Verjährungseinrede gegen Regreßansprüche aus Anwaltsvertrag

September 26, 2020

BGH, Urteil vom 01. Oktober 1987 – IX ZR 202/86

Verjährungseinrede gegen Regreßansprüche aus Anwaltsvertrag

Tatbestand

Die Klägerin verlangt vom Beklagten Schadensersatz wegen schuldhafter Verletzung seiner Berufspflicht als Rechtsanwalt.

Der Ehemann der Klägerin wurde als Fußgänger am 1. Juli 1973 im Straßenverkehr angefahren und schwer verletzt. Er starb am 20. Juli 1973 an den Unfallfolgen. Die Klägerin beauftragte den Beklagten noch im Jahre 1973 mit der Geltendmachung ihrer Ersatzansprüche. Nachdem der Pkw-Fahrer wegen fahrlässiger Tötung verurteilt worden war, schrieb der Beklagte der Klägerin am 14. Oktober 1975, er werde „nunmehr, wie besprochen, Ihre Schadensersatzansprüche beziffern und gegenüber der Haftpflichtversicherung mit Nachdruck geltend machen“.

Tatsächlich hat sich der Beklagte erst am 20. Dezember 1976 an die Versicherung gewandt. Diese hat am 5. Januar 1977 um weitere Angaben gebeten, weil sie den Vorgang wegen der Anführung einer falschen Schadens-Nummer nicht bearbeiten könne. Daraufhin hat der Beklagte nichts mehr unternommen. Auf verschiedene Anfragen hielt er die Klägerin hin. Als diese im Jahre 1981 einen anderen Anwalt beauftragte, berief sich die Versicherung auf Verjährung. Der nunmehrige anwaltschaftliche Vertreter der Klägerin forderte am 5. Oktober 1981 den Beklagten unter Übersendung des Entwurfs einer Klageschrift zu einer außergerichtlichen Einigung über die Schadensersatzansprüche der Klägerin auf. Der Beklagte erwiderte darauf am 26. Oktober 1981, daß er sich jeder Stellungnahme zu Grund und Höhe der erhobenen Ansprüche enthalte.

Nach weiteren ergebnislosen Schreiben an den Beklagten und seine Berufshaftpflichtversicherung wurde die Klage am 5. November 1982 bei Gericht eingereicht, mit der die Klägerin 70.800 DM nebst Zinsen verlangte. Der Beklagte berief sich auf Verjährung.

Das Landgericht hat der Klage in Höhe von 62.909,55 DM nebst Zinsen, das Berufungsgericht auf Anschlußberufung hin in Höhe von 68.983,41 DM nebst Zinsen stattgegeben.

Mit der Revision erstrebt der Beklagte die Abweisung der Klage.

Entscheidungsgründe

Die Revision hat Erfolg.

1. Das Berufungsgericht stellt ein pflichtwidriges Unterlassen des Beklagten fest, durch das die Durchsetzung von Direktansprüchen der Klägerin gegen den Haftpflichtversicherer unmöglich geworden sei. Das nimmt die Revision hin.

2. Das Berufungsgericht meint, auf Verjährung könne sich der Beklagte nicht berufen. Zwar beginne die „Verjährung des sogenannten Sekundäranspruchs“ ab Vollendung der Verjährung des „Primäranspruchs gegen den Schädiger“. Hier habe sie demnach im Juli 1976 begonnen und sei im Juli 1979 abgelaufen. Dem Beklagten sei es aber nach Treu und Glauben verwehrt, die Verjährungseinrede zu erheben, weil er während des Laufs der Verjährungsfrist das Mandatsverhältnis wiederholt dadurch verletzt habe, daß er die Klägerin auf ihre Anfragen hingehalten habe. Das stehe aufgrund der Beweisaufnahme fest. Mit seinen unrichtigen, hinhaltenden Angaben habe der Beklagte seine Pflicht in so schwerwiegender und nachhaltiger Weise verletzt, daß er sich „auf die Verjährung des Sekundäranspruchs überhaupt nicht mehr berufen“ könne. Zumindest habe die Klägerin Anspruch darauf, daß der Beklagte die Einrede der Verjährung unterlasse. Die Klägerin habe erst 1981 von dem ihr entstandenen Schaden erfahren, nachdem sie einen anderen Anwalt eingeschaltet habe. Es sei sachgerecht gewesen, daß sich die Klägerin mit der Berufshaftpflichtversicherung des Beklagten vor Klageerhebung in Verbindung gesetzt habe, zumal aus der Sicht der Klägerin sich keine Eilbedürftigkeit habe erkennen lassen. Nach dem damaligen Stand der Rechtsprechung habe sie davon ausgehen können, daß die Verjährung des Sekundäranspruchs erst ab Mandatsende, also ab März 1981 gelaufen sei. Man könne deshalb der Klägerin nicht vorwerfen, sie habe die Klageeinreichung über Gebühr verzögert.

3. Diese Ausführungen greift die Revision mit Recht an.

Abweichend von der Meinung des Berufungsgerichts wird als Primärhaftungsanspruch gegen einen Rechtsanwalt der Schadensersatzanspruch verstanden, der entsteht, wenn der Anwalt durch eine Pflichtverletzung einen Schaden seines Mandanten verursacht hat. Dieser Regreßanspruch verjährt nach § 51 BRAO in drei Jahren unabhängig davon, ob der Geschädigte Kenntnis von seinem Schaden und der Pflichtverletzung seines Anwalts erlangt hat (BGHZ 94, 380, 385).

Nach der Rechtsprechung muß aber zum Ausgleich der kurzen Verjährungsfrist und zum Schutz der Interessen des Mandanten der Anwalt, wenn ihm ein Fehler unterlaufen ist, seinen Auftraggeber hierauf und auf die Regreßmöglichkeit hinweisen. Ein Verstoß gegen diese Pflicht führt erst zum sogenannten Sekundäranspruch, der den Rechtsanwalt gemäß § 249 BGB dazu verpflichtet, den Mandanten so zu stellen, als wäre die Verjährung des Regreßanspruchs (= Primäranspruch) nicht eingetreten (BGHZ aaO). Der Sekundäranspruch hindert den Anwalt daran, erfolgreich die Verjährungseinrede im Regreßprozeß zu erheben. Wurde der Mandant während des bestehenden Mandats oder nach Mandatsende noch rechtzeitig vor Ablauf der Verjährungsfrist des Primäranspruchs anderweitig über die Regreßansprüche anwaltlich beraten, so entsteht kein sekundärer Ersatzanspruch mehr (BGH, Urt. v. 26. Februar 1985 – VI ZR 144/83, NJW 1985, 1151, 1152; Senatsurt. v. 18. September 1986 – IX ZR 204/85, ZIP 1986, 1573, 1574 = NJW 1987, 326).

Der Sekundärhaftungsanspruch kann nur entstehen, wenn der Anwalt eine weitere Pflichtwidrigkeit, nämlich die Nichtaufklärung über eine Regreßmöglichkeit, zu einer Zeit begeht, zu der der primäre Regreßanspruch noch durchgesetzt werden kann, also noch nicht verjährt ist. Auch der Sekundäranspruch verjährt nach § 51 BRAO in drei Jahren (BGHZ aaO 387ff).

4. a) Hier war die Verjährung des Anspruchs der Klägerin gegen den Haftpflichtversicherer – nicht des Primäranspruchs, wie das Berufungsgericht meint – im Juli 1976 eingetreten. Damit war der Regreßanspruch der Klägerin gegen den Beklagten (= Primäranspruch) entstanden. Er verjährte nach § 51 BRAO in drei Jahren, also im Juli 1979. Das Berufungsgericht stellt fest, daß der Beklagte die Klägerin bewußt während dieser Zeit hingehalten hat, seinen Fehler also erkannt hatte. Trotzdem hat er die gebotene Belehrung seiner Mandantin unterlassen. Damit entstand ein Sekundäranspruch der Klägerin, durch den der Beklagte gehindert war, mit Erfolg die Verjährungseinrede gegen einen Regreßanspruch der Klägerin zu erheben. Auch für diesen Anspruch (= Sekundäranspruch) galt die dreijährige Verjährungsfrist des § 51 BRAO, so daß er im Juli 1982 verjährte.

b) Der Senat hat sich bereits in BGHZ 94, 380 389 mit der Meinung auseinandergesetzt, die Verjährung des Sekundäranspruchs könne erst mit dem Ende des Mandats beginnen (vgl. Brandner, AnwBl. 1969, 384, 386). Er hat diese Meinung unter Hinweis darauf abgelehnt, daß § 51 BRAO den Beginn der Verjährungsfrist des Regreßanspruchs grundsätzlich an die Entstehung des Schadens knüpft und nur hilfsweise an das Ende des Mandats, wenn dies zu einem früheren Ende der Verjährungsfrist führt. Er hat eine entgegenstehende Rechtsprechung (BGH, Urt. v. 8. Mai 1984 – VI ZR 156/82, NJW 1984, 2204) ausdrücklich aufgegeben. Daran hält der Senat fest. Zu einer Vorlage an den Großen Senat für Zivilsachen besteht entgegen der Meinung der Klägerin kein Anlaß, weil der IX. Zivilsenat schon seit dem 1. Januar 1984 allein für Schadensersatzansprüche wegen Pflichtverletzungen gegen Rechtsanwälte nach der Geschäftsverteilung des Bundesgerichtshofs zuständig ist (BGHZ (GZ) 9, 179, 181; 28, 16, 29).

5. a) Allerdings kann die Verjährung der Regreßansprüche gegen einen Rechtsanwalt auch nach Ablauf der Verjährung des Sekundäranspruchs nicht zu berücksichtigen sein, wenn es dem Verpflichteten gemäß § 242 BGB verwehrt ist, sich auf Verjährung zu berufen, wenn also eine unzulässige Rechtsausübung in der Erhebung der Verjährungseinrede liegt. Der Zweck der Verjährungsregelung gebietet es jedoch, hierbei strenge Maßstäbe anzulegen und diesen Einwand nur gegenüber einem wirklich groben Verstoß gegen Treu und Glauben durchgreifen zu lassen, etwa wenn der Verpflichtete den Berechtigten durch sein Verhalten von der rechtzeitigen Klageerhebung abgehalten oder ihn nach objektiven Maßstäben zu der Annahme veranlaßt hat, es werde auch ohne Rechtsstreit eine vollständige Befriedigung seines Anspruchs zu erzielen sein. Dabei kann aber ein bloßes Schweigen des Verpflichteten das Unwerturteil einer unzulässigen Rechtsausübung nicht rechtfertigen (MünchKomm/von Feldmann, BGB, 2. Aufl. § 194 Rdnr. 11; Soergel/Augustin, BGB, 11. Aufl. § 222 Rdnr. 7; Palandt/Heinrichs, BGB, 46. Aufl. vor § 194 Anm. 5 a). Nicht genügt für den Einwand der unzulässigen Rechtsausübung gegenüber der Verjährungseinrede, daß der Anspruchsberechtigte des Glaubens war, mit seiner Klage noch zuwarten zu können (BGH, Urt. v. 4. Februar 1969 – VI ZR 213/67, VersR 1969, 451).

b) Hier hatte der Beklagte auf die Zusendung des Entwurfs einer Klageschrift am 26. Oktober 1981 der Klägerin mitgeteilt, er werde sich jeder Stellungnahme zu Grund und Höhe der erhobenen Ansprüche enthalten. Er hat weiter – ausdrücklich ohne Anerkennung einer Rechtspflicht – seine Berufshaftpflichtversicherung bekannt gegeben, gegen die hier aber ein direkter Anspruch nicht bestand. Daß er sich danach noch geäußert hätte, behauptet auch die Klägerin nicht. Unter diesen Umständen kann die Erhebung der Verjährungseinrede durch den Beklagten nicht als unzulässige Rechtsausübung angesehen werden; denn er hatte gegenüber der anwaltlich vertretenen Klägerin nichts getan, woraus diese hätte den Schluß ziehen können, sie werde auch ohne gerichtliche Hilfe ihren Anspruch durchsetzen können. Daß er sie zunächst durch vorsätzliche Täuschung hingehalten hatte, führt nicht zu einem weiteren Hinausschieben der Verjährung der Regreßansprüche gegen ihn, weil der neu von der Klägerin beauftragte Anwalt diese in noch nicht verjährter Zeit erkannt hatte, wie die Übersendung des Klageentwurfs zeigt. Der Beklagte hat die Klägerin auch nicht in irgendeiner Weise vom Einreichen der ihm im Entwurf übersandten Klage abgehalten. Wenn sie meinte, es bestünde wegen der Klageerhebung, zu der nach dem Erkennen des Schadens und des Fehlers des Beklagten etwa noch ein Jahr Zeit blieb, keine besondere Eile, so mag das auf einen anderen, neuerlichen Beratungsfehler zurückzuführen gewesen sein.

6. Da weitere Feststellungen nicht zu treffen sind, der Sachverhalt vielmehr vollständig geklärt und zur Endentscheidung reif ist, konnte das Revisionsgericht selbst sachlich entscheiden (§ 565 Abs. 3 Nr. 1 ZPO). Die Klage war wegen Verjährung des Regreßanspruchs der Klägerin unter Aufhebung der Entscheidung des Berufungsgerichts und Änderung des erstinstanzlichen Urteils auf die Rechtsmittel des Beklagten hin in vollem Umfang abzuweisen.

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