OLG Zweibrücken, Beschl. v. 06. und 30.10.2014 – 4 U 7/14
Fristbeginn für Abschmelzung (Pflichtteilsergänzung) bei vorbehaltenem Wohnungsrecht
Zuvor hatte sie am 21.12.2001 mit notariellem Vertrag das in ihrem Alleineigentum stehende Hausgrundstück in L. auf den Beklagten übertragen. Als Gegenleistung erhielt sie in Form einer dinglichen, beschränkt persönlichen Dienstbarkeit auf Lebensdauer ein Wohnrecht an dem Haus. Die Übertragung erfolgte im Wege der vorweggenommenen Erbfolge. Die Erblasserin bewohnte – wie zuvor – in der Folgezeit das Haus bis zu ihrem Tod alleine.
Die Klägerin hat wegen des Erhalts des Wohnhauses einen Pflichtteilsergänzungsanspruch geltend gemacht. Durch das angefochtene Urteil hat der Einzelrichter den Beklagten antragsgemäß zur Zahlung verurteilt. Mit seiner Berufung bekämpft der Beklagte das Urteil.
Zur Begründung verweist der Senat auf seinen Hinweisbeschl. v. 06.10.2014, auf welchen der Beklagte nichts erwidert hat.
Aus dem Hinweisbeschl. v. 06.10.2014:
Das LG hat festgestellt, dass unter den tatsächlichen Umständen des Streitfalles der Pflichtteilsergänzungsanspruch der Klägerin (§ 2325 Abs. 1 BGB) nicht nach § 2325 Abs. 3 Satz 2 BGB deshalb ausgeschlossen ist, weil zwischen der Schenkung an den Beklagten v. 06.02.2000 und dem Tod der Erblasserin (25.12.2011) mehr als 10 Jahre verstrichen sind.
Die Erblasserin hat sich von dem Beklagten in dem notariellen Übertragungsvertrag ein dinglich gesichertes Wohnrecht aus Lebenszeit in Form einer beschränkten persönlichen Dienstbarkeit (§ 1093 BGB) einräumen lassen. In der Folgezeit hat sie – wie in dem angefochtenen Urteil für den Senat bindend (§ 314 ZPO) festgestellt ist – unstreitig das Haus komplett alleine genutzt, wie sie das auch zuvor getan hatte. Die Übertragung des Grundstücks an die Beklagte kann deshalb vorliegend nicht als Leistung i.S.v. § 2325 Abs. 3 BGB gewertet werden, weil die Erblasserin den „Genuss” an dem verschenkten Haus nicht aufgegeben hat. Eine Leistung in diesem Sinne liegt – zur Vermeidung böswilliger Schenkungen – nur vor, wenn der Erblasserin seine Rechtstellung als Eigentümer nicht nur vollständig aufgibt, sondern auch darauf verzichtet, den verschenkten Gegenstand im Wesentlichen weiter zu benutzen (vgl. BGH, Urt. v. 27.04.1994 – IV ZR 132/93; OLG Karlsruhe, Urt. v. 15.01.2008 – 12 U 124/07; OLG Köln, Urt. v. 24.06.2011 – 11 U 43/11). Diese Grundsätze gelten für alle Nutzungsrechte, also auch für ein Wohnrecht (vgl. OLG München, Urt. v. 25.06.2008 – 20 U 2205/08).
Unerheblich ist, dass die Grunddienstbarkeit nicht auch das Obergeschoss des Anwesens betraf. In dem angefochtenen Urteil ist festgestellt, dass unstreitig eine gesonderte Nutzung der im Obergeschoss befindlichen Räume durch dritte Personen oder durch den Beklagten nicht möglich war, weil ein eigener Zugang fehlte und die Erblasserin (deshalb) das Haus nach dem Tode des Vaters komplett nutzen konnte, wie sie das auch früher nach dem Tode des Ehemannes getan hatte. Die Annahme des Einzelrichters, dass aus dieser Verfahrensweise geschlossen werden kann, dass diese Art der Nutzung auch dem Willen des Beklagten entsprach, begegnet keinen Bedenken.
Da somit die Schenkung erst mit dem Tode der Erblasserin am 25.11.2011 „vollzogen” wurde – wie das LG zutreffend ausgeführt hat – und die Klägerin bereits im Juli 2012 die vorliegende Klage erhoben hatte, ist die Schenkung nach § 2325 Abs. 3 Satz 1 ZPO in vollem Umfang zu berücksichtigen, wobei deren Wert außer Streit steht.
Anmerkung
Das OLG Zweibrücken hat sich mit der vieldiskutierten Frage befasst, wie sich im Rahmen von Grundstückszuwendungen vorbehaltene Wohnungsrechte auf den Fristbeginn nach § 2325 Abs. 3 Satz 1 und 2 BGB auswirken. Es handelt sich dabei um ein Standardproblem der kautelarjuristischen Praxis, das sich u.a. bei der Gestaltung von Übergabe- oder Überlassungsverträgen stellt, in deren Rahmen das „Familienheim” von der älteren auf die jüngere Generation übertragen, dabei aber die bisherige Wohnsituation des Übergebers nicht verändert und ein Teil seiner pflichtteilsberechtigten Abkömmlinge nicht oder zumindest nicht gleichermaßen bedacht werden soll. In solchen Fällen kann für die Erben des Übergebers sowie u.U. auch für den Übernehmer das Risiko entstehen, nach dem Tode des Übergebers von den „übergangenen” Pflichtteilsberechtigten wegen Pflichtteilsergänzung in Anspruch genommen zu werden.
Diese Gefahr ist gem. § 2325 Abs. 3 Satz 2 BGB erst dann gänzlich gebannt, wenn die Leistung des verschenkten Gegenstandes mindestens zehn Jahre vor dem Erbfall erfolgte. Dabei ist indes nicht allein auf den Eigentumswechsel abzustellen. Vielmehr liegt eine Leistung i.S.d. § 2325 Abs. 3 Satz 2 BGB nach höchstrichterlicher Rechtsprechung erst dann vor, wenn der spätere Erblasser über die endgültige Aufgabe seiner Rechtsstellung hinaus darauf verzichtet, den verschenkten Gegenstand – sei es aufgrund vorbehaltener dinglicher Rechte oder durch Vereinbarung schuldrechtlicher Ansprüche – im Wesentlichen weiterhin zu nutzen (BGH, Urt. v. 27.04.1994 – IV ZR 132/93, BGHZ 125, 395 (398 f.)). Hieran fehlt es, wenn er sich den Nießbrauch uneingeschränkt vorbehalten hat (BGH, a.a.O.). Zur Frage, ob und inwieweit dies auch im Falle des Wohnungsrechtsvorbehalts gilt, hat sich der BGH bislang nicht ausdrücklich geäußert.
Nach einer Literaturmeinung soll es in diesen Fällen zu einem gespaltenen Fristlauf kommen: Danach beginne die Frist für den vom Wohnungsrecht wertmäßig unbelasteten Teil des übergebenen Anwesens, welcher der Differenz zwischen den Werten des zugewandten Grundbesitzes sowie des Wohnungsrechts entspreche, mit der Übereignung. Im Übrigen setze der Fristlauf hingegen nicht ein (vgl. N. Mayer, ZEV 1994, 325 (329); Reiff, NJW 1995, 1136 (1137) [BGH 27.04.1994 – IV ZR 132/93]). Dem dürfte entgegenzuhalten sein, dass der nach höchstrichterlicher Rechtsprechung maßgeblichen Wesentlichkeitsbetrachtung das Konzept eines einheitlichen Fristlaufs zugrunde liegt (so auch: Herrler, ZEV 2008, 461 (462); Schindler, ZEV 2005, 290 (294 f.)).
Die obergerichtliche Rechtsprechung folgt dementsprechend dem Prinzip des „Alles oder Nichts”. Dabei stellt sie auf Einzelfallbetrachtungen ab, die sich an den Gründen der BGH-Entscheidung zum Vorbehaltsnießbrauch orientieren, jedoch unterschiedliche Aspekte betonen und daher in vergleichbaren Fällen nicht immer zu übereinstimmenden Ergebnissen kommen:
So sah es das OLG Karlsruhe (ZEV 2008, 244) als entscheidend an, ob der spätere Erblasser nach der Eigentumsumschreibung noch „Herr im Haus” war. Im konkreten Fall verneinte es dies bei einem Übergeber, der sich das Wohnungsrecht an einer von zwei Wohnungen im übergebenen Anwesen vorbehielt. Demgegenüber fehlte es nach Auffassung des OLG München (ZEV 2008, 480) an der Leistung des übergebenen Grundbesitzes zu Lebzeiten des Übergebers, der bis an sein Lebensende die sog. „Hauptwohnung” bewohnte, während der Übernehmer die Souterrainwohnung nutzte, weil das vertraglich angestrebte Ziel erreicht worden sei, dass der Übergeber im bisherigen Umfang in seinem Umfeld verbleiben konnte und nichts entbehrte. In ähnlicher Weise befand das OLG Düsseldorf (MittBayNot 2000, 120), dass der Eigentumsverlust kein spürbares Vermögensopfer für einen Übergeber gebracht habe, der in Anbetracht seines Wohnrechts an den von ihm bis dato bewohnten Räumen im Erdgeschoss und einem Raum im Obergeschoss sowie eines bedingten Rückforderungsrechts den Genuss des überlassenen Grundstücks im Wesentlichen behalten habe. Anders sah es dasselbe Gericht in einem Fall, in dem sich das Nutzungsrecht der Übergeber auf „die Wohnung im Erdgeschoss und die ihnen zugeordneten Nebenflächen” beschränkte (OLGR 1997, 245). Die OLG Celle (OLGR 2003, 371), Bremen (OLGR 2005, 233) und Oldenburg (ZEV 2006, 80 [OLG Oldenburg 14.11.2005 – 5 W 223/05]) gingen ebenso von der Unschädlichkeit eines Wohnungsrechts aus, das sich lediglich auf einen Teil des übergebenen Grundbesitzes beschränkte. Wertbetrachtungen spielten in allen vorgenannten Entscheidungen keine Rolle.
Die Beschlüsse des OLG Zweibrücken fügen sich nahtlos in die Reihe dieser Einzelfalljudikate, wobei hier die Besonderheit bestand, dass die nicht dem Wohnungsrecht unterliegenden Räume aufgrund der baulichen Situation des überlassenen Grundbesitzes faktisch weder durch den beklagten Übernehmer noch durch Dritte nutzbar waren, während die Erblasserin das gesamte Anwesen auch dem Willen des Übernehmers entsprechend komplett nutzen konnte und jedenfalls teilweise auch genutzt hatte.
Dass sich diese Nutzungsmöglichkeit nicht aus dem Übergabevertrag ergab, sah das Gericht als unerheblich an, womit es in Einklang mit Stimmen aus der Literatur steht, die es bereits als schädlich ansehen, wenn der Übernehmer die uneingeschränkte Nutzung rein faktisch gestattet, weil darin zum Ausdruck komme, dass sich trotz der dinglichen Rechtsänderungen in den wirtschaftlichen Verhältnissen nichts geändert habe (N. Mayer, ZEV 1994, 325 (328); Schindler, ZEV 2005, 290 (294)).
Im konkreten Fall war eine Zulassung der Revision nicht veranlasst. Der Senat hatte sich mit einer schlichten Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde zu begnügen. Es bleibt abzuwarten, ob in einem anderen Verfahren eine nähere Konturierung der Rechtslage bei vorbehaltenen Wohnrechten durch den Senat erforderlich wird.
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