Oberlandesgericht Frankfurt am Main — Urt. v. 11.01.2018 Az.: 6 U 95/17 Anforderungen an die Wirksamkeit einer öffentlichen Zustellung an juristische Personen

April 28, 2018
Oberlandesgericht Frankfurt am Main — Urt. v. 11.01.2018
Az.: 6 U 95/17
Anforderungen an die Wirksamkeit einer öffentlichen Zustellung an juristische Personen

Auch wenn die in § 185 Nr. 2 ZPO genannten Voraussetzungen für eine öffentliche Zustellung an eine juristische Person erfüllt sind, ist das Gericht im Hinblick auf den Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 GG) gehalten, den Zustellungsempfänger unter einer aktenkundigen ausländischen Anschrift oder E-Mail-Adresse formlos von der Bewilligung der öffentlichen Zustellung in Kenntnis zu setzen; unterbleibt dies, liegen bei einer Säumnis der juristischen Person im Termin die Voraussetzungen für den Erlass eines Versäumnisurteils nicht vor.

 

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 6. April 2017 verkündete Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Gericht des ersten Rechtszuges zurückverwiesen, das auch über die Kosten des Berufungsverfahrens zu entscheiden hat.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird zugelassen.

Gründe

I.

Wegen des Sach- und Streitstandes wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO).

Das Landgericht hat den Einspruch der Beklagten gegen das im schriftlichen Vorverfahren durch öffentliche Zustellung zugestellte Versäumnisurteil der Kammer vom 10.06.2016 als unzulässig verworfen. Es hatte die öffentliche Zustellung des Versäumnisurteils am 10.06.2016 bewilligt. Das Versäumnisurteil wurde daraufhin am 07.07.2016 an die Gerichtstafel angeheftet und am 16. August 2016 abgenommen. Bereits am 22.10.2015 hatte die Beklagte einen Umwandlungsbeschluss gefasst, wonach die Gesellschaft von einer GmbH in eine S.a.r.l. nach luxemburgischem Recht umgewandelt wurde und eine Sitzverlegung nach Luxemburg beschlossen wurde. Am 20.07.2016 erfolgte die Eintragung der Gesellschaft nach Umwandlung und Sitzverlegung in das luxemburgische Handelsregister. Erst am 14.11.2016 erfolgte die Eintragung der grenzüberschreitenden Sitzverlegung unter gleichzeitiger Änderung der Rechtsform in das beim Amtsgericht Stadt1 geführte Handelsregister.

In seiner Entscheidung hat das Landgericht Frankfurt am Main ausgeführt, die Anordnung der öffentlichen Zustellung sei gemäß § 185 Nr. 2 ZPO zulässigerweise erfolgt. Das erkennende Gericht habe den Anforderungen des § 185 Nr. 2 ZPO Genüge getan, indem es den Versuch unternommen habe, an die Beklagte unter der Adresse in Stadt2 wie auch an nach dem Erlas des Versäumnisurteils klägerseits genannten potentiellen inländischen Zustellungsmöglichkeiten zuzustellen. Eine Zustellung im Ausland sei nicht zu bewirken gewesen. Ein solches Erfordernis stünde im Widerspruch zu der mit der Novellierung des Gesetzes verfolgten Intention, die öffentliche Zustellung in Missbrauchsfällen zu erleichtern.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten. Die Beklagte verweist darauf, dass sie bereits am 22. Oktober 2015 ihren Sitz nach Luxemburg verlegt habe; diese Sitzverlegung sei am 20.07.2016 im luxemburgischen Handelsregister eingetragen worden. Daher sei eine öffentliche Zustellung des Versäumnisurteils nicht rechtens gewesen. Im Übrigen bestünden gegen die Anwendung des § 185 Nr. 2 ZPO im Falle einer – wie hier – bekannten Anschrift des Adressaten in einem anderen Mitgliedsstaat erhebliche europa- und verfassungsrechtliche Bedenken.

Die Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil abzuändern und das Versäumnisurteil vom 10.06.2016 aufzuheben und die Klage abzuweisen,

hilfsweise,

das ohne mündliche Verhandlung unter dem 6. April 2017 erlassene Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main abzuändern, der Beklagten wegen der Versäumung der Frist zur Einlegung des Einspruchs gegen das Versäumnisurteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 10.06.2016 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, das genannte Versäumnisurteil des Landgerichts aufzuheben und die Klage abzuweisen,

hilfsweise,

den Rechtsstreit an das Gericht des ersten Rechtszuges zurückzuverweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens.

Wegen des weiteren Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst ihren Anlagen Bezug genommen.

II.

Die zulässige Berufung hat auch in der Sache Erfolg.

Das Landgericht hat den Einspruch der Beklagten gegen das im schriftlichen Vorverfahren durch öffentliche Zustellung zugestellte Versäumnisurteil vom 10.06.2016 zu Unrecht als unzulässig verworfen. Denn die öffentliche Zustellung erfolgte verfahrensfehlerhaft, weil sie dem Gebot des rechtlichen Gehörs (Artikel 103 Abs. 1 GG) nicht hinreichend Rechnung getragen hat.

Zutreffend weist das Landgericht darauf hin, dass der Gesetzgeber mit der Neufassung des § 185 Nr. 2 ZPO eine Erleichterung der öffentlichen Zustellung an Gesellschaften erreichen wollte, die ihre Geschäftsräume geschlossen haben und die postalisch nicht erreichbar sind – allerdings unter Berücksichtigung der Ultima-Ratio-Funktion der Zustellung in Gestalt der öffentlichen Bekanntmachung. Eine Zustellung von Schriftstücken an die Beklagte unter ihrer im hiesigen Handelsregister angegebenen Anschrift in Stadt2 erwies sich als nicht möglich. Ebenso wenig konnte eine Zustellung an die klägerseits genannten inländischen Zustellmöglichkeiten der Beklagten selbst bzw. ihres Geschäftsführers in Stadt1 bzw. Gemeinde1 erfolgen. Damit waren die Voraussetzungen für eine Bewilligung der öffentlichen Zustellung des Versäumnisurteils vom 10.06.2016 erfüllt. Zu diesem Zeitpunkt war weder die Eintragung der Gesellschaft nach Umwandlung und Sitzverlegung in das luxemburgische Handelsregister erfolgt (dies geschah am 20.07.2016) noch war die grenzüberschreitende Sitzverlegung unter gleichzeitiger Änderung der Rechtsform in das beim Amtsgericht Stadt1 geführte Handelsregister eingetragen (dies erfolgte am 14. November 2016).

Aus dem Wortlaut des Gesetzes und auch aus den Gesetzesmaterialien ergibt sich, dass das Gericht nicht gehalten war, eine Zustellung im Ausland zu versuchen. Der Gläubiger sollte nicht nur davon befreit werden, langwierige Recherchen nach etwaigen Vertretern oder deren Aufenthalt im Ausland anzustellen. Selbst wenn die ausländische Anschrift der Gesellschaft bzw. ihrer Vertreter positiv bekannt ist, muss eine Auslandszustellung nicht versucht werden, da sie oftmals so zeitraubend (und auch kostenintensiv) ist, dass sich der mit der Zustellung letztlich erstrebte Erfolg des Gläubigers, finanzielle Befriedigung zu erlangen, nicht mehr realisieren lässt (Bundestags-Drucksache 16/6140 Seite 54 linke Spalte). Diese Motive des Gesetzgebers, die öffentliche Zustellung von Schriftstücken an juristische Personen zu erleichtern, rechtfertigen es jedoch nicht, von der Übersendung einer Information über die öffentliche Zustellung durch einfachen Brief oder E-Mail an eine bekannte Anschrift im Ausland abzusehen (vgl. zum alten Recht OLG Köln MDR 2008, 1061 [OLG Köln 26.05.2008 – 16 Wx 305/07]; auch für das neue Recht befürwortend: Stein/Jonas-Roth, ZPO, § 185 Rdn. 8; verneinend: ZPO-Münchener Kommentar – Häublein § 185 Rdn. 9).

Vorliegend war der Klageschrift als Anlage K 4 eine E-Mail der Beklagten vom 17.09.2015 (Anlage K 4) beigefügt, mit der sie die Abgabe der geforderten Unterlassungserklärung ablehnte. Das Landgericht wäre gehalten gewesen, eine Information über die Bewilligung der öffentlichen Zustellung an diese Adresse zu mailen. Eine solche Information wäre weder kosten- noch zeitaufwändig gewesen, weshalb insoweit der mit der Neufassung des § 185 Nr. 2 ZPO verfolgte Gesetzeszweck nicht tangiert ist. Mit Rücksicht darauf, dass im Falle der Zustellung durch öffentliche Bekanntmachung mit einer tatsächlichen Kenntniserlangung praktisch kaum zu rechnen ist, gebietet es Artikel 103 GG den Zustellungsadressaten bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 185 Nr. 2 ZPO im Falle einer aktenkundigen ausländischen Adresse oder einer E-Mail-Adresse formlos davon in Kenntnis zu setzen, dass die öffentliche Zustellung bewilligt wurde.

Die Sache musste gemäß § 538 Abs. 2 ZPO zurückverwiesen werden, weil sie nicht entscheidungsreif ist.

Die Klägerin stützt ihr Unterlassungsbegehren auf drei verschiedene Schutzrechte, nämlich ihr Unternehmenskennzeichen, eine nationale Marke sowie eine Unionsmarke, ohne jedoch bisher die nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. GRUR 2012, 1145 – Pelikan, Tz. 18 m.w.N.) erforderliche Bestimmung vorgenommen zu haben, in welcher Reihenfolge diese Schutzrechte geltend gemacht werden. Darüber hinaus ist der antragsgemäß erlassene Unterlassungstenor insoweit zu weitgehend, als er keinerlei Angaben dazu enthält, in Bezug auf welche Dienstleistungen oder Unternehmensgegenstände das begehrte Verbot der Zeichenbenutzung ausgesprochen werden soll; es ist nicht ersichtlich, dass der Klägerin der geltend gemachte Marken- bzw. Kennzeichenschutz für alle denkbaren Dienstleistungen oder Unternehmensgegenstände zustehen könnte. Schließlich hat die Klägerin die tatsächliche Grundlage für den geltend gemachten Unterlassungsanspruch in der Klageschrift lediglich darin gesehen, dass die – im Geschäftsverkehr tatsächlich bisher nicht in Erscheinung getretene – Beklagte unter der im Antrag genannten Firma „X GmbH“ in das Handelsregister eingetragen sei. Ob die sich daraus ergebende Erstbegehungsgefahr für die Benutzung dieser Firma in Deutschland fortbesteht, erscheint jedoch zweifelhaft, nachdem die Beklagte ihren Sitz nach Luxemburg verlegt und in „X S.a.r.l.“ umfirmiert hat.

Der Senat hat in der mündlichen Verhandlung auf die genannten Gesichtspunkte hingewiesen; der Klägervertreter war jedoch nicht in der Lage, hierauf in der Sitzung zu reagieren. Die Klägerin wird zunächst zu prüfen haben, ob sie an ihrem bisherigen Klageantrag festhält. Sodann müssen beide Parteien gegebenenfalls Gelegenheit erhalten, zu den angesprochenen Punkten ergänzend vorzutragen.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat ihre Grundlage in § 708 Nr. 10 Satz 1 ZPO.

Die Revision war zuzulassen. Die Auslegung von § 185 Nr. 2 ZPO n.F. wirft grundsätzliche Fragen im Sinne von § 543 II Nr. 1 ZPO auf.

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