Bayerischer VGH, Beschluss vom 01.09.2022 – 22 C 22.1221

September 20, 2022

Bayerischer VGH, Beschluss vom 01.09.2022 – 22 C 22.1221

Tenor
I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

II. Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe
I.

Die Beteiligten streiten um die Erstattungsfähigkeit von Rechtsanwaltskosten als zur Rechtsverteidigung notwendige Aufwendungen i.S.v. § 162 Abs. 1, 2 Satz 1 VwGO.

Die Klägerin erhob am 12. Oktober 2021 Klage gegen einen Bescheid der Beklagten vom 13. September 2021, mit welchem der Klägerin anlässlich der Corona-Pandemie eine sog. Überbrückungshilfe III in Höhe von 48.631,44 € gewährt und zugleich der Antrag auf Gewährung von insgesamt 63.500 € im Übrigen abgelehnt wurde. Laut Klageschrift sei die Klageerhebung vorsorglich fristwahrend erfolgt, weil über die Verfahrensfortführung, Antragstellung und Begründung erst nach Akteneinsicht entschieden werden könne. Mit Schriftsatz vom 25. Oktober 2021 zeigten die Bevollmächtigten der Beklagten deren Vertretung an und legten einen Ausdruck der (ausschließlich elektronisch geführten) Behördenakten vor. Nach erfolgter Akteneinsicht nahmen die Bevollmächtigten der Klägerin mit Schriftsatz vom 17. Februar 2022 die Klage zurück.

Die Klägerin beantragte am 24. März 2022 die Entscheidung des Gerichts (Kostenerinnerung) bezüglich der im Beschluss der Kostenbeamtin vom 10. März 2022 auf Basis von Nr. 3101, 7002 und 7008 VV-RVG festgesetzten außergerichtlichen Aufwendungen der Beklagten für deren Bevollmächtigte (insgesamt 1.330,90 €). Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die beklagtenseits geltend gemachten Kosten abweichend vom Regelfall des § 162 Abs. 1, 2 Satz 1 VwGO nicht erstattungsfähig seien. Die Zuziehung eines Rechtsanwalts verstoße gegen Treu und Glauben, insbesondere, wenn sie offensichtlich nutzlos und objektiv nur dazu gehalten sei, dem Gegner Kosten zu verursachen. Auch der Bayerische Verwaltungsgerichtshof habe in seinem Beschluss vom 22. Februar 2018 (Az. 15 C 17.2522) eine Kostenerstattung abgelehnt, wenn der Grundsatz, dass jeder Beteiligte aus dem prozessrechtlichen Verhältnis heraus verpflichtet sei, die Kosten so niedrig wie möglich zu halten, verletzt sei. Dies sei vorliegend der Fall, weil die Klägerin klar formuliert habe, dass die Klage zunächst nur fristwahrend erhoben werde. Es sei rechtsmissbräuchlich, dass die Beklagte bereits die bloße Aktenübermittlung, ohne dass eine weitergehende Tätigkeit veranlasst gewesen sei, durch ihre Bevollmächtigten durchführen habe lassen. Zu diesem Zeitpunkt habe die Beklagte in keiner Weise irgendeine Gefährdung ihrer Verteidigungsposition befürchten müssen. In diesem Zusammenhang sei als besonderer Umstand auch zu berücksichtigen, dass es sich bei der Beklagten um ein von der Corona-Pandemie stark betroffenes Unternehmen mithin in wirtschaftlicher schwerer Lage handle.

Die Beklagte entgegnete mit Schriftsatz vom 12. April 2022, dass Treuwidrigkeit nach der einschlägigen Rechtsprechung erst anzunehmen sei, wenn etwa – anders als vorliegend – auf eine ersichtlich unzulässige oder aus sonstigen Gründen offensichtlich aussichtslose Klage mit anwaltlicher Hilfe reagiert werde. In § 162 Abs. 2 Satz 1 VwGO sei keine Einschränkung bei einer bloß zur Fristwahrung erhobenen Klage vorgesehen; auch dass das Gericht der Beklagten aufgegeben habe, sich erst nach Vorliegen der Klagebegründung zu äußern, ändere daran nichts.

Die Kostenbeamtin half dem Antrag nicht ab.

Mit Beschluss vom 26. April 2022 wies das Verwaltungsgericht die Erinnerung zurück.

Gegen den Beschluss hat die Klägerin am 10. Mai 2022 Beschwerde eingelegt, welcher die Beklagte mit Schriftsatz vom 28. Juni 2022 entgegengetreten ist.

Das Verwaltungsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Akten Bezug genommen.

II.

Die zulässige Beschwerde, über welche der Senat nach § 9 Abs. 3 Satz 1 VwGO in seiner vollen Besetzung zu entscheiden hat (vgl. dazu BayVGH, B.v. 4.8.2016 – 4 C 16.755 – juris Rn. 10 m.w.N.), ist unbegründet.

1. Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Beschlusses vom 26. April 2022, welche dessen Änderung rechtfertigen würden, sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Das Verwaltungsgericht München hat den nach § 165 Satz 2 i.V.m. § 151 VwGO gestellten, den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 10. März 2022 betreffenden Antrag der Klägerin auf Entscheidung des Gerichts (Kostenerinnerung) zu Recht zurückgewiesen, weil die seitens der Beklagten geltend gemachte Rechtsanwaltsvergütung von der Kostenbeamtin zutreffend als erstattungsfähig i.S.v. § 162 Abs. 1, 2 Satz 1 VwGO anerkannt wurde.

Das Verwaltungsgericht führt insoweit in seinem Beschluss aus, dass gemäß § 162 Abs. 2 Satz 1 VwGO die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts stets erstattungsfähig seien; eine Prüfung der Notwendigkeit im Einzelfall entfalle. Eine Ausnahme vom Grundsatz der Erstattungsfähigkeit der Anwaltskosten würde nur greifen, wenn die Beauftragung als rechtsmissbräuchlich anzusehen sei. Letzteres sei nur der Fall, wenn die Beauftragung offensichtlich nutzlos und objektiv nur dazu angetan sie, dem Prozessgegner Kosten zu verursachen (vgl. BA S. 4 f. Rn.14 f.). Allein, dass eine Klage bloß fristwahrend erhoben worden sei und die Beklagte schon daraufhin einen Rechtsanwalt beauftragt habe, stelle noch keinen solchen Ausnahmefall dar. Der von der Klägerin angeführte Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 22. Februar 2018 (15 C 17.2522 – juris) führe zu keinem anderen Ergebnis. Denn die dort referierte Begrenzung von Anwaltskosten in Rechtsmittelzulassungsverfahren lasse sich nicht auf die vorliegende Konstellation einer erstinstanzlichen Klage übertragen, weil bei letzterer für die Beklagtenseite bereits ab Rechtshängigkeit Anlass zur Rechtsverteidigung besteht (vgl. BA s. 6 f. Rn. 17 m.w.N.).

Die Klägerin wendet insoweit ein, das Verwaltungsgericht habe verkannt, dass die Klägerin ein von der Corona-Pandemie stark betroffenes Unternehmen sei. Dies sei ein besonderer (sonstiger) Umstand im Sinne des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 22. Februar 2018, der zur Verletzung des Grundsatzes, die Prozesskosten so niedrig wie möglich zu halten, führe. Auch wenn die dort zugrundeliegende (Rechtsmittel-)Konstellation nicht „eins zu eins“ auf die vorliegende übertragbar sei, müsse der zitierte Rechtsgedanke Berücksichtigung finden. Über die beantragte Aktenübersendung hinaus sei bei der Beklagten nichts weiter veranlasst gewesen. Die Darstellung des Verwaltungsgerichts am Ende seines Beschlusses, dass sich die Beklagte aufgrund der massenhaften Fälle in Zusammenhang mit Corona-Überbrückungshilfen ohne weiteres anwaltlicher Hilfe bedienen haben dürfe, sei insoweit verkürzt und werde der Aufgabenstellung der Beklagten bzgl. dieser Hilfen nicht gerecht. Gerade mit Blick auf die besondere Situation der Corona-Überbrückungshilfen und ihre Pflicht zur Kostenminderung wäre es der Beklagten zumutbar gewesen, zu prüfen und abzuwägen, ob die Einschaltung eines anwaltlichen Bevollmächtigten bereits erforderlich sei. Der von der Klägerin geltend gemachte Ausnahmetatbestand erstrecke sich ausschließlich und maßgeblich auf den Umstand, dass eine staatliche Nothilfe verfahrensgegenständlich gewesen sei.

Auf Basis dieses Vortrags und auch im Übrigen ergeben sich keine Zweifel an der Richtigkeit des Beschlusses des Verwaltungsgerichts München vom 26. April 2022.

§ 162 Abs. 2 Satz 1 VwGO erklärt die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts als stets erstattungsfähig, weshalb – auch im Umkehrschluss zu § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO – die Notwendigkeit der Zuziehung eines Rechtsanwalts bei der Kostenfestsetzung nach § 164 VwGO nicht zu prüfen ist (vgl. BA S. 4 Rn. 14). Als (ungeschriebene) Ausnahmen davon sind von der Rechtsprechung offensichtliche Verstöße gegen den Grundsatz der Kostenminimierungspflicht sowie Verstöße gegen den allgemein geltenden und daher auch im Rahmen von § 162 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 VwGO zu berücksichtigenden Grundsatz von Treu und Glauben bzw. das dazu quasi spiegelbildlich geltende Verbot des Rechtsmissbrauchs anerkannt.

Gemessen daran war die Beauftragung eines Rechtsanwalts (bzw. die damit nach § 162 Abs. 2 Satz 1 VwGO ausgelöste Erstattungspflicht) trotz Hinweises der Klägerin, dass die Klageerhebung zunächst nur fristwahrend erfolge, vorliegend kein offensichtlicher Verstoß gegen die Kostenminimierungspflicht und auch nicht rechtsmissbräuchlich bzw. kein Verstoß gegen den Grundsatz von Treu und Glauben. Weder war die Beauftragung offensichtlich nutzlos und objektiv nur dazu angetan, der Klägerin Kosten zu verursachen, noch gebieten die sonstigen Umstände oder Besonderheiten des vorliegenden Einzelfalls eine solche Ausnahme von § 162 Abs. 2 Satz 1 VwGO.

Das Verwaltungsgericht hat unter Verweis auf die einschlägige obergerichtliche Rechtsprechung zutreffend ausgeführt, dass für die Beklagtenseite – auch wenn sie durch eine Behörde vertreten wird und/oder über juristisch geschultes Fachpersonal verfügt – regelmäßig schon ab Rechtshängigkeit der Klage Anlass zur Rechtsverteidigung besteht, selbst wenn die Klage nur fristwahrend erhoben wird (vgl. BA S. 6 f., Rn. 17 m.w.N.). Anhaltspunkte für ein (bewusst) rechtsmissbräuchliches Verhalten der Beklagten (i.e.S.) sind angesichts dessen nicht vorgetragen. Ebenso wenig kann – in diesem Verfahrensstadium (vgl. dazu auch konkret BA S. 8 Rn. 20) und angesichts des eben zitierten Regelfalls – davon die Rede sein, dass die Mandatierung der Bevollmächtigten der Beklagten offensichtlich nutzlos war. Aus dem Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 22. Februar 2018 (15 C 17.2522) ergibt sich nichts anderes, weder unter dem Blickwinkel „offensichtliche Nutzlosigkeit“ noch in Bezug auf sonstige (besondere) Umstände, welche eine Ausnahme rechtfertigen würden.

Entgegen der Ansicht der Klägerin unterscheidet sich die Konstellation, die dem Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshof vom 22. Februar 2018 und der darin in Bezug genommenen obergerichtlichen Rechtsprechung zugrundliegt, erheblich vom vorliegenden Sachverhalt. Die Umstände, welche laut Beschluss vom 22. Februar 2018 (im Einzelfall) zu einer Ausnahme von § 162 Abs. 2 Satz 1 VwGO führen können, fußen auf Besonderheiten der Rechtsmittelzulassungsverfahren als von der VwGO so konzipierter „Vor- oder Zwischenstufe“ zum „eigentlichen“ Rechtsmittel (Berufung/Revision). Ausschließlich diese Spezifika und die damit einhergehende Verfahrenskonstellation rechtfertigen es, von jeweiligen Rechtsmittelgegner (ausnahmsweise) unter den im Beschluss vom 22. Februar 2018 formulierten Gegebenheiten zu verlangen, von der Beauftragung eines Rechtsanwalts (zunächst) abzusehen. Denn anders als im erstinstanzlichen verwaltungsgerichtlichen Verfahren – für welches sich der Gesetzgeber trotz Amtsermittlungsgrundsatz (§ 86 Abs. 1 VwGO) u.a. in Form von § 162 Abs. 2 Satz 1 VwGO dafür entschieden hat, auch insoweit „prozessuale Waffengleichheit“ (vgl. zu diesem Begriff – wenn auch bzgl. dem Zivilprozessrecht – BVerfG, B.v. 11.2.2022 – BvR 2708/19 – juris Rn. 26 ff.) zwischen den Beteiligten herzustellen (vgl. § 91 Abs. 2 ZPO für den vom Beibringungsgrundsatz nach § 138 ZPO geprägten Zivilprozess), besteht für den Rechtsmittelgegner im (vom Sachverhalt/Zeitpunkt her) vergleichbaren Verfahrensstadium des Zulassungsverfahrens (noch) keine Veranlassung, sich zu verteidigen. Denn bzw. zwar prüft im Berufungszulassungsverfahren das Rechtsmittelgericht die Voraussetzungen nach § 124 Abs. 2, § 124 a Abs. 4 und 5 VwGO von Amts wegen, allerdings beschränkt auf die hinreichend substantiiert dargelegten Zulassungsgründe, vgl. § 124 a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO. Jedenfalls solange der Zulassungsantrag noch nicht begründet wurde, wird daher ein Rechtsanwalt (im Regelfall) die Erörterung des Streitstoffs für die Entscheidungsfindung noch nicht wirklich fördern können. Selbst wenn die Antragsbegründung bereits vorliegt, das Vorbringen aber ohne Weiteres die Erfolglosigkeit des Zulassungsantrags ergibt, müssen andere Verfahrensbeteiligte nicht angehört werden, wenn dafür kein Anlass besteht (vgl. dazu ausführlich BayVGH, B.v. 22.2.2018 – 15 C 17.2522 – juris Rn. 18 m.w.N.). Eine solche Beschränkung auf das Vorbringen in der Klagebegründung (oder gar die Obliegenheit zur fristgerechten Vorlage einer solcher an sich) besteht von Gesetzes wegen (abgesehen von hier nicht einschlägigen fachgesetzlichen Spezialregelungen, etwa § 6 UmwRG) im erstinstanzlichen Verfahren gerade nicht (sondern nur die Möglichkeit des § 87b VwGO), so dass konsequenterweise auch der frühestmögliche Zeitpunkt der Rechtsverteidigung für die Beklagte – wie es die Klägerin vorliegend fordert – nicht vom Zeitpunkt und Inhalt der Klagebegründung abhängig gemacht werden kann.

Angesichts dessen führt auch der Einwand, es handle sich beim Verfahrensgegenstand um eine „Nothilfe“, nicht dazu, der Beklagten eine erhöhte Kostenminderungspflicht dergestalt aufzuerlegen, dass sie letztendlich auf die Beauftragung eines Rechtsanwalts verzichten müsste und damit eine Minderung ihrer Möglichkeit zur Rechtsverteidigung zu dulden hätte. Wirtschaftliche Schwierigkeiten eines Beteiligten – so wie sie die Klägerin unter Verweis auf die Corona-Pandemie vorträgt – dürfen zwar sein Recht auf die Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) nicht beeinträchtigen; sie rechtfertigen umgekehrt aber auch nicht bzw. jedenfalls nicht aus sich heraus die Einschränkung der Verfahrensrechte eines anderen Beteiligten (selbst wenn sich dieser mangels Grundrechtsträgerschaft nicht auf Art. 19 Abs. 4 GG berufen kann). Denn dafür, d.h. um Nachteilen für einen Beteiligten infolge seiner „wirtschaftlichen Schwierigkeiten“ zu begegnen, stellen die VwGO, beispielsweise in Form der Gewährung von Prozesskostenhilfe (§ 166 VwGO) als auch andere Regelungen (etwa im Kostenrecht) geeignete, speziellere und damit vorrangige Instrumentarien zur Verfügung.

2. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Einer Streitwertfestsetzung bedarf es nicht, da für die Zurückweisung der Beschwerde nach Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses zum Gerichtskostengesetz (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) nur eine streitwertunabhängige Festgebühr erhoben wird.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

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