OLG Karlsruhe, Beschl. v. 27.02.2018 – 14 W 113/16 (Wx)
Keine Erhöhung des Ehegattenerbteils bei türkischem Erblasser mit letztem gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland nach § 1371 Absatz 1 BGB bei einer Errungenschaftsbeteiligung nach türkischem Recht
(AG Villingen-Schwenningen, Beschl. v. 04.07.2016 – II NG 294/2015)
Gründe:
Seit 02.03.2010 waren der Erblasser und die Beteiligte als Miteigentümer einer Immobilie in Deutschland im Grundbuch zu jeweils 1/2 eingetragen.
Die Beteiligte hat einen Erbschein beantragt, wonach für den in Deutschland belegenen Grundbesitz sie selbst Erbin zu 1/2 und die Kinder Erben zu je 1/4 und für den restlichen Nachlass sie selbst Erbin zu 1/4 und die Kinder Erben zu je 3/8 geworden sind.
Das Nachlassgericht hat den Antrag zurückgewiesen. Die Erbquote der Beteiligten für das in Deutschland belegene Grundvermögen betrage nicht 1/2, sondern nur 1/4. Die Regelung des § 1371 Abs. 1 BGB sei nicht anwendbar, so dass es nicht zu einer Erhöhung des der Beteiligten nach § 1931 Abs. 1 BGB zustehenden gesetzlichen Erbteils von 1/4 komme.
Gegen diese Entscheidung hat die Antragstellerin Beschwerde eingelegt.
Der Senat hat durch Beschluss vom 17.11.2016 zur Frage der Anwendbarkeit von Art. 15 Abs. 2 des IPR-Gesetzes der Türkei Nr. 5718 vom 27.11.2007 (im Folgenden: TIPRG) und dazu, ob sich aus der Regelung nach türkischem Rechtsverständnis eine Rückverweisung auf § 1371 Abs. 1 BGB ergibt, ein Rechtsgutachten eingeholt.
„Die erbrechtlichen Verhältnisse in Ansehung des beweglichen Nachlasses bestimmen sich nach den Gesetzen des Landes, dem der Erblasser zur Zeit seines Todes angehörte.
Die erbrechtlichen Verhältnisse in Ansehung des unbeweglichen Nachlasses bestimmen sich nach den Gesetzen des Landes, in dem dieser Nachlass liegt, und zwar in der gleichen Weise, wie wenn der Erblasser zur Zeit seines Todes Angehöriger dieses Landes gewesen wäre.“
Hieraus folgt, dass vorliegend für den beweglichen Nachlass türkisches Erbrecht gilt, weil der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes türkischer Staatsangehöriger war, und für den unbeweglichen Nachlass in Deutschland deutsches Erbrecht gilt.
Nach den Regelungen des deutschen Erbrechts erbt der überlebende Ehegatte 1/4 neben Erben der ersten Ordnung, die hier mit den Kindern vorhanden sind (§ 1931 Abs. 1 Satz 1 BGB). Der restliche Nachlass von 3/4 geht je zur Hälfte an diese (§§ 1924, 1927 BGB). Einen solchen Antrag hat die Beteiligte nicht gestellt, auch nicht hilfsweise.
Dies ist hier aber nicht der Fall. Die Eheleute lebten im Güterstand der Errungenschaftsbeteiligung nach Art. 218 ff. des Zivilgesetzbuchs der Türkei vom 01.01.2002 (TZGB). Dieses ist vorliegend anzuwenden. Nach Art. 15 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 Nr. 1 EGBGB ist für die güterrechtlichen Wirkungen der Ehe zwischen dem Erblasser und der Beteiligten das Recht der Türkei maßgeblich ist, weil beide Eheleute die türkische Staatsangehörigkeit hatten und eine Rechtswahl gem. Art. 15 Abs. 2 EGBGB nicht getroffen haben. Nachdem die Eheleute keine Wahl des Güterstandes getroffen haben, gilt für sie der gesetzliche Güterstand nach Art. 218 ff. TZGB. Auf die Frage, ob § 1371 Abs. 1 BGB als erbrechtliche oder güterrechtliche Regelung (so inzwischen BGH, Beschl. v. 13.052015 – IV ZB 30/14, zit. n. juris) zu qualifizieren ist, kommt es damit von vornherein nicht an (ebenso OLG Köln, Beschl. v. 11.02.2014 – 2 Wx 245/13, zit. n. juris).
(1) Art. 15 TIPRG ist zwar auf den vorliegenden Sachverhalt anwendbar. Die Vorschrift bestimmt:
Die Ehegatten können hinsichtlich ihres ehelichen Vermögens ausdrücklich das Recht ihres Aufenthalts im Zeitpunkt der Eheschließung oder eines ihrer Heimatrechte im Zeitpunkt der Eheschließung wählen; falls eine solche Wahl nicht getroffen wird, wird hinsichtlich des ehelichen Vermögens das gemeinsame Heimatrecht im Zeitpunkt der Eheschließung und falls ein solches nicht vorhanden ist, das Recht des gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts zur Zeit der Eheschließung und falls auch ein solches fehlt, türkisches Recht angewandt.
Auf die Auseinandersetzung des Vermögens hinsichtlich unbeweglicher Sachen wird das Recht des Landes, in dem sie belegen sind, angewandt.
Ehegatten, die nach der Eheschließung eine neue gemeinsame Staatsangehörigkeit erwerben, können sich unter der Voraussetzung, dass die Rechte Dritter unberührt bleiben, diesem neuen Recht unterstellen.“ (Übersetzung nach dem Rechtsgutachten)
Die Verweisung in Art. 15 Abs. 1, 14 Abs. 1 Nr. 1 EGBGB erfasst Art. 15 TIPRG, denn es handelt sich um eine Gesamtverweisung, also eine Verweisung sowohl auf das türkische Sachrecht als auch auf das türkische Internationale Privatrecht (Art. 4 Abs. 1 Satz 1 EGBGB). Das TIPRG ist vorliegend auch in zeitlicher Hinsicht anwendbar. Zwar wurde die Ehe des Erblassers und der Beteiligten bereits am 15.07.2003, und damit vor dem Inkrafttreten des TIPRG, geschlossen. In entsprechender Anwendung von Art. 1 des Einleitungsgesetzes zum türkischen Zivilgesetzbuch (EinlG TZGB) Nr. 4722 ist bei Dauerrechtsverhältnissen für die allgemeinen Wirkungen der Ehe einschließlich der güterrechtlichen Wirkungen jedoch nicht auf das im Zeitpunkt des Zustandekommens der Ehe geltende Recht abzustellen, sondern auf das Recht, das im Zeitpunkt des Eintritts des für die Beurteilung maßgeblichen Tatbestands gilt (Rechtsgutachten). Dies ist hier der Tod des Erblassers, mit dem der Güterstand der Eheleute beendet wurde. Ob die Regelung nur für Vermögen gilt, das nach dem Inkrafttreten des Gesetzes erworben wurde, kann offen bleiben, denn dies ist hier der Fall.
(2) Trotz seiner Anwendbarkeit von Art. 15 Abs. 2 TIPRG auf den vorliegenden Fall führt dies nicht zur Anwendbarkeit von § 1371 Abs. 1 BGB; denn die Norm enthält keine Verweisung auf § 1371 Abs. 1 BGB (so i. Erg. ohne Einholung eines Rechtsgutachtens auch OLG Köln, a.a.O.; a.A., ebenfalls ohne Einholung eines Rechtsgutachtens, für den Fall des Zugewinnausgleichs im Rahmen eines Scheidungsverfahrens von Eheleuten türkischer Abstammung OLG Bremen, Beschl. v. 07.05.2015 – 4 WF 52/15). Art. 15 Abs. 1 TIPRG ist nämlich nicht als kollisionsrechtliche Norm anzusehen.
Bei der Anwendung ausländischen Rechts hat der deutsche Richter dieses so anzuwenden, wie es der Richter des betreffenden Landes auslegt und anwendet, und nicht eine eigene Interpretation vorzunehmen. Maßgeblich ist daher weder das eigene Normverständnis des Senats, noch das des Gutachters, der Beteiligten oder der deutschen Rechtslehre, sondern das Normverständnis der türkischen Lehre und Rechtsprechung. Wie sich aus dem vom Senat eingeholten Rechtsgutachten ergibt, war die Vorschrift bisher nicht Gegenstand veröffentlichter türkischer Gerichtsentscheidungen.
Die türkischen Rechtslehre legt, soweit sie den Regelungsgehalt der Norm überhaupt thematisiert, Art. 15 Abs. 2 TIPRG dahin aus, dass es sich nicht um eine kollisionsrechtliche Norm handelt. Dort herrscht die Ansicht vor, dass die Norm nicht zu einer Güterrechtsspaltung für bewegliches und unbewegliches Vermögen führt, sondern dass das Güterrechtsstatut einheitlich in Art. 15 Abs. 1 TIPRG geregelt ist, ohne dass zwischen beweglichem und unbeweglichem Vermögen unterschieden wird.
Demzufolge legt die türkische Rechtslehre Art. 15 Abs. 2 TIPRG einschränkend dahin aus, dass sie nicht das für die schuldrechtliche Seite der Auseinandersetzung anwendbare Recht bestimmt, sondern lediglich eine Bestimmung des Rechts trifft, das für die dingliche Seite der Auseinandersetzung des ehelichen Vermögens bei Beendigung des Güterstands gilt, und damit nur eine Bestätigung des Grundsatzes der lex rei sitae darstellt. Die Darstellung im Rechtsgutachten überzeugt, denn sie gibt die einschlägige Literatur und die dort verwendeten Argumente im Einzelnen wieder; darüber hinaus deckt sich die Einschätzung des Rechtsgutachters von dem in der türkischen Rechtslehre herrschenden Normverständnis auch mit der neueren Einschätzung von Rumpf/Odendahl in Bergmann/Ferid/Henrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht (Länderteil Türkei, Stand 24.02.2017, S. 23 f.). Darauf, dass die Beteiligte die Norm anders verstanden wissen möchte, kommt es, wie oben dargelegt, nicht an.
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