der Folgezeit nicht.

Am 21.01.2016 erschienen die Mutter des Erblassers und seine Schwester vor dem Nachlassgericht. Die Mutter U2 schlug die Erbschaft nach ihrem Sohn aus allen Berufungsgründen aus. Beide schlugen als gesetzliche Erben des 2015 verstorbenen U1 für diesen die Erbschaft nach dem Erblasser aus.

Mit Erklärung vom 02.02.2016 gegenüber dem Nachlassgericht schlug die Mutter der Beteiligten zu 1., Frau N1, für ihre Tochter als deren alleinige Sorgeberechtigte den Erbteil des Erblassers im Nachlass des U1 aus allen Berufungsgründen aus. Auch eine Genehmigung dieser Ausschlagungserklärung durch das Familiengericht erfolgte in der Folgezeit nicht.

Nach Durchführung des Insolvenzverfahrens stellte sich heraus, dass alle Nachlassverbindlichkeiten und Verfahrenskosten vollständig befriedigt werden konnten und darüber hinaus zu Gunsten der noch unbekannten Erben ein Überschuss im Nachlass verbleibt (vgl. Sachstandsmitteilung des Insolvenzverwalters vom 14.11.2016). Zurzeit soll ein Betrag von 47.196,09 € für die noch unbekannten Erben beim AG Bochum hinterlegt sein.

Im November 2016 nahm die Kindesmutter ihre Anträge auf Genehmigung der Ausschlagungserklärungen gegenüber dem Familiengericht zurück. Am 12.01.2017 erklärte die Mutter der Beteiligten zu 1., N1, als deren alleinige Sorgeberechtigte für die damals noch minderjährige Beteiligte zu 1. gegenüber dem Nachlassgericht die Anfechtung der Ausschlagungserklärungen vom 23.09.2015 und 02.02.2016. Sie begründete dies damit, dass ihr bisher nicht bewusst gewesen sei, dass der Nachlass des Erblassers nicht überschuldet sei und ihr dies erst im November 2016 bekannt geworden sei.

Am 24.01.2017 hat die Mutter der Beteiligten zu 1., Frau N1, als alleinige Sorgeberechtigte der damals noch minderjährigen Beteiligte zu 1. einen Antrag auf Erteilung eines Erbscheins gestellt, der die Beteiligte zu 1. als Alleinerbin nach ihrem Vater ausweist.

Mit Beschluss vom 30.05.2017 hat das Nachlassgericht den Antrag der Beteiligten zu 1. zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Beteiligte zu 1. sei nicht Erbin nach dem Erblasser geworden. Die Auslegung des Testaments vom 04.09.2011 ergebe den Willen des Erblassers, seine Tochter unabhängig von der zuvor erfolgten Erbeinsetzung seiner Schwester zu enterben. Wegen der weiteren Begründung wird auf die angefochtenen Entscheidung verwiesen.

Hiergegen hat die Beteiligte zu 1. form- und fristgerecht Beschwerde eingelegt.

Sie vertritt unter Aufrechterhaltung ihres Erbscheinsantrags weiter die Auffassung, dass dem vorliegenden Testament kein Wille des Erblassers, sie auch von der gesetzlichen Erbfolge auszuschließen, zu entnehmen sei. Auf die Beschwerdeschrift vom 06.06.2017 wird Bezug genommen.

Mit Beschluss vom 09.06.2017 hat das Nachlassgericht der Beschwerde nicht abgeholfen und sie dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.

Die Beschwerde der Beteiligten zu 1. ist gem. §§ 58 ff. FamFG zulässig und in der Sache begründet. Die Voraussetzungen für den Erbscheinsantrag sind gegeben.

Die Beteiligte zu 1. hat den Erblasser allein beerbt. Dementsprechend waren die Tatsachen, die zur Feststellung des Erbscheinantrags vom 24.01.2017 erforderlich sind, für festgestellt zu erachten, § 352e Abs. 1 FamFG.

Die Erbfolge nach dem Erblasser folgt nicht aus seinem privatschriftlichen Testament vom 04.09.2011. Die in diesem Testament als Alleinerbin eingesetzte Schwester U3 hat den Erblasser nicht beerbt, weil sie mit Erklärung gegenüber dem Nachlassgericht vom 08.09.2015 die Erbschaft aus allen Berufungsgründen rechtswirksam gem. §§ 1944 ff BGB ausgeschlagen hat. Damit gilt der Anfall der Erbschaft gem. § 1953 Abs. 1 BGB als nicht erfolgt. Auch ist die Erbschaft nicht ihren Abkömmlingen als mögliche testamentarische Ersatzerben angefallen, weil auch die Kinder der Schwester des Erblassers, U3a und U3b, am selben Tag die Erbausschlagung rechtswirksam aus allen Berufungsgründen gegenüber dem Nachlassgericht erklärt haben.

Die Erbfolge nach dem Erblasser bestimmt sich nach den Grundsätzen der gesetzlichen Erbfolge. Danach ist die Beteiligte zu 1. Alleinerbin des Erblassers geworden.

a) Es spricht bereits viel dafür, dass die Beteiligte zu 1. ihren Vater als einziges Kind gem. 1924 Abs. 1 BGB (gesetzliche Erbfolge I. Ordnung) allein beerbt hat.

Dem steht nicht entgegen, dass die Mutter der damals noch minderjährigen Beteiligten zu 1. für diese am 23.09.2015 gegenüber dem Nachlassgericht die Erbschaft nach dem Erblasser aus allen Berufungsgründen ausgeschlagen hat. Diese Erklärung der zum damaligen Zeitpunkt allein sorgeberechtigten Frau N1 bedurfte gem. §§ 1629 13, 1643 Abs. 2 Satz 1 BGB für ihre Wirksamkeit der Genehmigung durch das Familiengericht, die in der Folgezeit nicht erfolgt ist. Der beim Familiengericht gestellte Antrag auf Genehmigung ist im November 2016 zurückgenommen worden. Die Beteiligte zu 1. hat die Ausschlagungserklärung auch nach Eintritt in die Volljährigkeit nicht selbst genehmigt, §§ 1645 Abs. 3, 1829 Abs. 3 BGB. Vielmehr hat sie den von ihrer Mutter für sie gestellten Erbscheinsantrag vom 24.01.2017 weiter verfolgt, mit der Folge, dass die Ausschlagungserklärung nicht rechtswirksam geworden ist.

Eine Erbfolge des Beteiligten zu 1. gem. § 1924 Abs. 1 BGB ist – wie das Nachlassgericht zutreffend in dem angefochtenen Beschluss ausgeführt hat – nur dann ausgeschlossen, wenn der Erblasser die Beteiligte zu 1. durch sein Testament vom 04.09.2011 rechtswirksam enterbt hat. Eine solche Enterbung könnte in dem 2. Satz des o.g. Testaments gesehen werden, wonach seine „Tochter U – wenn es rechtlich möglich sein sollte – auch den Pflichtteil erst nach ihrer Volljährigkeit ausgezahlt bekommen“ sollte. Allerdings erscheint es fraglich, ob der Erblasser mit dieser Bestimmung seine Tochter nicht nur für den im Testament vorgesehenen Fall, dass seine Schwester ihn allein beerbt, enterben wollte, sondern auch dann, wenn – wie hier – infolge von Erbausschlagungen die gesetzliche Erbfolge zum Zuge kommt. Die Beantwortung dieser Frage kann aber letztendlich dahinstehen, weil die Beteiligte zu 1. auch dann Alleinerbin des Erblassers geworden ist, falls das o.g. Testament so zu verstehen ist, dass ihr Vater sie auch in diesem Fall enterben wollte.

b) Die Beteiligte zu 1. ist auch dann Alleinerbin ihres Vaters geworden, wenn die o.g. Anordnung im Testament so zu verstehen ist, dass sie als gesetzliche Erbin ihres Vaters gem. 1924 Abs. 1 BGB umfassend enterbt sein sollte. Denn in diesem Fall hat sie ihren Vater als Erbin ihres Großvaters U1 nach der gesetzlichen Erbfolge II. Ordnung, § 1925 BGB, allein beerbt.

Neben der Beteiligten zu 1. gibt es keine weiteren gesetzlichen Erben I. Ordnung und auch keine gem. § 1931 BGB erbberechtigte Ehefrau. Damit richtet sich die Erbfolge dann nach § 1925 BGB. Gesetzliche Erben der II. Ordnung waren die zum Zeitpunkt des Erbfalls noch lebenden Eltern des Erblassers, U1 und U2.

aa) Die Mutter U2 scheidet als Erbin ihres Sohnes gem. 1953 Abs. 1 BGB aus der Erfolge aus. Sie hat mit Erklärung gegenüber dem Nachlassgericht vom 21.01.2016 die Erbschaft aus allen Berufungsgründen ausgeschlagen. Diese Erklärung ist gem. §§ 1944 ff. BGB rechtswirksam. Insbesondere erfolgte sie innerhalb der Sechs-Wochen-Frist des § 1944 Abs. 1 BGB. Das Nachlassgericht hat Frau U2 erst mit Schreiben vom 14.01.2016 über eine mögliche gesetzliche Erbfolge aufgrund der zuvor erfolgten Erbausschlagungen informiert.

bb) Der Vater U1 ist 2015 verstorben und hat zu Lebzeiten die Erbschaft nach seinem Sohn nicht ausgeschlagen. Da er kein Testament hinterlassen hat, wurde er in gesetzlicher Erbfolge gem. § 1924, 1931 BGB von seiner Ehefrau zu einem Erbanteil von 1/2, seiner Tochter U3 und seiner Enkelin, der Beteiligten zu 1., zu einem zu einem Erbanteil von jeweils 1/4 beerbt.

Das Recht zur Erbausschlagung ist vererblich, § 1952 Abs. 1. Damit konnte es gem. § 1952 Abs. 3 BGB von jedem seiner Miterben seinem Erbteil entsprechend ausgeübt werden. Das Nachlassgericht hat Frau U2 mit Schreiben vom 14.01.2016 über eine mögliche gesetzliche Erbfolge des nachverstorbenen Ehemannes informiert. Mit Erklärung vom 21.01.2016 hat Frau U2 die ihrem Ehemann angefallene Erbschaft innerhalb der Frist des § 1944 I BGB rechtswirksam ausgeschlagen. Die weitere Miterbin U3 hat bereits mit Erklärung vom 08.09.2015 gegenüber dem Nachlassgericht die Erbschaft nach dem Erblasser aus allen Berufungsgründen ausgeschlagen.

Zusätzlich hat sie am 21.01.2016 auch die ihrem Vater angefallene Erbschaft ausdrücklich ausgeschlagen.

Damit sind diese beiden Miterbinnen des U1 aus der Erfolge nach dem Erblasser U gem. §§ 1952 Abs. 3, 1953 Abs. 1 BGB ausgeschieden. Es verbleibt als weitere Miterbin des U1 nur noch die Beteiligte zu 1., die als einzige den Erbanteil nach ihrem Großvater nicht rechtswirksam ausgeschlagen hat.

Dem steht nicht die von ihrer Mutter, Frau N1, am 02.02.2016 gegenüber dem Nachlassgericht abgegebene Erklärung entgegen. Zwar hat die Frau N1 im Namen ihrer Tochter die Erbschaft als Miterbin nach U1 aus allen Berufungsgründen ausgeschlagen. Diese Erklärung der zum damaligen Zeitpunkt allein sorgeberechtigten Mutter der Beteiligten zu 1. bedurfte aber gem. §§ 1629 Satz 12, 1643 Abs. 2 Satz 1 BGB für ihre Wirksamkeit noch der Genehmigung durch das Familiengericht. Eine solche Genehmigung ist in der Folgezeit nicht erfolgt. Der beim Familiengericht gestellte Antrag auf Genehmigung ist im November 2016 zurückgenommen worden. Die Beteiligte zu 1. hat die Ausschlagungserklärung auch nicht nach Eintritt in die Volljährigkeit genehmigt, § 1829 Abs. 3 BGB, sondern den von ihrer Mutter für sie gestellten Erbscheinsantrag vom 24.01.2017 weiter verfolgt. Auf die am 12.01.2017 zusätzlich von der Mutter der Beteiligten zu 1. erklärte Anfechtung der bereits rechtsunwirksamen Ausschlagungserklärung kommt es deshalb nicht mehr an.

Die Beteiligte zu 1. hat den Erblasser als gesetzliche Erbin des nachverstorbenen U1 gem. § 1925 Abs. 1 BGB allein beerbt. Die ausgeschlagenen Erbanteile der übrigen Miterbinnen nach U1 sind nach deren rechtswirksamen Teilausschlagungen gem. § 1952 Abs. 3 BGB der Beteiligte zu 1. angewachsen, mit der Folge, dass sie nunmehr alleinige gesetzliche Erbin ihres Vaters geworden ist.

Es ist anerkannt, dass die Teilausschlagungen der weiteren Miterbeserben zur Anwachsung ihrer Erbanteile bei dem annehmenden Erbeserben führt (vgl. Bamberger/Roth/Siegmann/Höger, 3. Aufl., § 1952 BGB Rn. 7; juris-PK/Hönninger, 8.Aufl., § 1952 BGB Rn. 4; MünchKomm/Leipold, 7.Aufl., § 1952 BGB Rn. 17 m.w.N.). Danach ist der Erblasser hier gem. § 1925 Abs. 1 BGB von der Beteiligten zu 1. allein beerbt worden, die als einzige Miterbin nach ihrem Großvater den Erbteil nicht gem. § 1952 Abs. 3 BGB ausgeschlagen hat.

 

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