LAG Hamm, Urteil vom 05.04.2012 – 15 Sa 1736/11

Juli 5, 2020

LAG Hamm, Urteil vom 05.04.2012 – 15 Sa 1736/11
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Detmold vom 20.10.2011 – 3 Ca 457/11 – wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Berechtigung der Beklagten zur Anrechnung tariflicher Entgelterhöhungen auf übertarifliche Entgeltbestandteile des Klägers.
Auf das Arbeitsverhältnis des seit Jahren bei der Beklagten beschäftigten Klägers finden kraft beiderseitiger Zugehörigkeit zu den tarifschließenden Parteien die Tarifverträge für die kunststoffverarbeitende Industrie im Kreis Lippe Anwendung. Die Beklagte vergütet die bei ihr beschäftigten Arbeitnehmer übertariflich.
Bis einschließlich September 2010 erhielt der Kläger folgendes Entgelt:
Stundenlohn 15,36 Euro
außertarifliche Zulage 0,50 Euro
Stundenlohn insgesamt 15,86 Euro.
Mit Aushang vom 27.10.2010 teilte die Beklagte ihren Mitarbeitern folgendes mit:
„Tarifergebnis 2010
Sehr geehrte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter!
Wie Sie sicher bereits erfahren haben, einigten sich die Tarifpartner auf eine Erhöhung der Entgelte zum 01. Oktober 2010 um 2,0 %, ferner einer weiteren Erhöhung zum 01. April 2011 um weitere 2,0 %, sowie zur Leistung einer Einmalzahlung in Höhe von EUR 120,00 (Auszubildende EUR 60,00, Teilzeitkräfte anteilig) mit einer Laufzeit von 14 Monaten.
Hiermit setzen wir Sie davon in Kenntnis, dass wir uns aufgrund unserer derzeitigen wirtschaftlichen Situation bedauerlicherweise nicht in der Lage sehen, diese Entgelterhöhung an unsere Mitarbeiter/-innen weiterzugeben, die bereits verrechenbare übertarifliche Zulagen erhalten.
Wir sehen uns daher gezwungen, diese Lohnerhöhung mit eventuell vorhandenen übertariflichen-, bzw. freiwilligen Lohn-/Gehaltsbestandteilen (AT-Zulagen), zu verrechnen.
Von dieser Anrechnung sind ausnahmslos alle Mitarbeiter/-innen betroffen, bei denen eine anrechenbare Zulage vorhanden ist.
Wir bitten um Ihr Verständnis für diese Maßnahme.
G1 K2-T1 G2 & Co.KG
H2 B2″
Ab Oktober 2010 rechnete die Beklagte bei allen übertariflich entgoltenen Mitarbeitern zunächst die Tarifentgelterhöhung von 2 % auf die übertariflichen Entgeltbestandteile an. Hiervon ausgenommen blieb lediglich der Mitarbeiter F., mit dem die Beklagte am 28.04.2008 eine Vereinbarung getroffen hatte, wonach dem Mitarbeiter F. zugesichert wurde, „dass bei tariflichen Lohnerhöhungen keine Anrechnung der AT-Zulage vorgenommen wird. Dies gilt allerdings nur für die tariflichen Lohnerhöhungen, die in den Jahren 2008, 2009 und 2010 erfolgen.“
Die Tarifentgelterhöhung um 2 % ab April 2011 rechnete die Beklagte bei ausnahmslos allen übertariflich vergüteten Arbeitnehmern an.
Der Kläger hat erstinstanzlich die Ansicht vertreten, die Beklagte habe bei der Anrechnung zu Unrecht die Mitbestimmung des Betriebsrats unberücksichtigt gelassen und beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, 1. an den Kläger Euro48,17 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 01.11.2010 zu zahlen, 2. an den Kläger Euro50,47 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 01.12.2010 zu zahlen, 3. an den Kläger Euro52,76 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 01.01.2011 zu zahlen, 4. an den Kläger Euro48,17 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 01.02.2011 zu zahlen, 5. an den Kläger Euro45,88 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 01.03.2011 zu zahlen, 6. an den Kläger Euro52,76 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 01.04.2011 zu zahlen, 7. an den Kläger Euro49,79 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 01.05.2011 zu zahlen, 8. an den Kläger Euro52,10 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 01.06.2011 zu zahlen, 9. an den Kläger Euro52,10 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 01.07.2011 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats abgelehnt, da die Tarifentgelterhöhungen in beiden Fällen vollständig und bei allen Mitarbeitern auf die übertarifliche Zulage zur Anwendung gekommen seien.
Das Arbeitsgericht Detmold hat mit Urteil vom 20.10.2011 die Klage abgewiesen mit der Begründung, dass eine Anrechnung der Tarifentgelterhöhung auf die übertarifliche Zulage sowohl individual- wie auch kollektivrechtlich möglich gewesen sei.
Der Kläger hat gegen das ihm am 02.11.2011 zugestellte erstinstanzliche Urteil am 24.11.2011 beim Landesarbeitsgericht eingehend Berufung eingelegt und diese – nach bewilligter Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 02.02.2012 – mit am 26.01.2012 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz begründet.
Er trägt vor, seinem Arbeitsvertrag sei eine Berechtigung der Beklagten, die übertarifliche Zulage bei Tariflohnerhöhungen anzurechnen, nicht entnehmbar. Die Anrechnung sei auch mangels Zustimmung des Betriebsrats unzulässig. Die im Rahmen der Mitbestimmung gem. § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG relevanten Verteilungsgrundsätze änderten sich hier dadurch, dass die einzelnen Arbeitnehmer Zulagen in unterschiedlicher Höhe erhalten. Auch sei bei einem Mitarbeiter entsprechend einer dieser gegebenen Zusage eine Anrechnung nicht erfolgt. Es sei nicht einzusehen, warum die Abschaffung einer zusätzlichen Arbeitgeberleistung mitbestimmungsfrei möglich sein solle. So habe auch das LAG Hamm in seiner Entscheidung vom 07.12.1988 (12 Ta BV 114/88) bei der vollständigen Anrechnung einer übertariflichen Zulage eine Zuständigkeit der Einigungsstelle bejaht.
Der Kläger beantragt:
Unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Detmold vom 20.10.2011, 3 Ca 457/11, wird nach den im letzten Termin vor dem Arbeitsgericht in Detmold gestellten Anträgen entschieden.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie weist darauf hin, dass eine Anrechenbarkeit gegeben sei, da der Arbeitsvertrag hierüber keine Aussage treffe und besondere Umstände zur Ableitung des Gegenteils nicht vorlägen. Ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats sei nicht gegeben, da die Tariflohnerhöhung bei allen Mitarbeitern in voller Höhe angerechnet worden sei.
Wegen des Weiteren tatsächlichen Vorbringens der Parteien werden verwiesen auf deren wechselseitige Schriftsätze sowie die Protokolle der öffentlichen Sitzungen, die insgesamt Gegenstand der letzten mündlichen Verhandlung waren.
Gründe
I.
Die Berufung ist gemäß §§ 64 Abs. 1, Abs. 2 lit. b, 66 Abs. 1 ArbGG an sich statthaft, Frist- und formgerecht eingelegt und begründet worden und damit zulässig.
II.
In der Sache konnte die Berufung keinen Erfolg haben. Das Arbeitsgericht hat die Klage zu Recht und mit zutreffender Begründung abgewiesen. Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Zahlung monatlichen Differenzentgelts.
Die Berufungskammer folgt der angefochtenen Entscheidung und sieht zur Vermeidung von Wiederholungen von der Darstellung der Entscheidungsgründe ab, § 69 Abs. 2 ArbGG.
Die Berufung des Klägers gibt zu folgenden ergänzenden Ausführungen Anlass:
1) Die Anrechnung der Tarifentgelterhöhung auf die übertarifliche Zulage des Klägers war individualrechtlich möglich.
a) Ob eine Tarifentgelterhöhung individualrechtlich auf ein übertarifliches Entgelt angerechnet werden darf, hängt von der dem Arbeitsverhältnis zugrunde liegenden Entgeltabrede ab. Im Falle der Vereinbarung einer ausdrücklichen arbeitsvertraglichen Regelung gilt diese. Andernfalls muss aus den Umständen ermittelt werden, ob eine Anrechnungsbefugnis gegeben ist. Grundsätzlich ist die Anrechnung möglich, es sei denn, dem Arbeitnehmer ist vertraglich ein selbständiger Entgeltbestandteil neben dem jeweiligen Tarifentgelt zugesagt worden (BAG vom 23.09.2009 – 5 AZR 941/08, juris, unter Hinweis auf BAG vom 27.08.2008 – 5 AZR 820/07, AP BGB § 307 Nr. 36 m.w.N.).
Dabei spricht nicht für die Annahme eines anrechnungsfesten selbständigen Entgeltbestandteils, dass der Arbeitgeber die Zulage tatsächlich zahlt. Ebenso wenig lässt sich eine anrechnungsfeste Zulage annehmen, wenn diese über einen längeren Zeitraum vorbehaltlos gezahlt und nicht mit Tarifentgelterhöhungen verrechnet worden ist (so bereits BAG vom 31.10.1995 – 1 AZR 276/95, AP BetrVG 1972 § 87 Lohngestaltung Nr. 80). Erhöht sich das Tarifentgelt, entspricht die Zulässigkeit der Anrechnung sogar regelmäßig dem Willen der Arbeitsvertragsparteien, denn die Gesamtvergütung verringert sich nicht (vgl. auch BAG vom 21.01.2003 – 1 AZR 125/02, AP BetrVG 1972 § 87 Lohngestaltung Nr. 118).
b) Dass im Arbeitsvertrag des Klägers ein Anrechnungsrecht nicht ausdrücklich verankert ist, macht die von der Beklagten vorgenommene Anrechnung der Tarifentgelterhöhung Oktober 2010 und April 2011 somit rechtlich nicht unzulässig. Der Kläger vermochte auch nicht darzulegen, dass ihm die außertarifliche Zulage als selbständiger Entgeltbestandteil neben seinem jeweiligen Tarifentgelt von der Beklagten zugesagt worden wäre. Ebenso wenig hat der Kläger besondere Umstände vorgetragen, die auf eine Befugnis zur Anrechnung hätten schließen lassen können.
2) Erwiese sich die Anrechnung jedenfalls kollektivrechtlich als unwirksam, käme es auf ihre individualrechtliche Zulässigkeit nicht an.
Eine betriebsverfassungsrechtliche Unwirksamkeit der Anrechnung der Tarifentgelterhöhung auf die übertarifliche Zulage des Klägers konnte indes nicht angenommen werden.
a) Der Betriebsrat hat gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG bei der Anrechnung einer Tarifentgelterhöhung auf übertarifliche Zulagen mit zu bestimmen, wenn eine generelle Maßnahme vorliegt, sich durch die Anrechnung die bisher bestehenden Verteilungsrelationen ändern und für die Neuregelung innerhalb des vom Arbeitgeber mitbestimmungsfrei vorgegebenen Dotierungsrahmens ein Gestaltungsspielraum besteht (st. Rspr. des BAG, s. etwa Urteil vom 10.03.2009 – 1 AZR 55/08, juris; BAG vom 08.06.2004 – 1 AZR 308/03, BAGE 111, 70 m.w.N.).
Danach gilt, dass eine Anrechnung nicht der Mitbestimmung unterliegt, wenn die Tarifentgelterhöhung im Rahmen des rechtlich und tatsächlich Möglichen vollständig und gleichmäßig auf die übertarifliche Zulage angerechnet wird (BAG vom 08.06.2004, a.a.0.).
Für die Annahme eines Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats nach § 87 Abs.1 Nr. 10 BetrVG kommt es darauf an, ob die Konzeption des Arbeitgebers Raum für eine Mitgestaltung lässt (BAG vom 10.03.2009, a.a.0.). Fehlt es andererseits an einem irgendwie gearteten (Gesamt-) Konzept des Arbeitgebers, weil die Anrechnung im Rahmen des Möglichen vollständig und gleichmäßig vorgenommen wird, scheidet eine Mitbestimmung im Rahmen der betrieblichen Lohngestaltung aus.
b) Vorliegend hat die Beklagte die tarifliche Entgelterhöhung aus Oktober 2010 und April 2011 vollständig und gleichmäßig bei allen Arbeitnehmern, die Anspruch auf eine übertarifliche Zulage haben, zur Anrechnung gebracht. Raum für jedwede Gestaltungsmöglichkeiten war bei dieser (zulässigen) Vorgehensweise nicht mehr vorhanden.
aa) Die Tatsache, dass die Anrechnung des ersten Teils der Tarifentgelterhöhung (Oktober 2010) – nicht dagegen die des 2. Teils der Erhöhung im April 2011 – allein bei dem Arbeitnehmer F. unterblieben ist, führt nicht zur Annahme einer nicht gleichmäßigen Anrechnung. Denn die Beklagte war aufgrund der Individualvereinbarung mit dem Arbeitnehmer F. vom 28.04.2008 und damit aus rechtlichen Gründen gehindert, eine Anrechnung der Tarifentgelterhöhung aus Oktober 2010 gegenüber dem Mitarbeiter F. vorzunehmen, was jedoch rechtlich unschädlich ist.
bb) Soweit die Beklagte an ihre Arbeitnehmer übertarifliche Zulagen in unterschiedlicher Höhe zahlt, hat das keine Auswirkung auf die Verteilungsgrundsätze. Dem steht bereits entgegen, dass die Tarifentgelterhöhung auf sämtliche Zulagen vollständig und gleichmäßig angerechnet wurde.
cc) Nicht überzeugen kann der Ansatz des Klägers, es sei nicht einzusehen, warum die Abschaffung einer zusätzlichen Arbeitgeberleistung mitbestimmungsfrei erfolgen können soll. Denn im Unterschied zur Einführung habe der Arbeitgeber mit der Gewährung der Zahlung für die Arbeitnehmer einen Vertrauenstatbestand geschaffen (unter Hinweis auf DKKD-Klebe, § 87 Rn. 259).
Diese Auffassung wird von der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ersichtlich nicht geteilt. Der Kläger bleibt insoweit darauf verwiesen, dass allein dann, wenn ein arbeitgeberseitiges Gesamtkonzept als Reaktion auf eine einheitliche Tarifentgelterhöhung vorliegt, ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bereits für den Wegfall einer Zulage zu bejahen sein wird (vgl. noch einmal BAG vom 10.03.2009, a.a.0.).
dd) Schließlich verfängt der Hinweis des Klägers auf LAG Hamm vom 07.12.1988 nicht. In dieser Entscheidung (12 Ta BV 114/88, DB 1989, 2131) hat das Gericht lediglich im Rahmen eines Einigungsstellenbesetzungsverfahrens eine offensichtliche Unzuständigkeit der Einigungsstelle im Sinne von § 98 Abs. 1 S. 2 ArbGG verneint in einem Fall der Reduzierung des Dotierungsrahmens einer freiwilligen Zulage durch vollständige Anrechnung bei sämtlichen Arbeitnehmern. Eine positive Aussage zum Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG ist damit nicht getroffen.
III.
1) Die Nebenentscheidung für den Kostenausspruch beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
2) Gründe für die Zulassung der Revision im Sinne des § 72 Abs. 2 ArbGG liegen nicht vor, da insbesondere das Berufungsgericht seiner Entscheidung die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zugrunde gelegt hat.

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