Verschollenheitssache: Todeserklärung einer 90 Jahre alten Halbschwester

September 24, 2020

OLG Düsseldorf, Beschluss vom 09. Januar 2020 – I-3 Wx 211/19

Verschollenheitssache: Todeserklärung einer 90 Jahre alten Halbschwester

Tenor

Das Rechtsmittel wird auf Kosten des Beteiligten zurückgewiesen.

Geschäftswert: 5.000 €.

Gründe

I.

Der Beteiligte begehrt die Todeserklärung seiner am 9. August 1929 geborenen Halbschwester. Ihre letzte bekannte Meldeadresse ist … im Zeitraum von 1950 bis 1952. Der weitere Aufenthalt ist unbekannt.

Das Amtsgericht hat den Antrag mit Beschluss vom 30. September 2019 zurückgewiesen und insbesondere ausgeführt, auch wenn die Betroffene das statistische Durchschnittsalter überschritten habe, sei nicht auszuschließen, dass sie noch lebe.

Dagegen wendet sich der Beteiligte mit seinem Rechtsmittel. Er macht geltend, die Vorgaben des VerschG seien allesamt erfüllt. Seit 1952 habe er keine Adresse mehr von der Betroffenen und keinen Kontakt mehr zu ihr. Er selbst sei damals drei oder vier Jahre alt gewesen. Nachforschungen bei der Rentenversicherung und dem DRK hätten nichts ergeben. Zwar könnten Menschen das Alter von 90 Jahren überschreiten, dabei handele es sich aber um Ausnahmen. In seiner Familie ebenso wie in der seiner Ehefrau sei solches nicht vorgekommen.

Mit weiterem Beschluss hat das Amtsgericht dem Rechtsmittel nicht abgeholfen und die Sache dem Oberlandesgericht Düsseldorf zur Entscheidung vorgelegt.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

II.

Das gemäß § 26 Abs. 1, Abs. 2 b) VerschG als sofortige Beschwerde zulässige Rechtsmittel des Antragstellers bleibt in der Sache ohne Erfolg.

Gemäß § 2 VerschG kann ein Verschollener unter den Voraussetzungen der dortigen §§ 3 bis 7 im Aufgebotsverfahren für tot erklärt werden. Der Legaldefinition des § 1 Abs. 1 VerschG zufolge ist verschollen, wessen Aufenthalt während längerer Zeit unbekannt ist, ohne dass Nachrichten darüber vorliegen, ob er in dieser Zeit noch gelebt hat oder gestorben ist, sofern nach den Umständen hierdurch ernstliche Zweifel an seinem Fortleben begründet werden. Dabei ist die Wahrscheinlichkeit zwingend unter Berücksichtigung des Merkmals der Nachrichtenlosigkeit zu gewichten. Von einem Fehlen von Nachrichten im Sinne des Gesetzes ist demnach nur dann auszugehen, wenn über das Schicksal des Betroffenen keine Nachrichten zu erlangen sind, obwohl sie nach Lage des Falles zu erwarten gewesen wären. Es ist deshalb erforderlich, genau zu prüfen, ob der Betroffene nach den feststellbaren Umständen überhaupt die Absicht gehabt hat, Nachrichten zu geben (Senat NJW-RR 2018, 463; MDR 2011, 1046; FamRZ 2002, 339; Schleswig-Holsteinisches OLG FamRZ 2015, 691; Habermann, in: Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2013, § 1 VerschG Rn. 5). Im vorliegenden Fall hat der Beteiligte nach eigenen Angaben seit seinem dritten oder vierten Lebensjahr keinen Kontakt mehr zu der Betroffenen. Dass nach dem Verhältnis zwischen beiden eine Fortsetzung des Kontakts seitens der Betroffenen zu erwarten gewesen wäre, ist nicht erkennbar und vom Beteiligten auch nicht vorgetragen. Das Fehlen von Nachrichten ist danach keine ausreichende Bedingung der Verschollenheit.

Waren keine Nachrichten von der Vermissten zu erwarten, können ernstliche Zweifel an ihrem Fortleben i.S.d. § 1 VerschG nur dann angenommen werden, wenn sie im Einzelfall aus anderen Umständen, die die Wahrscheinlichkeit des Todes größer als die Wahrscheinlichkeit des Fortlebens erscheinen lassen, herzuleiten sind (BGHZ 3, 230; Senat a.a.O.; Schleswig-Holsteinisches OLG, a.a.O.). Es genügt nicht, dass die in § 3 VerschG vorgesehenen Fristen ohne Nachrichten der für tot zu erklärenden Person abgelaufen sind (ausführlich: Senat MDR 2011, 1046). Solche Umstände können sich zum Beispiel aus dem Lebensalter oder dem Gesundheitszustand des Betroffenen ergeben; herangezogen werden können auch die Umstände, unter denen jemand verschwunden ist (Habermann, a.a.O., § 1 VerschG Rn. 5, 7). Im vorliegenden Fall sind nähere Informationen über Lebensumstände der Vermissten, deren Gesundheitszustand und die Gründe für den fehlenden Kontakt zum Beteiligten nicht bekannt. Herangezogen werden kann danach allein ihr Lebensalter, das mit 90 Jahren über der durchschnittlichen Lebenserwartung für im Jahr 1929 geborene Frauen liegt.

Die Frage, ab welchem Alter einer Person unbekannten Aufenthaltes berechtigte Zweifel an ihrem Fortleben begründet sind, ist vom Standpunkt eines vernünftig denkenden Menschen zu beantworten. Die Annahme, dass bei einer 90 Jahre alten vermissten Person ein zwischenzeitliches Versterben wahrscheinlicher erscheint als deren Fortleben, erscheint danach noch nicht gerechtfertigt. Hierzu ist die Anzahl von Personen, die heute dieses Alter erreichen, zu groß. Der Umstand, dass das Alter des Vermissten über der durchschnittlichen Lebenserwartung liegt, reicht für sich genommen nicht aus, um erhebliche Zweifel an dessen Fortleben zu begründen (vgl. Senat NJW-RR 2018, 463; OLG Oldenburg, Beschluss vom 11. Mai 2017 – 12 W 53/17 -, BeckRS 2017, 114683).

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der vom Beteiligten herangezogenen Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm (Rpfleger 2015, 45), weil in dem dort entschiedenen Fall neben dem fortgeschrittenen Lebensalter des Betroffenen weitere Umstände, nämlich dessen fortgeschrittene Demenzerkrankung und sein Verschwinden aus einer Wohngruppe für Demenzerkrankte sowie ergebnislose Fahndungsmaßnahmen und Presseveröffentlichungen, vorlagen, die Zweifel an seinem Fortleben begründeten.

III.

Von einer Kostenentscheidung wird abgesehen. Die Tragung der Gerichtskosten ergibt sich bereits unmittelbar aus §§ 22 Abs. 1, 25 Abs. 1 GNotKG. Einer Erstattungsanordnung bezüglich außergerichtlicher Kosten bedarf es nicht, da am Beschwerdeverfahren nur der Antragsteller beteiligt ist.

Ein Anlass für die Zulassung der Rechtsbeschwerde gemäß § 70 Abs. 2 Satz 1 FamFG besteht nicht.

Die Wertfestsetzung findet ihre Grundlage in §§ 79 Abs. 1 S. 1, 36 Abs. 2 und 3 GNotKG.

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