OLG München 11 W 1105/90
Nachlaßpfleger für unbekannte Erben – Mehrvertretungszuschlag
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde wird der Kostenfestsetzungsbeschluß des Landgerichts München I vom 18.1.1990 aufgehoben.
Die Kostenfestsetzungsgesuche der Beklagten vom 2.10. und 13.11.1989 werden zurückgewiesen.
Die Beklagten tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Beschwerdegegenstandes beträgt 2.406,31 DM.
Gründe
1 Im vorliegenden Rechtsstreit begehrte die Klägerin, von den unbekannten Erben der im Rubrum näher bezeichneten Erblasserin, gesetzlich vertreten durch den Nachlaßpfleger, die Erfüllung einer Vermächtnisforderung, und zwar die Auflassung einer Eigentumswohnung. Diese Klage wurde mit Endurteil des Landgerichts München I vom 4.7.1989 abgewiesen. Mit Kostenfestsetzungsbeschluß des Landgerichts München I vom 29.8.1989 wurden antragsgemäß zugunsten des (sich selbst vertretenden) Nachlaßpflegers insbesondere jeweils 10/10 Prozeß- und Verhandlungsgebühren, insgesamt 4.069,80 DM, gegen die Klägerin festgesetzt.
2 Mit den ergänzenden Kostenfestsetzungsgesuchen vom 2.10.1989 und 13.11.1989 beantragte der Nachlaßpfleger die Festsetzung von Erhöhungsgebühren nach § 6 Abs. 1 S. 2 BRAGO in Höhe von insgesamt 2.406,31 DM (einschließlich MWSt.). Zur Begründung dieser Gesuche führte er aus, daß am 11.7.1989 zwei Teil-Erbscheine ergangen sein, aus denen sich ergebe, daß die Erbengemeinschaft aus insgesamt 5 Miterben bestehe.
3 Mit Beschluß vom 18.1.1990 setzte die Rechtspflegerin des Landgerichts München I die von der Klägerin „an die 5 Beklagten in Erbengemeinschaft“ (weiter) zu erstattenden Kosten antragsgemäß auf 2.406,31 DM fest. Zur Begründung führte sie aus, daß sich – wenn auch erst nach Beendigung des Rechtsstreits (1. Instanz) – herausgestellt habe, daß der Nachlaßpfleger, der sich als Vertreter der unbekannten Erben selbst vertreten habe, tatsächlich mehrere Personen in derselben Angelegenheit wegen desselben Gegenstandes vertreten haben, so daß die Erhöhungsgebühren angefallen seien.
4 Gegen diesen Beschluß wendet sich die nunmehr als sofortige Beschwerde zu wertende Erinnerung der Klägerin.
5 Die Klägerin ist der Auffassung, daß die festgesetzten Erhöhungsgebühren nicht angefallen seien und bezieht sich hierbei insbesondere auf die Kommentierung bei Gerold/ Schmidt (BRAGO, 10. Aufl., Rdnr. 20 zu § 6). Wegen der näheren Begründung wird auf den Rechtsmittelschriftsatz vom 1.2.1990 sowie den weiteren klägerischen Schriftsatz vom 5.3.1990 Bezug genommen. Verwiesen wird auch auf die Rechtsmittelerwiderung der Beklagten vom 14.2.1990.
6 Die sofortige Beschwerde ist zulässig und begründet.
7 Die Klägerin wendet sich zu Recht gegen die Festsetzung von Erhöhungen nach § 6 Abs. 1 S. 2 BRAGO zugunsten der Beklagten. Derartige Erhöhungen sind auf Seiten der Beklagten während des hier allein maßgeblichen 1. Rechtszuges nicht angefallen und deshalb auch von der Klägerin nicht zu erstatten.
8 Voraussetzung für die Entstehung der erhöhten Prozeßgebühr ist nach § 6 Abs. 1 S 1 BRAGO, daß „der Rechtsanwalt in derselben Angelegenheit für mehrere Auftraggeber“ tätig wird. Erforderlich ist hierbei insbesondere, daß tatsächlich mehrere Auftraggeber vorhanden sind. Entscheidend ist also eine „Mehrheit der Dienstberechtigten“ (vgl. Riedel-Sußbauer, BRAGO, 6. Aufl., Rdnr. 10 zu § 6). Diese mehreren Auftraggeber können auch durch einen (gesetzlichen) Vertreter vertreten sein, der seinerseits im Namen der Vertretenen den Rechtsanwalt beauftragt bzw. – im Fall des § 91 Abs. 2 S. 4 ZPO – selbst als Rechtsanwalt tätig wird.
9 Das Vorhandensein „mehrerer Auftraggeber“ ist im vorliegenden Fall der Nachlaßpflegschaft für die unbekannten Erben zu verneinen. Denn tatsächlich waren während des gesamten erstinstanzlichen Rechtsstreits die (mehreren) Dienstberechtigten nicht festgestellt. Es waren mehrere Personen, die den Rechtsanwalt (ggf. über einen Vertreter) beauftragt hätten oder die jeweils eigene Rechtsanwälte hätten bestellen können, nicht vorhanden, was der Besonderheit der Nachlaßpflegschaft i.S. von § 1960 Abs. 1 S. 2 BGB entspricht. Der Senat befindet sich mit dieser Auffassung in Übereinstimmung mit der in Literatur und Rechtsprechung – soweit ersichtlich – bisher allein vertretenen Ansicht (vgl. OLG Hamburg, JurBüro 1982, 1505 = MDR 1982, 1030; OLG Koblenz, Kostenrechtsprechung, § 6 BRAGO, Nr. 140 (Ls) Gerold/Schmidt, BRAGO, 10. Aufl., Rdnr. 20 zu § 6). Der von den Beklagten zitierte Beschluß des Oberlandesgerichts Köln vom 22.10.1987 (AnwBl. 1988, 251) betrifft nicht den vorliegenden Fall einer Nachlaßpflegschaft für unbekannte Erben, sondern die hier nicht entscheidungserhebliche – und übrigens auch vom Senat bejahte – Frage, ob bei einer (festgestellten) ungeteilten Erbengemeinschaft überhaupt von „mehreren Auftraggebern“ i.S. von § 6 BRAGO gesprochen werden kann (vgl. Senat, MDR 1985, 856 = JurBüro 1985, 1651). Auch die von der Vorinstanz angestellten Erwägungen insbesondere über die materiell-rechtliche Stellung der mehreren in Erbengemeinschaft verbundenen Miterben können die Anwendung des § 6 Abs. 1 S. 2 BRAGO im Streitfall nicht rechtfertigen. Denn entscheidend ist hier nicht, welche Rechte und welche Pflichten der Nachlaßpfleger gegenüber den später ermittelten Erben hat. Vielmehr ist – wie bereits erwähnt – allein maßgebend, ob mehrere Auftraggeber vorhanden waren oder nicht. Hierfür sind allein die tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt des Bestehens des Auftrags maßgeblich. An diesen ändert sich durch die spätere Feststellung einer Erbenmehrheit nichts. Die Verpflichtung und Berechtigung der erst später festgestellten Erben hinsichtlich der vorher vorgenommenen Rechtshandlungen des Nachlaßpflegers beruht auf den besonderen gesetzlichen Regelungen der Rechtswirkungen der Nachlaßpflegschaft. Diese Regelungen rechtfertigt es jedoch nicht, das Bestehen einer Erbenmehrheit bereits zu einem Zeitpunkt anzunehmen, zu dem diese noch nicht festgestellt war. Schließlich ist darauf hinzuweisen, daß die Erhöhungen nach § 6 Abs. 1 S. 2 und 3 BRAGO ihren (gesetzgeberischen) Grund darin finden, daß regelmäßig durch zusätzliche Auftraggeber eine Erhöhung der Arbeitsbelastung und Verantwortung des Rechtsanwalts eintritt (vgl. Gerold/ Schmidt- von Eicken, a.a.O., Rdnr. 3 zu § 6; eine meßbare Mehrarbeit ist allerdings nicht Voraussetzung für den Eintritt der Gebührenerhöhung). Mit dieser Erwägung können jedoch in keiner Weise Fälle – wie vorliegend – abgedeckt werden, in denen das Vorhandensein mehrerer Auftraggeber erst im nachhinein erkennbar würde. Abschließend ist darauf hinzuweisen, daß die vorliegende Streitfrage in dem auch von der Vorinstanz zitierten Senatsbeschluß vom 8.4.1988 – 11 W 988/88 – ausdrücklich offen gelassen wurde.
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