KG Berlin, Beschl. v. 31.01.2018 – 26 W 57/16
Zur Testamentsauslegung im Erbschein
(AG Charlottenburg, Beschl. v. 06.09.2016 – 62 VI 796/15)
Gründe:
Auf Antrag des Antragstellers vom 02.08.2016, einen Erbschein des Inhalts zu erteilen, dass er Alleinerbe nach dem Erblasser geworden ist, hat das AG Charlottenburg mit Beschluss vom 06.09.2016 – unter Aussetzung der sofortigen Wirksamkeit seines Beschlusses – die Tatsachen, die zur Erteilung des beantragten Erbscheins erforderlich sind, für festgestellt erachtet und erklärt, die Erteilung des beantragten Erbscheins bis zur Rechtskraft seines Beschlusses zurückzustellen.
Dieser Beschluss ist – u.a. – dem Beschwerdeführer über seinen Verfahrensbevollmächtigten am 13.09.2016 zugestellt worden.
Der Beschwerdeführer hat mit Schriftsatz seines Verfahrensbevollmächtigten vom 11.10.2016, beim AG Charlottenburg eingegangen am 12.10.2016, gegen diesen Beschluss Beschwerde eingelegt.
Das AG Charlottenburg hat mit Beschluss vom 17.10.2016 der Beschwerde unter Vorlage an das KG nicht abgeholfen.
Die zur Erteilung des von dem Antragsteller beantragten Erbscheins, nämlich eines Erbscheins dahingehend, dass er Alleinerbe nach dem Erblasser geworden ist, erforderlichen Tatsachen können nicht als nach § 352e Abs. 1 Satz 1 FamFG festgestellt erachtet werden. Denn der Antragsteller ist nicht Alleinerbe nach dem Erblasser geworden.
Letztwillige Verfügungen sind der Auslegung zugänglich. Die Auslegung von Testamenten folgt hierbei grds. den in § 133 BGB niedergelegten allgemeinen Regeln bei der Auslegung von Willenserklärungen (Palandt/Weidlich, BGB, 77. Aufl., 2018, § 2084 Rn. 1; BGHZ 86, 41, Rn. 16 nach juris), wonach der wirkliche Wille zu erforschen und nicht am buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften ist.
Der Tatrichter darf sich nicht auf eine Analyse des Wortlauts beschränken, sondern muss gegebenenfalls unter Auswertung von außerhalb des Testaments liegenden Umständen versuchen, den Erblasserwillen aufzudecken. Dabei geht es nicht um die Ermittlung eines von der Erklärung losgelösten Willens, sondern um die Klärung der Frage, was der Erblasser mit seinen Worten sagen wollte. Dem liegt die Erkenntnis zugrunde, dass der Sprachgebrauch nicht immer so exakt ist oder sein kann, dass der Erklärende mit seinen Worten genau das unmissverständlich wiedergibt, was er zum Ausdruck bringen wollte. Gerade deshalb ordnet § 133 BGB an, den Wortsinn der benutzten Ausdrücke unter Heranziehung aller Umstände zu hinterfragen. Nur dann kann die Auslegung der Erklärung durch den Richter gerade die Bedeutung auffinden und ihr die rechtliche Wirkung zukommen lassen, die der Erklärende seiner Willenserklärung wirklich beilegen wollte (BGH, FamRZ 1993, 318, Rn. 10 nach juris). Insbesondere bei der Abgrenzung von Erbeinsetzung und Vermächtnis in Texten juristischer Laien darf dem Wortlaut nicht zu viel Bedeutung beigemessen werden, sondern kann der Wortlaut allenfalls als Indiz herangezogen werden. Denn die Begriffe „Erbe“, „Vermächtnis“ und „Legat“ werden in weiten Kreisen der Bevölkerung als Synonyme betrachtet. Für die Beurteilung, ob ein Bedachter Erbe oder Vermächtnisnehmer ist, ist daher die bloße Bezeichnung der testamentarisch Bedachten nicht entscheidend. Maßgeblich ist vielmehr der auszulegende sachliche Inhalt der letztwilligen Verfügung (OLG Karlsruhe, FamRZ 2015, 1929, Rn. 16 nach juris; BayObLG, FamRZ 1992, 862, Rn. 36 nach juris). Diese Problematik hat bereits der Gesetzgeber gesehen, wie sich aus § 2087 BGB ergibt.
Im Hinblick auf die Erbeinsetzung enthält § 2087 BGB eine – unter Beachtung des Vorrangs individueller Auslegung zum Zug kommende – Auslegungsregel (Weidlich, a.a.O., § 2087 Rn. 1). Nach Abs. 1 dieser Norm ist, wenn der Erblasser sein Vermögen oder ein Bruchteil seines Vermögens einem Bedachten zugewandt hat, die Verfügung als Erbeinsetzung anzusehen, auch wenn der Bedachte nicht als Erbe bezeichnet ist. Demgegenüber ist nach Abs. 2 dieser Vorschrift, wenn dem Bedachten nur einzelne Gegenstände zugewandt worden sind, im Zweifel nicht anzunehmen, dass er Erbe sein soll, auch wenn er als Erbe bezeichnet ist. § 2087 BGB kann somit als Ausdruck der Grundregel, dass Erbeinsetzung die Zuwendung der Gesamtrechtsnachfolge (§§ 1922 Abs. 1, 1942 Abs. 1 BGB) in das Vermögen des Erblassers insgesamt oder in Bruchteilen davon, Vermächtnis dagegen die Zuwendung einzelner, einen Vermögensvorteil verschaffender Gegenstände (§ 1939 BGB) ist, angesehen werden (vgl. auch Weidlich, a.a.O., § 2087 Rn. 1: jedenfalls keine Abweichung von diesem Grundsatz). § 2087 Abs. 2 BGB greift dann nicht ein, wenn die Auslegung des Testaments ergibt, dass trotz Zuwendung nur einzelner Gegenstände eine Erbeinsetzung der mit diesen Gegenständen Bedachten anzunehmen ist. Das kann etwa dann der Fall sein, wenn der Erblasser sein Vermögen vollständig den einzelnen Vermögensgegenständen nach verteilt hat, wenn er dem Bedachten die Gegenstände zugewendet hat, die nach seiner Vorstellung das Hauptvermögen bilden, oder nur Vermächtnisnehmer vorhanden wären und nicht anzunehmen ist, dass der Erblasser überhaupt keine Erben berufen wollte (BGH, FamRZ 2017, 1716, Rn. 29). Vor diesem Hintergrund wird auch vertreten, dass dann, wenn der Erblasser praktisch über sein gesamtes Vermögen verfügt, grds. nicht anzunehmen ist, dass der Erblasser überhaupt keinen Erben berufen wollte (Weidlich, a.a.O., § 2087 Rn. 3; OLG München, FamRZ 2010, 758, Rn. 55 nach juris; BGH, DNotZ 1972, 500).
Für den Fall, dass der Erblasser das vorhandene Vermögen – gänzlich oder nahezu nach Quoten auf einzelne Bedachte verteilt, kann, gegebenenfalls durch ergänzende Heranziehung der Auslegungsregel des § 2087 Abs. 1 BGB, eine Erbeinsetzung anzunehmen sein (BayObLG, NJW-RR 2005, 1245 [BayObLG 08.06.2005 – 1 Z BR 110/04], Rn. 25 nach juris; Weidlich, a.a.O., § 2087 Rn. 8). Die Zuwendung eines Bruchteils des Erblasservermögens muss allerdings nicht in jedem Fall eine Erbeinsetzung darstellen. Sie kann auch als Quotenvermächtnis verstanden werden, durch das dem oder den Erben die Auszahlung eines dem Bruchteil entsprechenden Teils des Nachlasswertes an den Bedachten auferlegt wird (BayObLG, NJW-RR 1996, 1478 [BayObLG 17.01.1996 – 1Z BR 84/95], Rn. 16 nach juris; BGH, NJW 1960, 1759 [BGH 25.05.1960 – V ZR 57/59]). So enthält etwa eine testamentarische Anordnung des eine Bäckerei betreibenden Erblassers des Inhalts, dass ein Sohn, der das Bäckerhandwerk erlernt hatte, zum Alleinerben eingesetzt und weiteren 6 Abkömmlingen jeweils ein Betrag vermacht wird, welcher gleich hoch wie der Erbteil ist, den sie im Falle der gesetzlichen Erbfolge bekommen hätten, eine Erbeinsetzung des genannten Sohnes und Quotenvermächtnisse zu Gunsten der weiteren Abkömmlinge (BGH, a.a.O.). Ferner ist eine letztwillige Verfügung des Inhalts, dass 2 Personen den Nachlass „unter sich aufteilen“ sollen und ein Dritter „prozentmäßig seinen Anteil bekommen“ soll, dahingehend ausgelegt worden, dass die beiden erstgenannten Personen zu Erben berufen sind, während die letztgenannte Person ein Quotenvermächtnis erhalten soll (BayObLG, a.a.O., Rn. 14 nach juris).
Die Auslegung einer letztwilligen Verfügung ist Aufgabe des Tatrichters (BGH, Rpfleger 1980, 337 [BGH 29.05.1980 – IVa ZR 26/80], Rn. 14 nach juris), also des Nachlassgerichts und des an seine Stelle tretenden Gerichts der ersten Beschwerde (OLG Hamm, NJW 2003, 2391 [OLG Hamm 01.10.2002 – 15 W 164/02], Rn. 17 nach juris).
Unter dem […] 2012 hat der Erblasser erklärt, er wolle sein Testament dahingehend ändern, dass der Beschwerdeführer sowie die Beteiligten zu 4. (Letztere hierbei mit „M.P.“ bezeichnet; vgl. dazu auch die weitere, nachstehend noch erörterte Erklärung vom 02.07.2013) jeweils 10 % seines Vermögens bekommen sollten, während alle übrigen, welche im Testament genannt seien, 5 % erhalten sollten. Letzteres hat der Erblasser mit dem Zusatz versehen „auch G… Z… “ (und nicht – wie der Beschwerdeführer im Schriftsatz vom […] 2016, liest – „auch für Zinsen“). Ansonsten solle es so bleiben, „wie im Testament (im Safe)“.
Lediglich am Rande sei darauf hingewiesen, dass, falls man die gegenteilige Auffassung vertreten wollte, der Antragsteller schon keinen ihn auch nur als (Mit-) Erben ausweisenden Erbschein beanspruchen könnte.
Zwar hat der Erblasser – ohne dies in seiner Verfügung vom […] 2012 abzuändern – im Testament vom […] 2008 angeordnet, dass der Antragsteller bestimmte, mit der Durchführung der Erbschaft verbundene Arbeiten und Aufgaben zu erledigen habe. In einer solchen Anordnung gegenüber einem von mehreren – zu Miterben eingesetzten Bedachten kann die Berufung des Betreffenden als Testamentsvollstrecker liegen (vgl. dazu Weidlich, a.a.O., § 2197 Rn. 5). Eine solche Gestaltung kann auch als Indiz für eine Erbeinsetzung gesehen werden (vgl. dazu Weidlich, a.a.O., § 2087 Rn. 2). Allerdings wäre aus einem solchen Indiz noch nicht ohne Weiteres zu folgern, dass andere Bedachte nicht Erben werden sollten. Darüber hinaus hat vorliegend der Erblasser selbst die Stellung des Antragstellers wieder abgeschwächt durch seine Erklärung, für den Fall, dass der Antragsteller nicht zur Durchführung der Aufgaben in der Lage sein sollte, könne er dafür eine vertrauenswürdige Person einsetzen. Hieraus ergibt sich, dass es dem Erblasser schon nicht entscheidend darauf ankam, dass der Antragsteller persönlich die im Testament genannten Aufgaben erledigt. Am Rande wird noch darauf hingewiesen, dass nicht zu ersehen ist, dass der Antragsteller die ihm zugedachten Arbeiten tatsächlich erledigt hat. Diesbezüglich hat die Beteiligte zu 5. erklärt, sie habe die Beerdigung des Erblassers durchgeführt, mit der sie auch beauftragt gewesen sei. Dies findet seine Bestätigung in den Angaben des Nachlassverwalters, Rechtsanwalt T. aus dessen Bericht vom […] 2016. Darüber hinaus hat der Erblasser gerade nicht verfügt, dass der Antragsteller das auf die einzelnen Bedachten zu verteilende Vermögen verteilen sollte; dies sollte vielmehr – nach Beauftragung durch den Antragsteller – ein bereits vom Erblasser bestimmter Notar durchführen. Das spricht gegen die Annahme, allein der Antragsteller sei Erbe geworden und er sei mit Vermächtnissen zu Gunsten der übrigen Bedachten belastet, welche er zu erfüllen habe.
Darüber hinaus ist ergänzend auch die Auslegungsregel des § 2087 Abs. 1 BGB, nicht aber diejenige nach Abs. 2 dieser Vorschrift, heranzuziehen. Denn auch den neben dem Antragsteller Bedachten sind Bruchteile des Vermögens des Erblassers zugewandt worden, nicht aber lediglich einzelne Gegenstände.
Ferner kann letztlich auch nicht an den vom Erblasser selbst bestimmten Wertverhältnissen vorbeigegangen werden. Nach der die Quoten ändernden Verfügung vom […] 2012 sollte der Antragsteller aber nur noch 5 % erhalten, während mehrere andere Personen jeweils 10 % erhalten sollten. Dass die dem Antragsteller darüber hinaus – und ohnehin nur zu 1/3 – zugedachte Kleidung des Erblassers besonderen Wert hätte, ist nicht zu ersehen. Gegenteiliges ergibt sich auch nicht aus den vom Nachlassverwalter erstellten Vermögensverzeichnissen. Der Antragsteller kann sich ferner nicht mit Erfolg darauf berufen, der Erblasser habe ihm weitere 20.000 € gesondert zugewandt. Unabhängig davon, dass bei einer gesonderten Zuwendung dieses Vermögendgegenstandes vor dem Hintergrund der Auslegungsregel des § 2087 Abs. 2 BGB lediglich ein Vorausvermächtnis, § 2150 BGB, naheliegen könnte und dass auch bei Addition dieser knapp 4 % des Nachlasses von gut 512.000,- Euro betragenden Summe der Antragsteller immer noch in geringerem Umfang bedacht wäre, als diejenigen Bedachten, welchen der Erblasser 10 % seines Vermögens zugewandt hat, sollte der Antragsteller den Betrag von 20.000 € ausdrücklich zur Abdeckung der Kosten erhalten, die mit der Durchführung der ihm vom Erblasser übertragenen Arbeiten verbunden sind. Der Antragsteller sollte den genannten Betrag also nicht zusätzlich zu der ihm gemachten Zuwendung zum freien Behaltendürfen bekommen, sondern zum Ausgleich für ihm entstehende Kosten.
Der Antragsteller kann sich auch nicht mit Erfolg darauf stützen, der Erblasser habe ihn ausdrücklich zum „Haupterben“ ernannt. Hierbei kann dahinstehen, ob dies trotz der Angabe in der Änderungsverfügung vom […] 2012, ansonsten bleibe es wie im Testament, nicht durch die Änderung der Quoten konkludent abgeändert worden ist. Denn es ist nicht zu ersehen, dass der Erblasser mit der Benennung des Antragstellers als Haupterben diesen zum Alleinerben hätte machen wollen. Bei der Auslegung eines Testaments ist, wie bereits ausgeführt, nicht am Wortlaut zu haften. Wollte man gleichwohl an dieser Stelle dem Wortlaut stärkere Bedeutung zukommen lassen, müsste dann aber ebenfalls berücksichtigt werden, dass der Erblasser im Testament vom … .2008 auch alle anderen Bedachten – mit Ausnahme der Beteiligten zu 7. – mehrfach und ausdrücklich als „Erben“ bezeichnet hat.
Im Ergebnis hat damit der Erblasser den Antragsteller nicht als Alleinerben eingesetzt, sondern zusammen mit weiteren Personen als Miterben. Für § 2084 BGB ist kein Raum, weil letztlich keine Zweifel bestehen bleiben und die gefundene Auslegung auch nicht zur Unwirksamkeit der letztwilligen Verfügung führt.
Zwar kann auch auf andere Weise als durch Vorlage des Originals der Nachweis geführt werden, dass der Erblasser ein formgerechtes Testament mit dem aus der Kopie ersichtlichen Inhalt errichtet hat. An die Beweisführung, bei der die Feststellungslast nach allgemeinen Regeln dem vom in Kopie vorliegenden Testament Begünstigten obliegt, sind allerdings strenge Anforderungen zu stellen (OLG Karlsruhe, FamRZ 2016, 1007, Rn. 15 nach juris; OLG Naumburg, MDR 2012, 856, Rn. 12 jeweils m.w.N.). Errichtung und Inhalt des Testaments können hierbei mit allen zulässigen Beweismitteln bewiesen werden. Die Ermittlungen dazu können nach pflichtgemäßem Ermessen in jeder möglichen Art und Form durch die Gerichte der Tatsacheninstanzen vorgenommen werden.
Allerdings verdient das förmliche Beweisverfahren (Strengbeweis) dann den Vorzug, wenn es auf die Erweisbarkeit bestimmter Einzeltatsachen ankommt wie Errichtung und Inhalt eines nicht mehr vorhandenen Testaments. Das gilt insbesondere dann, wenn das Recht eines Beteiligten, an der Wahrheitsfindung – etwa durch das Stellen von Nachfragen – mitzuwirken, ansonsten nicht hinreichend gesichert ist (OLG Karlsruhe, a.a.O., Rn. 13 nach juris; BayObLG, FamRZ 1992, 1323, Rn. 11 nach juris m.w.N.; Weidlich, a.a.O., § 2255 Rn. 9 jeweils m.w.N.). Vorliegend ist nicht zu ersehen, auf welche Weise im Wege des – nach Vorstehendem erforderlichen – Strengbeweises die Errichtung eines Testaments mit dem Inhalt der Erklärung des Erblassers vom … .2013 bewiesen werden könnte. Die insoweit angebotene eidesstattliche Versicherung der Beteiligten M.P. ist hierfür ungenügend.
Vor diesem Hintergrund ist die Erklärung vom […] 2013 nach Aktenlage nicht heranzuziehen.
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