Setzung der Beibringungsfrist für Zeugenbenennung

November 4, 2020

BGH, Urteil vom 16. September 1988 – V ZR 71/87

Wirksame Setzung der Beibringungsfrist für Zeugenbenennung; Heilung des Zustellungsmangels

1. Ordnet das Gericht trotz unvollständiger Zeugenbenennung (hier: Zeugnis „NN“) die Vernehmung des Zeugen an, so muß es eine Frist zur Beibringung der vollständigen Anschrift bestimmen.

2. Die Fristsetzung nach ZPO § 356 bedarf förmlicher Zustellung. Ein Zustellungsmangel kann nicht nach ZPO § 187 Satz 1 geheilt werden.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Rückabwicklung eines Grundstückskaufvertrages.

Durch notariell beurkundeten Vertrag vom 11. Mai 1984 verkauften die Beklagten ein Mietshaus an die Klägerin und deren Geschäftsführer. In Nr. 5a der Urkunde vereinbarten die Parteien einen Haftungsausschluß für Sachmängel. Die Beklagten versicherten, daß ihnen keine verborgenen, bei einer Besichtigung nicht erkennbaren Mängel bekannt seien, insbesondere, daß ihnen das Vorhandensein von Hausschwamm und Baumängeln nicht bekannt sei.

Mit anwaltlichem Schreiben vom 10. Dezember 1984 wurde der inzwischen vollzogene Kaufvertrag wegen arglistig verschwiegener Mängel angefochten.

Mit ihrer Klage verlangt die Klägerin unter Hinweis auf die Anfechtung, hilfsweise unter dem Gesichtspunkt der Wandlung, Rückzahlung des von ihr geleisteten Kaufpreisteiles in Höhe von 1.548.020 DM nebst Zinsen Zug um Zug gegen Rückauflassung.

Sie hat behauptet, das Anwesen weise zahlreiche Mängel auf, insbesondere Risse und eine erhebliche Gebäudesenkung. Hierauf seien die Beklagten gelegentlich einer Besichtigung des Hauses nach dem Erbfall hingewiesen worden. Dies hat die Klägerin durch „N.N.“ unter Beweis gestellt.

Das Landgericht hat mit Auflagen- und Beweisbeschluß vom 1. April 1986 eine Beweisaufnahme angeordnet und der Klägerin u.a. aufgegeben, bis zum 13. April 1986 Namen und Anschriften der Zeugen „N.N.“ anzugeben. Das dem Prozeßbevollmächtigten der Klägerin übersandte Empfangsbekenntnis ist abgestempelt, aber nicht unterschrieben worden. Mit einem am Montag, dem 14. April 1986, eingereichten Schriftsatz hat die Klägerin mitgeteilt, sie könne die Zeugen nicht ermitteln und verzichte auf sie. Mit einem im Termin vom 5. Juni 1986 überreichten Schriftsatz hat sie dann ihren Vortrag ergänzt und die Zeugen St. und G. benannt.

Das Landgericht hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, daß der Beweis für eine Kenntnis der Beklagten von der Gebäudesenkung nicht erbracht worden sei. Den von der Klägerin angebotenen Zeugenbeweis hat es gemäß §§ 296 Abs. 1, 273 Abs. 2 Nr. 1 ZPO als verspätet zurückgewiesen.

Die Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Die Beklagten beantragen, das Rechtsmittel zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet.

I. Das Berufungsgericht ist der Ansicht, die Klägerin habe nicht bewiesen, daß die Beklagten sie arglistig getäuscht hätten. Das Landgericht habe den Beweisantrag, die Zeugen St. und G. dazu zu vernehmen, daß die Beklagten die Gebäudesenkung gekannt hätten, zu Recht zurückgewiesen, so daß er in der Berufung ausgeschlossen bleibe.

II. Dies hält der rechtlichen Prüfung nicht stand.

Die Vernehmung der in erster Instanz angebotenen Zeugen St. und G. war nicht gemäß § 528 Abs. 3 ZPO ausgeschlossen, weil das Landgericht das Beweisangebot nicht zu Recht zurückgewiesen hatte.

Die Voraussetzungen für eine Zurückweisung gemäß §§ 296 Abs. 1, 273 Abs. 2 Nr. 1 ZPO lagen nicht vor.

Zweifelhaft ist bereits, ob es sich bei der im Auflagen- und Beweisbeschluß vom 1. April 1986 enthaltenen Anordnung, binnen einer Frist die Zeugen zu benennen und die ladungsfähigen Anschriften bekanntzugeben, tatsächlich, wie die Vorinstanzen meinen, um eine vorbereitende Maßnahme nach § 273 Abs. 2 Nr. 1 ZPO handelt oder eher um eine Entscheidung nach § 356 ZPO. Für letzteres könnte der Umstand sprechen, daß das Landgericht die Erhebung des angebotenen Beweises bereits angeordnet hatte.

Bei unvollständigen Beweisangeboten (Zeugnis: N.N.) kann es zwar im einzelnen fraglich sein, ob sie überhaupt beachtlich sind (vgl. BGH Urt. v. 16. März 1983, VIII ZR 346/81, NJW 1983, 1905, 1908; Zöller/Stephan, ZPO 15. Aufl. § 356 Rdn. 4; Baumbach/Lauterbach/Hartmann, ZPO 46. Aufl. § 356 Anm. 1 A b; Rüßmann in Alternativkommentar ZPO, § 356 Rdn. 2; Rixecker, NJW 1984, 2135). Hält das Gericht einen solchen Beweisantrag aber für beachtlich und ordnet es eine Beweiserhebung an, sieht es sich jedoch an der Durchführung der Beweisaufnahme durch die Unvollständigkeit des Beweisangebots, insbesondere durch die fehlende oder unzureichende Benennung der Zeugen gehindert, so steht der Aufnahme des Beweises ein Hindernis von ungewisser Dauer entgegen. Das Gericht muß dann dem Beweisführer gemäß § 356 ZPO eine Frist zur Beibringung der vollständigen Anschrift der Zeugen bestimmen (BGH Urt. v. 14. Januar 1987, IVb ZR 65/85, BGHR ZPO § 356 Satz 1 „Zeugenanschrift“ m.w.N.). Nach dem fruchtlosen Ablauf der Frist kann das Beweismittel nur noch benutzt werden, wenn nach der freien Überzeugung des Gerichts dadurch das Verfahren nicht verzögert wird. Wird das Beweisangebot mangels ladungsfähiger Anschrift abgelehnt, ohne dem Beweisführer zuvor gemäß § 356 ZPO eine Beibringungsfrist zu setzen, so wäre dies ein Verfahrensfehler (Senatsurt. v. 25. Juni 1976, V ZR 243/75).

Im vorliegenden Fall kann es letztlich jedoch dahingestellt bleiben, ob die vom Landgericht getroffene Anordnung, die Zeugen binnen einer bestimmten Frist zu benennen, nicht auch in § 273 Abs. 2 Nr. 1 ZPO ihre Stütze finden kann. Desweiteren ist es für die Entscheidung nicht von Bedeutung, ob ein Beweismittel, das nach Ablauf einer gemäß § 356 ZPO gesetzten Frist beigebracht wird, in der Berufung nach § 528 Abs. 3 ZPO ausgeschlossen bleibt, wenn es von der ersten Instanz wegen Verfahrensverzögerung nicht mehr zugelassen wurde. Denn der Klägerin ist eine richterliche Frist, deren Versäumung den Ausschluß des Beweismittels mit der Möglichkeit der Zulassung unter den Voraussetzungen der §§ 296 Abs. 1, 356 ZPO zur Folge gehabt hätte, wirksam nicht gesetzt worden.

Eine Ausschlußfrist wird wegen der damit verbundenen Sanktionsfolgen nur dann wirksam in Gang gesetzt, wenn die fristsetzende Verfügung oder gerichtliche Entscheidung der Partei förmlich zugestellt worden ist (BGHZ 76, 236, 239; BGH Urteile v. 9. März 1981, VIII ZR 38/80, NJW 1981, 2255 und v. 21. September 1982, VI ZR 272/80, WM 1982, 1281, 1282). Dies gilt nicht nur für die in § 296 Abs. 1 ZPO genannten Fristen, sondern in gleicher Weise auch für die als Präklusionsfrist ausgestaltete Beibringungsfrist gemäß § 356 ZPO. Denn sie belastet die Partei noch stärker als die in § 296 Abs. 1 ZPO genannten Fristen. Die Nichteinhaltung der Frist führt zum Ausschluß des Beweismittels, ohne daß es auf ein Verschulden der säumigen Partei ankommt, während die Versäumung einer der in § 296 Abs. 1 ZPO genannten Fristen nur bei fehlender oder ungenügender Entschuldigung den Verlust des Beweismittels zur Folge hat.

Für eine Zustellung durch Empfangsbekenntnis gemäß § 212 a ZPO bedarf es einer Bekundung des Willens, das Schriftstück als zugestellt gelten zu lassen, durch die Unterschrift des Anwalts (BGH Urt. v. 14. Dezember 1977, VI ZR 56/76, VersR 1977, 424, 425; Senatsbeschl. v. 22. Dezember 1982, V ZB 2/82, VersR 1983, 273, 274; BGH Urteile v. 6. Dezember 1984, VI ZR 2/83, VersR 1985, 142, 143 und v. 25. Mai 1987, II ZR 297/86, NJW-RR 1987, 1151). Daran fehlt es hier. Das dem Bevollmächtigten der Klägerin zugesandte Empfangsbekenntnis ist zwar abgestempelt, aber nicht unterschrieben worden.

Der Zustellungsmangel ist nicht gemäß § 187 ZPO dadurch geheilt worden, daß die Klägerin am Tage des Fristablaufs auf die Fristsetzung geantwortet und auf die Zeugen verzichtet hat. Denn für Präklusionsfristen gilt die für Notfristen bestimmte Ausnahmeregelung des § 187 Satz 2 ZPO (BGHZ 76, 236, 239); dabei ist auch hier eine unterschiedliche Behandlung der Präklusionsfristen des § 296 Abs. 1 ZPO und des § 356 ZPO nicht gerechtfertigt. Denn die Versäumung der Beibringungsfrist gemäß § 356 ZPO löst ebenso wie die Versäumung der in § 296 Abs. 1 ZPO genannten Fristen eine der Nichteinhaltung von Notfristen vergleichbare Rechtsfolge aus, nämlich den Ausschluß des verspäteten Vorbringens oder Beweismittels. In einem solchen Fall aber dürfen Beginn und Ende der Frist nicht vom ungewissen Ermessen des Gerichts abhängen, wie dies bei Anwendung des § 187 Satz 1 ZPO der Fall wäre (BGHZ 76, 236, 239).

Ohne Erfolg berufen sich die Revisionsbeklagten auf eine Entscheidung des VIII. Zivilsenats (Urt. v. 11. März 1987, VIII ZR 160/86, NJW 1987, 2679, 2680), nach der eine anderweite schriftliche Bestätigung von Empfang und Annahmewillen in einem Schriftsatz einem Empfangsbekenntnis entsprechen könne. Ob dieser Ansicht zu folgen ist, kann hier dahingestellt bleiben, weil der Schriftsatz vom 14. April 1986 das Datum des Zugangs – anders als in dem von dem VIII. Zivilsenat entschiedenen Fall – nicht enthält. Der Ausschluß eines Beweismittels kann den Parteien aber nur zugemutet werden, wenn über die Ingangsetzung einer Präklusionsfrist bereits zu deren Beginn für alle Prozeßbeteiligten Gewißheit besteht (BGHZ 76, 236, 240).

Dies gilt entgegen der Auffassung der Revisionsbeklagten auch dann, wenn als Fristende ein festes Datum bestimmt ist. Die das Grundrecht auf rechtliches Gehör einschränkende Präklusion darf nur im Falle schuldhafter Verletzung prozessualer Obliegenheiten eintreten (BVerfGE 60, 1, 6; 62, 249, 254; Franke NJW 1986, 3049, 3050). In den Fällen der §§ 296 Abs. 1 und 356 ZPO wird bei Nichteinhaltung einer richterlich gesetzten Frist eine solche Obliegenheitsverletzung vermutet. Die Grundlage hierfür ist nur vorhanden, wenn die Partei genügend Zeit hatte, der richterlichen Verfügung nachzukommen. Dafür reicht die Feststellung nicht aus, daß ein Angriffs- oder Verteidigungsmittel erst nach dem als Fristende bestimmten Tag vorgebracht wurde. Eine Bestimmung auch des Zeitpunkts des Fristbeginns ist deshalb unverzichtbar.

Mangels wirksamer Fristsetzung durfte das Landgericht den Beweisantritt der Klägerin im Schriftsatz vom 4. Juni 1986 weder nach § 296 Abs. 1 ZPO noch nach § 356 ZPO zurückweisen. Dafür bedarf es keiner Entscheidung darüber, ob eine Fristsetzung überhaupt fortwirkt, wenn die Partei, wie im vorliegenden Fall, auf das Beweismittel nach der Fristsetzung zunächst verzichtet und es später erneut benennt. Denn selbst wenn dies zu verneinen wäre, wäre die Revision begründet. Die später erneut angetretenen Zeugenbeweise hätten ebenfalls nicht nach § 296 Abs. 1 ZPO oder § 356 ZPO, sondern allenfalls nach § 296 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen werden dürfen. Über eine Zurückweisung gemäß § 296 Abs. 2 ZPO hat das Landgericht aber nicht befunden. Die unterlassene Prüfung hätte das Berufungsgericht auch nicht nachholen können (BGH Urteile v. 9. März 1981, VIII ZR 38/80, NJW 1981, 2255 und v. 21. September 1982, VI ZR 272/80, WM 1982, 1281, 1282).

Nach alledem waren die Beweismittel in dem Berufungsverfahren nicht ausgeschlossen, so daß das angefochtene Urteil an einem wesentlichen Verfahrensmangel leidet. Das Berufungsurteil ist daher aufzuheben und die Sache zurückzuverweisen (§§ 564 Abs. 1 und 565 Abs. 1 ZPO), wobei der Senat von der Möglichkeit des § 565 Abs. 1 Satz 2 ZPO Gebrauch macht.

Das Berufungsgericht wird nunmehr alle erforderlichen Beweise zu erheben haben. Darüber hinaus wird vorsorglich darauf hingewiesen, daß die Anfechtung des Kaufvertrages gemäß § 747 Satz 2 BGB nur wirksam wäre, wenn sie von beiden Käufern den Beklagten gegenüber erklärt worden wäre (vgl. BGHZ 101, 143, 150). Dasselbe gilt gemäß § 356 Abs. 1 BGB für die Ausübung des Wandlungsrechts. Hierzu wird das Berufungsgericht noch die erforderlichen Feststellungen zu treffen haben.

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